Perspektive

Die Kanonen vom April

Die Vereinigten Staaten und die europäischen Nato-Mächte haben eine Kette von Ereignissen in Gang gesetzt, die zu einem dritten Weltkrieg führen.

In ihrem berühmten Werk über den Ausbruch des Ersten Weltkriegs, The Guns of August (im Deutschen August 1914), schildert Barbara Tuchman, wie sich Fehleinschätzungen, der allgegenwärtige Glaube an einen kurzen und gewinnbaren Konflikt und unumkehrbare taktische Manöver häuften, als die imperialistischen Mächte die Arbeiter Europas in die Schützengräben und in das Gemetzel des Ersten Weltkriegs zogen.

Eine ähnliche Dynamik entfaltet sich im Nato-Konflikt mit Russland. Mit der Lieferung von Haubitzen und riesigen Waffenmengen der USA und ihrer Verbündeten an die Ukraine dröhnt der Kanonendonner des April.

Mitte März hatte US-Präsident Joe Biden wiederholt erklärt, dass er einen direkten Konflikt zwischen den Vereinigten Staaten und Russland nicht zulassen wird, weil „das den Dritten Weltkrieg bedeuten würde“. Einen Monat später tut die Regierung Biden genau das.

Am Dienstag führten US-Verteidigungsminister Lloyd Austin und Außenminister Antony Blinken den Vorsitz bei einem Treffen der Vertreter von 40 Nationen in einem Kriegsrat, den Washington auf seiner Air Base Ramstein in Deutschland, dem Hauptquartier der US-Luftwaffe in Europa und des Nato-Luftkommandos (AIRCOM) einberufen hatte.

Die beiden hochrangigen US-Vertreter, die gerade von einem Besuch im kriegsgeschüttelten Kiew zurückgekehrt waren, bestätigten, dass in der Ukraine ein Krieg zwischen den USA und der Nato einerseits und Russland andererseits tobt. Austin kündigte an, dass Washington künftig jeden Monat ein vergleichbares internationales Treffen hochrangiger Militärs – er nannte es die Ukraine-Kontaktgruppe – einberufen werde, um den Konflikt mit Russland „zu gewinnen“.

Die Ziele des Kriegs sind inzwischen klar. Das Blutvergießen in der Ukraine wurde nicht provoziert, um das formale Recht des Landes auf einen Nato-Beitritt zu verteidigen. Der Konflikt wurde vielmehr vorbereitet, angezettelt und massiv eskaliert, um Russland als bedeutende Militärmacht zu zerstören und seine Regierung zu stürzen. Die Ukraine ist ein Spielball in diesem Konflikt, und ihre Bevölkerung das Kanonenfutter.

Der Kriegsrat in Ramstein wurde einberufen, um die nächste Stufe dieser Strategie zu planen. Vor und nach dem Treffen kündigten die USA und andere Nato-Mächte die Entsendung moderner Waffen in die Ukraine an, darunter Panzerabwehrraketen, Panzer und taktische Drohnen.

Die Kontaktgruppe, so erklärte Austin, müsse sich „mit der Geschwindigkeit des Kriegs bewegen“. In Übereinstimmung mit dieser Anweisung kündigte Deutschland am Dienstag an, eine nicht näher bezifferte Menge von „Gepard“-Flugabwehrpanzern zu liefern. Kanada gab die Lieferung von gepanzerten Fahrzeugen des Typs M777 bekannt. „Die Differenzierung, die in den ersten Wochen des Kriegs die Lieferung von schweren Waffen limitierte, scheint sich verflüchtigt zu haben“, so das Air Force Magazine.

Auch die Behauptung, die USA und die Nato befänden sich nicht im Krieg mit Russland, hat sich „verflüchtigt“. Der Befehlshaber der US-Armee in Europa, Ben Hodges, erklärte am Sonntag, das Ziel der USA in diesem Konflikt sei es, Russland „das Rückgrat zu brechen“.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow reagierte darauf, indem er die Vereinigten Staaten beschuldigte, sie würden die ukrainische Regierung unter Druck setzen, um die Friedensgespräche zu sabotieren und einen Stellvertreterkrieg in der Ukraine zu führen. Er warnte vor der „ernsten, realen“ Gefahr eines Atomkriegs. Austin wies Lawrows Warnung als „gefährlich und wenig hilfreich“ zurück.

Was für ein Blödsinn! Washington schmiedet eine Kriegsfront und erklärt, es wolle Russland „das Rückgrat brechen“. Wenn Moskau antwortet, dass solche Worte und Ziele die Gefahr eines Atomkriegs erhöhen, erklärt Washington dies für ... wenig hilfreich!

Die Vereinigten Staaten haben deutlich gemacht, dass sie Russland zerschlagen und seine Regierung stürzen wollen. Angesichts einer solchen existenziellen Bedrohung wird die russische Führungsriege den Einsatz von Atomwaffen als taktische Option abwägen. Washington ist entschlossen, den Krieg zu gewinnen; Moskau ist entschlossen, dies zu verhindern. Für beide Seiten gibt es keinen anderen Ausweg als die Eskalation. Lawrow hat in der Tat recht: Ein Atomkrieg ist eine reale und ernste Gefahr.

Die wahren Triebkräfte des Kriegs haben sich im Laufe des Konflikts offenbart. Die USA und die Nato-Mächte haben Russland zum Einmarsch in die Ukraine angestachelt und sich geweigert, über Russlands Forderung nach einer Garantie, die Ukraine nicht in die Nato aufzunehmen, zu verhandeln. Russland bezeichnete seine Intervention als „Spezialoperation“ und signalisierte damit, dass es ein begrenztes, taktisches Manöver zur Stabilisierung seiner Position in der Region beabsichtigte.

Die USA würden eine solche Neuordnung jedoch nicht zulassen und versuchen, Russland entweder in einer zermürbenden Besetzung zu zerreiben oder in die Niederlage zu zwingen. Deshalb arbeitet Washington daran, alle Bemühungen um eine Verhandlungslösung zu unterminieren. Die Rhetorik, mit der die USA ihre Politik rechtfertigen, hat den Konflikt noch verschärft. Biden beschuldigte Putin der Kriegsverbrechen, dann des Völkermords und forderte einen Regimewechsel in Moskau. Jede neue Aussage hatte einen unumkehrbaren, eskalierenden Charakter und war ein weiterer Schlag auf der Kriegstrommel. 

Trotz der massiven und zunehmenden militärischen Aufrüstung der Ukraine – allein Washington hat seit Kriegsbeginn Waffen im Wert von mehr als 3,7 Milliarden Dollar geliefert – ist es dem Regime in Kiew nicht gelungen, Russland eine entscheidende Niederlage beizubringen. Aus der Sicht der USA und der Nato besteht die Gefahr, dass Russland seine Kontrolle über die Ostukraine und die Schwarzmeerküste festigen kann. Wenn die ukrainischen Streitkräfte nicht vorrücken, verlagert sich der Vorteil, zumindest aus militärischer Sicht, auf Russland.

Die Entwicklung des Konflikts, der im Oval Office in Gang gesetzt und im Kreml beraten wird, liegt zunehmend in den Händen von Militärs und erreicht einen Punkt, an dem es kein Zurück mehr gibt. Eine entscheidende Niederlage Russlands in dem Konflikt erfordert die immer direktere Einbindung der Nato-Mächte selbst, bis hin zur Entsendung von Truppen.

Mit ihren Waffenlieferungen, weitreichenden Erklärungen und Kriegsräten haben die Vereinigten Staaten ihr ganzes Gewicht auf eine Niederlage Russlands in diesem Konflikt gesetzt. „Es steht mehr auf dem Spiel als die Ukraine und sogar mehr als Europa“, erklärte Austin am Dienstag. Das Schicksal der amerikanischen Hegemonialstellung, einschließlich der Glaubwürdigkeit der US-Drohungen gegen China, steht auf dem Spiel. Die rücksichtslosen Entscheidungen Washingtons treiben die Logik der Eskalationsspirale weiter an.

Die USA ziehen die europäischen Großmächte hinter sich her und bauen mit der Überheblichkeit eines Imperiums ihre Kriegsfront in Europa auf. Großbritannien ist bei jedem Eskalationsschritt ein enger Komplize, Deutschland und Frankreich übernehmen die ihnen zugedachte Rolle. Washington versammelt die militärischen Verschwörer auf einem US-Luftwaffenstützpunkt in Deutschland, dem Land, das einst mit der „Operation Barbarossa“ den Vernichtungsfeldzug gegen die Sowjetunion begann, und plant den Krieg gegen Russland, wobei es Deutschland quasi als Zuschauer behandelt.

Die Führer der imperialistischen Mächte, allen voran die USA, gehen mit einer Skrupellosigkeit vor, die an kriminellem Wahnsinn grenzt. Aber es ist eine Skrupellosigkeit, die sich aus den Klasseninteressen und der Logik der kapitalistischen Krise ergibt. Hinter der Eskalation des Konflikts stehen nicht nur geopolitische Interessen, sondern vor allem die unlösbare wirtschaftliche, soziale und politische Krise in allen großen kapitalistischen Ländern, besonders in den USA.

Wie im Ersten Weltkrieg geben dieselben Widersprüche, die zu einem imperialistischen Krieg führen, auch den Anstoß für die sozialistische Weltrevolution. Noch während sich der Krieg entwickelt, brechen überall auf der Welt Massenproteste und Kämpfe der Arbeiterklasse aus, angetrieben durch die steigende Inflation und die beispiellose soziale Ungleichheit.

Die Pläne für den Weltkrieg werden allesamt hinter dem Rücken der Bevölkerung umgesetzt. Die Arbeiter müssen vor der Gefahr gewarnt werden und die wachsenden Proteste auf der ganzen Welt mit dem Kampf gegen den imperialistischen Krieg und das kapitalistische Nationalstaatensystem verbinden.

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