Perspektive

Anklage gegen Trump in Georgia offenbart Fäulnis des amerikanischen politischen Systems

Eine Tonaufzeichnung eines Gesprächs zwischen Ex-Präsident Trump und dem Innenminister von Georgia, Brad Raffensperger, wird während einer Anhörung des Untersuchungsausschusses zum Angriff auf das Kapitol vom 6. Januar abgespielt, 13. Oktober 2022 [AP Photo/Jonathan Ernst/Pool Photo]

Innerhalb von fünf Monaten wurden bereits vier Anklagen gegen den Ex-Präsidenten Donald Trump erhoben – die letzte im Bundesstaat Georgia ist die bisher schwerwiegendste. Auf fast 100 Seiten wird detailliert dargelegt, wie Trump und Dutzende Komplizen, von denen einige ebenfalls angeklagt sind, andere noch nicht, an einer Verschwörung beteiligt waren, um seine Niederlage bei den Präsidentschaftswahlen 2020 abzuwenden.

Die Anklageschrift ist zwar auf einen einzigen Bundesstaat beschränkt, vermittelt aber ein viel umfassenderes Bild als die vor zwei Wochen eingereichte bundesweite Anklage gegen Trump und seine Helfer. Ihnen wird vorgeworfen, die Stimmenzahl der Wahlleute in Georgia gefälscht zu haben, wo der Kandidat der Demokraten Joe Biden mit einem Vorsprung von 11.779 Stimmen gewonnen hat. Angeklagt werden unter anderem der damalige Stabschef des Weißen Hauses, Mark Meadows, Trumps Top-Wahlkampfanwälte Rudy Giuliani, Sidney Powell, Jenna Ellis und Kenneth Chesebro, externe Berater wie John Eastman und hochrangige Funktionäre der Republikanischen Partei von Georgia.

In der Anklageschrift werden 41 Straftatbestände gegen die 19 Angeklagten aufgeführt. Der Anklagepunkt der Verschwörung richtet sich gegen alle Angeklagten und stützt sich auf das Gesetz zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität (Racketeer Influenced and Corrupt Organizations – RICO) des Bundesstaats Georgia.

Im Zusammenhang mit der Verschwörung werden 161 Handlungen angeführt. So wurden etwa juristische Schreiben eingereicht, in denen fälschlicherweise behauptet wurde, der damalige Vizepräsident Mike Pence könne während der offiziellen Bestätigung der Wahl durch den Kongress Wahlleute ablehnen. Ein weiterer Punkt ist der kriminelle Einschüchterungsversuch gegen die Wahlhelferin Ruby Freeman in Atlanta, die nachts zuhause aufgesucht wurde.

Die Staatsanwältin von Fulton County, Fani Willis, hat die Anklageerhebung und Vorladung von Trump und seinen Mitangeklagten auf den 25. August anberaumt. Sie erklärte, dass sie den Fall innerhalb von sechs Monaten vor Gericht bringen wolle – eine gewaltige Aufgabe bei so vielen Angeklagten und Anklagepunkten.

Unabhängig vom Ergebnis des Prozesses sind damit die Weichen für ein Präsidentschaftswahljahr der beispiellosen politischen Konflikte und Krisen gestellt.

Auch in Bezug auf die Anklage in Georgia müssen einige Punkte wiederholt werden. Erstens bestätigt sie erneut, dass Trump und seine Komplizen an einer Verschwörung beteiligt waren, um das Wahlergebnis zu kippen, die in dem faschistischen Umsturzversuch vom 6. Januar 2021 gipfelte. Die Verhaftung und strafrechtliche Verfolgung aller Beteiligten sind absolut angemessen und notwendig.

Zweitens wirft die Anklageschrift aus Georgia ebenso wie die vom Sonderberater des Justizministeriums, Jack Smith, erhobene Bundesanklage die Frage auf: Warum hat es mehr als zwei Jahre gedauert, bis Anklage gegen Trump und seine Mitverschwörer erhoben wurde? Über fast alle angeführten Straftaten wurde Anfang 2021 in der Presse berichtet. Viele waren öffentlich bekannt, wie Trumps ständige Tweets, in denen er Anweisungen gab, um die Kampagne gegen das Wahlergebnis anzuheizen.

Drittens beschränkt sich der Fall in Georgia, ebenso wie die Bundesanklage, hauptsächlich auf die Versuche Trumps, die Wahl zu diskreditieren und gefälschte Wahlleute einzusetzen, die die tatsächlich gewählten Biden-Wahlmänner ersetzen sollten. Sie schweigt hingegen zu den Ereignissen vom 6. Januar 2021, auch wenn sie an manchen Stellen berührt werden. Zum Beispiel wird darauf verwiesen, dass Trump-Berater wie Jenna Ellis und Kenneth Chesebro dem damaligen Präsidenten empfahlen, „eine Strategie zur Störung und Verzögerung der gemeinsamen Sitzung des Kongresses am 6. Januar 2021“ zu verfolgen.

Die verschiedenen Staatsanwälte und die Biden-Regierung versuchen die Ereignisse des 6. Januar zu umschiffen, weil sie vermeiden wollen, dass eine umfassendere Verschwörung zum Putsch aufgedeckt wird, in die die Mehrheit der republikanischen Parteiführung und bedeutende Teile des Militär- und Geheimdienstapparats verwickelt waren. Zweck dieser Vertuschung ist es, die wichtigsten Institutionen der herrschenden Klasse zu erhalten und die parteiübergreifende Unterstützung für die Kriegspolitik der Biden-Regierung gegen Russland zu sichern.

Die Anklageschrift wirft jedoch umfassendere Fragen auf. Das gesamte politische System der Vereinigten Staaten – das Zentrum des Finanzkapitals und der imperialistischen Kriegsplaner – befindet sich in einem Zustand der ständigen Krise und Flügelkämpfe.

Es ist ungewiss, wie die herrschende Klasse die Präsidentschaftswahlen 2024 überhaupt durchführen wird. Trump, dem Spitzenkandidaten der Republikaner, drohen bis zu vier Strafverfahren und fünf Zivilprozesse, sofern keine weiteren Verfahren gegen ihn eingeleitet werden. Hunter Biden, dem Sohn des Präsidenten, droht unterdessen mindestens ein Verfahren wegen Steuerhinterziehung angesichts der laufenden Ermittlungen zu seinen korrupten Geschäften in China und der Ukraine. Er machte ein Millionenvermögen, indem er die Stellung seines Vaters als Vizepräsident in der Obama-Regierung nutzte. Joe Biden wird vorgeworfen, in die Machenschaften seines Sohnes verwickelt zu sein, und er könnte vom republikanisch kontrollierten Repräsentantenhaus dafür angeklagt werden, insbesondere wenn nachweisbar wäre, dass er persönlich profitiert hat.

Wer glaubt, dass die Krise ihre Wurzeln in der Person Donald Trump hat, verschließt die Augen vor der Realität. Trump ist nur der groteskeste Ausdruck eines politischen Systems, das durch und durch verrottet ist und aus allen Poren stinkt.

Im Kongress sitzen Millionäre und Ignoranten. Eine große Mehrheit der Republikaner hatte dafür gestimmt, Bidens Wahl nicht zu bestätigen. Sowohl die Demokraten als auch die Republikaner im Repräsentantenhaus haben selbst symbolische Einschränkungen ihrer eigenen Finanzgeschäfte, wie etwa ein Verbot des Aktienhandels, abgelehnt.

Der Oberste Gerichtshof ist selbst von Korruption durchsetzt. Dort findet faktisch eine ständige Verschwörung gegen die demokratischen Rechte der amerikanischen Bevölkerung statt. Wenn es zu einem knappen Wahlausgang kommt und die Entscheidung vor dem Supreme Court landet, wie im Jahr 2000, könnte diesmal die Stimme von Clarence Thomas entscheidend sein. In den letzten Monaten wurde enthüllt, dass er Luxusurlaube und andere Bestechungsgelder von faschistischen Milliardären erhalten hat, die versuchen, die Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs zu beeinflussen.

Die Politik existiert nicht im luftleeren Raum, sondern spiegelt gesellschaftliche Prozesse wider. Die US-Wirtschaft ist ein riesiges Schneeballsystem. Banken, Unternehmen und Hedgefonds haben Billionen Dollar an staatlichen Rettungsgeldern verwendet, um Finanzoperationen durchzuführen, die noch verworrener und undurchsichtiger sind als die, die den Wall-Street-Crash von 2008–2009 ausgelöst haben. Der Kryptomilliardär Samuel Bankman-Fried wurde verhaftet und wegen massiven Betrugs angeklagt, aber sein Fall ist nur der krasseste von Hunderten.

Infrastruktur und Sozialwesen hingegen befinden sich in einem fortgeschrittenen Verfallsstadium, wie zuletzt die schreckliche Zerstörung und Verwüstung bei den Bränden auf Hawaii gezeigt hat. Biden – der für eine Finanzoligarchie spricht, die von ihrer eigenen Selbstbereicherung und ihren militärischen Raubzügen besessen ist, – brachte kaum einen zusammenhängenden Satz darüber zustande.

Trump hat die Methoden des Gangstertums, der Abzocke und der Medienmanipulation, die er im Laufe seiner Geschäftskarriere im Bau- und Immobiliengeschäft in Manhattan, in den Kasinos von Atlantic City und im „Reality“-Fernsehen gelernt hat, in das politische System übertragen. Er verkörpert das, was Karl Marx meinte, als er den politischen Niedergang der französischen Finanzaristokratie vor der Revolution von 1848 eine „Wiedergeburt des Lumpenproletariats auf den Höhen der bürgerlichen Gesellschaft“ nannte.

Das politische System als Ganzes nimmt mehr und mehr den Charakter des alten Römischen Reiches an, ein kranker Staatsapparat, der auf einer sterbenden Gesellschaftsordnung sitzt. Nur durch die Entwicklung des Klassenkampfs, politisch bewaffnet mit einer sozialistischen Perspektive und Führung, kann dieser Staatsapparat zusammen mit dem kapitalistischen System hinweggefegt werden.

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