Wahlkampf in Italien: Parteien und Medien bahnen Faschisten den Weg

Der italienische Wahlkampf lässt nur den Schluss zu: Die führenden Politiker und Medien des Landes sind entschlossen, der Faschistin Giorgia Meloni den Weg ins Palazzo Chigi, den Amtssitz des italienischen Ministerpräsidenten, zu bahnen.

Die Vorsitzende der Fratelli d'Italia, Giorgia Meloni, spricht im Februar 2022 auf der CPAC-Konferenz in Texas

Seit Wochen sagen die Meinungsumfragen für den 25. September einen Wahlsieg von Melonis Fratelli d’Italia und des von ihnen angeführten Rechtsbündnisses voraus. Doch niemand zeigt sich alarmiert über die Aussicht, dass hundert Jahre nach der Machtübernahme von Benito Mussolini im Oktober 1922 seine Erben in Italien erneut an die Macht gelangen. Im Gegenteil, Meloni und ihre Partei werden verharmlost, umgarnt und gepriesen.

Die Klage der Fratelli d’Italia, ihre Chefin werde von der Linken verteufelt, kommentiert der Korrespondent der Süddeutschen Zeitung in Rom: „Es ist eher umgekehrt: Niemand verteufelt Giorgia Meloni in Italien, auch die Presse nicht. Sie segelt zu ihrem Wahlsieg, so jedenfalls sieht es aus.“

Die einzige Bedingung, die Meloni erfüllen musste, um als mögliche Regierungschefin anerkannt zu werden, war ein Bekenntnis zur Fortsetzung der Sparpolitik Mario Draghis, zur Europäischen Union, zur Nato und zum Krieg gegen Russland. Diese Bedingung hat sie prompt erfüllt.

Italien sei „ein vollwertiger Teil Europas, der Atlantischen Allianz und des Westens“, lautet der erste von 15 Punkten des Wahlprogramms, das Meloni mit ihren Bündnispartnern Matteo Salvini (Lega) und Silvio Berlusconi (Forza Italia) vereinbart hat. Sie sei „sehr vorsichtig“ und werde die Staatfinanzen „nicht ruinieren“, sie gebe ihre „vollständige Zustimmung zum Prozess der europäischen Integration“, sie habe nie einen Ausstieg aus dem Euro vorgeschlagen und werde im Ukrainekrieg auf der Linie der EU und der Nato bleiben, betont Meloni bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Sie hat sogar ein dreisprachiges Video veröffentlicht, um Italiens Nato-Verbündete und die internationalen Finanzmärkte zu beruhigen.

Melonis faschistische Vergangenheit, ihre Bewunderung für den „Duce“ Mussolini, die zahlreichen Neofaschisten und gewaltbereiten Neonazis in und um ihre Partei sowie ihre Verbindungen zu rechten Netzwerken im Staatsapparat werden dagegen wohlwollend ignoriert – ja heimlich begrüßt, da die Vertreter der herrschenden Klasse offenbar der Ansicht sind, man werde sie bei zukünftigen Auseinandersetzungen mit der Arbeiterklasse brauchen.

Symptomatisch für den Umgang mit Meloni ist die einzige direkte Debatte, die zwischen den beiden aussichtsreichsten Kandidaten auf das Amt des Regierungschefs stattfand. Die Zeitung Corriere della Sera lud Meloni und Enrico Letta, den Chef des sozialdemokratischen Partito Democratico, zu einem Fernsehduell ein, das sie live auf ihrer Website übertrug.

Die beiden mögen sich privat und duzen sich. Letta verzichtete auf scharfe Attacken und verlor kein Wort über die faschistische Vergangenheit Melonis und ihrer Partei. Während Meloni den faschistischen Wahlspruch „Gott, Vaterland und Familie“ beschwor, warf ihr Letta vor, nicht eindeutig genug hinter der EU zu stehen und die Rechte Homosexueller zu missachten. Weiter gingen seine Anschuldigungen nicht.

Auch Mario Draghi, der nach seinem Rücktritt am 21. Juli die Regierung kommissarisch weiterführt, erteilte Meloni indirekt seinen Segen. „Ich bin überzeugt, dass die nächste Regierung, welcher politischen Couleur sie auch immer sein wird, die Herausforderungen von heute meistern wird, obschon sie unüberwindbar erscheinen“, sagte er in einer Rede – was die Fratelli d’Italia als politische Bestätigung feierten.

Noch nicht einmal auf wahltaktischer Ebene versuchen die sogenannten Mitte-Links-Parteien, einen Sieg Melonis zu verhindern. Obwohl sich ihre Programme nur in Nuancen unterschieden, treten sie getrennt zur Wahl an. Neben Lettas Demokraten, die sich mit der pseudolinken Sinistra Italiana, den Grünen und einer Europapartei verbündet haben, treten ein „Dritter Pol“ unter Führung von Ex-Regierungschef Matteo Renzi und Ex-Industrieminister Carlo Calenda sowie die Fünf Sterne von Ex-Regierungschef Giuseppe Conte zur Wahl an.

Da das italienische Wahlrecht große Parteien und Wahlbündnisse bevorzugt, verschafft dies den drei verbündeten Rechtsparteien einen großen Vorteil. Es gilt als möglich, dass sie mit der Hälfte der Stimmen zwei Drittel der Mandate gewinnen und dann die Verfassung ändern können.

Die Unterstützung für Meloni beschränkt sich nicht auf Italien. Manfred Weber, der deutsche Vorsitzende der Europäischen Volkspartei, macht in Italien Wahlkampf für Silvio Berlusconi und damit indirekt auch für Meloni. Die Partei des 85-jährigen Medientycoons und Ex-Regierungschefs, gegen den drei Dutzend Verfahren wegen Korruption, Amtsmissbrauch, Steuerhinterziehung und Förderung von Prostitution liefen, ist wie die deutsche CDU und CSU Mitglied der EVP.

Das Bemühen, Meloni als geläuterte Politikerin darzustellen, die einen moderaten, konservativen Kurs verfolge und als erste Frau an der Spitze der italienischen Regierung einen Triumph der Frauenemanzipation verkörpern würde, steht in krassem Widerspruch zur Realität.

Meloni hatte sich 1992 als 15-Jährige der Jugendbewegung des Movimento Sociale Italiano (MSI) angeschlossen, das direkt aus Mussolinis Faschistischer Partei hervorgegangen war. Das MSI war ein Sammelbecken für Faschisten, die dem Diktator die Treue hielten. Es verfügte über enge Beziehungen zu rechtsextremen Netzwerken im staatlichen Sicherheitsapparat, die wiederholt versuchten, durch Terroranschläge die Voraussetzungen für einen Staatsstreich zu schaffen.

Das MSI hatte Einfluss auf lokaler Ebene, eine Zusammenarbeit mit ihm auf nationaler Ebene galt aber als Tabu. Das änderte sich 1994, als Silvio Berlusconi die Partei in seine erste Regierung holte. Später wurde Meloni unter Berlusconi mit 31 Jahren italienische Jugend- und Sportministerin.

2009 fusionierte die Alleanza Nazionale, wie sie sich das MSI inzwischen nannte, mit der Partei Berlusconis. Drei Jahre später gründete Meloni die Fratelli d’Italia, um die faschistische Tradition des MSI fortzusetzen.

Die Partei führte anfangs eine Randexistenz. 2013 erhielt sie zwei und 2017 gut vier Prozent der Wählerstimmen. Ihr Wachstum setzte ein, nachdem sich im Frühjahr vergangenen Jahres praktisch alle Parteien zu einer Regierung der nationalen Einheit unter dem ehemaligen EZB-Chef Mario Draghi zusammengeschlossen hatten. Inzwischen liegen die Fratelli in den Umfragen bei 25 Prozent.

In der Partei wimmelt es von überzeugten, gewaltbereiten Faschisten. So setzte sich Francesco Lollobrigida, der Fraktionschef der Fratelli in der Abgeordnetenkammer und Schwager Melonis, für den Bau eines Mausoleums für Rodolfo Graziani ein, das 2012 errichtet wurde. Graziani war als Feldmarschall und Kriegsminister Mussolinis für den Einsatz von Giftgas, Massenhinrichtungen in den Kolonien und den Bau von Konzentrationslagern in Nordafrika verantwortlich, in denen mindestens 50.000 Gefangene umgebracht wurden.

Vor drei Jahren feierten Melonis Parteifreunde in den Marken Mussolinis Marsch auf Rom mit einem Gedenkdinner. Einer der Teilnehmer, Francesco Acquaroli, ist inzwischen Ministerpräsident der Region. In Verona gedachte die Jugendorganisation der Partei des Nazikollaborateurs und SS-Standartenführers Léon Degrelle. Auch anderswo ist auf Gedenkveranstaltungen der Fratelli häufig der Römische Gruß der Faschisten zu sehen.

Die Partei pflegt enge Beziehungen zu Militanten Neonazi-Gruppen wie CasaPound, deren Mitglieder sich als „Faschisten des Dritten Jahrtausends“ bezeichnen. In einer Immobilie der Organisation fand die Polizei einen Schrein zu Ehren der Nazi-Kriegsverbrecher Heinrich Himmler und Erich Priebke.

Aktivisten und Journalisten, die die rechten Machenschaften der Fratelli aufdecken, müssen um ihr Leben fürchten. So steht Paolo Berizzi, Journalist der Zeitung La Repubblica und Verfasser mehrerer Bücher über die extreme Rechte, unter ständigem Personenschutz, wie ihn sonst nur Staatsanwälte nötig haben, die gegen die Mafia ermitteln. Er erhält jeden Tag Dutzende Todesdrohungen und wird selbst auf Transparenten in Fußballstadien bedroht, wo die Ultras eines der wichtigsten Rekrutierungsfelder für Neonazis bilden.

Hinzu kommen Melonis Verbindungen zu rechtsextremen Parteien in anderen Ländern. So tritt sie regelmäßig auf Veranstaltungen der spanischen Vox auf, einem Sammelbecken der Anhänger des Diktators Franco. Auch dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán und den Anhängern Donald Trumps in den USA steht sie nahe.

Die Übernahme der italienischen Regierung durch Meloni ist eine ernsthafte Gefahr für die Arbeiterklasse. Sie wird die rechtsextremen Kräfte im Staatsapparat und in der Gesellschaft stärken, die jetzt schon Arbeiter, linke Aktivisten und Migranten terrorisieren.

Ihre Verbündeten – die Lega und Forza Italia – stehen dabei nicht weniger rechts. Lega-Chef Salvini hat als italienischer Innenminister durch hemmungslose Flüchtlingshetze die rechtesten Elemente aufgehetzt und den Staatsapparat massiv aufgerüstet. Er wurde von denselben Neonazis unterstützt, die sich jetzt Meloni zugewandt haben. Silvio Berlusconi begann seine wirtschaftliche und politische Karriere in der Organisation Propaganda Due (P2) Licio Gellis, die lange das Zentrum der rechtsextremen Verschwörung von Polizei, Militär, Wirtschaft, Politik, Mafia und Geheimdiensten bildete.

Die Verharmlosung und Unterstützung Melonis durch alle bürgerlichen Parteien und Medien kann daher nicht als Missverständnis oder „Fehler“ abgetan werden. Sie zeigen, dass die herrschende Klasse als Ganze nach rechts rückt und sich auf die gewaltsame Unterdrückung sozialen und politischen Widerstands vorbereitet. Dafür braucht sie die Faschisten.

In den vergangenen dreißig Jahren haben die sogenannten Mitte-links-Parteien die Arbeiterklasse massiv angegriffen. Während Berlusconi und seine Verbündeten die Staatskasse zur eigenen Bereicherung plünderten, haben sie die Mitte-links- und die Technokraten-Regierungen, die sie unterstützten, auf Kosten der Arbeiterklasse jeweils wieder aufgefüllt. Pseudolinke Parteien, wie Rifondazione Comunista, haben sie dabei von links abgedeckt und gegen die Arbeiterklasse unterstützt.

Die Folgen sind eine ausweglose Krise und – was die Interessen der Arbeiter betrifft – ein vollständiges politisches Vakuum. Alle etablierten Parteien, einschließlich der Gewerkschaften, haben sich gegen die arbeitende Bevölkerung verschworen. Erziehung, Gesundheit und Kultur sind kaputtgespart, die unteren Einkommen und Renten massiv gesunken, die Arbeitslosigkeit und Jugendarbeitslosigkeit zählen zu den höchsten in Europa. Die Staatsverschuldung liegt bei 150 Prozent und soll durch weitere, von der EU diktierte Sparmaßnahmen reduziert werden.

Hinzu kommen die katastrophalen Folgen der Pandemie, der Klimakatastrophe und des Kriegs gegen Russland. Mit 177.000 Corona-Toten verzeichnet Italien in Europa die zweithöchste Opferzahl nach Großbritannien. Zwei Drittel der Bevölkerung, insgesamt 40 Millionen Menschen, leben in gefährlichen Regionen, die durch Katastrophen (Feuer, Flut, Erdbeben) bedroht sind.

Der Krieg der Nato gegen Russland, den Italien voll unterstützt, droht in eine nukleare Katastrophe zu münden und treibt die Preise nach oben. Die Inflation liegt bei 8,4 Prozent – Tendenz steigend. Unzählige Familien können im Winter nicht mehr ausreichend heizen und genügend essen.

Dagegen wächst der Widerstand. Es bahnt sich eine gewaltige Klassenkonfrontation an, auf die sich die herrschende Klasse mit der Aufrüstung des Staatsapparats, der Stärkung der Faschisten und der Hinwendung zu autoritären Herrschaftsformen vorbereitet. Italien bildet hier keine Ausnahme. Ähnliche Entwicklungen gibt es in jedem kapitalistischen Land.

Die Arbeiterklasse muss sich auf diese Konfrontation vorbereiten, in dem sie den Kampf gegen Teuerung und Sozialabbau mit dem Kampf gegen Militarismus, Faschismus und ihre Ursache, den Kapitalismus, verbindet und sich international vereint. Das erfordert den Aufbau einer Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale, der Weltpartei der sozialistischen Revolution, in Italien.

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