Die europäischen Mächte nutzten den EU-Gipfel in Brüssel Ende letzter Woche, an dem auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj als Gast teilnahm, für eine massive Eskalation der Kriegsoffensive gegen Russland.
Bereits zuvor hatte Selenskyj bei einem Treffen mit dem britischen Premier Rishi Sunak, dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und Bundeskanzler Olaf Scholz die Lieferung von F-16-Kampfflugzeugen verlangt. Auf dem Gipfel entsprachen zahlreiche europäische Führer dieser Forderung, die die Gefahr eines umfassenden Kriegs mit Russland und damit eines dritten nuklearen Weltkriegs massiv erhöht.
EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola, die Selenskyj im europäischen Parlament begrüßte, betonte die Bedeutung von Kampfjetlieferungen an die Ukraine: „Nun müssen die Staaten als nächsten Schritt erwägen, rasch weitreichende Systeme und Flugzeuge bereitzustellen.“ Die europäische „Reaktion“ müsse „der Bedrohung angemessen sein – und die Bedrohung ist existenziell“.
Andere äußerten sich ähnlich. „Alle Optionen liegen auf dem Tisch, auch die Lieferung von F-16-Jets,“ erklärte der niederländische Außenminister Wopke Hoekstra. Und die estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas sagte: „Wenn wir sie hätten, würden wir der Ukraine mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln helfen.“ Der Preis, den man angesichts der russischen Aggression zahlen müsse, steige „mit jedem Zögern“.
Auch wenn bislang noch keine europäische Regierung konkrete Zusagen gemacht hat, ist klar, dass die Lieferung von Kampfjets hinter dem Rücken der Öffentlichkeit vorbereitet wird. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident Charles Michel prahlte Selenskyj damit, dass bereits sein Besuch in Großbritannien die Entscheidungen über die Lieferung weitreichender Waffen und die Ausbildung von Piloten näher gebracht habe und „wirklich ein Schritt hin zur Lieferung von Kampfflugzeugen“ sei.
Auch auf dem EU-Gipfel habe er von mehreren führenden Vertretern der EU bilateral vermittelt bekommen, dass sie bereit seien, der Ukraine „die notwendigen Waffen“ zu liefern. Das schließe auch „Fluggeräte“ ein. Auf konkrete Einzelheiten seiner Gespräche in London, Paris und Brüssel ging er zunächst nicht ein. Als eine ukrainische Journalistin danach fragte, erklärte er: „Es gibt bestimmte Vereinbarungen, die nicht öffentlich sind, die aber positiv sind.“
Das Prozedere folgt dem bekannten Muster. Auch die Lieferung von Kampfpanzern war lange vor der öffentlichen Bekanntgabe beschlossene Sache. Deutschland, das öffentlich lange als zögerlich dargestellt wurde, stellt aktuell eine ganze Panzerarmee gegen Russland zusammen. Nach der ersten Ankündigung, 14 Kampfpanzer vom Typ Leopard 2 an Kiew zu liefern, gab die Bundesregierung vergangene Woche die Ausfuhrgenehmigung für zusätzliche 178 Kampfpanzer vom Typ Leopard 1 frei.
Am Donnerstag verkündete der deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall zudem, es sei geplant, auch Schützen- und Kampfpanzer vom Typ Lynx und Panther an die Ukraine zu liefern. Das seien „die derzeit modernsten Schützen- und Kampfpanzer“, prahlte der Chef des Konzerns, Armin Papperger, in einem Interview mit dem Handelsblatt. Die Panzer könnten in Deutschland und Ungarn gebaut werden, man sei aber „bereit, auch in der Ukraine ein Werk für die Fertigung des Panther zu errichten“.
Die Panzerlieferungen werden aggressiv vorangetrieben. Bei seinem Antrittsbesuch in Kiew Anfang dieser Woche verkündete der neue deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius, bis Ende März die versprochenen Leopard-2-Kampfpanzer zu senden. Bis zum Sommer sollen dann 20 bis 25 Leopard 1 und bis Ende des Jahres bis zu 80 weitere folgen. Ziel sei, „bis zum ersten oder zweiten Quartal 2024 dann auf über 100 Leopard 1 zu kommen, was bedeutet, mindestens drei Bataillone – einschließlich des zu beschaffenden Materials für Ersatzteile und Munition und natürlich Ausbildung“.
Außerdem habe man „mit der Ausbildung von 600 Feldwebeln“ begonnen. Und bis Ende des Monats werde es „weitere Lenkflugkörper geben, weitere fünf Geparden, weitere fünf Pionierpanzer Dachs und fünf Brückenlegepanzer Biber“, erklärte Pistorius.
Auch Bundeskanzler Scholz sicherte Kiew in seiner Regierungserklärung vor dem EU-Gipfel weitere massive Waffenlieferungen zu und prahlte, Deutschland liege „bei der Lieferung von Waffen und Munition“ an die Ukraine „in Kontinentaleuropa weit vorne“. Dabei habe man sich immer „eng und vertraulich“ mit den Verbündeten abgestimmt: „Ob es um die Lieferung von Panzerhaubitzen oder Mehrfachraketenwerfern ging, um die Ausstattung der Ukraine mit Flugabwehrwaffen oder um unseren Entschluss, Schützenpanzer und schließlich Kampfpanzer zu liefern.“
Absurderweise behauptete der Kanzler: „Wir treffen keine Entscheidungen, die die NATO zur Kriegspartei werden lassen.“ Das ist eine augenscheinliche Lüge. Tatsächlich führt die Nato längst Krieg gegen Russland und eskaliert diesen nun immer weiter. Vertreter der Bundesregierung sprechen das offen aus. „Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland und nicht gegeneinander“, erklärte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) jüngst bei der Parlamentarischen Versammlung des Europarats in Straßburg.
Dass ausgerechnet der deutsche Imperialismus, der bereits im 20. Jahrhundert zweimal versucht hat, Russland militärisch zu unterwerfen, erneut gegen Russland losschlägt, unterstreicht den wirklichen Charakter der deutsch-europäischen Kriegspolitik. Dabei geht es nicht um die Verteidigung von „Freiheit“ und „Demokratie“, sondern um geostrategische und wirtschaftliche Interessen und den Kampf um die Weltmacht im 21. Jahrhundert.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Die herrschende Klasse Deutschlands verfolgt seit langem das Ziel, massiv aufzurüsten und Europa unter deutscher Führung zu organisieren. Der reaktionäre Einmarsch Russlands in die Ukraine, der von den Nato-Mächten regelrecht provoziert wurde, dient ihr als willkommener Vorwand. In seiner Regierungserklärung beschwor Scholz die notwendige Einheit „einer geopolitischen Europäischen Union“, um „in der multipolaren Welt des 21. Jahrhunderts eine gestaltende Kraft“ zu sein.
Der gesamte Kriegsgipfel in Brüssel warf ein Schlaglicht auf den reaktionären Charakter der herrschenden Klasse. Auf die tiefe Krise des Kapitalismus und die wachsende revolutionäre Bewegung der Arbeiterklasse auf dem Kontinent reagiert sie mit einer verzweifelten Hinwendung zu Krieg und Faschismus. Als Selenskyj seine provokative Kriegsrede in Brüssel mit dem Ruf der ukrainischen Faschisten „Slava Ukraini“ beendete, erhob sich das gesamte EU-Parlament zum Applaus.
Ursprünglich sollte sie Verschärfung der Flüchtlingspolitik im Zentrum des EU-Gipfels stehen. Mit den nun beschlossenen Maßnahmen setzt die EU das Programm rechtextremer Parteien, wie der AfD oder der italienischen Regierungspartei Fratelli d’Italia, in die Tat um. Während im türkisch-syrischen Grenzgebiet unzählige Flüchtlinge der Erdbebenkatastrophe zum Opfer fielen, verpflichteten sich die EU-Staaten in der Abschlusserklärung darauf, die „Festung Europa“ massiv auszubauen.
U.a. bekräftigt die EU ihre „uneingeschränkte Unterstützung“ für die berüchtigte Grenzschutzagentur Frontex, auch um „verstärkte Rückführungen zu unterstützen“. Zudem sollen „die Grenzschutzkapazitäten und -infrastruktur“ ausgebaut und weitere „Mittel für die Überwachung, einschließlich der Luftüberwachung, und Ausrüstung“, bereitgestellt werden.
Gegen diese militaristische und arbeiterfeindliche Politik entwickelt sich auf dem ganzen Kontinent Widerstand. In Frankreich protestierten am Wochenende erneut Millionen gegen die geplante Rentenreform von Präsident Macron. In Madrid gingen Hunderttausende für eine bessere Gesundheitsversorgung auf die Straße. In Großbritannien beteiligen sich seit Monaten Millionen Arbeiter aus unterschiedlichen Branchen an einer massiven Streikwelle. In Deutschland befinden sich 11 Millionen Beschäftigte in Tarifauseinandersetzungen und verleihen ihren Forderungen mit Streiks und Demonstrationen Nachdruck.
Auch in anderen europäischen Ländern häufen sich die Streiks gegen Angriffe auf Arbeitsplätze und Löhne und die verheerenden Auswirkungen der Inflation und der Sanktionspolitik gegen Russland, die auf dem EU-Gipfel ebenfalls weiter verschärft wurde.
In der Erklärung „Die Massenstreikbewegung, der Krieg und die revolutionäre Krise in Europa“ schreiben die Sektionen der Vierten Internationale in Europa, dass die „Stimmungen, die Millionen in den Kampf treiben, zunehmend einen antikapitalistischen, antimilitaristischen und sozialistischen Charakter annehmen“. Die Aufgabe bestehe darin „die wachsende revolutionäre Bewegung der Arbeiterklasse in eine bewusste Bewegung für den Sozialismus zu verwandeln“. Das bedeutet, den Kampf für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa und den Aufbau der Sozialistischen Gleichheitsparteien als neue Massenparteien der Arbeiterklasse zu verstärken.