Der 48-stündige Streik der britischen Eisenbahner am Wochenende war die jüngste Arbeitsniederlegung in einem Tarifstreit um niedrige Löhne und den Abbau von Arbeitsplätzen, Löhnen und Bedingungen, der seit nunmehr einem Jahr andauert.
Am Freitag begannen mehr als 20.000 Mitglieder der Gewerkschaft Rail, Maritime and Transport (RMT) in England einen 24-stündigen Streik. Am Samstag streikten etwa 12.000 Lokführer der Gewerkschaft ASLEF. Zuvor hatten sie bereits am Mittwoch für 24 Stunden die Arbeit niedergelegt. Damit war der Streik der Lokführer der zweite in der letzten Woche.
Von dem Streik der RMT waren 14 Eisenbahnunternehmen betroffen, bei denen 50 Prozent des Betriebs und Tausende von Zügen ausfielen. Er hatte große Auswirkungen auf das Endspiel des FA Cup am Samstag in London, da Zehntausende von Fans aus dem Nordwesten Englands mit Zügen in die Hauptstadt fahren wollten.
Die Streiks von ASLEF richteten sich gegen 16 Eisenbahnbetreiber und brachten etwa 60 Prozent des Betriebs zum Erliegen.
Die Eisenbahnerstreiks begannen letzten Juni mit einer Reihe von 24-stündigen Arbeitsniederlegungen der RMT gegen den Eisenbahn- und Infrastrukturkonzern Network Rail und 14 weitere Betreibergesellschaften. Sie waren die ersten in einer ganzen Welle von Streiks in der Eisenbahn-, Post- und Telekommunikationsbranche, im Bildungswesen, beim National Health Service und im öffentlichen Dienst. Viele dieser Streiks wurden von der Gewerkschaftsbürokratie ausverkauft oder laufen Gefahr, verraten zu werden. Wenn es nach der RMT-Bürokratie unter Mick Lynch gegangen wäre, dann wäre der Tarifstreit bei der Eisenbahn längst beendet.
Im März verriet die RMT ihre 20.000 Mitglieder bei Network Rail und empfahl ihnen einen Abschluss, der eine Lohnerhöhung weit unter der Inflationsrate vorsah und sich über zwei Jahre erstreckte.
Daraufhin sagte die RMT-Führung zwei für den 30. März und den 1. April geplante Streiks ab und versuchte, den faulen Ausverkauf, den sie mit den Eisenbahnbetreibern abgeschlossen hatte, im vorteilhaftesten Licht darzustellen. Zu diesem Zweck behauptete sie, der Rail Delivery Group, welche die privaten Eisenbahnunternehmen vertritt, eine Reihe von Zugeständnissen abgerungen zu haben.
Die RMT war bereit, einen „Zwei-Stufen-Abschluss“ zu akzeptieren, der eine Lohnerhöhung von fünf Prozent im ersten und vier Prozent im zweiten Jahr vorsieht – deutlich unter der Inflationsrate. Sie behauptete, auf diese Weise könnten sie in der zweiten Stufe mit den Eisenbahnbetreibern noch ungelöste Fragen über die Arbeitsbedingungen klären und sich die Möglichkeit eines erneuten Streiks offenhalten.
Am 27. April musste die RMT zugeben, dass eine derartiger Vereinbarung nicht zur Verhandlung stand. Lynch erklärte: „Sie [die RDG] behauptet jetzt, [damit die Vereinbarung zustande kommt] müssten wir unseren Tarifstreit beenden, alle Arbeitskampfmaßnahmen einstellen und unser Streikmandat aufkündigen...“
Mehrere hundert Lokführer bei der RMT erhielten sogar ein noch schlechteres Angebot. Lynch erklärte, es beinhalte „grundlegende Änderungen für die Arbeit unserer Lokführer und bei den Gehältern, Ausbildungspaketen, etc. von neu eingestellten Beschäftigten“.
Die Gewerkschaftsbürokratie behauptete, die Tory-Regierung habe den Deal zum Scheitern gebracht, und der Tarifstreit könnte schon vorbei sein, wenn die Eisenbahnbetreiber in gutem Glauben hätten verhandeln können. Doch die Eisenbahnbetreiber haben die gleichen Ziele wie die Tories: Sie wollen eine erneute Privatisierung des Schienennetzes durchsetzen, die auf Lohnsenkungen, verschlechterten Arbeitsbedingungen und massivem Stellenabbau beruht. Dies würde dazu führen, dass in den verbleibenden 50 Prozent des Schienennetzes nur Züge fahren würden, die ausschließlich von Lokführern besetzt sind. Tausende von Zugbegleitern würden so arbeitslos. Außerdem würden an allen britischen Bahnhöfen die Fahrkartenschalter geschlossen, was ebenfalls Tausende von Arbeitsplätzen kosten würde.
Doch statt den Arbeitskampf zu verschärfen, hat die Gewerkschaft nur einen weiteren 24-stündigen Streik am 13. Mai und den Aktionstag letzte Woche organisiert. Zu Beginn des Streiks am 13. Mai forderte die RMT einen „Branchengipfel aus Gewerkschaften, Arbeitgebern und der Regierung, wenn nötig mit einem unabhängigen Vorsitzenden, um das Chaos bei der Bahn zu beenden und den toxischen Tarifstreit zu lösen.“ Gewerkschaftsvertreter sagten zudem vor dem Parlament aus und warnten, dass die geplante Minimum Services Legislation – ein grundlegender Angriff auf das Streikrecht – die „Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern verschlechtern und Tarifkonflikte verlängern würde“.
Später widerlegte die RMT ihre eigenen Behauptungen, es gäbe einen Konflikt zwischen der Regierung und den Eisenbahnbetreibern, und gab bekannt, sie habe dem Verkehrsminister schriftlich mitgeteilt, der Tarifstreit habe „den Steuerzahler und die Wirtschaft ganze 1,25 Milliarden Pfund [1,45 Milliarden Euro] gekostet, während die privaten Eisenbahnbetreiber hunderte Millionen Profite machen und ihren Bossen Rekordgehaltserhöhungen zahlen“. In der Erklärung vom 13. Mai hieß es: „Für die privaten Eisenbahnbetreiber ist alles wie immer. Sie rechnen bis Ende des Jahres mit Gewinnen in Höhe von 464 Millionen Euro, die vom Steuerzahler finanziert wurden, und die Bosse erhalten Gehaltserhöhungen zwischen 15 und 275 Prozent.“
Im Vorfeld des Streiks am letzten Freitag behauptete Lynch in einer Videoansprache an die Mitglieder, im Tarifstreit sei „viel erreicht“ worden. Er kündigte an, die Gewerkschaft werde bald neue Verhandlungen „in gutem Glauben“ mit der RDG aufnehmen. Obwohl die Inflation derzeit bei über 13 Prozent liegt, stellte er die Lohnerhöhungen von vier und fünf Prozent pro Jahr als Errungenschaft dar und erklärte: „Wir sollten nicht vergessen, dass das ursprüngliche Angebot der Regierung und der RDG nur zwei Prozent Lohnerhöhung für alle vorsah.“
Er behauptete, die Eisenbahnbetreiber seien nicht mehr daran interessiert, Einpersonenzüge einzuführen, bei den Catering-Diensten zu kürzen oder die Wartungssysteme umzustrukturieren. Weiter behauptete er, die Verhandlungen hätten die Pläne gestoppt, „ab Oktober 2022 alle Fahrkartenschalter in allen Bahnhöfen des Eisenbahnnetzes zu schließen“.
Die RMT habe die Pläne des Unternehmens vereitelt, „neue Arbeitsverträge für die gesamte Belegschaft mit zusätzlichen verpflichtenden Überstunden zur Abdeckung der obligatorischen Sonntagsarbeit einzuführen, und sie hat die Pläne zum Abbau von tausenden Arbeitsplätzen unserer Mitglieder gestoppt. Und natürlich wollen sie, dass ihr das Rentensystem der Eisenbahn mit massiven Kürzungen der Leistungen und mit Beitragserhöhungen akzeptiert.“
Nichts davon stimmt. Die Profiteure der Eisenbahn sind momentan damit zufrieden, einen Vertrag mit extrem niedrigen Löhnen einzuführen, um diese Angriffe nach Beendigung des Streiks und in Zusammenarbeit mit der RMT durchzusetzen.
In einer Erklärung der RMT vom Freitag hieß es, Lynch habe allen Abgeordneten, einschließlich der 354 Tories, schriftlich mitgeteilt: „Während Unternehmen und Gewerkschaften eine Einigung wollen, besteht die Regierung darauf, dass die [5,8 Milliarden Euro] Kosten des Streiks für die Wirtschaft ein Preis sind, den es zu zahlen lohnt. [Statt] Milliarden Pfund für einen sinnlosen Krieg gegen die Eisenbahnergewerkschaften zu verschwenden ... sollten die Abgeordneten an Premierminister Rishi Sunak schreiben und darauf bestehen, dass die Regierung für ein verbessertes Angebot sorgt, das die Besetzung mit Personal und die Dienstleistungen schützt und den Eisenbahnern zu einem gerechteren Abschluss verhilft.“
Lynch nannte als Vorbild die Tatsache, dass es „bei den Eisenbahnen, die von der schottischen und walisischen Regierung kontrolliert werden, keine Streiks gibt, weil ihre Regierungen [unter Führung der Scottish National Party und der Labour Party] eine faire und weniger ideologische Herangehensweise an die Tarifbeziehungen haben“.
Statt einer vereinten Offensive haben die RMT und die ASLEF meist sporadische 24-stündige Streiks durchgeführt, die nicht koordiniert wurden und an unterschiedlichen Tagen stattfanden. Bei der Londoner U-Bahn, wo die Löhne und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten ebenfalls angegriffen werden, läuft das bestehende Streikmandat Ende Juni aus. Doch obwohl die Beschäftigten dort ebenfalls der RMT angehören, sollen keine Arbeitskampfmaßnahmen stattfinden.
Die Arbeiter der beiden größten Eisenbahnergewerkschaften haben für den Streik gestimmt und ein sechsmonatiges Mandat erneuert, wie es die Antistreikgesetze verlangen. Doch wegen der Gewerkschaftsbürokratie haben die Streiks nichts erreicht.
Der Tarifstreit bei der Eisenbahn ist einer der zwei wichtigsten Kämpfe, die im Mittelpunkt der britischen Streikwelle stehen, neben dem der 115.000 Postbeschäftigten. Doch beide steuern auf eine Niederlage zu. Die Eisenbahner müssen der RMT die Kontrolle über den Tarifstreit aus der Hand nehmen, indem sie unabhängige Aktionskomitees aufbauen.
Als die Communication Workers Union (CWU) versuchte, einen Ausverkauf des Kampfs der Postbeschäftigten auf der Grundlage einer faulen Einigung mit der Royal Mail durchzusetzen, gründete eine Gruppe von Arbeitern ihr eigenes Aktionskomitee, um eine Niederlage des Tarifkampfs zu verhindern. Wir rufen die Eisenbahner auf, den gleichen Weg einzuschlagen. Die Socialist Equality Party ruft die Eisenbahner auf, mit ihr in Kontakt zu treten und über die Gründung von Aktionskomitees an den Arbeitsplätzen zu diskutieren.