Bahnarbeiter in Deutschland: „Wir stehen hier vor denselben Problemen wie die Kollegen in den USA“

Die World Socialist Web Site sprach mit Bahnarbeitern über den Arbeitskampf in den Vereinigten Staaten, wo 100.000 Eisenbahner dem Weißen Haus, den milliardenschweren Bahngesellschaften und den Gewerkschaften gegenüberstehen. In Deutschland verfolgen Eisenbahner, Lokführer und Bahnbeschäftigte, die die WSWS kennen, den Kampf ihrer amerikanischen Kollegen mit Begeisterung und Anteilnahme.

Der Arbeitskampf der amerikanischen Eisenbahner um bessere Löhne und Bedingungen entwickelt sich mehr und mehr zu einem Machtkampf mit dem Weißen Haus. Präsident Joseph Biden und die Bahngesellschaften haben sich mit den Gewerkschaften darauf geeinigt, einen für den 16. September beschlossenen Streik wieder abzusagen. Parallel dazu gibt es die „Empfehlung“ der präsidialen Schlichtungsstelle Presidential Emergency Board (PEB), die keine einzige Forderung der Eisenbahner erfüllt.

Die amerikanischen Eisenbahner sind schon seit drei Jahren ohne Tarifvertrag und haben in dieser Zeit auch keine Lohnerhöhung erhalten. Zuletzt ist auf Initiative der Internationalen Arbeiterallianz ein unabhängiges Eisenbahner-Aktionskomitee entstanden. Am 14. September nahmen rund 500 Eisenbahner an einem Online-Meeting des Komitees teil, während sich das Weiße Haus, die Bahnbarone und die Gewerkschaftsbürokraten hinter verschlossener Tür absprachen. Praktisch einstimmig nahm das Meeting eine Resolution an, die besagt, dass die Eisenbahner die Verletzung ihres Streikrechts nicht dulden und keinen Vertrag akzeptieren werden, der nicht ausdrücklich von den Belegschaften ratifiziert wird.

Während die deutschen Medien diese wichtige Entwicklung des Klassenkampfs in den USA völlig ausblenden, berichtet die WSWS regelmäßig darüber. WSWS-Reporter haben mit mehreren Eisenbahnern gesprochen, die den Kampf der amerikanischen Eisenbahner solidarisch unterstützen.

Andreas, ehemals Lokführer, jetzt Kranführer im Ruhrgebiet

„Es ist gut, dass die Lokführer und Eisenbahner auf die Barrikaden gehen und sich unabhängig von ihrer Gewerkschaft organisieren“, findet Andreas, der viele Jahre als Lokführer im Ruhrgebiet gearbeitet hat. „Denn die Gewerkschaften machen, was der Arbeitgeber sagt. Das ist hier in Deutschland ja nicht anders.“

In der Tat haben vor einem Jahr bei der Deutschen Bahn die Lokführer und Zugbegleiter mehrere Wochen lang gestreikt, ehe ihr Arbeitskampf durch die Gewerkschaftsführer isoliert und ausverkauft wurde.

Zu dem Deal, den die US-Bahngesellschaften und die Biden-Regierung mit den Gewerkschaften ausgehandelt haben, meint Andreas, das sei zu befürchten gewesen. „Eigentlich hätte man jetzt den Streik voll durchziehen müssen, man hätte voll in die Offensive gehen müssen.“

Andreas hat nach vielen Jahren den Arbeitsplatz aus gesundheitlichen Gründen gewechselt. „Ich habe die Hals-, Nacken- und Lendenwirbelsäule verschlissen, das ist eine typische Eisenbahnerkrankheit“, sagt er. Jetzt arbeitet er als Kranführer für einen Subunternehmer bei Arcelor Mittal in Duisburg. Dort kommt es zwar auch zu hohen Wochenarbeitszeiten. „Arcelor/Mittal produziert, bis der Arzt kommt, weil sie aktuell gute Preise erzielen. Alles auf unseren Knochen, wir baden das aus.“ Dennoch sei sein Kranführerjob heute besser, findet der ehemalige Lokführer.

Die Berichte von amerikanischen Eisenbahnern, die bis zu 80 Stunden in der Woche arbeiten, haben Andreas erschüttert: „Das ist doch nicht normal. Da gehst du auf dem Zahnfleisch.“ Er weiß um die schweren Arbeitsbedingungen der Eisenbahner. Von seiner Zeit als Lokführer berichtet er: „Wir hatten immer mehr zu tun bekommen.“

Immer neue Aufgabenbereiche seien dazu gekommen, obwohl er und seine Kollegen schon seit vielen Jahrzehnten allein auf dem Zug waren. „Bremsbeamter, Wagenprüfer, Ortsrangierer usw. – das macht man jetzt alles alleine“, so Andreas. „Katastrophen wie vor ein paar Wochen im Güterbahnhof in Herne sind Folge dieser Arbeitsbedingungen. Denn da ist unter diesen Bedingungen auch die Sicherheit nicht mehr gewährt.“

Allerdings sei eine 80-Stundenwoche noch schlimmer, das sei „gemeingefährlich für dich als Lokführer und für alle anderen“. Die Konzentration lasse zwangsläufig nach. Man selbst könne sich kaum erholen. „Bis der Körper nach einer langen Schicht wieder in den Ruhemodus kommt, dauert es eine Weile. Bei einer 80-Stundenwoche kommst du da gar nicht mehr rein in diese Entspannungs- und Ruhephase.“

Er kenne zwar nicht die Löhne, aber „die Lokführer werden ja bestimmt nicht gut bezahlt in den USA“. Wenn er dann im Fernsehen sehe, wie lang die Züge dort seien, „da wird mir angst und bange. Wir dürfen ja hier in Deutschland nur 750 Meter lange Züge mit einer Lok und 900 Meter lange Züge mit zwei Loks ziehen.“

Besonders „heftig“ findet Andreas, dass die Gewerkschaften die Regierungsstelle PEB eingeschaltet haben: „Warum mischt sich der Staat ein? Das sind doch alles private Unternehmen.“ Das belege seine Erfahrungen mit den Gewerkschaften: „Die Gewerkschaften, egal welche du nimmst, versuchen, die Löhne zu drücken. Ein Bekannter von mir – er ist jetzt in Rente – erhielt bis zuletzt als Lokführer einen Stundenlohn von 27 Euro.“

Heute setzten die Bahnen gerne Quereinsteiger ein, die nur kurz ausgebildet werden. „Die kommen dann über Zeitarbeit rein und haben dann einen Stundenlohn von 13 Euro“, berichtet Andreas. „Da kannst du dich bei der Gewerkschaft oder dem Betriebsrat beschweren wie du willst, die rühren sich nicht, die unterstützen das.“

Streik der Lokführer und Zugbegleiter im August und September 2021, hier vor dem Berliner Hauptbahnhof

In Bayern sprachen wir mit Peter, der im dritten Lehrjahr bei der DB Fernverkehr in München lernt. Von der WSWS über die Situation seiner amerikanischen Kollegen informiert, findet Peter: „Die Situation der Eisenbahner in den USA ist schlecht. Die Schichtübergänge sind z.B. nicht tragbar. Hier in Deutschland hat man zwar nach einer 12-Stunden-Schicht mindestens 12 Stunden Pause, aber das ist auch eigentlich zu wenig. Nach einer 12-Stunden-Schicht ist man total erledigt. Auch die Pflicht, ständig auf Abruf zu sein, ist nicht in Ordnung. Es braucht mehr Arbeiter, damit jeder ganz normale Schichten fahren kann und auch freie Tage hat.“

Besonders stört sich Peter am Verhalten der Gewerkschaften in den USA, aber das kennt er schon. Er sagt: „Auch hier in Deutschland arbeiten die Gewerkschaften eng mit den Unternehmen zusammen. Im Vorstand der EVG sitzen viele Leute die davor in hochrangigen Positionen bei der DB waren. Das ist eine enge Verstrickung mit dem Vorstand, aber nicht mit den Arbeitern. Diese Leute müssen abgesägt und durch fähige Leute ersetzt werden, die wirklich die Interessen der Arbeiter vertreten.“ Zur Intervention der Biden-Regierung meint Peter: „Die Regierung hat sich da nicht einzumischen. Sie unterstützt nur das Unternehmen.“

Peter findet: „Es hilft nichts anderes mehr, als einen landesweiten Streik vorzubereiten und durchzuführen, vor allem, wenn sich diese Maden da einmischen.“ Die Initiative von Eisenbahnern, sich unabhängig in Aktionskomitees zu organisieren, ist für ihn „eine sehr gute Idee. So ein Streik muss gut geplant sein. Sie haben keine andere Möglichkeit mehr. Auch hier in Deutschland sollte man das machen. Wir stehen hier im Grunde vor denselben Problemen wie die Kollegen in den USA. Daher müssen die Aktionskomitees auch dazu dienen, sich international zusammen zu schließen. Ich wünsche den Kollegen in den USA viel Erfolg!“

Herrmann Helke arbeitet seit mehreren Jahrzehnten bei der Bahn im Ruhrgebiet. Er berichtet: „Vor fast 50 Jahren habe ich bei der Staatsbahn der Bundesrepublik Deutschland angefangen, die nach der Wende mit der Reichsbahn zur Deutschen Bahn AG ‚wiedervereinigt‘ wurde. Dies bedeutete totale Umorganisation, Frust und massiven Stellenabbau, aber die Gewerkschaftsführung bekundete von Anfang an ihre Loyalität zur Sanierung. Schließlich konnten die Kollegen gar nicht so schnell gucken, wie ihre Arbeitsplätze eingeschmolzen wurden.

Die Kollegen der amerikanischen Eisenbahnen sind dabei, einen großen Schritt zu machen. Sie sind auf dem Weg, die Macht der verschwörerischen Allianz zu brechen, die aus den unersättlichen Kapitalisten, der korrupten Gewerkschaftsführung und einer verlogenen Clique von Politikern und Journalisten besteht. Ich verfolge die Entwicklung in der WSWS sehr genau – sonst berichten die Medien ja nicht darüber.

Es freut mich riesig, wenn die Kollegen in den USA in die Offensive gehen und eine alternative Führung aufbauen, um der Macht der Arbeiter, derzeit speziell der Eisenbahner, Geltung zu verschaffen. Dies ist jede Unterstützung wert!“

Tom, Straßenbahnfahrer aus München

Auch Tom, Straßenbahnfahrer aus München, möchte den Eisenbahnarbeitern in den USA seine Unterstützung ausdrücken. „Durch euren Kampf“, schreibt er, „wird deutlich, wie sich die Politik und die Gewerkschaften mit den Eisenbahnkonzernen und den Aktionären verschwören. Es werden faule Kompromisse gemacht, um euren Streik abzuwürgen.“

Er fährt fort: „Wir Arbeiter in Deutschland und überall auf der Welt verfolgen euren Kampf sehr genau, weil wir alle mit denselben Problemen konfrontiert sind: Die Gewerkschaften stehen auf Seiten der Unternehmen. Hinzu kommen die Inflation und die rasant steigenden Preise für Lebensmittel, Gas, Strom und Kraftstoffe. Die Politik gibt Milliarden für Krieg und das Militär aus, was von den Gewerkschaften ebenfalls unterstützt wird. Gleichzeitig ist kein Geld für das Gesundheitswesen da, und Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie wurden so gut wie abgeschafft.“

Gerade deshalb, betont Tom, sei es „so wichtig, dass wir Arbeiter uns unabhängig von den Gewerkschaften in Aktionskomitees zusammenschließen und uns international vernetzen. Unser Kampf gegen das kapitalistische System kann nur erfolgreich sein, wenn wir ihm ein sozialistisches Programm zugrunde legen.“

Die WSWS berichtet als einzige regelmäßig über den wichtigen Kampf, der einen neuen Aufschwung des Klassenkampfs in den Vereinigen Staaten ankündigt. Wir rufen Eisenbahner, Lokführer und weitere Bahnbeschäftigte auf: nehmt Kontakt mit uns auf und beteiligt euch am Aufbau unabhängiger Aktionskomitees

Loading