Hafenarbeiterstreik in Felixstowe kann britische Wirtschaft zum Erliegen bringen

Am Sonntag beginnt im Hafen von Felixstowe der wichtigste Streik einer wachsenden Welle von Arbeitsniederlegungen in Großbritannien.

Ende Juli hatten fast 92 Prozent der 2.000 Mitglieder der Gewerkschaft Unite bei einer Beteiligung von 81 Prozent für Streik gestimmt und das Angebot einer Lohnerhöhung von nur fünf Prozent abgelehnt, da es erheblich unter der Inflationsrate lag. Zum Zeitpunkt der Urabstimmung betrug die Inflationsrate 11,8 Prozent. Inzwischen hat sie 12,1 Prozent erreicht und wird in diesem Jahr voraussichtlich auf über 17 Prozent ansteigen. Die Löhne und Gehälter werden seit Jahren gedrückt. Im Jahr 2021 erhielten Hafenarbeiter mit 1,4 Prozent einen weiteren Abschluss unterhalb der Inflationsrate.

Die Felixstowe Dock and Railway Company gehört dem Hongkonger Unternehmen CK Hutchinson Holding Ltd, einem der größten ausländischen Investoren in Großbritannien. Das Unternehmen ist einer der weltweit führenden Betreiber von Containerterminals und ein Anbieter von internationalen Hafendienstleistungen mit Beteiligungen an 52 Häfen in 26 Ländern. Der Betrieb in Felixstowe verzeichnete im Jahr 2020 einen Gewinn vor Steuern in Höhe von 61 Millionen Pfund und schüttete große Dividenden an seine Aktionäre aus.

Luftansicht des Hafens von Felixstowe [Photo by John D F / Flickr / CC BY-SA 4.0]

Ein achttägiger Streik hätte sofort immense Auswirkungen auf die britische Wirtschaft und den globalen Seehandel.

Über Felixstowe wird etwa die Hälfte (48 Prozent) des britischen Containerfrachtverkehrs abgewickelt. Als Unite den Streik bewilligte, erklärte das Verkehrsministerium besorgt: „Dieses Vorgehen der Gewerkschaft könnte die Lieferung wichtiger Güter und den Frachtverkehr stören. Wir rufen die Gewerkschaft und den Hafen dazu auf, weiterzuverhandeln und sich auf eine Lösung zu einigen.“

Felixstowe und die anderen britischen Häfen sind auch von entscheidender Bedeutung für die Pläne der konservativen Regierung, die Ausbeutung der Arbeiterklasse zu verschärfen. In den neu geschaffenen Freihäfen kann das Großkapital nahezu ungehindert operieren und Profite anhäufen. Finanzminister Rishi Sunak, einer der potenziellen Nachfolger von Boris Johnson als Tory-Parteichef und Premierminister, hatte im März angekündigt, die Häfen Felixstowe und Harwich zu Freihäfen zu erklären.

In einer Analyse der Website Strategic Risk Europe heißt es: „Felixstowe spielt über Großbritannien hinaus eine entscheidende Rolle im Welthandel, da von hier aus britische Exporte an die größeren europäischen Häfen wie Rotterdam (im Wert von 108 Millionen Dollar) und Hamburg (im Wert von 138 Millionen Dollar) abgewickelt werden.“ Die Russell Group warnte in einer Analyse vor Störungen des Handels im Gesamtwert von über 800 Millionen Dollar. Ausgehend von früheren Handelsbewegungen in diesem Hafen im Monat August sind Bekleidung (82,8 Mio. Dollar) und elektronische Bauteile (32,3 Mio. Dollar) die Waren, die am stärksten von dem Streik betroffen wären.

Der geschäftsführende Direktor der Russell Group Suki Basi rechnete aufgrund der jetzt schon anhaltenden Belastungen der globalen Lieferketten mit Auswirkungen über „die nächsten Wochen und Monate“.

Auch durch die Auswirkungen des Klimawandels wurden diese in ganz Europa verstärkt. Strategic Risk schreibt dazu: „Viele Experten glauben, dass der Handel aufgrund der Störungen in Felixstowe in kleinere Häfen in Großbritannien sowie im Rest der Welt umgeleitet werden könnte, u.a. nach Wilhelmshaven. ... [Doch der Streik] fällt in eine Situation, in der die niedrigen Wasserstände des Rheins in Mitteleuropa, und vor allem in Deutschland, zu weiteren Störungen des Handels führen.“

Nachdem die Gewerkschaft Unite das Ergebnis der Urabstimmung am 28. Juli bekanntgegeben hatte, tat sie alles, um den Streik nicht durchführen zu müssen. Sie verhandelte sogar an der staatlichen Schlichtungsstelle ACAS, dem „Friedhof“ aller Kämpfe der Arbeiter. Nachdem ihre „Friedensverhandlungen“ nicht zu „einem vernünftigen Friedensangebot“ geführt hatten, musste sie am 5. August den Streik dennoch ankündigen. Mit „vernünftig“ meint sie ein Angebot, das über die leichte Verbesserung von sieben Prozent hinausgeht und das sie ihren Mitgliedern aufzwingen kann. Unite führte weiterhin verzweifelte Verhandlungen und traf sich am 8. August mit der ACAS, konnte aber keinen Deal aushandeln. Das Unternehmen stellte enttäuscht fest, dass die Gewerkschaften den Betrieb „seit 1989“ streikfrei gehalten hatten.

Dass Unite diesmal „versagt“, spricht für die militante Stimmung der Arbeiterklasse in Großbritannien. Die größte Befürchtung der Gewerkschaftsbürokratie, die auch von den Unternehmen und der Tory-Regierung geteilt wird, ist eine schnelle Ausbreitung des Streiks und die Mobilisierung eines der stärksten Teile der Arbeiterklasse im Land und weltweit. Das gilt besonders für die jüngsten spontanen Streiks in Kraftwerken, Raffinerien und Amazon-Lieferzentren.

Am Montag bewahrheitete sich ihre Befürchtung, als über 500 Arbeiter des Hafens von Liverpool mit 99 Prozent bei einer Beteiligung von 88 Prozent für einen Streik gegen das Angebot der Mersey Docks and Harbour Company (MDHC) stimmten, die Löhne um nur sieben Prozent zu erhöhen. Das Unternehmen lehnt es ab, die Löhne auch nur annähernd dem Niveau der Inflation entsprechend zu erhöhen, obwohl MDHC zu dem riesigen Konzern Peel Group gehört und im Jahr 2021 mehr als 30 Millionen Pfund Profit gemacht hat.

Unite erklärte als weiteren Grund für den Streik, dass „das Unternehmen [im Jahr 2021] entgegen seiner Versprechen keine Gehaltsanpassung durchgeführt habe, nachdem die letzte im Jahr 1995 durchgeführt worden war. Zudem hat es die Schichtpläne nicht, wie vereinbart, verbessert.“

Am 24. August endet eine weitere Abstimmung von 60 Ingenieuren am gleichen Hafen, die ebenfalls von Unite vertreten werden.

Wenn die Arbeiter in Felixstowe und Liverpool gleichzeitig streiken würden, wären etwa 60 Prozent des britischen Containerfrachtverkehrs betroffen.

Unite appellierte erneut an die Arbeitgeber, dabei zu helfen, den Streik abzuwenden. Bobby Morton, der nationale Funktionär für Häfen, forderte sofort neue Verhandlungen und warnte: „Streiks werden große Störungen verursachen und massive Schockwellen in der gesamten britischen Lieferkette auslösen. Aber für diesen Disput ist allein das Unternehmen verantwortlich ... Felixstowe muss aufhören auszuweichen und ein Angebot vorlegen, das die Erwartungen unserer Mitglieder erfüllt.“

Als Zeichen ihres guten Willens hat die Gewerkschaft den Arbeitskampf in Liverpool hinausgezögert und kein Datum für einen Streik genannt, obwohl die Arbeiter ihr ein eindeutiges Mandat erteilt haben. Der nationale Koordinator Steven Gerrard erklärte: „Wenn der Betrieb im Containerhafen von Liverpool zum Erliegen kommt, wird dafür eindeutig die MDHC verantwortlich sein. ... [Das Unternehmen] muss mit einem Deal auf uns zukommen.“

Ein Streik der Hafenarbeiter in einem wichtigen Knotenpunkt der britischen und europäischen Wirtschaft würde mit der vollen Macht des Staates bekämpft. Die Tory-Regierung bereitet zahlreiche Gesetze gegen Streiks vor, darunter ein verpflichtender Minimalbetrieb in „kritischen Bereichen“. Die Pläne für die Zeit nach einem harten Brexit unter dem Decknamen Operation Yellowhammer sind bereit zur Umsetzung, darunter der Einsatz von Polizei und Militär gegen große Streiks und zur Kontrolle „ziviler Unruhen“. In den Dokumenten wird ausdrücklich auf die Anfälligkeit der britischen Infrastruktur wie z.B. bei Raffinerien hingewiesen.

Die Labour Party übt zwar alibihaft Kritik, unterstützt jedoch die Klassenkriegspläne der Tories.

Solange sie an Unite und die anderen Gewerkschaften gekettet sind, können Arbeiter in Häfen und anderen wichtigen Infrastrukturbereichen keine erfolgreiche Gegenoffensive durchführen. Um sich als massiven Faktor in der Industrie zu zeigen, müssen sie Aktionskomitees aufbauen, die von vertrauenswürdigen Arbeitern geleitet werden. Diese können den Kampf in den Häfen mit den Taten und Bewegungen der Millionen von anderen Arbeitern verbinden, die sich ebenfalls im Konflikt mit Unternehmern und der Regierung befinden. Und sie können sich so auf einen Generalstreik vorbereiten.

Ihre mächtigsten Verbündeten sind die Arbeiter im Rest der Welt, die mit den gleichen Angriffen konfrontiert sind. Die Häfen sind wichtige Knotenpunkte der globalisierten Produktion und verbinden Arbeiter auf der ganzen Welt.

Die aufmerksamsten Wirtschaftsbeobachter sind sich dieses Potenzials durchaus bewusst. Der Loadstar, der „von Tausenden im Fracht- und Speditionsbetrieb gelesen“ wird, veröffentlichte am Mittwoch einen Artikel, in dem es unter Berufung auf eine Kontaktperson bei Felixstowe heißt: „Die Stimmung sei von Tag zu Tag weniger optimistisch, dass der Hafen nach dem Streik zur Normalität zurückkehrt. Unsere Eigentümer sind besorgt, dass auf den Streik weitere Arbeitskampfmaßnahmen folgen werden...“

Weiter heißt es: „Die beiden wichtigsten Reedereigruppen halten sich sehr bedeckt, was ihre Notfallstrategien betrifft, aber der Loadstar hat erfahren, dass die Ocean Alliance britische Ladung in Piräus entladen könnte, während die 2M-Partner Maersk und MSC die Möglichkeiten eines Weitertransports britischer Importe nach Wilhelmshaven und Antwerpen prüfen.

Dennoch sind ihre Optionen begrenzt. Verhandlungen über Streiks in deutschen Häfen zur Unterstützung der Lohnverhandlungen zwischen ver.di und dem Zentralen Verband der deutschen Reedereien sind einer Lösung nicht näher gekommen.

Und ein gerichtliches Moratorium gegen weitere Arbeitskämpfe in deutschen Häfen läuft am 26. August aus, während die nächste, für den 22. geplante Verhandlungsrunde als ‚entscheidend‘ gilt. Hapag-Lloyd erklärte zudem, der Lohnkonflikt würde die Bereitschaft der Hafenarbeiter zu Extraschichten und freiwilliger Arbeit ‚stark beeinträchtigen‘, vor allem an Wochenenden.“

Ein gemeinsamer Kampf der britischen und deutschen Hafenarbeiter wäre ein schwerer Schlag der internationalen Arbeiterklasse gegen die Regierungen und Konzerne, die einen beispiellosen Angriff auf den Lebensstandard der Arbeiter durchführen.

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