Will Lehmans Wahlhelfer besuchten in den letzten Tagen Ford- und Stellantis-Betriebe in Chicago, Detroit und Toledo, wo viele Arbeiter begeistert reagierten. Will Lehman, ein Mack-Trucks-Arbeiter und Sozialist, kandidiert für das Amt des Präsidenten der Gewerkschaft United Auto Workers (UAW) mit dem Ziel, den UAW-Apparat zu entmachten und den Arbeitern und Angestellten in den Betrieben die ganze Macht zurückzugeben.
Ab dem 17. Oktober werden die Briefwahlunterlagen für die erste Direktwahl für UAW-Führungspositionen an die UAW-Mitglieder verschickt. Der gerichtlich bestellte Wahlaufseher hat empfohlen, die Stimmzettel bis spätestens 18. November zurückzusenden, damit sie spätestens am 28. November eintreffen. Die Auszählung der Stimmen beginnt am 29. November.
Die Kampagne findet zu einem Zeitpunkt statt, an dem die globalen Automobilhersteller den Abbau von Arbeitsplätzen beschleunigen. In Brasilien streicht Mercedes Benz 3.600 Arbeitsplätze in seinem Werk in São Bernardo do Campo (Region São Paulo). Ford hat bereits 3.000 Angestellte, vor allem in den USA, entlassen und in Indien, Russland, Deutschland und anderen Ländern Werke geschlossen und Arbeitsplätze abgebaut.
Der Stellantis-Konzern streicht bei Opel in Deutschland gerade weitere 1000 Stellen; in seinen US-amerikanischen Fabriken streicht Stellantis ganze Schichten und baut Arbeitsplätze ab. In Illinois ist das Montagewerk Belvidere betroffen, in Michigan das Werk Trenton Engine und die Presswerke in Warren und Sterling Heights. Wegen der Engpässe bei Mikrochips und anderen Teilen sind viele Arbeiter in Nullstundenkurzarbeit.
Die globalen Automobilhersteller nutzen die Umstellung auf Elektrofahrzeuge, deren Produktion weniger Teile und Arbeitszeit erfordert, um Arbeitsplätze zu streichen und auf überwiegend schlecht bezahlte Leiharbeit umzustellen. Während der Online-Debatte der Kandidaten für das Amt des UAW-Präsidenten im letzten Monat betonte Lehman, dass die Arbeiter ihre eigene Strategie entwickeln müssen, um die Arbeitsplätze angesichts der Umstellung auf Elektrofahrzeuge zu verteidigen.
Der Plan der UAW-Bürokratie, sagte er,
besteht darin, das umzusetzen, was das Unternehmen für möglich hält, und das bedeutet mehr Situationen wie in Lordstown (Ohio), wo erneut Werke geschlossen werden. Wenn das Unternehmen sagt, dass es weniger Arbeiter braucht, heißt das in Wirklichkeit, dass es weniger Stunden braucht, um eine Arbeit zu erledigen.
Wir müssen unsere eigene Agenda vorantreiben. Ich bin Sozialist. Mir geht es darum, ein Programm für die Arbeiter vorzulegen. Die Arbeiter können die Umstellung für eine kürzere Wochenarbeitszeit nutzen, ohne Lohneinbußen in Kauf nehmen zu müssen. Wir sollten sogar mehr und nicht weniger Lohn bekommen. Dies sollte für alle Bereiche der Gewerkschaftsarbeit gelten. Es ist an der Zeit, das, was die Unternehmen als notwendig für ihre Wettbewerbsfähigkeit behaupten, nicht für bare Münze zu nehmen. Die Unternehmen versuchen, mit anderen Unternehmen zu konkurrieren, und sie tun dies, indem sie schauen, wer die meisten Arbeitsplätze streichen und die Arbeitsbedingungen am besten verschlechtern kann. Die UAW wird genau nach den Wünschen der Unternehmen springen – wir müssen unsere eigenen Ziele vorantreiben.
„Jemanden wie ihn brauchen wir“
Der UAW-Funktionärsapparat hat sich vergeblich dagegen gewehrt, dass die Mitglieder über die Spitzenfunktionäre abstimmen können. Jetzt tut er alles, damit die Arbeiter nicht wissen, dass überhaupt eine Wahl stattfindet. Der amtierende UAW-Präsident Ray Curry und der derzeitige Vorstand der UAW International, die von den Arbeitern verachtet werden, versuchen, ihre privilegierten Positionen und hohen Gehälter zu behalten, indem sie die Wahlbeteiligung unterdrücken.
Will Lehmans Kampagne erregt jedoch Aufsehen in den Betrieben. Viele Arbeiter haben die Debatte vom 22. September verfolgt und diskutieren über seine Politik.
In Chicago erzählten Ford-Arbeiter den Wahlkämpfern, dass sie von anderen Arbeitern, die im Werk Flugblätter verteilten, von Lehmans Kampagne erfahren hätten. „Ich kenne keinen der anderen Kandidaten, und das ist gut so“, sagte ein Arbeiter gegenüber der WSWS. Er bat dann um Informationen darüber, wann und wie die Wahl stattfinden würde.
Die Arbeiter reagierten begeistert auf Lehmans Forderungen, insbesondere auf die Forderung, keine weiteren Werksschließungen und Entlassungen zu akzeptieren. „Wir sind besorgt wegen des Standorts“, sagte ein Arbeiter. „Sie sagen, dass die vollelektrische Version des Explorers in Kanada hergestellt werden soll. Was werden wir also in Zukunft haben? Wie sieht es mit der Arbeitsplatzsicherheit aus, wenn sie auf vollelektrisch umstellen? Sie reden davon, den Lincoln einzustellen. Was wird dann aus uns, die wir in diesem Werk nur den Explorer bauen?“
Der andere Arbeiter fügte hinzu: „Ich bin mir ziemlich sicher, dass die C-Mannschaft gestrichen wird, weil die nächste Generation des Explorer vollelektrisch sein wird. Da all diese Unternehmen miteinander konkurrieren, um diese Elektroauto-Modelle auf den Markt zu bringen, wird bloß noch eine kleinere Belegschaft benötigt. Verbrennungsmotoren und Getriebe, wie wir sie heute bauen, werden bald nicht mehr gebraucht.“
Die Arbeiter unterstützten Lehman’s Forderung, die Wochenarbeitszeit ohne Lohneinbußen zu verkürzen, um die verfügbare Arbeit zu verteilen und die Einkommen aller Arbeiter zu schützen. Sie unterstützten auch seine Forderung nach einer 50-prozentigen Lohnerhöhung für alle Arbeiter sowie einen Ausgleich für die gestiegenen Lebenshaltungskosten durch die Inflation. Einige sagten, über die Inflation hätten sie gerade mit anderen Kollegen gesprochen. „Wir können uns nicht einmal die Produkte leisten, die wir herstellen. Einige der Produkte, die wir hier herstellen, kosten mehr als viele Arbeiter im ganzen Jahr verdienen.
Die Wahlhelfer Lehmans erzählten den Arbeitern von dessen Online-Treffen mit Ford-Arbeitern in Deutschland, Indien und Spanien. Sie sind ebenfalls von Arbeitsplatzabbau und Werksschließungen bedroht, weil ihre nationalen Gewerkschaften mit dem Konzern zusammenarbeiten. Sie erklärten, wie Lehman für eine internationale Strategie kämpfe, um die Arbeiter gegen Arbeitsplatzabbau und Werksschließungen zusammenzuschließen, und dass das im Gegensatz zum Nationalismus der UAW und anderer Gewerkschaften stehe, die die Arbeiter verschiedener Standorte gegeneinander ausspielen und in einen mörderischen Bieterwettlauf zwingen.
Ein Wahlhelfer überreichte den Arbeitern auch Kopien der Resolution des Aktionskomitees der Eisenbahner und sprach mit ihnen über die Versuche der Bahngewerkschaften, mit der Regierung Biden zusammenzuarbeiten, um einen Streik zu verhindern und einen unternehmensfreundlichen Vertrag durchzusetzen.
„Das ist Blödsinn“, kommentierte der erste Arbeiter. „Sie sagen ihnen quasi, dass sie den Mund halten sollen, aus Angst davor, was sonst noch alles stillgelegt wird, aber genau das ist ja der Sinn eines Streiks.“
„Sieh dir an, was hinter den Kulissen passiert“, sagte der andere Arbeiter. „Wir gehen jetzt schon früher nach Hause, und sie entlassen die A- und B-Mannschaft, weil es an Teilen mangelt. Wen werden sie zu bestechen versuchen, um einen Streik zu verhindern? Es geht ihnen nur darum, ihren finanziellen Anteil zu bekommen; die Belegschaft ist ihnen völlig egal.“
Mit Blick auf die Zusammenarbeit der UAW mit Ford fuhr einer der Arbeiter fort: „Die letzten drei Verträge waren Müll. Wir verlieren immer mehr, und wir bekommen nichts zurück. Nur die älteren Arbeiter [mit der längsten Betriebszugehörigkeit] haben noch eine Rente.“
Der zweite Arbeiter brachte seine Unterstützung für Lehman’s Kampagne zum Ausdruck. „Nach dem, was ich bereits über Will gelesen habe, stimme ich ihm voll und ganz zu. Jemanden wie ihn brauchen wir.“
„Ich unterstütze Wills Kampagne zur sofortigen Übernahme der Leiharbeiter“
Im Stellantis-Lastwagenwerk Warren in einem Vorort von Detroit wurde den Arbeitern der Nachtschicht am Freitag in letzter Minute mitgeteilt, dass in dieser Woche nicht gearbeitet werde, angeblich wegen eines Teilemangels. Stellantis hat jedoch bereits die dritte Schicht im nahe gelegenen Detroit Autowerk Jefferson entlassen, und die Arbeiter der Nachtschicht bei Warren Truck befürchten, dass sie die nächsten sind.
Eine befristete Zeitarbeiterin, neuerdings als „supplemental employee“ („Zusatzkraft“ - SE) bezeichnet, hatte Will kennengelernt, als er Anfang August in ihrem Werk Wahlkampf machte. Sie sagte der WSWS: „Ich unterstütze Wills Kampagne, die Leiharbeiter sofort zu übernehmen. Es gab schon seit Wochen Gerüchte, aber dann kam die Nachricht, dass die dritte Schicht nächste Woche nicht arbeiten würde. Den Vollzeitarbeitern wurde die Möglichkeit eingeräumt, vormittags oder nachmittags zu arbeiten, aber die SEs wurden einfach entlassen.
Wir wissen nicht, ob sie die Nachtschicht abschaffen werden oder nicht. Ich bin zu meinem Vorgesetzten gegangen und habe ihn gefragt. Er sagte, man solle nicht auf die Gerüchte hören, die Lkw würden sich gut verkaufen. Aber wir wissen einfach nicht, was los ist, und die Gewerkschaft sagt uns auch nichts. Ich bete, dass sie uns nicht so behandeln werden. Ich brauche diesen Job und ich verdiene meinen Lohn.
Als wir eingestellt wurden, hatten wir die Wahl, der UAW beizutreten oder nicht. Ich bin beigetreten, weil ich mich vor dem schützen wollte, was das Unternehmen tun könnte. Aber wir haben keinen Schutz. Ich habe noch nie gefehlt oder bin zu spät gekommen, und ich habe gerade 13 Tage am Stück gearbeitet, ohne einen Tag frei zu haben. Jetzt sind wir entlassen worden, und es wird sehr schwierig sein, Arbeitslosengeld zu bekommen. Ich kann nicht eine ganze Woche ohne Einkommen auskommen, dann sitze ich zwei Wochen lang in der Klemme, bevor ich wieder einen Gehaltsscheck bekomme. Ich muss die Stromversorgung und meine Versicherung anrufen und sie fragen, ob ich jetzt eine Anzahlung machen und später etwas nachzahlen kann.“
Ein Mitarbeiter des Jefferson Montagewerks hat sich ebenfalls auf der Website von Will Lehman gemeldet und geschrieben: „Will Lehman hat meine volle Unterstützung, und die Leute sprechen jeden Tag in diesem Betrieb darüber. Ich ermutige die Leute, dass es Zeit für einen Wechsel ist, Punkt. Wenn sie es leid sind und eine Veränderung wollen, müssen sie Will eine Chance geben. Ich werde auch 20 Dollar für seine Kampagne spenden. Ich hoffe sehr, dass er gewinnt.“
„Wenn er sich weltweit an die Arbeiter wendet, macht das einen gewaltigen Unterschied“
Ein Stellantis-Arbeiter von Toledo Jeep sagte zu Lehman-Unterstützern: „Will bringt Bewegung in die Sache. Er will alle Belegschaften der Werke so aufstellen, wie es sein sollte. Die Gewerkschaftsfunktionäre arbeiten nur für sich selbst, um über die UAW möglichst viel Geld zu scheffeln. Es ist ihnen egal, ob ein Arbeiter rausgeht und bloß noch 10 Dollar die Stunde verdient, solange sie die Gewerkschaftsbeiträge kassieren. Der Streikfonds ist riesig, und wir haben nie gestreikt. Was sie in Kokomo gemacht haben, war ein Witz. Sie streikten zwei Tage lang an einem Wochenende, an dem das Werk ohnehin nicht arbeitete.“
Er fuhr fort: „Die bevorstehende Abstimmung wird die wichtigste in meinem ganzen Berufsleben sein. Die Korruption in der Gewerkschaft ist so schlimm. Deshalb tendiere ich zu Will. Lasst uns die Sache wieder in die Hand der Arbeiter legen, nicht in die der Gewerkschaftszentralen Solidarity House und Black Lake. Wenn er sich weltweit an die Arbeiter wendet, macht das einen gewaltigen Unterschied. Wir müssen Schluss damit machen, dass Menschen derart gezwungen werden, so viele Stunden am Tag zu schuften; die Leute haben Familien. Die 40-Stunden-Woche? Gibt‘s schon seit wie vielen Jahren nicht mehr. Viele Leute haben einen zweiten Job, weil sie nicht genug Geld verdienen können. Die Korruption ist UAW Incorporated. Sie sagte, das zweistufige Lohnsystem sei abgeschafft, und das war eine glatte Lüge. Alles, was über acht Stunden hinausgeht, muss als Überstunden bezahlt werden. Und jeder muss eine gute Rente haben.“
Ein anderer Arbeiter von Toledo Jeep, der seit acht Jahren in dem Werk arbeitet, sagte: „Ich stimme mit Wills Kampagne überein, die Macht in die Hände der Belegschaft zu legen, aber ich möchte wissen, wie wir das anstellen sollen. Dazu müssen alle zusammenstehen – nicht nur die Autoarbeiter. Ich war früher Eisenbahner, und sie wollen streiken, weil sie gezwungen sind, rund um die Uhr auf Abruf zu stehen. Wir sind keine Maschinen, aber diese Unternehmen halten uns dafür.
Wie Will sagt, hat die Arbeiterklasse die Macht“, fuhr er fort. „Aber sie behandeln uns wie Drohnen, wie Sklaven. Das Unternehmen und die Gewerkschaft sagen immer ‚das ist eine Teamleistung‘. Aber sie machen eine Menge Profit mit uns. In jeder Schicht produzieren wir 500 oder mehr Jeeps, die für 30.000 bis 40.000 Dollar pro Stück verkauft werden. Und was bekommen wir dafür? Tausend Dollar pro Woche.
Die UAW sollte uns eigentlich helfen, aber alles, was sie tut, ist, den Schwarzen Peter weiterzureichen. Ich stimme Will zu, wenn er sagt, dass der von uns produzierte Reichtum den Arbeitern gehört. Aber dazu braucht es eine Revolution.“