Nachdem pseudolinke Organisationen der Mittelklasse in Nord-, Mittel- und Südamerika erst die Kandidatur von Gustavo Petro und Francia Márquez in Kolumbien unterstützt hatten, schüren sie nun die todbringende Illusion, dass der neue Präsident und seine Stellvertreterin als Repräsentanten der Demokratie durch Druck dazu gebracht werden könnten, Arbeiter und unterdrückte Bevölkerungsschichten zu verteidigen.
Die Zeitschrift Jacobin, die den Democratic Socialists of America (einer Fraktion der Demokratischen Partei in den USA) nahesteht, hat eifrig für Petro und Márquez als „progressive Wahl“ und „einzige demokratische Alternative“ geworben. Sie schrieb, dass Francia Márquez – die schwarz ist und sich mit der Forderung nach einem Dialog zwischen Bergbauindustrie und Kommunen einen Namen gemacht hat – „es geschafft hat, einen emanzipatorischen Diskurs zu führen, der alle Kämpfe der Bevölkerung, alle Ausgegrenzten und Unterdrückten unseres Volkes einbezieht, sodass wir, die ‚Nobodies‘, uns in ihrem Antlitz wiederfinden“.
Der Wahlsieg Petros wurde von Jacobin als Begründung angeführt, weshalb man in den USA für die Kandidaten der Demokratischen Partei stimmen solle. Denn Kolumbien zeige, dass es möglich sei, „die imperiale Politik Amerikas rückgängig zu machen und einen kontinentalen Dialog auf der Grundlage von mehr Gleichberechtigung aufzunehmen. Ein Sieg der Progressiven in den USA wäre der Schlüssel zu einem wahrhaft demokratischen Weg des gesamten Kontinents.“
Die Behauptung, dass die Demokratische Partei dazu gebracht werden könne, die Demokratie in Lateinamerika zu verteidigen, ist lächerlich. Die Demokraten haben stets die Herrschaft der Wall Street über Kolumbien mit aller Brutalität abgesichert und das Land wiederholt vergewaltigt, von Kennedys antikommunistischen Amokläufen in den 1960er Jahren bis hin zu Clinton und Obama mit dem „Plan Colombia“. Diese imperialistische Partei ist verantwortlich für die Ermordung Zehntausender linker Arbeiter, Bauern, Jugendlicher und Intellektueller. Sie trägt Schuld an zahllosen Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch US-Soldaten und die Polizei und das Militär Kolumbiens, die von Washington aufgebaut, bewaffnet und ausgebildet wurden.
Im gleichen pseudolinken Spektrum, aber ohne zur Wahl Petros aufzurufen, stellte die argentinische Sozialistische Arbeiterpartei (PTS) in ihrer Publikation La Izquierda Diario die Wahl als Entscheidung zwischen „dem Kandidaten der Rechten, Rodolfo Hernández, und dem kleineren Übel Gustavo Petro“ dar. Wenige Tage vor dem zweiten Wahlgang schrieb sie: „Denjenigen, die Petro als das kleinere Übel wählen, können wir nur sagen, dass es nicht einfach darum geht, die Rechten und den Uribismo an der Wahlurne zu bestrafen, sondern auch darum, ihre eigenen Interessen auf der Straße durchzusetzen.“ Mit anderen Worten, durch die „historische Niederlage der Rechten“ können die Arbeiter angeblich ihre Interessen durchsetzen, indem sie Druck auf Petro ausüben.
Die Sozialistische Arbeiterpartei (PST) in Kolumbien rief zynisch zu einer „kritischen Stimmabgabe“ für Gustavo Petro und Francia Márquez auf. Letztere vertrete „wirklich eine Kandidatur der Armen und Unterdrückten“.
Nachdem die Wahl aus ihrer Sicht geglückt war, schrieb die PST: „Der Streik von 2021 hat uns gelehrt, dass das einzig wirksame Mittel, die Pläne der Kapitalisten zu vereiteln, der Kampf auf der Straße ist... damit die Petro-Regierung weiter geht... und ein Programm mit radikalen Veränderungen durchführt, das die Interessen der Unterdrückten gegen die Interessen der Oberen verteidigt, auf dass die Expropriateure expropriiert werden“.
Die Bezugnahme auf 2021 ist besonders aufschlussreich. In den Jahren 2019 bis 2021 wurde Kolumbien von der größten Demonstrationswelle aller Zeiten erschüttert. Millionen protestierten gegen die soziale Ungleichheit, die mörderische Reaktion auf Covid-19 und die brutale Repression, durch die mindestens 80 Demonstranten getötet wurden und Hunderte verschwanden. Diese Proteste waren Teil einer globalen Welle „führerloser Revolutionen“, an der sich Hunderte Millionen Menschen in ganz Amerika und weltweit beteiligten. Doch diese „Revolutionen“ änderten nichts und wurden letztlich, wie in Kolumbien, Chile, Honduras und Bolivien, in die Kanäle der Wahl pseudolinker Regierungen abgelenkt.
Petro rief wiederholt dazu auf, die Streiks und Straßenblockaden zu beenden. Aber in einem an die Öffentlichkeit gelangten Mitschnitt eines Telefongesprächs vom 5. Mai 2021 fasste er zusammen, was die herrschende Klasse in der jetzigen Situation wirklich braucht. In diesem Telefonat mit den Gewerkschafts- und Politbürokraten des Nationalen Streikkomitees, das die Proteste angeblich anführt, erklärte Petro: „Es gibt eine Distanz zwischen dem Nationalen Streikkomitee und den Menschen auf der Straße. Sagen wir es so: Sie kennen einander nicht. Die Menschen auf der Straße sind die Jugend des Volkes, die Jugend aus den Arbeitervierteln, die weiter kämpfen will.“ Mit anderen Worten: Das politische Establishment ist offenbar nicht in der Lage, die jungen Arbeiter auf der Straße zu zügeln, die ihm politisch und gesellschaftlich so fern sind wie der Mond.
Deshalb brauchen der Imperialismus und seine Lakaien in der kolumbianischen Elite unbedingt Organisationen, die behaupten, „sozialistisch“, „revolutionär“ und sogar „trotzkistisch“ zu sein, um Illusionen in dieses verrottete politische System und seine gewerkschaftlichen Verbündeten zu nähren. Die herrschende Klasse hat aus Erfahrung gelernt, dass ihre Herrschaft von solchen pseudolinken Kräften abhängt. Nur sie können die Arbeiterklasse politisch entwaffnen, während neue Militärdiktaturen vorbereitet werden.
Die Behauptung, dass Petro und Márquez unter Druck gesetzt werden könnten, um die Interessen der Arbeiter zu vertreten, hält keiner Überprüfung stand. Die von PTS, PST und Jacobin vertretenen Illusionen beruhen alle auf der stalinistischen Vorstellung, dass Teile der nationalen herrschenden Eliten unterstützt werden müssten, um als Vorbedingung für die sozialistische Revolution erst einmal eine bürgerlich-demokratische Revolution durchzuführen.
Diese Argumentation wurde von ihrer eigenen Heldin Francia Márquez entkräftet, und zwar bei einem ihrer wiederholten Besuche im US Institute of Peace in Washington, einer Behörde der US-Bundesregierung mit engen Verbindungen zum Pentagon. Als Márquez dort im Mai nach dem Status Kolumbiens als strategischer Partner der Nato gefragt wurde, versprach sie, „dieses Bündnis mit der US-Regierung zu stärken“, und erwähnte mit keinem Wort den Imperialismus oder die nationale Unterdrückung. Sie verwahrte sich gegen die Unterstellung des US-Botschafters, dass ihr Wahlkampf von Russland und Venezuela finanziert werde, weil dies „der bisherigen Außenpolitik der Vereinigten Staaten“ widerspreche, „die sich nicht in die Politik eingemischt und demokratische Wahlen respektiert haben“.
Sie betonte mehrfach, dass ihre Regierung nicht die Absicht habe, die „Grundbesitz-Oligarchie“ zu „enteignen“. Dies gelte auch für die „Uribistas“. Dabei finanzieren die Anhänger des ehemaligen Präsidenten Uribe mithilfe ihres Grundbesitzes faschistische paramilitärische Gruppen, die immer wieder Anführer von Protesten, Arbeiter und Bauern massakrieren.
Mit ihrer Ablehnung der beiden wichtigsten demokratischen Aufgaben in Kolumbien und allen rückständigen Ländern – der Befreiung von imperialistischer Unterdrückung und der Abschaffung der feudalen Sonderprivilegien der Landoligarchie – zeigt Márquez, dass all ihr Gerede von demokratischen Rechten, sozialer Gerechtigkeit, Würde und Frieden hohles Geschwätz ist. Da sich die USA im wirtschaftlichen Niedergang befinden, stützt sich der US-Imperialismus zunehmend auf regionale Militärs und direkte militärische Präsenz. Unter diesen Bedingungen versicherte Márquez, dass ihre Regierung „keine Bedrohung für Amerika“ darstellen werde. Das heißt, Washingtons wichtigste Bastion in seinem „Hinterhof“ ist sicher.
Eine Regierung, das auch nur im Geringsten für die Interessen der Arbeiterklasse empfänglich wäre, hätte sofort umfangreiche Gesundheitsmaßnahmen gegen die Covid-19-Pandemie ergriffen, die 2020–2021 bereits 180.000 Kolumbianer getötet hat. Sie hätte sich von der Nato losgesagt und den Krieg gegen Russland in der Ukraine verurteilt, der die Menschheit mit atomarer Vernichtung bedroht. Und sie hätte strikte Preiskontrollen eingeführt, um die höchste Inflation seit über 20 Jahren zu stoppen.
Doch Petro begann seine Amtszeit mit dem Versprechen der „Sparsamkeit“ und besetzte sein Kabinett mit Handlangern des Imperialismus und der extremen Rechten. Um nur einige zu nennen: Der neue US-Botschafter Luis Gilberto Murillo, der Márquez während ihres Forums in Washington begleitete, war Berater von USAID sowie der Weltbank und anderen imperialistischen Organisationen. Verteidigungsminister ist Iván Velázquez, der zum Leiter der Internationalen Kommission gegen Straflosigkeit in Guatemala ernannt wurde. Diese von den USA finanzierte UN-Organisation benutzt Korruptionsvorwürfe als Mittel, um eine US-freundliche Politik zu diktieren. Verkehrsminister wurde Guillermo Reyes, der unter dem rechtsextremen Präsidenten Álvaro Uribe einen stellvertretenden Ministerposten innehatte.
Jacobin, die PST und die PTS sind als arbeiterfeindliche Vertreter der oberen Mittelschicht enttarnt. Sie haben in der Politik, den Gewerkschaften und der Wissenschaft Karriere gemacht, indem sie der herrschenden Elite anboten, zum Schutz der bestehenden Verhältnisse beizutragen. Die politischen Wurzeln der PTS und der PST liegen im Erbe von Nahuel Moreno, dem übelsten Renegaten des Trotzkismus in Lateinamerika.
Moreno gründete die argentinische PST Anfang der 1970er Jahre, inmitten einer vorrevolutionären Krise. Er erklärte damals offen: „Unser wichtigstes politisches Ziel ist es, eine zentristische Partei der legalen Linken aufzubauen. Wir sind uns bewusst, dass diese Organisation das Gegenteil einer bolschewistischen proletarischen Organisation ist.“
Vor dem Hintergrund von Putschdrohungen faschistischer Militärs und Angriffen faschistischer Peronisten in den Gewerkschaften traf sich die PST nicht nur mehrmals mit Juan Domingo und Isabel Perón, sondern behauptete auch wiederholt – genau wie heute die Moreno-Anhänger in Bezug auf Petro –, dass die Regierung „Demokratie“ in Aussicht stelle und unter Druck gesetzt werden könne, um die Arbeiter zu schützen. Dies trug dazu bei, die radikalisierten Arbeiter politisch zu entwaffnen, und ebnete den Weg für ein von den USA unterstütztes Militärregime, das über 30.000 Menschen tötete, darunter viele PST-Mitglieder. Moreno brachte sich unterdessen in Kolumbien in Sicherheit, um dort die PST zu gründen.
Wie das IKVI in seiner Analyse über Morenos Rolle schrieb: „In einer solchen Situation ist eine ‚linke‘ Partei, die an den bürgerlichen Staat appelliert, die Arbeiter zu beschützen – anstatt die Arbeiter aufzurufen, sich zu bewaffnen und die Faschisten und den Staat, der sie unterstützt, zu zerschlagen – selbst Teil der gesamten reaktionären bürgerlichen Ordnung.“
Der Imperialismus und seine engsten Verbündeten unter den Faschisten und Militärs sind keineswegs unbesiegbar oder unantastbar. Der Arbeiterklasse sind im Kampf die Hände gebunden durch pro-kapitalistische und nationalistische Gewerkschaften und Politiker, die jedem Angriff auf das Profitstreben feindlich gegenüberstehen und Streiks und vor allem den Zusammenschluss über Grenzen hinweg ablehnen. Der Imperialismus wäre machtlos gegen eine unabhängige und international organisierte Bewegung von Milliarden von Arbeitern weltweit, wie sie durch die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees aufgebaut wird.
Die Erfüllung der demokratischen und sozialen Bestrebungen der Arbeiter hängt davon ab, dass sie sich gegen alle Teil der Bourgeoisie und auch gegen deren Handlanger in den Gewerkschaften und der Pseudolinken zusammenschließen und ihre Kämpfe international ausrichten. Dies ist nur möglich durch den Aufbau der einzigen internationalistischen, sozialistischen und revolutionären Partei, des Internationalen Komitees der Vierten Internationale.