Am 9. Mai, dem Jahrestag der Niederlage Nazi-Deutschlands im Zweiten Weltkrieg, trafen sich der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz und der neu gewählte französische Präsident Emmanuel Macron in Berlin. Im Zentrum ihrer Diskussion standen zwei Fragen: die Remilitarisierung Deutschlands und der EU und die verstärkte Beteiligung der EU am Krieg, den die NATO in der Ukraine gegen Russland führt.
Am Abend besuchten die beiden das Brandenburger Tor, das in den blau-gelben Farben der Ukraine angestrahlt war. Ein paar hundert Anhänger und Journalisten durften sich in der Nähe von Scholz und Macron versammeln und pro-ukrainische Parolen rufen. Auf die Frage von Journalisten, welche Botschaft er und Scholz mit ihrem nächtlichen Besuch am Brandenburger Tor aussenden wollten, antwortete Macron: „Volle Unterstützung für die Ukraine“.
Bereits am Wochenende hatte Scholz erklärt, dass Deutschland keinen „russischen Diktatfrieden“ akzeptieren werde. Russland führe einen „Vernichtungskrieg“ begehe und in „zivilisatorischer Hinsicht einen Bruch“. Das reaktionäre kapitalistische Regime des russischen Präsidenten Wladimir Putin führt Krieg in der Ukraine, aber Scholz' Kriegsrede, in der er Russland mit dem Nationalsozialismus als völkermörderisches Gebilde gleichsetzte, das bekämpft und vernichtet werden muss, war hetzerisch und falsch. Sie bildete die Grundlage für Scholz und Macron, ihre militaristische Agenda voranzutreiben.
Auf der gemeinsamen Pressekonferenz bezeichnete Scholz Macrons Wiederwahl als „ein gutes Zeichen für Europa“. Man sei sich „seit Langem darüber einig, dass unsere Länder die großen Herausforderungen unserer Zeit nur dann erfolgreich bewältigen können, wenn wir gemeinsam und im Rahmen eines starken und souveränen Europas vorgehen. Diesen Weg wollen wir gemeinsam weitergehen“.
Die Äußerungen von Scholz und Macron ließen keinen Zweifel daran, was dies bedeutet. Berlin und Paris arbeiten daran, Europa massiv aufzurüsten und schlagkräftiger zu organisieren, um ihre geostrategischen und wirtschaftlichen Interessen unabhängiger von Washington verfolgen zu können. Darüber können all die Phrasen von „Frieden und Freiheit“, „Demokratie“ und „sozialer Gerechtigkeit“ nicht hinwegtäuschen, die beide Staatsoberhäupter immer wieder bemühten.
Scholz und Macron stellten sich hinter den Stellvertreterkrieg der NATO gegen Russland in der Ukraine und kündigten weitere Waffenlieferungen an Kiew an. „Wir stehen eng und unverbrüchlich an der Seite der Ukraine“, erklärte Scholz. „Wir unterstützen sie finanziell, humanitär und auch militärisch mit unseren Waffenlieferungen, um diesen Krieg zu beenden“ – d.h. Russland militärisch zu besiegen.
Scholz bezeichnete die militärische Unterstützung Deutschlands für die Ukraine als „sehr weitreichend“. Die Lieferungen seien „sehr umfassende Hilfen aus unseren eigenen Beständen, aus der Zusammenarbeit mit unserer Verteidigungsindustrie und aus der Zusammenarbeit mit den Ländern Osteuropas, die über das, was in der Ukraine so dringend gebraucht wird, verfügen, nämlich russische Waffen, die unmittelbar in der Auseinandersetzung eingesetzt werden können“.
Derzeit organisiert Berlin neben der Lieferung eigener schwerer Waffen, wie der Panzerhaubitze 2000, einen so genannten „Ringaustausch“ mit osteuropäischen Ländern. Konkret bedeutet dies, dass osteuropäische EU- und NATO-Mitgliedstaaten Panzer und Luftabwehrraketen sowjetischer Bauart an die Ukraine liefern. Im Gegenzug verpflichtet sich Deutschland, die jeweiligen Waffensysteme durch entsprechende Waffen aus westlicher und deutscher Produktion zu ersetzen.
Seit Mittwoch bildet die Bundeswehr ukrainische Soldaten an der Artillerieschule der Bundeswehr in Idar-Oberstein aus. Die künftigen ukrainischen Besatzungen der Panzerhaubitze 2000 und technische Spezialisten waren Medienberichten Berichten zufolge bereits am Dienstag in Rheinland-Pfalz gelandet. Nach einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages stellt die Ausbildung ukrainischer Soldaten auf deutschem Boden eine Kriegsbeteiligung im Sinne des Völkerrechts dar.
Neben der militärischen Unterstützung für die Ukraine betonte Scholz, Deutschland werde „alles unternehmen, was nötig ist“, um die eigene „Verteidigungsfähigkeit zu stärken“. So wolle man auf einem Sondergipfel des Europäischen Rats Ende Mai „beraten, wie wir in der Europäischen Union unsere Investitionen in die Verteidigung besser koordinieren und effektiver nutzen können. In dem Zusammenhang wollen wir natürlich auch die deutsch-französischen Rüstungsprojekte schneller voranbringen.“
Um welch weitreichende Pläne es geht, zeigen außenpolitische Papiere wie der „Strategische Kompass für Sicherheit und Verteidigung“, den die EU kürzlich verabschiedet hat. Macron bezeichnete das Papier, das darauf abzielt, die EU für „eine Zeit des strategischen Wettbewerbs“ und „großer geopolitischer Veränderungen“ zu rüsten, in Berlin als wichtiges Mittel für die Etablierung einer unabhängigeren europäischen Außen- und Kriegspolitik.
Um die notwendigen Fähigkeiten zu erreichen, verpflichten sich die EU-Staaten in dem Papier darauf, „mehr und bessere Verteidigungsausgaben zu tätigen“ und massiv aufzurüsten. Unter anderem gehe es darum, „gemeinsam modernste militärische Fähigkeiten“ in „allen operativen Bereichen“ zu entwickeln, „darunter Hochleistungs-Marineplattformen, Luftkampfsysteme der Zukunft, weltraumgestützte Fähigkeiten und Hauptkampfpanzer“.
Einige dieser Megaprojekte im Gesamtwert von Hunderten von Milliarden, wie das neue europäische Future Combat Air System (FCAS) und das deutsch-französische Main Ground Combat System (MGCS), werden nun vorangetrieben. So sieht das von Scholz Ende Februar angekündigte Aufrüstungspaket allein für diese „multinationalen Rüstungsprojekte“ Ausgaben von rund 34 Milliarden Euro vor.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Auf der Pressekonferenz mit Macron prahlte Scholz mit der größten deutschen Rüstungsoffensive seit den Nazis. Berlin werde „dauerhaft zwei Prozent seiner Wirtschaftsleistung für Verteidigung ausgeben. Wir haben entschieden, dass wir ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro auf den Weg bringen, um diesen Prozess voranzubringen und auch eine neu strukturierte Verteidigungsfähigkeit Deutschlands zustande zu bringen“, erklärte er. Deutschland habe bereits „eine sehr große konventionelle Armee in Europa“ und „wenn wir diese entsprechende massive Stärkung unserer Bundeswehr vornehmen, dann wird das natürlich auch gute Auswirkungen auf die Verteidigungsfähigkeit ganz Europas haben.“
Macron unterstützte die deutsche Aufrüstung. „Deutschland hat gerade strukturierende Entscheidungen getroffen, die ich ausdrücklich begrüße“. Gleichzeitig präsentierte er eigene Pläne, um Europa schlagkräftiger zu machen, die wiederum von Scholz unterstützt wurden. Um Europa „die richtige politische und geopolitische Form“ zu geben, plädiert Macron für die Bildung „einer europäischen politischen Gemeinschaft“. Neben Großbritannien, das am 31. Januar 2020 die EU verlassen hatte, nannte Macron auch die Länder des Westbalkans und die Ukraine als mögliche Mitglieder.
In Bezug auf die EU sprach sich Macron für die Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips bei EU-Entscheidungen aus. Er schlug vor, in „der öffentlichen Politik, über die wir derzeit noch mit Einstimmigkeit entscheiden, zur qualifizierten Mehrheit“ überzugehen. Dazu gehörten „zum Beispiel auch die Fiskalpolitik oder die Verteidigungspolitik“. Dies würde es der EU ermöglichen, unter den Bedingungen des Kriegs und der eskalierenden Wirtschaftskrise schnellere Entscheidungen über militärische Offensiven und Sparmaßnahmen zu treffen.
Breite Schichten der europäischen Arbeiter sind sich bewusst darüber, dass die skrupellose Kriegspolitik der EU und des gesamten NATO-Bündnisses zu einem Atomkrieg zu eskalieren droht. Eine aktuelle Umfrage ergab, dass 76 Prozent der französischen Bevölkerung über die Gefahr eines Atomkriegs mit Russland besorgt sind. Dennoch sind die EU-Regierungen gewillt, aufzurüsten und den Krieg zu eskalieren, um ihren Anteil an der Beute einer imperialistischen Aufteilung der ehemaligen Sowjetunion zu ergattern.
Unter der Oberfläche bauen sich heftige Spannungen zwischen der deutschen und der französischen herrschenden Klasse auf, vor allem über die Aufteilung der Beute. Während der französischen Präsidentschaftswahlen im vergangenen Monat drohte Macrons rechtsextreme Gegnerin Marine Le Pen mit dem Ende des deutsch-französischen Bündnisses und bezeichnete Deutschland als „das absolute Negativ der französischen strategischen Identität“. Während im Moment alle Anstrengungen unternommen werden, diese Spaltungen zu überspielen, nehmen die Konflikte innerhalb der EU weiter zu.
Die Politik der Europäischen Union beruht vor allem auf einem Angriff gegen die Arbeiterklasse. Frankreich, Deutschland und die anderen EU-Mächte pumpen hunderte Milliarden ins Militär und senden Waffen im Wert von zig Milliarden Euro in die Ukraine. Im Gegenzug wird bei Bildung, Gesundheit und Sozialem gekürzt. Die wachsende Opposition gegen diese Politik bildet die objektive Grundlage für eine Bewegung der europäischen Arbeiterklasse im Kampf gegen die Spar- und Kriegspolitik der EU und für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa.