Beginn der Corona-Herbstwelle in Europa

Laut ersten Berichten aus nordeuropäischen Staaten wie Belgien und Dänemark, die noch in gewissem Umfang die Ausbreitung von Covid-19 beobachten und melden, hat die nächste Welle von Covid-19-Infektionen, -Hospitalisierungen und -Todesfällen in der Europäischen Union begonnen.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach erklärte am Freitag auf einer Pressekonferenz: „Wir befinden uns ganz klar am Beginn einer Herbst- und Winterwelle!“ Deutschland hat am 30. September innerhalb von 24 Stunden mehr als 96.000 neue Fälle von Covid-19 gemeldet. Das waren 58.000 mehr als am Vortag und mehr als das Dreifache an Fällen im Vergleich zu drei Wochen zuvor. Auch in Frankreich, Dänemark und Belgien haben sich die Covid-19-Neuinfektionen im gleichen Zeitraum verdoppelt.

Im Vereinigten Königreich nahmen die Covid-19-Krankenhauseinweisungen indessen plötzlich Fahrt auf und stiegen im Vergleich zur Vorwoche um 48 Prozent. Die Direktorin für öffentliche Gesundheitsprogramme bei der UK Health Security Agency, Mary Ramsay, erklärte gegenüber Politico: „Es ist jetzt klar, dass wir einen Anstieg erleben, der den Beginn der erwarteten Corona-Winterwelle signalisieren könnte. Die Fallzahlen haben begonnen zu steigen, und die Zahl der Hospitalisierungen in den höchsten Altersgruppen nimmt zu.“

Die bedrohlichen Aussichten werden durch die Gefahr verstärkt, die von dem Grippeerreger H3N2 ausgeht, der sich in diesem Winter voraussichtlich in der gesamten nördlichen Hemisphäre ausbreiten wird. Die beiden parallelen Ausbrüche von Infektionskrankheiten werden wiederum noch von der Wirtschaftskrise verstärkt, die die Preise für Treibstoff und Lebensmittel in die Höhe getrieben hat. Dies führt dazu, dass sich Menschen verstärkt in geschlossenen Räumen aufhalten, um den bitterkalten Temperaturen zu entkommen.

Die oberste medizinische Beraterin der UK Health Security Agency, Susan Hopkins, erklärte: „Der H3N2-Grippestamm kann besonders schwere Krankheitsverläufe auslösen... Grippe und Covid-19 sind unberechenbar, aber es gibt deutliche Hinweise darauf, dass uns eine stark zirkulierende Grippe, eine niedrigere natürliche Immunität aufgrund der geringeren Exposition während der letzten drei Winter und eine Zunahme von Covid-19 bevorsteht, das mit vielen Varianten zirkuliert, welche die Immunreaktion umgehen können.“

Die Zahl der Neuinfektionen ist weltweit nach oben gegangen, nachdem der Anstieg von Omikron BA.5 seit Ende Juli stetig zurückgegangen war. Der offizielle weltweite Sieben-Tage-Durchschnitt der täglichen Neuinfektionen liegt mittlerweile bei 446.625, was knapp über dem Tiefstand von Mittwoch liegt. Das Institute for Health Metrics and Evaluation geht aufgrund des gravierenden Mangels an Tests weltweit davon aus, dass die tatsächliche Zahl der Neuinfektionen derzeit bei 17.236.000 pro Tag liegt und sich bis zum Neujahrstag auf 45 Millionen Neuinfektionen pro Tag verdreifachen wird. Ihren Prognosen zufolge wird die Zahl der täglichen neuen Todesfälle durch Covid-19 bis dahin 5.000 erreichen.

US-Präsident Joe Biden hatte zuletzt mehrfach behauptet, dass die Pandemie vorbei sei. Mit dieser politischen Parole versucht er, die Bevölkerung einzulullen und der Finanzoligarchie zu versichern, dass die Wirtschaft in Zukunft nicht durch weitere Interventionen beeinträchtigt wird. Angesichts dieser Aussage muss eine Bilanz der Verwüstungen gezogen werden, die die mörderische Politik der herrschenden Eliten angerichtet hat.

In den letzten neun Monaten des Jahres 2020 gab es weltweit offiziell 83 Millionen Covid-19-Infektionen und 1,9 Millionen Tote bzw. 210.000 pro Monat. Im Jahr 2021 infizierten sich trotz der Auslieferung von Impfstoffen offiziell 206 Millionen Menschen und weitere 3,6 Millionen starben, d.h. 300.000 pro Monat. Im Jahr 2022, dem dritten Jahr der Pandemie, gab es weitere 411 Millionen gemeldete Infektionen und 1,1 Millionen Tote, d.h. 120.000 pro Monat.

Gleichzeitig versuchen die Biden-Regierung und andere Regierungen der Welt halbherzig, bivalente Impfstoffe zu verteilen, die einen gewissen zusätzlichen Schutz gegen die Omikron-Subvariante BA.5 bieten. Allerdings entstehen immer neue infektiösere und immunresistentere Varianten, von denen BQ.1, BA.2.75.2 und BA.2.3.20 für Experten die besorgniserregendsten sind. Es ist klar, dass Covid-19 auch im Jahr 2023 eine gewaltige Herausforderung für die öffentliche Gesundheit bleiben wird, für die der Kapitalismus keine Antwort hat, und in deren Rahmen die herrschenden Eliten vorsätzlich Massen von Arbeitern auf der ganzen Welt opfern.

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Dr. Cornelius Römer, ein Experte für die Entwicklung von Viren an der Universität Basel erklärte vor kurzem gegenüber der Zeitschrift Science: „Wir können mit Bestimmtheit sagen, dass etwas bevorsteht. Wahrscheinlich kommen gleich mehrere Dinge.“ Die Molekular-Epidemiologin Dr. Emma Hodcroft von der Universität Bern erklärte: „Es ist nicht überraschend, dass wir Veränderungen sehen, die dem Virus wieder einmal helfen, Immunreaktionen zu umgehen.“

Der Pandemieexperte Dr. Michael Osterholm äußerte sich vor kurzem ähnlich: „Das ist nicht mehr das gleiche Virus, mit dem wir es im Januar 2020 zu tun hatten. Es hat sich jedes Mal weiterentwickelt, wenn wir Druck darauf ausgeübt haben. Mehr Menschen werden immun dagegen, und es findet einen Weg, diese Immunität zu umgehen, und dann wird es noch infektiöser.“

Während die offizielle Zahl der Todesfälle durch Covid-19 weltweit bei 6,54 Millionen liegt, schätzt der Economist die Übersterblichkeit auf 22,4 Millionen Tote, d.h. 3,4-mal mehr als die offizielle Zahl.

Dr. Ziyad Al-Aly, Nephrologe und Forscher an der Washington University School of Medicine in St. Louis, erklärte kürzlich bei einem Webinar des World Health Network zum Thema Long Covid, die Differenz zwischen den offiziellen Todeszahlen und der Übersterblichkeit werde noch weiter steigen, weil Long Covid mehr Menschen durch Komplikationen ihrer Infektionen tötet, die nicht als Todesfälle durch Covid-19 gemeldet werden. Die Schwierigkeit, solche Todesfälle zu verfolgen und sie mit Covid-19-Infektionen in Verbindung zu bringen, bedeutet, dass sich genaue Zahlen erst in den nächsten Jahren ermitteln lassen, nachdem Forscher die Daten studieren konnten.

Laut einem aktuellen Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Europa könnten in der Europäischen Union bereits schätzungsweise 17 Millionen Menschen an Long Covid leiden. Weltweit beläuft sich diese Zahl auf fast 145 Millionen. Der Bericht stellt außerdem fest, dass die Zahl der Long-Covid-Fälle zwischen 2020 und 2021 um über 300 Prozent gestiegen ist. Dies unterstreicht den kriminellen Charakter der Politik der US-amerikanischen und der europäischen Regierungen, die behauptet haben, Impfungen gegen Covid-19 würden ausreichen, um eine „Rückkehr zur Normalität“ zu ermöglichen. Das Risiko von Long Covid scheint besonders unter denjenigen anzusteigen, die wegen schwerer Krankheitsverläufe ins Krankenhaus müssen, allerdings können auch „milde“ Infektionen zu Long Covid und anderen langfristigen körperlichen Schäden führen.

Der Regionaldirektor für Europa bei der WHO, Dr. Hans Kluge, erklärte: „Wir müssen zwar noch viel über Long Covid lernen, vor allem darüber, wie es sich in geimpften im Vergleich zu ungeimpften Bevölkerungsgruppen darstellt und wie es sich auf Reinfektionen auswirkt. Diese Daten zeigen jedoch, wie dringend weitere Analysen, zusätzliche Investitionen, Unterstützung und Solidarität mit den Erkrankten notwendig sind.“ Kluge fügte hinzu, Arbeitgeber sollten besondere Vorkehrungen für diejenigen treffen, die mit solchen Einschränkungen konfrontiert sind. Er weiß natürlich, dass solche Überlegungen auf taube Ohren stoßen werden.

Die fehlende Finanzierung für die Behandlung dieser chronischen und verheerenden Krankheiten wird das ganze Gesundheitswesen weiter schwächen. Das Wesen von postakuten viralen Syndromen und ihre sozialen Auswirkungen auf die Bevölkerung waren der Wissenschaft schon lange vor der Corona-Pandemie bekannt. Trotz hunderter Warnungen von Wissenschaftlern in den Jahrzehnten vor der Corona-Pandemie wurden keine Vorbereitungen getroffen und auch heute ist die kapitalistische Gesellschaft völlig unvorbereitet auf die nächste schreckliche Pandemie, die unweigerlich ausbrechen wird.

Der Virologe Dr. Kristian Andersen vom Scripps Research Institute in San Diego erklärte vor kurzem gegenüber der New York Times: „Ich bin sehr vertraut mit der Reaktion auf Ausbrüche und der Vorbereitung auf Pandemien, und nichts davon sieht so aus wie das hier. Wir sind jetzt schlechter vorbereitet als zu Beginn der Pandemie.“

Die WHO berichtete im Juli 2022, die Zahl zoonotischer Ausbrüche wie der Affenpocken in Nigeria und Ebola in Uganda hätten in den letzten zehn Jahren im Vergleich zum vorangegangenen Jahrzehnt um 63 Prozent zugenommen.

Jennifer Nuzzo, die Direktorin des Pandemic Center an der Brown University School of Public Health, äußerte gegenüber der New York Times, dass die USA auf künftige Pandemien überhaupt nicht vorbereitet seien: „In den Köpfen der Menschen herrscht vielleicht die Vorstellung, dass Covid-19 so eine Laune der Natur war, wie es sie nur einmal alle 100 Jahre gibt, und dass wir für die nächsten 99 Jahre sicher sind. [Aber in Wirklichkeit] ist das die neue Normalität...“

Es ist allgemein bekannt, dass das öffentliche Gesundheitswesen chronisch unterfinanziert ist, vor allem in den USA. Das Paradoxon ist, dass die Pandemie die Implosion der öffentlichen Gesundheitsinfrastruktur nur noch weiter beschleunigt hat. Genau wie ihre Kollegen im Schul- und Gesundheitswesen verlassen auch Epidemiologen und öffentliche Gesundheitsexperten ihren Beruf aufgrund der chronischen Erschöpfung und der psychischen Belastung, denen sie in den letzten Monaten und Jahren ausgesetzt waren.

Die Pandemie hat eine beispiellose soziale Krise ausgelöst – wie auch der Krieg in der Ukraine, der jederzeit in einen nuklearen Flächenbrand eskalieren und die menschliche Zivilisation zerstören könnte. Infektionskrankheiten und der Klimawandel hinterlassen eine immer größere Schneise der Verwüstung, während die Lebensbedingungen immer unerträglicher werden. Armut und Krankheit fordern ihren Tribut für das Leben und Wohlergehen der Weltbevölkerung. Das Europäische Gesundheitsforum Gastein (EHFG), eine internationale Plattform für Gesundheitspolitik, sprach zuletzt von einer „Permacrisis“ (Dauerkrise), einem permanenten Krisenzustand.

Der Kapitalismus hat sich als unvereinbar mit den grundlegenden sozialen Bedürfnissen und der Gesundheit der großen Masse der Bevölkerung erwiesen und muss durch eine geplante und globale sozialistische Gesellschaft abgelöst werden.

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