Die Transportsparte der Eisenbahnergewerkschaft SMART veröffentlichte am Mittwoch, nach fast einer Woche Stillschweigen, die vorläufige nationale Vereinbarung für das Jahr 2022. Sie war am 15. September abgeschlossen worden, hauptsächlich mit dem Ziel, einen landesweiten Streik von mehr als 100.000 Eisenbahnern zu verhindern.
Die Vereinbarung wurde letzte Woche nach stundenlangen Hinterzimmer-Verhandlungen und der persönlichen Intervention von Präsident Joe Biden erzielt. Letzterer begrüßte die Bedingungen als ein „für beide Seiten großartiges Abkommen “, was die Wall Street und ihre Sprachrohre in der Presse schnell nachplapperten.
Die Gewerkschaften SMART-TD und BLET haben sich über das Ergebnis einer Urabstimmung hinweggesetzt, in der sich 99,5 Prozent für einen Streik ausgesprochen haben, und sich stattdessen zu Vollstreckern eines De-facto-Streikverbots gemacht. Außerdem haben sie die Veröffentlichung der Vereinbarung absichtlich hinausgezögert, um die Eisenbahner zu demoralisieren, damit sie die unternehmensfreundlichen Bedingungen akzeptieren.
Allerdings deutet vieles darauf hin, dass sie die rebellische Stimmung unter den Eisenbahnern nicht unterdrücken konnten. Stattdessen haben die Gewerkschaften die Möglichkeit ins Spiel gebracht, die Vereinbarung einseitig durchzusetzen, selbst wenn die Arbeiter dagegen stimmen. Zu diesem Zweck könnten sie sich über ein „Nein“ einfach hinwegsetzen oder den Vertrag einem verbindlichen Schlichtungsverfahren unterwerfen.
Wie die World Socialist Web Site letzte Woche schrieb, ist die vorläufige Vereinbarung nahezu eine exakte Kopie der Empfehlungen des Presidential Executive Board (PEB), die von den Arbeitern bereits mit überwiegender Mehrheit abgelehnt wurden.
Sie umfasst eine Lohnerhöhung von erbärmlichen 22 Prozent über eine Laufzeit von insgesamt fünf Jahren, rückwirkend ab dem 1. Juli 2020. Bei einer jährlichen Inflationsrate von rund 8,5 Prozent und einer drohenden Rezession bedeutet dies eine deutliche Lohnsenkungen für die Eisenbahner und einen Sieg für die Eisenbahngesellschaften, die immense Profite einfahren.
Unter dem irreführend so benannten Punkt „Verbesserungen der Lebensqualität“ hat SMART-TD gerade mal einen zusätzlichen „persönlichen, bezahlten freien Tag“ vereinbart, sowie auch die Möglichkeit, „drei Routine-Arztbesuche und Vorsorgeuntersuchungen pro Jahr“ einzuplanen, ohne dass die Beschäftigten in dem strengen Schicht- und Bereitschaftssystem Strafpunkte erhalten.
Dieses System zur Schicht- und Anwesenheitskontrolle ist vom Profit diktiert und hat Tausende von Arbeitern zur Kündigung getrieben, weil es das Privatleben und die Gesundheit zerstört. Nichts in der „neuen“, vom Weißen Haus ausgehandelten Vereinbarung würde den Einsatz dieser Systeme beenden oder auch nur einschränken.
Zudem müssen die drei unbezahlten Arztbesuche, die das Abkommen vorsieht, am Dienstag, Mittwoch oder Donnerstag erfolgen und „mindestens 30 Tage im Voraus gemeldet werden“.
Selbst diese drei Tage sind nicht garantiert, denn in der von SMART veröffentlichten Vereinbarung heißt es, dass die „freiwillig zugeteilten freien Tage“ die Ratifizierung der vorläufigen Vereinbarung voraussetzen. Wenn dies nicht innerhalb von „180 Tagen“ nach der „ursprünglichen Bekanntgabe der Gewerkschaft“ geschieht, wird eine Schlichtungsstelle „die Befugnis haben, zu beschließen, ob und wie die Regeln in diesem Artikel umgesetzt werden“.
Sollte die Vereinbarung ratifiziert werden, würde die monatliche Eigenbeteiligung der Arbeiter an der medizinischen Versorgung von 12,6 auf 15 Prozent steigen, mit einer Obergrenze von angeblich 398,97 Dollar pro Monat, „ab dem 1. Januar 2025“.
Etwas, das im PEB nicht enthalten war, aber in die Vereinbarung zusätzlich aufgenommen wurde, ist die Einführung von „Automated Bid Scheduling (ABS)-Regelungen, wo diese nicht bereits existieren“.
Dazu heißt es auf Seite 12 der Vereinbarung, ABS werden „als wichtigste Methode zum Einsatz von Beschäftigten auf regelmäßiger Grundlage dienen. Dies basiert auf Dienstalter, Qualifikationen und Arbeitsplatzpräferenzen.“ Um sicherzustellen, dass die Züge immer fahren und genug Personal vorhanden ist, werden die Eisenbahngesellschaften „Pools und zusätzliche Belegschaften“ unterhalten. Diese werden von den Eisenbahngesellschaften benutzt werden, um Arbeitsplätze abzubauen und die Eisenbahner zu zwingen, zusätzliche Arbeiten zu übernehmen.
Ein Ingenieur von Union Pacific erklärte gegenüber der WSWS, die Schaffung dieser „selbstregulierten Pools“, die auch als „Robinson-Regel“ bekannt ist, wird „unsere Arbeitspläne noch chaotischer und unberechenbarer machen“. Er wies darauf hin, dass diese Änderung „zum Verlust vieler Arbeitsplätze führen und verheerende Folgen für unser Privatleben haben wird“.
Über die vorläufige Vereinbarung äußerte er sich unverhohlen: „Sie ist ein Scheiß. Jetzt, wo ich den Text gelesen habe, ist mir speiübel. Das ist ein Schlag ins Gesicht.“
Terry, der bei BNSF arbeitet und an der Onlineveranstaltung teilgenommen hat, die das Rail Workers Rank-and-File Committee (RWRFC) am 14. September organisierte, erklärte der WSWS, er lehne das Abkommen ab und wolle mehr über das RWRFC (Aktionskomitee) erfahren.
„Als Arbeiter hat man es langsam satt, ausgenutzt zu werden. Wir verlieren mit jedem Tarifvertrag, immer und immer wieder, und das muss aufhören.
Ich bin nur Zugbegleiter, aber seit 25 Jahren. Jedes Jahr haben wir weniger. Ich fühle mich schlecht, wenn ich an die Leute denke, die für ways and means und für TY&E (Train Yard and Engine) arbeiten. Wie können die leben? Wie können sie es? Man sieht seine Familie nie, man ist ständig krank, erschöpft, schleppt sich überall nur noch hin, weil man so müde ist.“
Weiter erklärte er: „Diese vorläufige Vereinbarung gleicht nicht mal die Inflation aus. Es ist schrecklich, es ist schwer, mit seinem Lohn auszukommen. Ich schaffe es nur mit Mühe und Not, und dabei muss ich noch meine Mutter unterstützen. Es ist schwer. Diese Rechnungen, die Preise für Lebensmittel, da kommt man nicht weiter. Man hat keine Ersparnisse.“
Über die Erhöhung der Versicherungskosten erklärte Terry: „Unser Vertreter vor Ort hat gesagt, sie würden um 66 Dollar pro Monat steigen. Bei jeder Lohnerhöhung bekommen die Gewerkschaften ihren Anteil, und wir kriegen nur das, was übrig bleibt, also praktisch nichts.“
Terry erklärte, wenn dieses Abkommen durchgesetzt würde, „wird eine Mehrheit der Leute im Transportwesen ihre Gehaltsnachzahlung nehmen und gehen. Das wird die Eisenbahngesellschaften schwer treffen. Die Inflation wird absurd hoch werden. Schon jetzt bekommen die Bauern nicht mal mehr Dünger für ihre Felder.“
Über die Möglichkeit, dass der Kongress, der sich aus Millionären zusammensetzt, mit diktatorischen Mitteln das Abkommen durchsetzen könnte, das das Weiße Haus und die Eisenbahnunternehmen vorlegen, sagte Terry: „Denen ist die einfache Bevölkerung scheißegal. Dabei zahlen wir für alles. Alles was sie haben, hängt von uns ab.“
Nach der Diskussion über das Rail Workers Rank-and-File Committee erklärte Terry: „Ich werde das bestimmt an die anderen weitergeben. Die beiden anderen, denen ich das schon weitergegeben habe, sind auch nicht gerade ruhige Leute. Sie wollen mehr darüber erfahren und es weiterverbreiten. Wir haben hier viele Arbeiter, die wütend sind, und ich bin mir sicher, sie wären auch gern Teil [des RWRFC], denn das, was [die Gewerkschaften] hier anstellen, ist totaler Mist. Wir verlieren tatsächlich Geld, wenn dieser Vertrag zustande kommt.“
Terry erklärte: „Dass die Gewerkschaften einem solchen Vorschlag zustimmen, zeigt, dass sie uns überhaupt nicht repräsentieren. Wie viel verdienen sie durch Bestechung und Spenden? Wahrscheinlich sechsstellige Beträge pro Jahr. Gehaltserhöhungen jedes Jahr. Klingt genau wie unser Kongress. [Die Gewerkschaften] kümmern sich eindeutig nicht um ihre Mitglieder. Und das macht mich auch krank. Ich hoffe, die Mehrheit erfährt von dieser Rank-and-File-Bewegung. Das müssen alle wissen.“
Die WSWS ruft auch in Europa Eisenbahner, Lokführer und weitere Bahnbeschäftigte auf, mit uns Kontakt aufzunehmen und am Aufbau unabhängiger Aktionskomitees teilzunehmen.