Ukrainischer Verteidigungsminister: Kiew ist „de facto Nato-Mitglied“

In einem am Freitag ausgestrahlten Interview mit der British Broadcasting Company (BBC) sagte der ukrainische Verteidigungsminister Oleksij Resnikow, die Ukraine sei „de facto Nato-Mitglied“.

Resnikows Erklärung bedeutet ein Eingeständnis, dass das ukrainische Militär als Stellvertreter des Nato-Bündnisses fungiert. Es widerlegt die falschen Behauptungen des Weißen Hauses, die Vereinigten Staaten seien nicht an dem Konflikt beteiligt.

Die Ukraine ist „de facto Nato-Mitglied“, - ukrainischer Verteidigungsminister Oleksij Resnikow am Freitag

„Wir haben eine Menge moderner Nato-Standardwaffen“, sagte Resnikow. „Es bedeutet, dass die Ukraine als Land und die Streitkräfte der Ukraine oder unser Sicherheits- und Verteidigungssektor de facto Mitglied der Nato geworden sind, nicht de jure, weil wir die Waffen haben, weil wir das Interoperabilitätsniveau der Kommunikation mit unseren Partnern haben, und ich bin sicher, dass wir in der nächsten Zukunft de jure Mitglied der Nato werden.“

Der BBC-Interviewer kommentierte: „Nun, das ist eine kontroverse Aussage. Sie sagen, dass die Ukraine de facto ein Nato-Mitglied sei?“

Darauf antwortete Resnikow: „Warum umstritten? Das ist wahr. Das ist eine Tatsache. Ich bin Anwalt, wissen Sie, ich arbeite mit den Fakten.“

Resnikows Behauptung ist in der Tat eine „Tatsache“, die nur deshalb „umstritten“ ist, weil die Regierung der Vereinigten Staaten und die Medien seit fast einem Jahr in Hinblick auf diese „Tatsache“ gelogen haben.

Im Mai 2022 wurde die Pressesprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, von einem Reporter gefragt: „Acht von zehn Amerikanern machen sich Sorgen wegen eines größeren Krieg und den möglichen Einsatz von Atomwaffen durch Russland. Und angesichts der Tatsache, dass Russland deutlich gemacht hat, dass es der Meinung ist, die Nato führe einen Stellvertreterkrieg, wie lautet da die Botschaft des Weißen Hauses an die besorgten Amerikaner?“

Psaki entgegnete: „Ich weiß, dass dies das russische Argument ist, aber es handelt sich nicht um einen Stellvertreterkrieg.“

Sie sagte zudem: „Dies ist ein Krieg zwischen Russland und der Ukraine. Die Nato ist nicht beteiligt.“ Und weiter: „Es ist wichtig und unerlässlich für uns alle, dass wir die Argumente des Kremls an dieser Front nicht wiederholen.“

„Russian talking point“ ist in Washington ein Euphemismus für eine wahre Aussage, über die das Weiße Haus lügen möchte.

US-Verteidigungsminister Lloyd J. Austin III (links) mit dem ukrainischen Verteidigungsministers Oleksij Resnikow im Nato-Hauptquartier in Brüssel, 12. Oktober 2022 [AP Photo/Stephanie Lecocq]

Resnikows Aussage entlarvt die falschen Aussagen über die Konfliktparteien durch das Weiße Haus als Lüge mit dem Zweck, die amerikanische Bevölkerung zu täuschen, während die US-Regierung einen lebensbedrohlichen Konflikt anzettelt.

Der Kontext, in dem Psaki leugnete, dass die Nato eine Konfliktpartei ist, erklärt ihre Motivation für diese falsche Aussage. Sie reagierte damit auf die weit verbreitete Befürchtung, dass der Krieg zu einem mit Atomwaffen ausgetragenen Konflikt eskalieren kann. Um diese berechtigten Bedenken der Öffentlichkeit zu beschwichtigen, hat sie die Öffentlichkeit belogen.

Seitdem Psaki diese Behauptungen aufgestellt hat, haben die Vereinigten Staaten ihr Engagement in diesem Krieg um ein Vielfaches erhöht. Die Vereinigten Staaten haben im vergangenen Jahr mehr als 50 Milliarden Dollar für den Krieg ausgegeben. In einem Gesetzentwurf, den Biden im Dezember unterzeichnet hat, werden weitere 50 Milliarden Dollar zugesagt.

Nach Psakis Erklärung weiteten die Vereinigten Staaten ihr Engagement im Ukraine-Krieg massiv aus und schickten ihr die Langstreckenrakete HIMARS, die Patriot-Raketen und Schützenpanzer. Die Vereinigten Staaten spielten eine zentrale Rolle bei der Versenkung der Moskwa, des Flaggschiffs der Schwarzmeerflotte, und bei der gezielten Ermordung russischer Generäle. Und die Vereinigten Staaten haben bestätigt, dass Pentagon-Mitarbeiter in der Ukraine im Einsatz sind, um den Einsatz der Waffen zu überwachen, die die USA geliefert haben.

Ein weiterer Aspekt von Resnikows Aussage ist von Bedeutung. Er sagte, die Ukraine sei nicht wegen der von Russland im Februar 2022 ergriffenen Maßnahmen Nato-Mitglied, sondern weil das ukrainische Militär mit den Nato-Standards kompatibel sei.

In der Tat war die Integration des ukrainischen Militärs in die Nato schon Jahre vor der Invasion ein langjähriges Ziel der Vereinigten Staaten. Im Juli 2021 verkündete das US-Außenministerium in einem Informationsblatt über die US-Militärhilfe für die Ukraine:

Die Ukraine ist ein wichtiger strategischer Partner in der Region, der erhebliche Anstrengungen unternommen hat, um sein Militär zu reformieren und seine Interoperabilität mit der Nato zu verbessern.

Die Ukraine hat erhebliche Anstrengungen unternommen, um ihren Verteidigungssektor im Einklang mit den Grundsätzen und Standards der Nato zu reformieren und zu modernisieren. Die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten haben eine gemeinsame multinationale Kommission und eine gemeinsame multinationale Ausbildungsgruppe eingerichtet, um die internationalen Bemühungen zu koordinieren und den Aufbau der Verteidigungskapazitäten der Ukraine zu unterstützen.

Resnikows Erklärung erfolgt im Vorfeld eines erwarteten Wendepunkts im Engagement der USA und der Nato in diesem Krieg, nämlich des Gipfeltreffens am 20. Januar auf dem Luftwaffenstützpunkt Ramstein in Deutschland, einem wichtigen US-Militärstützpunkt. Deutschland, Polen und andere Nato-Mitglieder werden dort voraussichtlich ankündigen, dass sie bis zu 100 Kampfpanzer in die Ukraine schicken.

Im Vorfeld des Treffens kündigte das Vereinigte Königreich offiziell die Entsendung von 14 Kampfpanzern des Typs Challenger 2 an, um einen Präzedenzfall zu schaffen, dem Deutschland und andere Nato-Mitglieder folgen sollen.

Der britische Verteidigungsminister Ben Wallace erklärte, die Entscheidung, die Challenger-2-Panzer zu schicken, sei das „bisher bedeutendste Paket an Kampfkraft“, das Großbritannien zur Verfügung stelle, und „wird es den Ländern, die Leopard-Panzer besitzen, ermöglichen, ebenfalls zu spenden“.

Wallace kündigte außerdem an, dass das Vereinigte Königreich in diesem Jahr 20.000 ukrainische Soldaten ausbilden wolle.

Am Montag bekräftigte der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, dass er Leopard-2-Kampfpanzer an die Ukraine liefern wolle, dass dies aber die Genehmigung Deutschlands, des ursprünglichen Lieferanten, voraussetze. „Ich kann mir keine Situation vorstellen, in der diese Genehmigung nicht schnell erteilt wird“, sagte er.

Es gibt Anzeichen dafür, dass Russland den Umfang seiner Kriegsbeteiligung ebenfalls erheblich ausweitet. Ein am Montag vom Institut für Strategische Studien veröffentlichter Bericht kommt zu dem Schluss: „Der Kreml unternimmt mit Verspätung Schritte zur Mobilisierung des Personals, zur Reorganisation und zu industriellen Maßnahmen ..., um die ‚militärische Spezialoperation‘ wie einen großen konventionellen Krieg zu führen.“

Als Reaktion auf die vorgeschlagene Entsendung von Leopard-2-Panzern in die Ukraine erklärte der pensionierte Generalleutnant Andrei Gurulev, ein Abgeordneter der Staatsduma (Legislative): „Das Auftauchen deutscher Panzer auf russischem Territorium ist der Eckpfeiler eines jeden Krieges.“

Er sagte weiter: „Sollten wir Atomwaffen einsetzen? Warum sollten wir uns schämen, wenn wir über unsere Entschlossenheit im Falle einer Bedrohung des Territoriums der Russischen Föderation sprechen und Leopard-Panzer in den von den Nazis besetzten Regionen Cherson und Saporischschja durch Russland fahren werden. Wer verhindert das?“

Solche Äußerungen zeugen von der extremen Gefahr für die gesamte Menschheit, die von der Eskalation eines Kriegs ausgeht, der immer mehr außer Kontrolle gerät.

David North, Leiter der internationalen WSWS-Redaktion, erklärte in seinem abschließenden Beitrag auf der IYSSE-Kundgebung „Für eine Massenbewegung von Jugendlichen und Studierenden gegen den Krieg in der Ukraine!“: „Wenn die Arbeiterklasse diesen Prozess nicht stoppt, wird er zu einer globalen Katastrophe führen, die die Gewalt der Vergangenheit in den Schatten stellt. Seit Ausbruch des Krieges ist der mögliche Einsatz von Atomwaffen im politischen Diskurs zur Normalität geworden.“

Die rasche Eskalation des Konflikts in den letzten Wochen bestätigt diese Warnung und unterstreicht die dringende Notwendigkeit zum Aufbau einer globalen Antikriegsbewegung, die von der Arbeiterklasse getragen wird.

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