Während die Corona-Sommerwelle bereits Krankenhäuser an die Belastungsgrenze bringt und die Todeszahlen mit 700 Toten pro Woche zwölf mal so hoch sind, wie zur gleichen Zeit vor einem Jahr, bereitet die Bundesregierung eine noch größere Todeswelle vor. Das am Mittwoch von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Justizminister Marco Buschmann (FDP) angekündigte Maßnahmenpaket ist kein Infektionsschutzgesetz, sondern ein Durchseuchungsgesetz.
Die Bestimmungen, die das am 23. September auslaufende aktuelle Infektionsschutzgesetz ablösen sollen, bedeuten eine weitere Lockerung gegenüber den bisher bestehenden Maßnahmen. Die einzigen beiden Maßnahmen, die künftig noch bundesweit verpflichtend sein werden, sind eine Maskenpflicht im öffentlichem Personenfernverkehr, in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, sowie 3G-Regelungen in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen.
Den einzelnen Bundesländern ist es zwar auf dem Papier gestattet, gewisse weitere Maßnahmen zu ergreifen – eine Maskenpflicht im ÖPNV, eine Test- und Maskenpflicht in Schulen, sowie eine Maskenpflicht in Gastronomien und Kultureinrichtungen (von der Geimpfte und Genesene jedoch ausgenommen sind). Doch der bisherige Pandemieverlauf hat gezeigt, dass länderspezifische Corona-Maßnahmen in der Regel nicht genutzt werden.
Maßnahmen, die über die im Gesetz erwähnten beschränkten Maßnahmen hinausgehen, dürfen die Länder nur erlassen, wenn eine Überlastung des Gesundheitssystems oder der kritischen Infrastruktur droht. Im Klartext: Die Bevölkerung soll so lange durchseucht werden, bis das Gesundheitssystem vor dem Zusammenbruch steht oder die Aufrechterhaltung der kapitalistischen Profitmaximierung in Gefahr ist.
Doch selbst dann dürfen keine Maßnahmen getroffen werden, die die Profitakkumulation beeinträchtigen könnten. „Alle diese Dinge, die man unter dem Begriff Lockdown versteht – Ausgangssperren, Betriebsschließungen, Schulschließungen – all diese Dinge halten wir nicht mehr für angemessen,“ erklärte Buschmann und brachte damit den Standpunkt der gesamten herrschenden Klasse auf den Punkt.
Das neue Infektionsschutzgesetz soll bis Ostern gelten. Das heißt, selbst wenn es im Winter zu einer nie dagewesenen Sterbewelle kommt, werden keine neuen Maßnahmen getroffen.
Tatsächlich kommt es in diesem Jahr bereits im Sommer zu einer tödlichen Welle. Die offizielle 7-Tage-Inzidenz ist zwar zuletzt aufgrund der Sommerferien auf 451 etwas zurückgegangen, droht dafür jedoch mit dem Ende der Reisezeit und der Rückkehr an die Schulen um so stärker wieder anzusteigen. Noch immer haben 137 Kreise eine Inzidenz von über 500 und ein Kreis eine Inzidenz von über 1000.
Die offiziellen Inzidenzen geben jedoch schon lange nicht mehr das tatsächliche Infektionsgeschehen wieder. Eine Testpflicht gilt nur noch in den wenigsten Bereichen, Testkapazitäten wurden flächendeckend abgebaut und selbst die kostenlosen Bürgertests wurden abgeschafft. Auch die extrem hohe Testpositivrate von 54 Prozent unterstreicht die enorme Dunkelziffer.
Das tatsächliche Ausmaß des Infektionsgeschehens lässt sich unter anderem durch die wachsende Zahl von Ausbrüchen in medizinischen Behandlungseinrichtung sowie Alten- und Pflegeheimen erahnen. In jenen kam es letzte Woche zu 150 Ausbrüchen (144 in der Vorwoche) und 26 Toten. In Alten- und Pflegeheimen kam es zu 370 Ausbrüchen (305 in der Vorwoche) und 58 Toten.
Auch die Belastung der Krankenhäuser zeigt den Ernst der Lage: Die adjustierte Hospitalisierungsinzidenz stagniert seit mehreren Tagen bei 12,5, was 10.000 Hospitalisierungen pro Woche entspricht. Die Zahl der intensivmedizinisch behandelten Patienten steigt weiter und liegt mittlerweile bei 1395. Derzeit melden 457 Intensivstationen eingeschränkten Betrieb, 331 teilweise eingeschränkten und nur 385 regulären Betrieb.
Die steigenden Zahlen bringen immer mehr Krankenhäuser an den Rand der Belastungsgrenze. Am Montag erklärte die Bayerische Krankenhausgesellschaft, dass die Notaufnahmen in den bayerischen Krankenhäusern aktuell wegen der Corona-Welle und Personalmangel überlastet sind. Die Zahl der Hospitalisierungen in Bayern ist derzeit größer als auf dem Höhepunkt der Delta-Welle im letzten Winter.
Einige Kliniken müssen planbare Operationen verschieben und Rettungswagen müssen länger fahren, um eine aufnahmebereite Klinik zu finden. Die Allgäuer Zeitung berichtete am Dienstag, dass im Westallgäu, im Landkreis Lindau, die Krankenhäuser so überlastet sind, dass Rettungswagen die Patienten sogar bis nach Reutte in Tirol transportieren müssen. Ein Drittel der Notfallpatienten der letzten Tage musste in Kliniken außerhalb des Landkreises untergebracht werden.
Zusätzlich zu den direkten Folgen einer Infektion werden zunehmend auch die langfristigen Auswirkungen der Durchseuchung sichtbar. Besonders Kinder, die in der Regel vergleichsweise mildere Krankheitsverläufe haben, sind von den Langzeitfolgen betroffen. Am vergangenen Mittwoch veröffentlichte die medizinische Fachzeitschrift „The Lancet Child and Adolescent Health“ eine Studie von dänischen Wissenschaftlern mit 11.000 Infizierten, die als bislang größte Studie zu Long Covid gilt.
Die Studie kam zu einem dramatischen Ergebnis. Rund 40 Prozent der 0- bis 3-Jährigen, 38 Prozent der 4- bis 11-Jährigen und 46 Prozent der 12- bis 14-Jährigen haben noch über zwei Monate nach der Infektion mit Langzeitfolgen zu kämpfen. Die Symptome reichen von Ausschlägen und Bauchschmerzen bis hin zu Erinnerungsschwierigkeiten und Konzentrationsstörungen.
Zahlreiche Ärzte und andere Experten berichten von den drastischen Langzeitfolgen, die sie beobachten. Stephan Gerling, Oberarzt und Kinderkardiologe an der KUNO Klinik St. Hedwig in Regensburg und Leiter der dortigen Long-Covid-Kinderambulanz, sagte im Spiegel: „Vielen Kindern merkt man überhaupt nichts an, solange sie sitzen. Aber sie schaffen es nicht einmal mehr, sechs Minuten spazieren zu gehen – geschweige denn, wie andere Kinder zu spielen und zu toben.“
Auch Dr. Jördis Frommhold, Chefärztin für Lungenkrankheiten in der Median Klinik in Heiligendamm und Expertin für Long Covid berichtete im Interview mit Merkur.de über die Folgen von Long-Covid für Jugendliche: „Bei jungen Menschen ist es nach Omikron häufig so: Die schleppen sich zur Arbeit, das geht irgendwie noch. Ihre Pflichten schaffen sie noch, aber den Rest des Tages schlafen sie dann zu Hause.“
Sie warnt weiter: „Über Langzeitfolgen bei Corona wird nach wie vor zu wenig gesprochen. Doch in Zukunft werden wir viele Ausfälle im Berufsleben wegen Long Covid haben. Damit muss man planen. Hunderttausende Menschen sind betroffen. Und es werden immer mehr.“ Studien zeigen, dass sich nach einer Reinfektion mit Corona die Wahrscheinlichkeit für Long-Covid verdoppelt. Bereits jetzt leiden über eine Million Menschen allein in Deutschland unter Long-Covid-Symptomen.
Die herrschende Klasse ist sich der katastrophalen Folgen ihrer Durchseuchungspolitik nicht nur bewusst, sie treibt sie im Rahmen ihrer mörderischen Profite-vor-Leben-Orientierung gezielt auf die Spitze. „Es wird sehr viele Ausfälle beim Klinikpersonal geben, gleichzeitig wird die Zahl der Covid-Patienten auf den Normal- und Intensivstationen deutlich steigen“, stellte Lauterbach lapidar fest. Gleichzeitig feierte er das neue Infektionsschutzgesetz, das genau dieser Entwicklung den Boden bereitet, als „sehr gut“.