Angriffe an allen Fronten: Netanjahu will Proteste durch Kriegshysterie unterdrücken

In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag haben israelische Sicherheitskräfte zum zweiten Mal in Folge einen grausamen Angriff auf dem Gelände der al-Aqsa-Moschee im besetzten Ost-Jerusalem verübt.

Mit Tränengas, Blendgranaten und Gummimantel-Stahlgeschossen wurden 20.000 palästinensische Gläubige angegriffen, während bewaffnete Soldaten die zum Ramadan-Gebet versammelten Gläubigen gewaltsam entfernten und mit Schlagstöcken und Gewehrkolben auf sie einschlugen.

Israelische Polizei in der Jerusalemer Altstadt, wenige Stunden nach der Razzia auf dem Gelände der al-Aqsa-Moschee am 5. April 2023 (Foto: Mahmoud Illean/WSWS) [Photo: Mahmoud Illean/WSWS]

Laut dem palästinensischen Roten Halbmond, der angab, dass die israelischen Streitkräfte medizinisches Personal daran hinderten, die Verwundeten zu versorgen, verlief die zweite Razzia mit sechs Verwundeten weniger heftig als die erste, bei der mindestens 37 Menschen verletzt worden waren.

Der zweite Gewaltausbruch ereignete sich einen Tag nach der ersten Polizeirazzia, bei der etwa 450 Gläubige verhaftet und Palästinensern unter 50 Jahren das Betreten der Moschee verboten worden war. Der faschistische Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben Gvir, Vorsitzender der Partei „Jüdische Stärke“, lobte die Polizei.

Israels Angriff hat in der gesamten arabischen und muslimischen Welt Empörung ausgelöst. Die Vereinten Nationen, die USA, Kanada, die Europäische Union und die Türkei riefen zum Abbau der Spannungen auf.

Militante Gruppen aus dem Gazastreifen feuerten mehrere Raketen auf Israel ab, die meisten davon wurden jedoch abgefangen oder lösten keine Schäden oder Verletzungen aus. Die israelischen Verteidigungskräfte (IDF) starteten daraufhin Angriffe auf die belagerte Enklave. Die Hamas, die klerikale Gruppe, die den Gazastreifen kontrolliert, verurteilte die israelische Razzia und rief die Palästinenser zu Demonstrationen auf, jedoch nicht zu einer militärischen Konfrontation.

Während des Ramadan, der dieses Jahr mit dem jüdischen Pessach-Fest zusammenfällt, haben israelische Soldaten in den vergangenen Jahren immer wieder Gläubige in der al-Aqsa-Moschee, der drittheiligsten Stätte des Islams, angegriffen. Die Besucher wurden daran gehindert, die Nacht in der Moschee zu verbringen, wie es die Tradition zum Itikaf verlangt, einer frommen Übung gläubiger Muslime in den letzten Tagen des Ramadan.

Im Mai 2021 lösten ähnliche Angriffe, zusammen mit Provokationen rechtsextremer Gruppen und Versuchen, sechs palästinensische Familien aus ihren Häusern im Ost-Jerusalemer Stadtteil Scheich Jarrah zu vertreiben, einen mörderischen elftägigen Angriff Israels auf die wehrlose Bevölkerung des Gazastreifens aus. Bei israelischen Luftangriffen wurden seinerzeit 261 Palästinenser getötet, darunter 67 Kinder. Weitere 2.200 wurden verwundet und 113.000 Palästinenser wurden aus ihren Häusern vertrieben. Dies führte zu Protesten und Unruhen im Westjordanland und in den überwiegend von Arabern bewohnten Städten Israels.

Die Angriffe in dieser Woche auf die al-Aqsa-Moschee, das besetzte Westjordanland und Israels eigene palästinensische Staatsbürger sowie auf den Iran und Syrien bilden die Speerspitze der Kampagne, mit der Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in Israel eine Kriegshysterie schüren will. Während die Proteste gegen seine Bestrebungen, seine rechtsextreme Regierung mit diktatorischen Vollmachten auszustatten, seit vier Monaten andauern, ist er entschlossen, die noch kleinen, aber wachsenden Versuche der Vereinigung der palästinensischen und jüdischen Arbeiter und Jugendlichen gegen seine Regierung zu unterbinden. Diese Versuche hatten nach den pogromartigen Angriffen von Siedlern auf die Stadt Huwara im Westjordanland begonnen.

Netanjahu kalkuliert damit, auf der Grundlage von Militarismus eine Art nationaler „Einheit“ zu schaffen, um die politischen Spannungen auf Israels „äußere Feinde“ zu lenken, d.h. auf die Palästinenser und den Iran. Am Sonntag erklärte er während einer Kabinettssitzung: „Die interne Debatte in Israel wird unsere Entschlossenheit nicht um ein Jota verringern. Wir sind stark und in der Lage, an allen Fronten gegen unsere Feinde loszuschlagen, wo und wann es notwendig ist.“ Zum ersten Mal seit Februar hat er die Einberufung des Sicherheitskabinetts angekündigt.

Von den etwa 450 Palästinensern, die bei der Razzia in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch verhaftet wurden, sind mindestens 397 wieder frei, allerdings dürfen sie die al-Aqsa-Moschee eine Woche lang nicht betreten. 47 Inhaftierte aus dem Westjordanland wurden ins Militärgefängnis Ofer verlegt, während sechs Palästinenser aus Ostjerusalem noch festgehalten und verhört werden. Nach Angaben der palästinensische Kommission für Häftlingsangelegenheiten „sind die Bedingungen der Verhaftung und der Haft demütigend und unmenschlich, und die verletzten Häftlinge werden nicht medizinisch versorgt.“

Die Polizei eskortierte am Donnerstagmorgen Dutzende von israelischen Siedlern in den Hof der al-Aqsa-Moschee, was zu Befürchtungen führte, dass eine Aufteilung der Moschee zwischen Muslimen und Juden vorbereitet wird, wie es in den 1990ern mit der Ibrahimi-Moschee in Hebron geschehen war.

Rechtsextreme Gruppen wollen die Moschee durch einen jüdischen Tempel ersetzen. Darunter befinden sich die Tempel-Aktivisten, die entschlossen sind, jüdische Gebete auf dem Gelände durchzuführen, obwohl ein internationales Abkommen zum Status der Moschee dies verbietet. Zuvor hatten sie zu Massenstürmungen während des einwöchigen Pessach-Festes aufgerufen und angekündigt, an Pessach ein Tieropfer zu bringen, wozu auch Ben-Gvir häufiger aufgerufen hat. Am Mittwoch verhaftete die Polizei „mehrere Personen“ nahe der Moschee, die „Lämmer und Ziegen dabei hatten, die sie mutmaßlich während des Pessach-Fests opfern wollten.“

Dass in der Jerusalemer Altstadt ein 14-jähriger Palästinenser von einem israelischen Siedler mit scharfer Munition in den Arm geschossen wurde, verschärft die Spannungen noch weiter.

Im Westjordanland setzten israelische Sicherheitskräfte Giftgas ein, um die seit zwei Nächten andauernden Demonstrationen und wütende Konfrontationen mit israelischen Siedlern in Nablus, Dschenin, Tulkarm, Hebron, Ramallah, Bethlehem und Jericho aufzulösen. In Nablus wurden mindestens zwölf Menschen verletzt, Dutzende weitere in Beit Ummar nahe der südlichen Stadt Hebron, ein weiterer wurde durch scharfe Munition verwundet.

Innerhalb Israels wurden am Mittwochabend in der palästinensischen Stadt Umm al-Fahm wütende Proteste gegen die Erstürmung der al-Aqsa-Moschee mit Blendgranaten unterbunden und mindestens zwölf Personen verhaftet. Weitere Proteste brachen in den benachbarten nordisraelischen Städten Reineh und Kafr Manda aus.

Letzte Woche hat Israel bei vier Luftangriffen auf Syrien zwei iranische Offiziere getötet. Als Teheran daraufhin als Vergeltung eine unbemannte Drohne von Syrien aus nach Nordisrael schickte, flogen die IDF am Dienstag einen weiteren Angriff nahe Damaskus, bei dem zwei Zivilisten getötet wurden.

Das syrische Außenministerium warnte, Israel riskiere mit seinen Angriffen, die Region in eine „umfassende Eskalation“ zu ziehen. Es warf Tel Aviv vor, es würde Syrien angreifen, um „durch Aggressionen und Verbrechen jenseits seiner Grenzen seinen internen Problemen zu entkommen.“

Am Dienstag kündigte der Sprecher der iranischen Revolutionsgarde, Ramazan Sharif, bei einer Rede im Zentrum von Teheran während der Trauerfeier für die getöteten Gardisten Rache für ihren Tod an.

Der Stabschef der IDF, Herzi Halevi, prahlte damit, Israel sei „bereit“ den Iran anzugreifen – auch ohne Unterstützung der USA. i24NEWS zitierte Halevi mit den Worten: „Wir sind bereit, gegen den Iran vorzugehen. Das israelische Militär ist in der Lage, sowohl in entfernten Ländern als auch in der Nähe des eigenen Landes zuzuschlagen.“

Am Donnerstagnachmittag wurden Dutzende von Raketen vom Libanon aus auf Israel abgefeuert, wobei zwei Menschen verletzt wurden und einige Brände ausbrachen. Zwar hat noch keine Organisation die Verantwortung übernommen, doch Israel geht davon aus, dass die Raketen mit Zustimmung der Hisbollah abgefeuert wurden, und beschoss daraufhin die südlibanesische Stadt al-Qlaileh. Die vom Iran unterstützte Miliz und politische Organisation erklärte, sie unterstütze „alle Maßnahmen“ der Palästinenser zur Verteidigung der al-Aqsa.

Verteidigungsminister Yoav Gallant, den Netanjahu am 26. März entlassen wollte, weil er zur Einstellung der Justizreform aufgerufen hatte, da sie in Teilen der Streitkräfte für Unmut sorgte, trat jetzt neben ihm auf. Der Mann, den die selbst erklärten Führer der Oppositionsbewegung als Israels Retter hinstellen, warnte den Iran, Israel werde „nicht zulassen, dass die Iraner und die Hisbollah uns angreifen... Wir werden sie aus Syrien dorthin vertreiben, wo sie hingehören – in den Iran.“ Am Mittwoch erklärte er, die IDF würden sich „auf jede Möglichkeit“ vorbereiten.

Gallants Unterstützung für Netanjahus faschistischen Angriff auf die Palästinenser und die Kriegstreiberei gegen die Hisbollah, Syrien und den Iran bestätigen, dass die offizielle Opposition in keiner Weise eine Alternative zu Diktatur und Autoritarismus darstellt, ganz zu schweigen von einer Alternative zum Krieg gegen die Palästinenser und den Iran.

Netanjahu weiß, dass die Oppositionsführer Jair Lapid, Benny Gantz und die Schar von ehemaligen Generälen, Sicherheits- und Geheimdienstchefs sowie Wirtschaftsführern, welche die Bewegung anführen, keine grundlegenden politischen Differenzen mit ihm haben. Ihre Opposition ergibt sich aus der Befürchtung, dass er und seine faschistischen Koalitionspartner den dünnen demokratischen Schein Israels zerstören und eine ohnehin zutiefst polarisierte Gesellschaft spalten könnten. Die israelische Gesellschaft ist bereits heute eine der ungleichsten unter den Industrienationen der OECD.

Als loyale Verteidiger der israelischen Bourgeoisie und des zionistischen Staats werden sie einigen kosmetischen Änderungen an seinen Plänen zur Schwächung der Justiz zustimmen, um die größte Protestbewegung in der 75-jährigen Geschichte Israels zu demobilisieren und die Herrschaft der israelischen Oligarchen gegen die Bevölkerung zu stärken. Im Falle eines Aufstands der Palästinenser oder eines Kriegs werden sie ihr Äußerstes tun, um jeden Versuch der Protestbewegung zu unterbinden, auf die Palästinenser zuzugehen und Widerstand gegen Israels Apartheidsystem und die Militärherrschaft über die besetzten Palästinensergebiete zu leisten.

Israelische und palästinensische Arbeiter müssen mit den kapitalistischen Politikern brechen, die die Protestbewegung kontrollieren wollen. Die entscheidende Aufgabe ist der Aufbau einer revolutionären Führung, um die politische Unabhängigkeit der Arbeiterklasse in einem unerbittlichen Kampf gegen alle Vertreter der Bourgeoisie zu gewährleisten und um die Kämpfe der israelischen und palästinensischen Arbeiter mit denen ihrer arabischen, iranischen, kurdischen und türkischen Brüder und Schwestern in der Region und den imperialistischen Zentren gegen den Kapitalismus und für den Sozialismus zu vereinen.

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