Queen Elizabeth II. ist im Alter von 96 Jahren verstorben, nachdem sie 70 Jahre lang als Oberhaupt des Vereinigten Königreichs den Thron besetzte. Ihr Tod fällt in eine Zeit akuter Krisen des britischen Imperialismus: Zu dem tiefsten Einbruch des Lebensstandards seit der Großen Depression kommt ein Stellvertreterkrieg der Nato gegen Russland auf europäischem Festland, und eine wachsende Welle von Klassenkämpfen könnte leicht in einen Generalstreik münden.
Vor diesem unausweichlichen Sturm steht die herrschende Klasse nun ohne ihr populäres Staatsoberhaupt, auf das sie sich verlassen konnte. Die Monarchin diente ihr als Symbol für den Mythos der nationalen Einheit, um soziale Konflikte zu unterdrücken.
In ihrer Rolle als Staatsoberhaupt ernannte die Queen offiziell nicht weniger als 15 Premierminister und führte wöchentliche Gespräche mit ihnen. Nur zwei Tage vor ihrem Tod bestand ihre letzte Amtshandlung im Dienste der Bourgeoisie darin, Liz Truss zur Premierministerin zu ernennen. Damit verlieh sie einer illegitimen und verachteten Regierung Autorität, deren Aufgabe es sein wird, Krieg gegen die Arbeiterklasse zu führen.
Im Telegraph wird die Bedeutung der Monarchin gewürdigt. Dort heißt es: „Die Krone kann dazu beitragen, reibungslose und friedliche Übergaben der politischen Macht zu gewährleisten (…) Das haben wir erst diese Woche wieder gesehen. Die letzte öffentliche Aufgabe der Queen bestand darin, einen problemlosen Übergang der Exekutive zu sichern, der in anderen Ländern zu einer politischen und verfassungsrechtlichen Krise hätte führen können. Wie viele andere Länder können ihr Staatsoberhaupt und ihren Regierungschef innerhalb einer Woche nahtlos wechseln, ohne dass es zu Tumulten kommt? (…) Die Stabilität des Landes verdankt sich zu einem großen Teil der Präsenz der Queen im Herzen des Landes.“
Mit ihrem Tod geht die Krone auf ihren Sohn Charles III. über. Mit 73 Jahren ist er der bei Amtsantritt älteste König, und er hat keinen Rückhalt in der Bevölkerung. Seine Thronbesteigung bietet wenige Möglichkeiten, die wachsenden und unüberbrückbaren sozialen und politischen Spaltungen zu verschleiern, die derzeit das Leben in Großbritannien und in der ganzen Welt bestimmen.
Inmitten ihrer unvermeidlichen Lobhudelei müssen die britischen Medien anerkennen, dass die herrschende Elite vor ungeheuren Schwierigkeiten steht.
Martin Kettle schreibt im Guardian: „Unterschätzen Sie nicht die Umwälzungen im britischen Leben, die dieser dynastische Moment auslösen wird. Elizabeth II. war 70 Jahre lang eine unauffällige, aber äußerst wirksame einigende Kraft in einer Nation, die sich zusehends selbst auseinanderreißt. Mit ihrem Ableben wird diese Kraft wegfallen, und ihre Erben können nicht damit rechnen, sie erneuern zu können. Auf diese Weise wird die Nachfolge eine der größten Prüfungen sein, die das moderne Großbritannien zu bestehen hat.“
In der Financial Times heißt es: „Das Königreich, das die Queen hinterlässt, steht vor viel größeren Problemen als ihre eigene Institution. Großbritannien hat seine Stärke und seinen Halt in einem Moment verloren, da es dabei ist, seinen Platz in der Welt für die kommenden Jahrzehnte zu bestimmen. Viele andere staatliche Institutionen wirken veraltet oder angeschlagen, und das Überleben des 315 Jahre alten Vereinigten Königreichs selbst ist nicht unbedingt gesichert.“
Als Monarchin spielte Elizabeth eine wesentliche Rolle für die Wahrung der sozialen und politischen Stabilität, insbesondere in Zeiten, in denen der britische Imperialismus sich in einer schweren Krise befand. Sie wurde im Jahr 1936 in die Thronfolge aufgenommen, als ihr Onkel Edward VIII. abdanken musste. Der Grund dafür war, dass seine Sympathien für die Nazis und die seiner Geliebten Wallis Simpson die Monarchie zu diskreditieren drohten und soziale und politische Konflikte provozierten.
Ihre Krönung im Jahr 1953 fand inmitten des langwierigen Niedergangs des britischen Imperialismus statt, nur drei Jahre vor der Suez-Krise. Diese trug dazu bei, dass die Vereinigten Staaten Großbritannien immer mehr verdrängten. England zog sich daraufhin als Oberhaupt des Commonwealth aus dem Imperium zurück und errichtete damit eine zivilisiertere Fassade. Dahinter war die britische Herrschaft jedoch nach wie vor bereit, mit äußerster Brutalität zu reagieren, sollten seine lebenswichtigen globalen Interessen bedroht werden. Dies reichte von der grausamen Unterdrückung der kenianischen Mau-Mau-Rebellion bei Amtsantritt der Queen über die blutige Besetzung Nordirlands und später Margaret Thatchers Krieg um die Falkland-Inseln (Malwinen), bis hin zu zahlreichen verbrecherischen Kriegen im Nahen Osten und in Nordafrika. Die britischen Streitkräfte hüllten ihre Verbrechen in den Union Jack und spielten dabei „God Save the Queen“.
Als der Respekt vor der Monarchie schwand, führte sie eine politische Umgestaltung durch, um den sagenhaften Reichtum der königlichen Familie herunterzuspielen. Gleichzeitig investierte sie so viel Würde wie möglich in den archaischen Prunk und das Zeremoniell, um der bürgerlichen Herrschaft den Anschein zeitloser Beständigkeit zu verleihen und ein System erblicher Privilegien zu legitimieren. Ihre Rolle als Symbol der nationalen Einheit war besonders in Zeiten des verschärften Klassenkampfs sehr wichtig.
In den 1980er Jahren fanden es die jüngeren Royals zunehmend schwierig, sich aus der öffentlichen Zurschaustellung von Reichtum und Privilegien herauszuhalten. Die Welt der Superreichen feierte zunächst Diana, danach auch die anderen, wobei sie zusehends ihr Ansehen verloren. In den letzten Jahren vor ihrem Tod wurde der Queen ein erbitterter öffentlicher Streit mit Prinz Harry und seiner Frau Meghan aufgezwungen, als die beiden als weltweite Berühmtheiten nach grüneren Weiden suchten. Hinzu kam noch die Enthüllung über Prinz Andrew, der in die Sexgeschäfte des Milliardärs Jeffrey Epstein verwickelt war.
Heute hofft die herrschende Klasse inständig, dass Charles’ Zeit auf dem Thron recht kurz sei, denn der sorgfältig präparierte Prinz William soll baldmöglichst die Chance bekommen, das Ansehen der Monarchie in der Öffentlichkeit wiederherzustellen.
Um den Übergang zu erleichtern, wurde der Ablauf nach dem Tod der Königin minutiös geplant. Die „Operation London Bridge“ umfasst 12 Tage offizieller Trauer, einschließlich ihres Staatsbegräbnisses. Dies wird einmal mehr dazu genutzt, den Staatsapparat zu stützen und den Klassenkampf mit einer Flut von Patriotismus, nationalistischer Nostalgie und rührseliger Sentimentalität zu überschwemmen.
Aufrufe zur nationalen Einheit in der Zeit gemeinsamer Trauer werden bereits als Waffe gegen eine wachsende Streikwelle eingesetzt.
Die Schlüsselrolle bei diesen Plänen spielen die Gewerkschaften und die Labour Party. Innerhalb einer Stunde nach der offiziellen Bekanntgabe des Todes der Queen hatten die Gewerkschaften Communication Workers Union (CWU) und Rail, Maritime and Transport Union (RMT) einen für Freitag geplanten Poststreik abgesagt. Auch die für den 15. und 17. September geplanten Eisenbahnerstreiks sind ausgesetzt. RMT-Generalsekretär Mick Lynch erklärte: „Die RMT schließt sich der ganzen Nation an und zollt Queen Elizabeth ihren Respekt.“
Am Freitagmorgen wurde bekanntgegeben, dass der jährliche Gewerkschaftskongress, der am Sonntag beginnen sollte, verschoben wird.
Neben den Gewerkschaftsführern werden natürlich auch die Führer der Labour Party, ob nominell rechts oder links, ihre eigene Operation London Bridge abhalten.
So hat der Labour-Vorsitzende Sir Keir Starmer den Tod der Königin bereits genutzt, um das Engagement der Labour Party für die nationale Einheit und den Klassenfrieden zu postulieren. „Über die politischen Auseinandersetzungen hinaus stand sie nicht für das, worum die Nation kämpfte, sondern für das, was ihr gemeinsam war“, so Starmer, der im Namen seiner verrotteten Partei gelobte: „Während unsere große Elisabethanische Ära zu Ende geht, werden wir das Andenken der verstorbenen Queen ehren, indem wir die Werte des öffentlichen Dienstes, die sie verkörperte, lebendig halten.“
Jeremy Corbyn hielt an seinem Grundsatz fest, nur im „nationalen Interesse“ zu handeln, als er twitterte: „Meine Gedanken sind bei der Familie der Königin, die mit ihrem persönlichen Verlust fertig werden muss, sowie bei den Menschen hier und auf der ganzen Welt, die ihren Tod betrauern. Ich habe es genossen, dass ich mit ihr über unsere Familien, unsere Gärten und die Herstellung von Marmelade sprechen konnte. Ruhe sie in Frieden.“
Ungeachtet ihrer persönlichen Eigenschaften hing die Fähigkeit der verstorbenen Königin, als Symbol der nationalen Einheit zu dienen, wesentlich davon ab, ob es der Bourgeoisie gelang, zu verhindern, dass die sozialen Spannungen den Punkt der Explosion erreichten.
Das von Winston Churchill erstmals ausgerufene „zweite Elisabethanische Zeitalter“ erstreckte sich über die Jahrzehnte, die auf den Zweiten Weltkrieg folgten. Damals war der Kapitalismus in der Lage, der Arbeiterklasse einen steigenden Lebensstandard zu bieten. Die reformistischen Institutionen der Labour Party und der Gewerkschaften schafften es scheinbar, die Forderungen der Arbeiter nach einem existenzsichernden Lohn, nach Bildung, Wohnraum, Gesundheitsversorgung und anderen lebensnotwendigen Dingen zumindest teilweise zu erfüllen.
Doch schon seit den 1990er Jahren befindet sich die Monarchie im rasanten Niedergang. Dies ist Teil einer Entwicklung, die sämtliche politischen Instrumente der bürgerlichen Herrschaft, vor allem die Gewerkschaften und die Labour Party, in Kräfte verwandelt, die der Arbeiterklasse feindlich gegenüberstehen. Als Verteidiger des herrschenden Systems stürzen sie die Arbeiter in immer tiefere Not und bedrohen ihr Überleben, während der Krieg gegen Russland außer Kontrolle gerät.
So spitzt sich, unabhängig von den unmittelbaren Auswirkungen des Todes der Queen, der Konflikt zwischen der Arbeiterklasse und dem britischen Imperialismus immer stärker zu.