Dies ist der erste Teil einer zweiteiligen Serie.
Die Biden-Regierung und die amerikanischen bürgerlichen Medien stellen die Konfrontation zwischen den US-Nato-Streitkräften und Russland ausschließlich als Ergebnis des russischen Einmarschs in der Ukraine dar. Dieser wiederum wird auf die dämonischen Absichten eines einzigen Mannes zurückgeführt: Russlands Präsident Wladimir Putin.
So wird der russisch-ukrainische Krieg aus seinem historischen Kontext herausgelöst. Vor allem aber wird die Rolle des amerikanischen Imperialismus verschleiert, der den Konflikt vorbereitet und bewusst angezettelt hat. Der reaktionäre Krieg wird nun genutzt, um den Eindruck zu erwecken, in der Bevölkerung gäbe es Unterstützung für die Ziele der USA und der Nato. Diese bereiten sich seit langem darauf vor, das Putin-Regime zu stürzen, Russland zu zerstückeln und das Land auf einen halbkolonialen Status hinabzudrücken.
Die Demokratische Partei hat in der über zehnjährigen Anti-Russland-Kampagne die zentrale Rolle gespielt. Dieser Artikel untersucht ihre Rolle insbesondere seit dem Amtsantritt der Obama-Biden-Regierung im Jahr 2009. Er nimmt keine nachträgliche Bewertung vor, sondern stützt sich in hohem Maße auf die aktuellen Analysen der World Socialist Web Site während der Ereignisse. Sie dokumentieren, wie die Demokraten die Politik der herrschenden Klasse der USA und ihrer nationalen Sicherheitsstrategen umgesetzt, und wie direkte Agenten des Militär- und Geheimdienstapparats die Kontrolle über die Partei übernommen haben.
Die Auflösung der UdSSR und der Bürgerkrieg in Jugoslawien
In den ersten Phasen des Zusammenbruchs und Zerfalls der Sowjetunion waren sich die beiden großen kapitalistischen Parteien in den Vereinigten Staaten einig, welche Politik in dieser riesigen Weltregion zu verfolgen sei. Die Aufspaltung der UdSSR wurde, wenn auch mit einer gewissen Zurückhaltung, vorangetrieben, um die besten Bedingungen für die amerikanischen Konzerne und Banken zu schaffen und die globale Vormachtstellung der USA in dieser Situation zu festigen, die die einen als „unipolarer Moment“, die anderen als „Ende der Geschichte“ definierten.
So ordnete George H. W. Bush zwar die massive militärische Mobilmachung an, die zur raschen Vernichtung der irakischen Armee im Golfkrieg von 1991 führte, nutzte aber diesen Vorteil nicht aus, um, wie ihm einige seiner Berater rieten, in den Irak einzumarschieren und Saddam Hussein zu stürzen. Bush wollte keine Reaktion Moskaus provozieren, um den fortschreitenden Zusammenbruch des sowjetischen Regimes nicht zu verzögern.
Bush begrüßte auch nicht von Anfang an die sofortige Abspaltung verschiedener Teilrepubliken von der UdSSR. Er wollte die Verteilung der sowjetischen Atomwaffenbestände, die physisch auf die vier Republiken Russland, die Ukraine, Kasachstan und Belarus verteilt waren, möglichst eingrenzen. Die Ukraine und Kasachstan besaßen das dritt- und viertgrößte Atomwaffenarsenal der Welt, größer als das Chinas, Frankreichs oder Großbritanniens, auch wenn Moskau die Abschusscodes kontrollierte. Im Lissabonner Protokoll zum START-Vertrag von 1992, das in einer Hotelbar unter Federführung des amerikanischen Außenministers James Baker unterzeichnet wurde, erklärten sich die drei anderen Republiken bereit, ihre Atomwaffen an Russland abzugeben.
Nach der Ratifizierung durch die Regierungen wurden 1994 getrennte Abkommen unterzeichnet (zusammen bekannt als Budapester Memorandum), in denen Weißrussland, Kasachstan und die Ukraine förmlich zustimmten, gegen finanzielle Hilfen und bestimmte Sicherheitsgarantien seitens des Westens wie auch Russlands ihre Atomwaffen an Russland abzugeben. Neben den Vereinigten Staaten war auch Großbritannien Unterzeichner des Abkommens. Die anschließende Umsetzung der Abkommen zog sich in die Länge und war erst 1996 abgeschlossen.
In dieser Zeit entwickelte sich die US-Außenpolitik, Russland betreffend, entlang der verteidigungspolitischen Leitlinien von 1992. Darin hieß es: „Unser erstes Ziel ist es, das Aufkommen eines neuen Rivalen zu verhindern, sei es auf dem Territorium der ehemaligen Sowjetunion oder anderswo, der eine ähnliche Bedrohung wie die frühere Sowjetunion darstellen würde. Dies ist eine der wichtigsten Überlegungen, die unserer neuen regionalen Verteidigungsstrategie zugrunde liegen. Diese erfordert, dass wir jede feindliche Macht daran hindern müssen, eine Region zu dominieren, deren Ressourcen, wenn im Besitz einer einzelnen Macht, ausreichen würden, den Status einer Weltmacht zu erlangen.“
Die ersten bedeutenden Meinungsverschiedenheiten über die Russlandpolitik traten im Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg in Jugoslawien auf, und die Demokraten nahmen darin die aggressivere Haltung ein. Der Jugoslawienkrieg war 1991 dadurch ausgelöst worden, dass Deutschland die abtrünnigen Regime in den Teilrepubliken des jugoslawischen Bundesstaats, zunächst Slowenien und dann Kroatien, anerkannte. Diese Unabhängigkeitserklärungen führten dazu, dass große Teile der serbischen Bevölkerung, der größten ethnischen Gruppe, in den neuen Staaten, die sich nach ethnischer Zugehörigkeit definierten, plötzlich zu Minderheiten wurden.
Es folgten Kriege zwischen Slowenien und der Bundesregierung in Belgrad, innerhalb Kroatiens und schließlich innerhalb Bosnien-Herzegowinas, wo keine ethnische Gruppe die Mehrheit bildete, obwohl die muslimischen Bosnier die größte Gruppe waren, gefolgt von Serben und Kroaten. Die Bevölkerung war zuvor völlig im wirtschaftlichen und sozialen Leben des jugoslawischen Staats integriert und durch zahlreiche Mischehen verbunden. Und so war die nationalistische Perspektive jeglicher ethnisch orientierter bürgerlicher Gruppierung vollkommen bankrott und reaktionär.
Die USA und die Nato intervenierten aufseiten der antiserbischen Fraktionen, indem sie die kroatische Regierung in einem faschistischen Krieg gegen die serbische Minderheit unterstützten und sich auf die Seite der muslimisch dominierten Regierung in Bosnien stellten. Dies gipfelte 1999 in der Flächenbombardierung Serbiens. Zuvor hatte die CIA den Aufstand im Kosovo unterstützt, der von der Kosovo-Befreiungsarmee angeführt wurde, einer albanischen nationalistischen Gruppierung, die mit Drogenhandel und offenem Gangstertum in Verbindung stand.
Russland war mit dem serbischen Regime von Slobodan Milosevic verbündet. Der Nato-Luftkrieg gegen Serbien, bei dem auch die chinesische Botschaft in Belgrad bombardiert wurde, gipfelte in einer Konfrontation zwischen US-amerikanischen und russischen Streitkräften auf dem Flughafen von Pristina im Kosovo, die sich zu einer offenen militärischen Auseinandersetzung auszuweiten drohte, bevor sie in letzter Minute abgewendet werden konnte.
Die Clinton-Regierung verfolgte ihre aggressive Politik, insbesondere in Bezug auf den Kosovo, ohne große Unterstützung der Republikanischen Partei, mit Ausnahme der Falken-Fraktion unter Führung von Senator John McCain. Clinton war nicht in der Lage, eine Resolution durch den Kongress zu bringen, die ein militärisches Vorgehen der USA befürwortete, das stattdessen nun im Rahmen der Nato durchgeführt werden musste. Die Unterstützung für einen US-Militäreinsatz in der Nachkriegszeit im Rahmen einer „Friedenstruppe“ wurde nur mit knapper Mehrheit angenommen.
Afghanistan, Irak und die orangene Revolution
Die offizielle US-Außenpolitik gegenüber Russland änderte sich erst wesentlich, als George W. Bush, der Sohn von George H. W. Bush, Präsident wurde. Unter dem Vorwand der Terroranschläge vom 11. September 2001 ordnete Bush die US-Invasion und Besetzung Afghanistans an. In seiner ersten Rede zur Lage der Nation erläuterte er dann die Doktrin des Präventivkriegs (der nach den Prinzipien der Nürnberger Prozesse nach dem Zweiten Weltkrieg rechtswidrig ist), die einseitige Angriffe der USA auf Länder rechtfertigt, welche von den USA als 'potenzielle' Bedrohung eingestuft werden.
Die ersten Ziele, von Bush als „Achse des Bösen“ tituliert, waren der Irak, der Iran und Nordkorea, später kamen Syrien und Libyen hinzu. Alle diese Regierungen unterhielten nicht zufällig enge Beziehungen mit Russland, in einigen Fällen waren sie sogar direkte Bündnispartner Russlands.
Eine neue Nationale Sicherheitsstrategie der USA, die am 17. September 2002 bekanntgegeben wurde, machte diese neue Doktrin zu geltendem Recht. Sie bildete die Grundlage für die vom Kongress im Herbst 2002 verabschiedete Ermächtigung zum Einsatz militärischer Gewalt (Authorization for the Use of Military Force, AUMF). Die Demokraten im Kongress waren über die AUMF gespalten, aber maßgebliche außenpolitische Führer, darunter Joe Biden, der Vorsitzende des Senatsausschusses für auswärtige Beziehungen, und Richard Gephardt, der Minderheitenführer im Repräsentantenhaus, sorgten für genügend demokratische Stimmen, um die Verabschiedung der Resolution zu gewährleisten, die den rechtlichen Rahmen für die bevorstehende US-Invasion des Irak bildete.
Nach der Eroberung des Irak wurden die Spaltungen innerhalb der Demokratischen Partei schnell ad acta gelegt. Die Demokraten führten ihren Präsidentschaftswahlkampf 2004 als Kriegspartei. Sie nominierten Senator John Kerry, der für wirksamere Maßnahmen zur Unterdrückung des irakischen Widerstands eintrat, zu ihrem Präsidentschaftskandidaten und booteten nominelle Kriegsgegner wie Howard Dean aus.
Als im Dezember 2004 in der Ukraine die „orangene Revolution“ stattfand - die Abwahl des pro-russischen Präsidentschaftskandidaten Viktor Janukowitsch und der Sieg des pro-EU- und pro-US-Kandidaten Viktor Juschtschenko im dritten Wahlgang – begrüßte das politische Establishment der USA dies als Triumph der Demokratie
Doch das neue Regime versank schnell in einem Sumpf aus Korruption und Fraktionskämpfen zwischen rivalisierenden Gruppen von kapitalistischen Oligarchen, die alle von der Privatisierung der von der ehemaligen Sowjetunion hinterlassenen Vermögenswerte profitieren wollten. Die Ukraine war die zweitgrößte Teilrepublik der UdSSR und verfügte über reiche landwirtschaftliche Ressourcen sowie eine bedeutende industrielle und öffentliche Infrastruktur. Es gab viel zu plündern.
Das Debakel im Irak und der laufende Besatzungskrieg in Afghanistan nahmen die Bush-Regierung stark in Anspruch. Sie versäumte es, die Chance zu nutzen, die ihr der Wahlsieg Juschtschenkos bot. Teile der Republikanischen Partei, zum Beispiel der ehemalige Präsidentschaftskandidat Bob Dole und der frühere Parteivorsitzende Paul Manafort (der spätere Wahlkampfleiter von Donald Trump), wurden sogar zu Lobbyisten und politischen Beratern für Janukowitsch oder die Milliardäre, die seine Partei der Regionen finanzierten und unterstützten, die vor allem in der überwiegend russischsprachigen Osthälfte des Landes ansässig ist.
Die Bush-Regierung versuchte, den Krieg zwischen Russland und Georgien im Jahr 2008 zum Anlass für eine groß angelegte antirussische Kampagne zu nehmen. Außenministerin Condoleezza Rice sollte die führende Rolle dabei spielen, wie eine WSWS-Analyse vom August 2008 darlegte. Doch dieses Projekt wurde plötzlich vom Ausbruch der globalen Finanzkrise mit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers am 15. September 2008 überschattet und schließlich auf Eis gelegt.
Die Bewältigung der Finanzkrise, die Abwicklung des Irakkriegs und das Eingreifen in die plötzlichen Aufstände des „Arabischen Frühlings“ im Jahr 2011, die in der Bombardierung Libyens durch die US-Nato und dem Bürgerkrieg in Syrien gipfelten, beschäftigten die neue Obama-Biden-Regierung in den nächsten Jahren. Ein wichtiges Betätigungsfeld war auch die massive Eskalation des US-Krieges in Afghanistan, für den Obama mehr als 100.000 Soldaten abstellte. Diese gewaltige Truppenstärke erforderte eine enorme logistische Unterstützung, wobei viele Lieferungen mit Zustimmung der Putin-Regierung über die russische Eisenbahn ins Landesinnere transportiert wurden.
Im Januar 2009 eröffnete die Obama-Regierung die „Nordroute“, die eine Zeit lang viel stärker genutzt wurde als die viel kürzere und direktere Route durch Pakistan. Besonders in den Jahren 2011 und 2012, als Pakistan als Reaktion auf die Tötung pakistanischer Bürger durch US-Drohnenangriffe die Lieferungen nach Afghanistan monatelang einstellte, erwies sich das als besonders wichtig.
Moskau erlaubte sogar die Nutzung des russischen Luftraums für den Transit von US-Soldaten und Waffen nach Afghanistan. Im März 2012 wurden Pläne für ein Nato-Transitzentrum auf einem Luftwaffenstützpunkt in Uljanowsk an der Wolga bekanntgegeben. Am 25. Juni 2012 erließ die russische Regierung einen förmlichen Erlass, der der Nato die Nutzung des Luftwaffenstützpunkts gestattete. Das löste Proteste aus, da die Stadt der Geburtsort von Wladimir Lenin, dem Führer der Oktoberrevolution ist. In der Sowjetunion wurde die Stadt nach Lenin umbenannt (er wurde 1870 als Wladimir Iljitsch Uljanow in Simbirsk, einer Provinzstadt des Zarenreichs, geboren).
Um dieses De-facto-Bündnis mit Moskau aufrechtzuerhalten, akzeptierte die Obama-Regierung den Sieg von Janukowitsch bei den Präsidentschaftswahlen 2010. In der ersten Runde schied Amtsinhaber Viktor Juschtschenko mit demütigenden fünf Prozent der Stimmen aus, worin die weit verbreitete Enttäuschung über die marktorientierte Politik der „Orangenen Revolution“ zum Ausdruck kam. In der zweiten Runde besiegte Janukowitsch die Kandidatin der ukrainischen Nationalisten, Julia Timoschenko, mit drei Prozentpunkten Vorsprung. Die Wahl wurde von internationalen Beobachtern als fair eingestuft. Die neue Regierung zog den Antrag der Ukraine auf Aufnahme in die Nato rasch zurück und unterzeichnete mit Russland ein Abkommen über die Verlängerung des Pachtvertrags für den Marinestützpunkt Sewastopol, dem zentralen Sitz der Schwarzmeerflotte, um weitere 25 Jahre.
Dies waren die Umstände, unter denen Obama dem republikanischen Präsidentschaftskandidaten Mitt Romney während einer Debatte im Jahr 2012 spöttisch antwortete, nachdem Romney nicht den Terror von Al-Qaida, sondern Russland zur Hauptbedrohung für die Vereinigten Staaten erklärt hatte. „Die 1980er Jahre rufen jetzt an, um ihre Außenpolitik zurückzufordern“, spottete Obama, „denn der Kalte Krieg ist seit 20 Jahren vorbei.“
In Wahrheit sprach Romney nur öffentlich die Schlussfolgerung aus, die die CIA und das Pentagon nach dem strategischen Debakel der US-Politik in der Ukraine bereits gezogen hatten. Obama schloss sich dieser Erkenntnis voll und ganz an, aber er versuchte, dies vor der amerikanischen Öffentlichkeit zu verbergen, während Washington einen Gegenschlag vorbereitete.
Die Maidan-„Revolution“ – ein rechter Putsch
Den Anlass für einen radikalen Politikwechsel bot die russische Intervention im syrischen Bürgerkrieg. Moskau war seit langem mit dem Assad-Regime verbündet, das Russland die Marinebasis in Tartus angeboten hatte, die der einzige Militärstützpunkt Russlands außerhalb der ehemaligen Sowjetunion wurde. Russland leistete Syrien umfangreiche Militärhilfe, stellte aber kein Personal. Derweil verstärkte sich der von den USA unterstützte Aufstand und mobilisierte mit Al-Qaida verbundene Kräfte, darunter auch islamistische Kämpfer, die von der CIA aus Libyen ins Land geschleust worden waren, wo sie dem Imperialismus beim Sturz des Gaddafi-Regimes 2011 als Bodentruppen gedient hatten.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Obama hatte den Einsatz von Chemiewaffen in Syrien zu einer „roten Linie“ erklärt, die ein militärisches Eingreifen der USA gegen Assad rechtfertigen würde. Ein Zwischenfall im August 2013, wahrscheinlich von der CIA inszeniert, lieferte den nötigen Vorwand. Aber Obama hatte die Heimatfront nicht hinter sich. Seine Gegner in der Republikanischen Partei, die das Repräsentantenhaus kontrollierten, blockierten eine Abstimmung über eine Ermächtigung zur Anwendung militärischer Gewalt, ähnlich wie vor den Kriegen in Afghanistan und im Irak, und Obamas Drohungen folgten keine Taten. Putin schaltete sich ein und bot einen diplomatischen Ausweg an. Obama nahm das russische Angebot an, alle chemischen Waffen in Syrien in Verwahrung zu nehmen und aus dem Land zu entfernen.
Dieser demütigende öffentliche Rückzieher spornte die Bestrebungen der USA, Russland zu untergraben und zu schwächen, weiter an, wie sich schon bald zeigen sollte. Im November 2013 kündigte der ukrainische Präsident Janukowitsch an, dass seine Regierung nicht länger die Mitgliedschaft in der Europäischen Union anstrebe und stattdessen der von Russland gegründeten Zollunion beitreten werde. In Kiew kam es sofort zu Protesten von EU-freundlichen Teilen der Mittelschicht, die von offen faschistischen Kräften wie der Svoboda-Partei und dem Rechten Sektor angeheizt wurden und schließlich unter ihre Kontrolle kamen.
Diese Gruppen verfügten über wenig Rückhalt in der Bevölkerung, hatten aber von den Vereinigten Staaten und anderen imperialistischen Mächten massive finanzielle Unterstützung erhalten. In einem Telefonat, das Anfang Februar von Russland abgehört und veröffentlicht wurde, konnte man hören, wie die Mitarbeiterin des US-Außenministeriums, Victoria Nuland, damit prahlte, dass die Obama-Regierung jährlich 1 Milliarde Dollar für Regimewechseloperationen in der Ukraine ausgibt.
Die Protestdemonstrationen auf dem zentralen Platz in Kiew (Maidan) wurden immer größer und die Feindseligkeit gegenüber dem Janukowitsch-Regime nahm zu. Als das Regime gegen die Demonstranten vorging, reagierten die USA und die EU mit der Androhung von Wirtschaftssanktionen.
Am 22. Februar ergriff die rechte Opposition die Macht und Janukowitsch floh aus Kiew ins russische Exil. Die WSWS bezeichnete den Euromaidan als ein „von Faschisten geführter Putsch“, während die westlichen Medien ihn als demokratische Revolution feierten. Das neue Regime zeigte seinen wahren Charakter, als es die ukrainische Sprache sofort zur alleinigen Landessprache erklärte, obwohl 20 Prozent der Bevölkerung hauptsächlich Russisch sprechen. Der Oberrabbiner von Kiew forderte die Juden auf, die Stadt zu verlassen, da Neonazis bei den Maidan-Unruhen eine wichtige Rolle spielten.
Als Reaktion auf den Putsch in Russland wurden militärische Kräfte mobilisiert, insbesondere an den Grenzen der Ostukraine und der Halbinsel Krim, wo russischsprachige Menschen die Mehrheit darstellen. Am 28. Februar übernahmen prorussische Milizionäre die Kontrolle über die Krim, ihnen folgten schon bald russische Truppen. (Die Halbinsel Krim, auf der sich der wichtigste Marinestützpunkt am Schwarzen Meer befindet, war 1954 von Nikita Chruschtschow an die Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik übergeben worden; bis dahin war sie Teil der SFSR (Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik) gewesen. Sowohl Russland als auch die Ukraine waren damals Teilrepubliken der Sowjetunion).
Am 3. März veröffentlichte das Internationale Komitee der Vierten Internationale eine Erklärung zum Staatsstreich in der Ukraine und der sich zuspitzenden Konfrontation zwischen den Nato-Mächten und Russland. Die Erklärung konzentrierte sich zunächst auf das russische Vorgehen auf der Krim. Das IKVI warnte, dass die imperialistischen Mächte Russland zwar direkt bedrohten, die Reaktion des Putin-Regimes, das Produkt und auch Motor der kapitalistischen Restauration in Russland ist, jedoch politisch bankrott sei. Das IKVI schrieb:
Mit den Ereignissen in der Ukraine erlebt die Welt die katastrophalen Folgen der Auflösung der UdSSR im Jahr 1991. Sie sind Ergebnis der nationalistischen Politik, die das stalinistische Regime verfolgt hat. Sie hatte der sowjetischen Arbeiterklasse die politische Macht entrissen und das Programm der sozialistischen Weltrevolution verworfen, auf dem die Oktoberrevolution beruhte.
Man sollte sich Trotzkis Warnungen ins Gedächtnis rufen, die Auflösung der Sowjetunion werde dazu führen, Russland auf den Status einer Halbkolonie herunterzudrücken. Trotzki hat sich in den 1930er Jahren, als das stalinistische Regime Terror gegen alle Sozialisten organisierte, für eine unabhängige sowjetische Ukraine ausgesprochen. Er hat betont, eine Unabhängigkeit auf bürgerlicher Grundlage würde zu reaktionären Folgen führen. Eine bürgerliche Ukraine wäre außerdem nichts anderes als ein Spielball der diversen imperialistischen Mächte. So war es damals, so ist es auch heute.
Das Putschistenregime in Kiew begann, ein immer rechteres Programm umzusetzen, indem es drastische Sparmaßnahmen gegen die ukrainische Arbeiterklasse durchführte und mit Massakern drohte, als diese Maßnahmen Proteste in der Ostukraine auslösten, die enge wirtschaftliche Beziehungen zu Russland unterhält, und deren Bevölkerung großenteils russisch spricht.
Inmitten dieser Ereignisse suchte sich der milliardenschwere Oligarch, der das ukrainische Gasunternehmen Burisma kontrolliert, ein ehemaliger Beamter des Janukowitsch-Regimes, die Gunst der USA zu sichern, indem er den Sohn des US-Vizepräsidenten, Hunter Biden, für einen lukrativen Posten im Verwaltungsrat des Unternehmens anheuerte. Die Geldgier des jüngeren Biden war Teil eines „Goldrausches“ in Richtung Kiew, als Geschäftemacher, Waffenhändler und politische Scharlatane aller Art in die Ukraine strömten, in der Hoffnung, von dem neuen Regime, das die Unterstützung der USA genoss, zu profitieren.
Nachdem die ukrainische Regierung grünes Licht aus Washington erhalten hatte, startete sie einen militärischen Angriff in der Ostukraine, angeführt von faschistischen Elementen wie dem Rechten Sektor und der Asow-Brigade. Die WSWS verurteilte die zunehmenden Luftangriffe und den Artilleriebeschuss von Donezk, der Hauptstadt der abtrünnigen Region, und erklärte:
„Zum ersten Mal seit die Nato vor fünfzehn Jahren Belgrad bombardierte, wird mit Donezk wieder eine europäische Millionenstadt mit schweren Waffen beschossen.“ Die amerikanischen Medien, die heute das Leid der Bevölkerung in Kiew, Charkiw und Mariupol beklagen, schwiegen über die Verwüstungen in Donezk.
Wieder einmal störten unvorhergesehene Entwicklungen die Konzentration des amerikanischen Imperialismus auf die Entwicklungen in der ehemaligen Sowjetunion. Im Juli 2014 änderte der von Saudi-Arabien finanzierte Ableger von Al-Qaida, der Islamische Staat im Irak und in Syrien (ISIS), der zu einem bedeutenden Faktor im von den USA unterstützten Bürgerkrieg gegen das Assad-Regime geworden war, abrupt die Richtung seiner militärischen Operationen. ISIS überquerte die Grenze zum Irak, schlug die Streitkräfte Bagdads in die Flucht, übernahm die Kontrolle über das gesamte westliche Drittel des Irak, dessen Bevölkerung vorwiegend sunnitisch ist, und eroberte Mosul, die zweitgrößte Stadt des Irak. Das drohende Scheitern des jahrzehntelang verfolgten Projekts, ein US-Marionettenregime im Irak zu errichten, zwang die Obama-Regierung, sich wieder auf den Nahen Osten zu konzentrieren. Truppen und Nachschub wurden in den Irak gebracht und die mit dem Iran verbündeten schiitischen Milizen bewaffnet, um ISIS zu bekämpfen. Die Ukraine wurde erst einmal zurückgestellt.
Wird fortgesetzt.