Der moralische Kreuzzug gegen den britischen Fernsehmoderator Schofield

Seit Wochen führen die britischen Medien einen grausamen und entwürdigenden moralischen Kreuzzug gegen den Fernsehmoderator Phillip Schofield. Sein öffentlicher Absturz verdeutlicht die Rolle der #MeToo-Kampagne bei der Schaffung eines rechten politischen Klimas.

Der 61-jährige Co-Moderator der Sendung This Morning im britischen Privatfernsehen ITV trat letzten Monat zurück. Zuvor hatte er eine Affäre am Arbeitsplatz mit einem 20-jährigen Mitarbeiter zugegeben, dem er zu einem Praktikum verholfen hatte.

Phillip Schofield in 'This Morning' (2013) [Photo by Number 10 / CC BY-SA 2.0]

Schofields berufliche und persönliche Zerstörung hat sich vor einem Millionenpublikum abgespielt. Inmitten eines Kriegs der Nato gegen Russland in der Ukraine und einer Inflationskrise, die Millionen Menschen in wirtschaftliche Not gestürzt hat, haben sich die Medien auf Schofields angeblichen „Machtmissbrauch“ und „Betrug“ bei der anfänglichen Verschleierung seiner Beziehung zu einem jüngeren Mann konzentriert.

Die Kampagne gegen Schofield begann im Februar 2020, als er sich in der Sendung This Morning dazu bekannte, schwul zu sein. Sein Coming-out löste eine Lawine von sensationsgierigen Medienberichten aus, in denen Journalisten seine 27-jährige Ehe unter die Lupe nahmen und darüber spekulierten, ob er mit seinem Eingeständnis verhindern wollte, dass er von anderen geoutet wird.

Dann kam „Queuegate“, oder zu Deutsch, der „Warteschlangen“-Skandal: Schofield und Co-Moderatorin Holly Willoughby wurden beschuldigt, sich in der wartenden Menge in der Westminster Hall bei der Aufbahrungszeremonie der Königin vorgedrängelt zu haben. Die Tatsache, dass die beiden als Journalisten durch einen offiziellen Medieneingang kamen, spielte dabei keine Rolle. Sie wurden Opfer eines Schwalls von Populismus und Nationalismus, für den die britische Boulevardpresse berüchtigt ist.

Niemand schien über ihren nächtlichen Absturz fassungsloser zu sein als Willoughby und Schofield selbst. In der Boulevard-Presse kursierte eine Online-Petition mit dem Titel „Raus mit Phillip Schofield und Holly Willoughby aus dem Fernsehen“. Die Daily Mail engagierte gar Experten für Körpersprache, um die nachlassende Chemie zwischen den beiden Moderatoren im Fernsehen zu interpretieren.

Am 19. Mai wurde Schofields Bruder wegen Sexualdelikten mit Kindern zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Von diesem Zeitpunkt an nahm die Kampagne gegen Schofield ihren unaufhaltsamen Lauf. Es spielte keine Rolle, dass er die „abscheulichen Verbrechen“ seines Bruders öffentlich anprangerte und betonte: „Was mich betrifft, habe ich keinen Bruder mehr.“

In den sozialen Medien hetzte die faschistische Demagogin Katie Hopkins zu einem öffentlichen Mobbing gegen „Phillip Savile“ auf, eine Anspielung auf den verstorbenen Fernsehmoderator und das Pop-Idol Jimmy Savile, der Kinder sexuell missbraucht und jahrzehntelang vom britischen Staat geschützt worden war. Hopkins beschuldigte Schofield, eine enge persönliche Beziehung zu einem jungen Mitarbeiter der Sendung zu haben, und behauptete, er habe ihn seit seiner Kindheit gefördert. GB News hetzte gegen den Moderator und beschuldigte ITV der Vertuschung.

Nachdem die Hexenjagd der Rechtsextremen auf die Mainstream-Medien übergeschwappt war, trat Schofield am 20. Mai von This Morning zurück und sagte: „Offensichtlich hat ITV entschieden, dass die aktuelle Situation so nicht weitergehen kann, und ich möchte alles dafür tun, dass diese Sendung, die ich liebe, keinen Schaden erleidet.“ Am 26. Mai beendete er auch seine Arbeit für ITV und entschuldigte sich dafür, dass er über seine Affäre mit dem 20-jährigen Showmitarbeiter gelogen hatte, eine Beziehung, die er als „einvernehmlich“ und „unklug, aber nicht illegal“ bezeichnete.

Der „investigative Journalismus“ der BBC

Die Medienhetze gegen Schofield erreichte ihren Höhepunkt Anfang Juni mit einem längeren Interview in der BBC. Schofield, der gebrochen aussah und dessen erste Worte kaum zu verstehen waren, sagte dem Medienredakteur Amol Rajan, er habe sich entschieden zu sprechen, „weil es eine unschuldige Person gibt, die nichts falsch gemacht hat. Der verletzlich ist und sich wahrscheinlich so fühlt wie ich.“

Amol Rajan (rechts) von der BBC interviewt Phillip Schofield [Photo: screenshot of BBC iplayer/Phillip Schofield: The Interview]

Schofield wies Vorwürfe zurück, er habe den Showmitarbeiter von Kindesbeinen an gefördert. Er erklärte, er sei dem 15-Jährigen auf Wunsch eines Freundes auf Twitter gefolgt, nachdem er die Schule besucht hatte. Im Alter von 19 Jahren hatte sich der junge Mann an Schofield gewandt und ihn um Hilfe bei der Suche nach einem Praktikum gebeten. Später erhielt er aus eigener Kraft einen Job als Showmitarbeiter: „Ich bin mit den Leuten, die mich zum Fernsehen gebracht haben, bestens befreundet, und ich habe immer daran geglaubt, es weiterzugeben.“

Einige Monate später begann eine kurze sexuelle Beziehung, wobei Schofield zu Rajan sagte: „Ich weiß, dass es unverzeihlich ist, aber wir waren kein Paar, wir hatten keine feste Beziehung. Ich hatte zu der Zeit wirklich Probleme mit meiner eigenen Sexualität, und es ist einfach passiert.“ Rajan entlockte Schofield im Laufe des 43-minütigen Interviews Dutzende von peinlichen und unnötigen Entschuldigungen.

Rajan, ein ehemaliger Redakteur der Internetzeitung The Independent, ging mit ekelerregender Scheinheiligkeit an seine Aufgabe heran. Sein Verhör enthielt Fragen wie: „Als Sie ihn persönlich kennenlernten, gab es da einen kleinen Moment sexueller Erregung?“; „Wann wussten Sie, dass Sie schwul sind?“ und „Darf ich fragen, ob das Ihre erste schwule Beziehung war, oder hatten Sie schon vorher schwule Affären oder sexuelle Erfahrungen?“ Die angemessene Antwort auf diese Fragen hätte gelautet: „Das geht Sie nichts an.“

Im Jahr 2023 erstellt die BBC forensische Untersuchungen des Privatlebens von TV-Prominenten. Aber wenn es um die Berichterstattung über die Rolle Großbritanniens im Stellvertreterkrieg der Nato in der Ukraine geht, der jeden Tag zu einem Dritten Weltkrieg zu eskalieren droht, unterwirft sich der staatliche Sender dem Verteidigungsministerium, der CIA und dem Pentagon und verbreitet ungefiltert deren Propaganda.

Schofield wehrte sich gegen Anschuldigungen, er habe den Showmitarbeiter von klein an aufgebaut. Er fügte hinzu: „Ich habe meine Macht noch nie missbraucht. Ich bin kein Tyrann... Ich bin im Studio nicht unhöflich. Ich tyrannisiere keine Leute. Ich herrsche niemanden an. Wir alle arbeiten als ein Team zusammen, und das war für mich in 41 Jahren Fernsehen das Wichtigste.“

„Wieviel kann ein Mensch verkraften“, fragte Schofield. Nur seine beiden erwachsenen Töchter, die seit dem Ausbruch des Skandals an seiner Seite geblieben waren, hätten ihn davon abgehalten, Selbstmord zu begehen. Über seine Karriere sagte er: „Ich bin am Ende“, und beschrieb die Angriffe der Medien mit den Worten: „Unerbittlich... Tag für Tag für Tag für Tag... Wollt ihr, dass ich sterbe? Denn an diesem Punkt bin ich jetzt. Ich habe alles verloren.“

„Eine Art puritanischer Faschismus“

Christine Flack, deren Tochter Caroline sich im Februar 2020 unter ähnlichen Umständen das Leben genommen hatte, verteidigte Schofield und den jungen Showmitarbeiter gegenüber BBC Newsnight: „Sie sind keine Ware, sie sind Menschen. Mich macht der Gedanke wütend, dass Phillip und dieser junge Mann eine so furchtbare Zeit durchmachen müssen. Es ist schon schlimm genug, wenn es im Privaten passiert, aber wenn es in jeder einzelnen Zeitung und als erstes in den Nachrichten berichtet wird, ist es einfach lächerlich... Ich sende meine Grüße an Phillip und den jungen Mann und hoffe, dass sie darüber hinwegkommen.“ Ihre mitfühlenden Kommentare wurden in großen Teilen der Bevölkerung positiv aufgenommen.

Auch der Schauspieler Rupert Everett sprach für viele, als er Channel 4 News fragte: „Was hat er getan? Er ist verheiratet und hatte eine Affäre mit jemanden, mit dem es legal ist, eine Affäre zu haben. Wenn es nicht noch etwas anderes gibt, von dem wir noch nichts gehört haben, sollten sie es sein lassen.“

Die Angriffe seien homophob, so Everett. Ähnliche Altersunterschiede würden akzeptiert, wenn es um heterosexuelle Prominente gehe. „Es ist empörend, diese Art puritanischer Faschismus ... Es ist wahnsinnig. Aber alles an der heutigen Zeit ist verrückt... Die Tatsache, dass es auf den Titelseiten all unserer Zeitungen steht, wir haben so viele wichtigere Dinge, über die wir reden müssen.“ Everetts Äußerungen verbreiteten sich viral, zweifellos ein Zeichen für die Abscheu, die Millionen Menschen gegenüber der puritanischen Raserei der Medien empfinden.

Als Reaktion auf Kate Maltbys abscheuliche Attacke auf Schofield in der Times – bei der sie sich nicht weniger als auf das Buch Genesis berief – schrieb ein Leser: „Präsident Macron war ein 15-jähriger Schüler, als er von seiner Frau unterrichtet wurde, die zu diesem Zeitpunkt 40 Jahre alt war – denkt Kate Maltby etwa, dass Frau Macron ihn sich gefügig gemacht hat?“

Ein anderer kommentierte: „Pure Homophobie – unser Schutzalter liegt bei 16 Jahren. Mit 20 kann ich bestätigen, dass die meisten jungen schwulen Männer wissen, was sie wollen. Ich war auch einer. Es gibt hier kein Opfer – der einzige Schaden, der angerichtet wird, ist der, dass die Medien einen Mann mit puritanischen Urteilen überhäufen, der offensichtlich die meiste Zeit seines Lebens mit seiner Sexualität zu kämpfen hatte, was ihn für diese Art von Skandal verwundbar macht.“

Ein Leser reagierte auf Maltby, indem er an die Worte von Thomas Macaulay erinnerte: „Wir kennen kein so lächerliches Schauspiel wie die britische Öffentlichkeit in einem ihrer periodischen Anfälle von Moral.“ Es lohnt sich, Macaulays Passage aus seinem Essay „Moore's Life of Lord Byron“ aus dem Jahr 1831 vollständig zu zitieren:

Im Allgemeinen werden Entwicklungen, Scheidungen und Familienstreitigkeiten kaum zur Kenntnis genommen. Wir lesen den Skandal, sprechen einen Tag lang darüber und vergessen ihn wieder. Aber einmal in sechs oder sieben Jahren schwappt unsere Tugend über. Wir können nicht zulassen, dass die Gesetze der Religion und des Anstands verletzt werden. Wir müssen dem Laster Einhalt gebieten. Wir müssen den Wüstlingen beibringen, dass das englische Volk die Bedeutung der häuslichen Bande zu schätzen weiß. Dementsprechend wird ein unglücklicher Mann, der in keiner Hinsicht verkommener ist als Hunderte, deren Vergehen mit Nachsicht behandelt wurden, als Sühneopfer herausgegriffen. Wenn er Kinder hat, werden sie ihm weggenommen. Wenn er einen Beruf hat, soll er aus diesem vertrieben werden. Er wird von den höheren Rängen geschnitten, von den niederen ausgezischt. Er ist in Wahrheit eine Art Prügelknabe, durch dessen stellvertretende Qualen alle anderen Übeltäter derselben Klasse ausreichend gezüchtigt werden sollen. Wir denken sehr selbstgefällig über unsere eigene Strenge nach und vergleichen mit großem Stolz den hohen Standard der Moral in England mit der Pariser Laxheit. Endlich ist unser Zorn gesättigt. Unser Opfer ist ruiniert und hat ein gebrochenes Herz. Und unsere Tugend schläft weitere sieben Jahre lang ruhig vor sich hin. (Aus dem Englischen)

In Großbritannien, den Vereinigten Staaten und anderen fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern wurde der zeitliche Abstand zwischen solchen „Sühneopfern“ dank des antidemokratischen Molochs namens #MeToo praktisch aufgehoben.

Der #MeToo-Moment der Rechtsextremen

Schofield ist mehreren reaktionären kulturellen Entwicklungen zum Opfer gefallen. Manches kennt man schon länger – eine Promi-Kultur nach dem Motto „Brot und Spiele“, die von der Boulevardpresse angeheizt wird, um die Aufmerksamkeit von grundlegenden Fragen abzulenken und die politische Atmosphäre zu vergiften.

Schofields Fall macht jedoch deutlich, wie sich eine faschistische Kultur entwickelt, die Konformität mit Familienwerten und Gott, König und Vaterland fordert. Sie wird durch das liberale und pseudolinke Establishment begünstigt, das die Verteidigung demokratischer Rechte ablehnt und persönliche Rachefeldzüge im Stil von #MeToo inszeniert.

Die Guardian-Kolumnistin Gaby Hinsliff trug mit einem Artikel unter der Überschrift „Die Lehre aus dem Phillip Schofield Skandal: Eine moralische Grauzone ist an keinem Arbeitsplatz OK“ zur #MeToo-Hysterie bei. Hinsliff erklärte: „In der Post-#MeToo-Ära sind wir viel aufmerksamer gegenüber ungleichen Machtverhältnissen in den Beziehungen; es ist an der Zeit, dass die Arbeitgeber ihre Sorgfaltspflicht wahrnehmen.“

Daraus kann nichts Fortschrittliches entstehen. Tatsächlich wurden die ITV-Führungskräfte schließlich vor einen Sonderausschuss des Parlaments geladen, um Fragen zu ihrem Umgang mit der Affäre zu beantworten!

#MeToo wurde von verärgerten „Talenten“ benutzt, um Rechnungen zu begleichen und möglicherweise Positionen auf den Trümmern von Schofields zerstörter Karriere zu ergattern. Eamonn Holmes, jetzt bei GB News und ehemaliger This Morning-Moderator, hat eine führende Rolle bei der Verunglimpfung von Schofield gespielt. Ein anderer ehemaliger Moderator hat Berichten zufolge an ITV-Führungskräfte geschrieben und sie aufgefordert, gegen Schofield wegen seiner Beziehung zu dem Showmitarbeiter vorzugehen. Der Inhalt dieser E-Mail, die offenbar schon vor Monaten durchgesickert ist, lieferte das Material für einen reißerischen Rachefeldzug gegen Schofield, der jetzt mit so verheerender Wucht ausgebrochen ist.

Seit 2017 hat sich die World Socialist Web Site gegen die #MeToo-Bewegung ausgesprochen. Während ihr vordergründiges Ziel angeblich die Bekämpfung sexueller Belästigung sei, so WSWS-Kulturredakteur David Walsh, „widerlegen die repressiven, regressiven Mittel, auf die zurückgegriffen wird – einschließlich unbegründeter und oft anonymer Denunziationen und anhaltender Angriffe auf die Unschuldsvermutung und das Recht auf ein ordentliches Verfahren – solche ‚progressiven‘ Behauptungen. Diese Methoden sind das Markenzeichen einer antidemokratischen, autoritären Bewegung, die zudem bewusst versucht, von sozialer Ungleichheit, Angriffen auf die Arbeiterklasse, der Kriegsgefahr und anderen großen sozialen und politischen Themen unserer Zeit abzulenken.“

In Schofields Fall hat #MeToo sogar auf die Notwendigkeit eines Opfers verzichtet. Es reicht aus, dass sich eine beliebige Anzahl „liberaler“ Journalisten oder faschistischer Kommentatoren an die Stelle des „Opfers“ setzt und den angeblichen „Täter“ durch unbelegte Gerüchte, Klatsch und andere aufdringliche und antidemokratische Methoden, die an einen Lynchmob erinnern, zu Fall bringt. Wie wir an anderer Stelle festgestellt haben, ist ein großer Teil derjenigen, gegen die sich die #MeToo-Vorwürfe richten, homosexuell oder jüdisch: Harvey Weinstein, Woody Allen, Roman Polanski, James Levine und Kevin Spacey, um nur einige zu nennen.

GB News-Moderatorin Amy Nickell erklärte letzte Woche, die Schofield-Affäre versetze sie in „Weinstein-Stimmung“, und sie hoffe, dass der Skandal „einen #MeToo-Moment in der britischen Fernsehindustrie“ auslöse. Nickell fügte grinsend hinzu: „Ja, das ist Klatsch, aber vergessen Sie nicht, dass Klatsch gut für uns ist und die Menschen verbindet.“

Nickells selbstgefällige Äußerungen und die Beteiligung von gesellschaftlichem Abschaum wie Katie Hopkins machen deutlich, dass die #MeToo-Methoden von rechtsextremen Kräften aufgegriffen werden, um demokratische Rechte auszuhöhlen und zu zerstören. Indem sie die Kultur brutalisieren, tragen die Verfechter dieser neo-viktorianischen Moralhysterie dazu bei, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit von den wirklichen Verbrechen einer Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung abzulenken, die sich kopfüber in den Krieg stürzt.

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