Perspektive

„Holodomor“ – Bundestag unterstützt rechtsextreme Kriegspropaganda

Der 30. November 2022 wird als Datum in die Geschichte eingehen, an dem der Deutsche Bundestag die historische Wahrheit und die Freiheit von Meinung und Wissenschaft auf dem Altar des Militarismus opferte. Er bekannte sich zu einer historischen Fälschung, die ihren Ursprung bei den Nazis und in rechten, geschichtsrevisionistischen Kreisen hat.

Die Abgeordneten verabschiedeten ohne Gegenstimme die Resolution „Holodomor in der Ukraine“. Sie stuft die Hungersnot, die in den Jahren 1932-33 die gesamte Sowjetunion erfasste, als „Völkermord“ an der ukrainischen Nation ein. Durch die „gezielte und massenhafte Tötung von Menschen durch Hunger“ (ukrainisch: Holodomor) habe Stalin vor 90 Jahren versucht, die „ukrainische Lebensweise, Sprache und Kultur“ zu vernichten, behauptet die Resolution.

Umfangreiche historische Forschungen haben diese Behauptung längst widerlegt. Die Hungersnot war die Folge einer katastrophal falschen Politik des stalinistischen Regimes, aber nicht – wie der Holocaust und der Vernichtungskrieg der Nazis – einer bewussten Politik des Massenmords.

Die Behauptung, Stalin habe 1932 gezielt eine Hungersnot organisiert, um die ukrainische Nation auszulöschen, entstammt dem Arsenal rechtsextremer Geschichtsfälschungen, wie Clara Weiss in zwei Artikeln, die in dieser Woche auf der WSWS erschienen sind – „Geschichtsfälschung im Dienst von Kriegspropaganda“ und „Timothy Snyder’s Bloodlands: Right-wing propaganda disguised as historical scholarship“ – detailliert nachweist.

Beim Pogrom in Lwiw tötete die OUN im Sommer 1941 nach dem Einmarsch der Wehrmacht mehrere tausend Juden. Ein OUN-Mitglied (rechts) ist an der Armbinde zu erkennen. [Photo by Yad Vashem]

Die Behauptung diente den ukrainischen Faschisten während des Zweiten Weltkriegs dazu, ihre Zusammenarbeit mit den Nazis zu rechtfertigen. Sie wurde u.a. von der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) Stepan Banderas vertreten, die im Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion und beim Holocaust mit den Nazis kollaborierte und selbst Zehntausende Juden, Polen und Kommunisten umbrachte. Nach dem Krieg wurde sie von Neonazis und anderen Rechtsextremen kultiviert und von rechten Professoren wie Ernst Nolte aufgegriffen, um die Verbrechen der Nazis zu verharmlosen.

Der Bundestag wärmt die historische Lüge vom „Völkermord“ auf, um den Nato-Krieg gegen Russland zu rechtfertigen, der in der Bevölkerung auf wachsende Ablehnung stößt. Russland setze in der Ukraine den stalinistischen Völkermord fort und müsse deshalb mit allen Mitteln bekämpft werden, behauptete in der Debatte ein Redner nach dem andern. „Die Parallelen zur heutigen Zeit sind unübersehbar. Wieder versucht ein Diktator im Kreml, die Ukraine zu unterwerfen, sie zu vernichten,“ sagte der Grünen-Abgeordnete Robin Wagener.

Historiker, Journalisten, Lehrer oder einfache Bürger, die dieser „Völkermord“-Behauptung widersprechen, riskieren bis zu drei Jahre Gefängnis. Der Bundestag hat nämlich vor zwei Monaten den Volksverhetzungs-Paragraphen 130 des Strafgesetzbuchs entsprechend verschärft. Das Billigen, das Leugnen und das Verharmlosen von Völkermord stehen seither unter Strafe. Richter, die in Volksverhetzungsverfahren urteilen, werden sich am Holodomor-Beschluss des Bundestags orientieren. Er wird auch die Lehrpläne von Schulen und Geschichtsfakultäten beeinflussen.

Dass sich der Bundestag zu einer rechtsextremen Geschichtsfälschung bekennt und abweichende Meinungen mit Gefängnis bedroht, ist Ausdruck des wirklichen Charakters des Ukrainekriegs. Eine reaktionäre Politik erfordert eine reaktionäre Ideologie, und Krieg ist nicht mit Demokratie vereinbar.

Der Ukrainekrieg begann nicht mit dem russischen Angriff in diesem Frühjahr, sondern Jahre vorher. Seit der Auflösung der Sowjetunion 1991 hat die Nato Russland trotz gegenteiliger Zusagen militärisch systematisch eingekreist. 2014 organisierten die USA und Deutschland in Kiew einen rechten Putsch und verhalfen einem pro-westlichen Regime an die Macht. Seither haben sie die Ukraine massiv aufgerüstet. Ihr Ziel ist nicht nur die Einverleibung der Ukraine, Georgiens und anderer ehemaliger Sowjetrepubliken in ihren Einflussbereich, sondern die Unterwerfung und Aufspaltung Russlands mit seinen gewaltigen Bodenschätzen.

Das Putin-Regime hat darauf mit einem reaktionären militärischen Angriff auf die Ukraine reagiert. Seitdem unternimmt die Nato alles, um eine friedliche Lösung zu verhindern, den Krieg zu eskalieren und Russland militärisch zu besiegen – auch wenn sie damit einen nuklearen Weltkrieg riskiert.

Alle Bundestagsparteien stehen geschlossen hinter dieser Politik. Deshalb bekräftigten die Abgeordneten aller Parteien das rechtextreme Narrativ vom „Holodomor“: „Die Tötung durch Hunger hatte die Unterdrückung des ukrainischen Nationalbewusstseins, der ukrainischen Kultur und Sprache zum Ziel.“ (Robin Wagener, Grüne) „Es war ein menschenverachtendes Verbrechen, das von Stalin und seinen Schergen politisch gewollt, künstlich herbeigeführt und systematisch durchgeführt wurde.“ (Ulrich Lechte, FDP) „Sie sollten sterben, weil sie Ukrainer sind. Ein ganzes Volk sollte sterben.“ (Michael Brand, CDU)

Marc Jongen von der rechtsextremen AfD brachte den anti-kommunistischen und faschistischen Charakter der Kampagne auf den Punkt. Er beließ es nicht dabei, Stalin für „eines der großen Menschheitsverbrechen des 20. Jahrhunderts“ zu verurteilen, sondern machte die wahren Schuldigen in Lenin und im Sozialismus aus: „Wenn wir heute an dieses monströse Verbrechen erinnern, dann muss die Lehre doch vor allem eine sein: Die sozialistische Ideologie mit ihrem Hass auf Individualität und Freiheit, mit ihrem Gleichmachungsterror und ihrem Wahn, einen neuen Menschen schaffen zu können, ist abzulehnen und zu bekämpfen, wo immer sie in neuer Verkleidung ihr scheußliches Haupt erhebt.“

Auch Gregor Gysi (Die Linke) griff Lenin an. Dieser habe Marx völlig falsch interpretiert, als er im völlig unterentwickelten Russland den ersten sozialistischen Versuch unternommen habe, erklärte er. Marx habe die Auffassung vertreten, dass dies nur im entwickeltsten kapitalistischen Land möglich sei. „Stalin griff dann zur terroristischen Industrialisierung und Zwangskollektivierung und brachte Millionen Menschen durch Hunger ums Leben – ein schlimmes Verbrechen gegen die Menschlichkeit.“

Die Linke und die AfD enthielten sich zwar bei der Abstimmung – Die Linke, weil sie die Völkermord-These nicht uneingeschränkt unterstützt; die AfD, weil sie „die Ineinssetzung der historischen Ereignisse mit dem heutigen Krieg Russlands gegen die Ukraine“ ablehnt. Doch beide stimmten nicht gegen die Resolution und unterstützten gemeinsam mit Ampel und Union das rechtsextreme Narrativ vom „Holodomor“.

Ein Beobachter, der die Debatte auf der Tribüne des Bundestags verfolgte, nahm dies befriedigt zur Kenntnis – der stellvertretende ukrainische Außenminister und frühere Botschafter in Deutschland Andrij Melnyk, ein bekennender Anhänger des ukrainischen Nazi-Kollaborateurs und Massenmörders Stepan Bandera. Auf Twitter schwärmte Melnyk: „Ein wahrhaft historischer Tag in Berlin. Der Deutsche Bundestag wird den #Holodomor als #Völkermord an der ukrainischen Nation anerkennen. … Wir haben seit vielen Jahren für diese Entscheidung gekämpft. Danke, liebe deutsche Freunde, für dieses Zeichen der Gerechtigkeit.“

Die Sozialistische Gleichheitspartei hatte bereits vor acht Jahren gewarnt, dass „die Wiederbelebung des deutschen Militarismus eine neue Interpretation der Geschichte, die die Verbrechen der Nazizeit verharmlost“, und die Unterdrückung der Meinungsfreiheit erfordere.

Im Februar 2014 hatten führende Vertreter der deutschen Regierung, darunter der damalige Außenminister und heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, das Ende der militärischen und außenpolitischen Zurückhaltung Deutschlands verkündet und dies mit dem rechten Putsch in Kiew in die Tat umgesetzt.

Parallel dazu veröffentlichte Der Spiegel den Artikel „Der Wandel der Vergangenheit“, der – gestützt auf den Historiker Jörg Baberowski, den Politologen Herfried Münkler und Ernst Nolte, der mit seiner Nazi-Apologetik in den 1980er Jahren den Historikerstreit ausgelöst hatte – die Verbrechen des deutschen Imperialismus im Ersten und Zweiten Weltkrieg beschönigte. Baberowski wurde mit den Worten zitiert: „Hitler war kein Psychopath, er war nicht grausam“, und: „Nolte wurde Unrecht getan. Er hatte historisch recht.“

Als die SGP und ihre Jugendorganisation IYSSE öffentlich dagegen protestierten, stellten sich die gesamte Professorenschaft, Presse und Politik mit wenigen Ausnahmen hinter Baberowski und denunzierten SGP und IYSSE. Als diese unter Studierenden und Arbeitern breite Unterstützung gewannen, nahm der Verfassungsschutz die SGP als „linksextremistische“ Organisation in seinen Jahresbericht auf, unter anderem mit der Begründung, sie agitiere „gegen angeblichen ‚Imperialismus’ und ‚Militarismus’“ und glaube „an die Existenz einander unversöhnlich gegenüberstehender konkurrierender Klassen“.

Inzwischen ist klar, warum. Die Warnungen der SGP haben sich voll bestätigt. Die Bundestagsparteien verteidigen nicht nur einen Professor, der rechtsextreme Geschichtslügen verbreitet, sondern verbreiten selbst solche Lügen, um einen Krieg zu rechtfertigen, der die ganze Menschheit in den Abgrund zu stürzen droht.

Die Sozialistische Gleichheitspartei ist die einzige Partei, die der Kriegspolitik auf einer sozialistischen und internationalistischen Grundlage entgegentritt. Als deutsche Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale ruft sie zum Aufbau einer internationalen Massenbewegung der Jugend und der Arbeiterklasse gegen Krieg auf.

Wir laden alle Leser der WSWS ein: Nehmt am 10. Dezember am internationalen Online-Treffen der IYSSE gegen den Krieg in der Ukraine teil! Unterstützt den Wahlkampf der SGP in Berlin! Werdet Mitglied in der IYSSE und der SGP!

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