Unter dem Jubel von 7000 Fans eröffnete der Pink-Floyd-Mitbegründer Roger Waters am Sonntag in der Hamburger Barclays-Arena seine Deutschland-Tournee. Wenige Minuten bevor das Konzert begann, schallte die Stimme von Waters durch die Arena: „Nur damit alle Bescheid wissen: Ein Gericht in Frankfurt hat festgestellt, dass ich kein Antisemit bin. Großartig.“
Dann fügte er hinzu: „Um es klar zu sagen: Ich verurteile Antisemitismus auf das Schärfste. Und wenn Sie einer von diesen ‚Ich liebe Pink Floyd, aber ich mag Roger Waters‘ Politiksicht nicht‘-Menschen sind, wäre es vielleicht besser, wenn Sie jetzt an die Bar verschwinden.“
Es folgte minutenlanger Beifall. Vom ersten Moment an war an diesem Abend klar, dass hier nicht nur ein großartiger Musiker gefeiert wurde, der mit den klassischen Pink-Floyd-Songs die Aufbruchstimmung der frühen siebziger Jahre in Erinnerung brachte. Der Beifall galt vor allem dem Künstler, der mit fast 80 Jahren der verlogenen kapitalistischen Propaganda und der Nato-Kriegspolitik die Stirn bietet.
Waters aktuelle Tournee „This Is Not a Drill“, die nach einem erfolgreichen ersten Teil in den USA nun nach Europa und Deutschland kommt, ist nicht nur ein musikalisches, sondern auch ein starkes politisches Statement. Wie die WSWS in ihrer Besprechung kommentierte, befasst sich nahezu jeder Song „mit den drängenden Fragen unserer Zeit: imperialistischer Krieg, Faschismus, das Gift des Nationalismus, die Not der Flüchtlinge, die Opfer staatlicher Unterdrückung, weltweite Armut, soziale Ungleichheit, der Angriff auf demokratische Rechte und die Gefahr der nuklearen Vernichtung“.
Vor allem den Kampf gegen den eskalierenden Nato-Krieg gegen Russland in der Ukraine stellt Waters ins Zentrum seines aktuellen Schaffens. Gegenüber der Berliner Zeitung betonte er: „Alles, was ich mit meinen neuen Musikaufnahmen, meinen Statements und Auftritten zu erreichen versuche, ist, dass diejenigen, die an der Macht sind, den Krieg beenden. ... Ich meine, würden wir uns dafür entscheiden, weiterhin junge Ukrainer und Russen abzuschlachten, wenn wir die Macht hätten, es zu beenden?“
In Deutschland stand Waters Tournee von Beginn an unter heftigem Angriff. Am 24. Februar hatte der Frankfurter Magistrat im Einvernehmen mit der hessischen Landesregierung das Konzert mit dem völlig falschen und grundlosen Vorwurf abgesagt, der Musiker sei ein Antisemit. Eine Koalition aus Sozialdemokraten, Grünen, FDP, CDU und Volt hatte behauptet, Waters sei einer „der reichweitenstärksten Antisemiten der Welt“.
Waters erhob gegen diese üble politische und künstlerische Zensur Klage, und am 24. April gab das Verwaltungsgericht in Frankfurt seinem Antrag statt und hob das Verbot auf. Waters wertete die Gerichtsentscheidung als Sieg für die Demokratie und die Freiheit der Kunst.
In einem Social-Media-Post ging Waters auf seine Haltung zum zionistischen Staat und dessen Umgang mit den Palästinensern ein. Er schrieb: „Angesichts dieser aufgeklärten Gerichtsentscheidung“ wolle er einige Dinge klarstellen:
1. Können wir bitte aufhören, Kritik an der Politik der Regierung des rassistischen Apartheidstaats Israel mit Antisemitismus gleichzusetzen!
2. Können wir uns bitte darauf einigen, die absurde Antisemitismusdefinition der IHRA (International Holocaust Remembrance Alliance) aufzugeben? Der einzige mögliche Nutzen dieses wertlosen Stücks Papier ist es, die wirkliche Bedeutung des Begriffs zu verschleiern.
3. Können wir der deutschen Bevölkerung gratulieren, dass sie Gesetze hat, die die Kunstfreiheit schützen? Und sie dazu auffordern, weiterhin auf ihre Regierung einzuwirken, damit sie aufhört, friedliche Demonstrationen der BDS [Boykott, Desinvestition und Sanktionen] zur Unterstützung unserer unterdrückten Brüder und Schwestern in Palästina durch militarisierte Polizei zu verbieten und gewaltsam niederzuschlagen.“
Die kriegslüsternen Medien in Deutschland, die Tag und Nacht die Propaganda vom „nicht provozierten russischen Angriffskrieg“ verbreiten, gegen jede Friedensinitiative hetzen und die größte militärische Aufrüstung der deutschen Armee seit Hitler befürworten, fühlen sich durch die Konzert-Tournee von Roger Waters herausgefordert und bedroht.
Auf das Hamburger Eröffnungskonzert reagierten sie gestern mit einer regelrechten Schlammschlacht. Das Deutschlandradio eröffnete am Morgen seine Reportage mit ein paar Takten aus „Wish you were here“, dem legendären Pink-Floyd-Song, und der Moderator kommentierte: „Morgen Abend wird Roger Waters in Köln auftreten. Dort werden ihm sicherlich viele zurufen: Wish you were not here!“ Dass bei der Eröffnung in Hamburg keine Gegendemonstranten auftraten, fand er höchst merkwürdig.
Frage an den Korrespondenten: „Waters sagt also, ein Frankfurter Gericht habe festgestellt, dass er kein Antisemit sei. Ist das richtig so.“ Antwort: „Nein, man kann sogar sagen, das ist frei erfunden.“ Eine solche Feststellung habe das Gericht nicht gemacht. Es habe sich lediglich auf die Kunstfreiheit berufen und deutlich gemacht, dass es bei den Konzerten keine Anzeichen von strafbaren Handlungen gebe.
Moderation: „Gab es wirklich keine Aussagen oder Symbole, die ein Verbot gerechtfertigt hätten.“ Antwort, es habe zwar „viel wirres Zeug“ und übergroße Parolen in grellen Farben gegeben, „eine Mischung aus Überwältigungsästhetik und Gehirnwäsche“, aber nichts direkt Kriminelles. Die US-Präsidenten von Ronald Reagan über Obama bis Joe Biden seien als Kriegsverbrecher bezeichnet worden und, „wie Waters das immer macht“, der Holocaust sei relativiert worden, indem Bilder von Opfern der US-Polizeigewalt mit Bildern von Anne Frank vermischt wurden. Waters spiele sich als Rebell gegen das Establishment auf, mache aber daraus ein „gut funktionierendes Geschäftsmodell“. Das sei sehr ärgerlich.
Unter der Überschrift „Mehr Matsch als Pink Floyd erlaubt“ giftete die Süddeutsche Zeitung, Waters verbreite „billigste Wahrheiten“ in einer großen Show. Auf der Bühne „flimmern, zirpen und explodieren die Bilder und Schrifttafeln“ in denen Waters „eine schreckliche Gegenwart“ darstelle. „Visionen von Krieg und Überwachung, Polizeigewalt, autoritären Maschinen und dem Wunder des zivilen Ungehorsams.“ Es sei eine „wahrhaft bunte, oft in demonstrativ wütendes Rot geklatschte Sammlung aus Triggerwörtern und Reizmotiven, Politikmatsch, Agitation und guter Menschenrechtsliebe“. Ein Spektakel wie „in einem Ballerfilm“.
Roger Waters hat sich bisher von dieser Verleumdungskampagne und diesen Hetzartikeln von Journalisten, die ihre politische Einschätzung aus dem Kanzleramt und den Geheimdienstzentralen diktiert bekommen, nicht beeindrucken lassen. Er ist ein entschiedener Gegner jeder Ungerechtigkeit und Unterdrückung. Er ist gegen Krieg und verteidigt das palästinensische Volk gegen die Angriffe der israelischen Regierung.
Er „präsentiert keine systematisch entwickelte politische Perspektive, geschweige denn das Programm einer bestimmten Strömung“, wie die WSWS in ihrer Besprechung der US-Tournee schrieb. „Was in ‚This is Not a Drill‘zum Ausdruck kommt, ist eine tiefe Empörung gegen Ungerechtigkeit, gegen Krieg, gegen offizielle Heuchelei und Lügen.“