Kaum ist die Tinte trocken unter dem 40-Milliarden-Dollar-Waffen- und Hilfspaket der Biden-Regierung vom 21. Mai, da erweitern die Vereinigten Staaten die Palette der Langstreckenwaffen für die Ukraine und damit das Terrain, auf dem der Krieg ausgefochten wird.
Am 28. Mai erklärte der ukrainische Verteidigungsminister Oleksii Reznikov, dass die Ukraine nunmehr die von den USA über Dänemark gelieferte Anti-Schiffs-Rakete Harpoon erhalten werde. Außerdem wird die Panzerhaubitze M109 Paladin direkt aus den USA in die Ukraine geliefert.
Die M109, die fast 30 Tonnen wiegt, kann schwere Artilleriegranaten auf Entfernungen von über 40 Kilometer abfeuern. Die Harpoon ist nach Angaben des Herstellers Boeing „der erfolgreichste Anti-Schiffs-Flugkörper der Welt (...), der sowohl Landangriffe als auch Angriffe auf Schiffe ausführen kann“.
Boeing schreibt: „Der 500-Pfund-Sprengkopf liefert eine tödliche Feuerkraft gegen eine Vielzahl von landgestützten Zielen, einschließlich Küstenverteidigungsanlagen, Boden-Luft-Raketenstellungen, exponierte Flugzeuge, Hafen-/Industrieanlagen und Schiffe im Hafen.“
Die Bereitstellung dieser Waffensysteme bedeutet, dass die ukrainischen Streitkräfte dieselben Schiffsabwehrraketen und mobilen Artilleriesysteme wie die US-Marine und die US-Armee verwenden werden.
Reznikov teilte außerdem mit, dass die Ukraine kürzlich mehr als 100 Drohnen erhalten habe. Mit der 40-km-Reichweite der M109, der 124-km-Reichweite der Harpoon und den von den USA beschafften Bayraktar-Drohnen mit einer Reichweite von Tausenden von Kilometern haben die Vereinigten Staaten der Ukraine bereits Mittel an die Hand gegeben, um Schläge gegen russisches Territorium zu führen und Ziele in zig Kilometern Entfernung ins Visier zu nehmen.
Letzte Woche erklärte ein US-Politiker gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, dass die USA den ukrainischen Streitkräften keine geografischen Grenzen für den Einsatz der von ihnen gelieferten Waffen setzen würden. „Wir haben Bedenken wegen einer Eskalation, wollen ihnen aber dennoch keine geografischen Grenzen setzen oder ihnen mit den Mitteln, die wir ihnen geben, zu sehr die Hände binden“, so der Sprecher.
Mit anderen Worten: Die USA geben der Ukraine einen Blankoscheck für Angriffe auf russisches Territorium.
Die ukrainische Armee hat bereits mehrere Angriffe in Russland durchgeführt, bei denen mindestens ein Zivilist getötet und Dutzende verletzt wurden. Das russische Verteidigungsministerium hat kürzlich seine Truppen- und Artillerieeinsätze in der Region Kursk verstärkt, die an die Ostukraine angrenzt.
Neben fortschrittlichen Waffensystemen planen die USA, der Ukraine sogar Waffen mit größerer Reichweite in Form von Mehrfachraketenwerfern zu liefern, die weit entfernt in Russland einschlagen können.
Während Biden am Montag vor Journalisten erklärte, die USA würden „keine Raketensysteme in die Ukraine schicken, die Russland treffen können“, stellten Vertreter des Weißen Hauses sofort klar, dass Bidens Aussage weitgehend bedeutungslos sei.
Nach Angaben des Weißen Hauses gilt dies nur für bestimmte Langstreckenmunition, die von Systemen abgefeuert wird, welche die USA bereitgestellt haben. Dazu gehört z.B. die MGM-140 ATACMS-Rakete, die eine effektive Reichweite von bis zu 300 Kilometern hat. Diese Systeme verstoßen gegen das Abkommen zur Ächtung von Streumunition. Die Vereinigten Staaten, die in Kriegen auf der ganzen Welt Tausende von Menschen mit Streumunition getötet haben, halten sich nicht an das Abkommen.
Nach den Worten von Michael McFaul, dem ehemaligen US-Botschafter in Russland, wird die Ukraine „neue Lieferungen von präzisionsgelenkten Raketen mit größerer Reichweite“ als bisher erhalten.
Die Medien kritisierten sogar Bidens Erklärung bezüglich minimalster Beschränkungen für Waffenlieferungen an die Ukraine.
Das Wall Street Journal reagierte empört und warf Biden vor, er wolle, dass die Ukraine „nur überlebt, um einen Waffenstillstand zu unterzeichnen, während ein größerer Teil ihres ehemaligen Territoriums unter russischer Kontrolle steht“.
Offenbar aufgebracht wies das Journal darauf hin, dass die russischen Streitkräfte „neue militärische Fortschritte in der ostukrainischen Region Donbas“ machen. Die Zeitung wirft dem US-Präsidenten vor, Wladimir Putin mit Zusagen darüber, was die USA alles nicht tun würden, „zu beruhigen“. Und weiter: „Bidens Ambivalenz bei der Unterstützung der Ukraine stärkt die Russen in dem Glauben, man könne immer noch einen strategischen Sieg erringen.“
In ähnlicher Weise beschuldigt der Republikanische Senator Lindsey Graham Biden, „einen Verrat an der Ukraine️ und der Demokratie selbst“ zu begehen
Zwar ist das Wall Street Journal besonders hysterisch, aber das Kriegsfieber zieht sich durch das gesamte Establishment. Die offensichtlichen Fortschritte der russischen Streitkräfte in der Ostukraine veranlassen die US-Regierung dazu, den Einsatz zu erhöhen und mit einer immer stärkeren Eskalation des Kriegs zu drohen.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Der liberale Journalist Gideon Rachman verfasste am Montag in der Financial Times eine hetzerische Kolumne mit dem Titel „Der Westen muss in der Ukraine die Nerven behalten“. Rachman verurteilte vereinzelte Stimmen unter den amerikanischen Politikern, die eine diplomatische Lösung des Konflikts anstrebten, und betonte: „Die Dynamik des Krieges muss sich wieder auf die Ukraine verlagern, bevor es irgendeine Aussicht auf eine akzeptable Friedenslösung gibt.“
Die Ausweitung des imperialistischen Stellvertreterkriegs gegen Russland in der Ukraine nimmt eine eigene Logik an, selbst zu einem Zeitpunkt, da die Vereinigten Staaten bewusst den Konflikt mit China über Taiwan verschärfen.
Am 11. März erklärte Biden noch: „Wir werden in der Ukraine keinen Krieg gegen Russland führen. Ein direkter Konflikt zwischen der NATO und Russland bedeutet einen Dritten Weltkrieg, den wir unbedingt verhindern wollen.“
Doch seither haben die USA Tag für Tag einen Schritt nach dem anderen in Richtung eines direkten Zusammenstoßes mit Russland unternommen. Die USA weiteten ihre Waffenlieferungen an die Ukraine zunächst um das Zehn- und dann um das Hundertfache aus. Am 26. März erklärte Biden, dass der russische Präsident Wladimir Putin „nicht an der Macht bleiben kann“. Letzten Monat räumte US-Verteidigungsminister Lloyd Austin ein, dass „wir“ uns in einem „Kampf“ mit Russland befänden, und der Vorsitzende der Mehrheitsfraktion im Repräsentantenhaus Steny Hoyer erklärte diesen Monat offen: „Wir befinden uns im Krieg.“
Die Denkfabrik Center for Strategic and International Studies analysierte mehrere Szenarien diverser Think Tanks und warnte vor „einer gefährlichen Tendenz zur unbeabsichtigten [geografischen] Eskalation im Laufe eines langwierigen Konflikts, selbst wenn die Teilnehmer erklären, dass sie den Konflikt auf ein Land beschränken wollten“.
Um diesen gefährlichen Trend in Aktion zu sehen, muss man sich nicht ansehen, was in den Simulationen, sondern vor Ort in der Ukraine passiert.
Indem sie den ukrainischen Streitkräften die Möglichkeit geben, weiter und tiefer in das russische Hoheitsgebiet vorzudringen, setzen die USA auf eine weitere Eskalation des Krieges.
Die Rücksichtslosigkeit des amerikanischen Imperialismus, einen Krieg mit einer atomar bewaffneten Macht zu eskalieren, spricht Bände über die massive innenpolitische Krise, in der die USA stecken. Inmitten einer rasenden Inflation, sinkender Löhne, einer Verknappung von Schlüsselprodukten und einer drohenden Rezession wächst die Bewegung der Arbeiterklasse in den USA als Teil eines weltweiten Aufschwungs im Klassenkampf.
Das gesamte politische Establishment der USA ist sich einig in der Eskalation des Krieges mit Russland. Er hat bereits Zehntausende von Menschen das Leben gekostet und könnte Millionen den Tod bringen. Es ist die Aufgabe der Arbeiterklasse, diesem Krieg ein Ende zu setzen.