Die USA und ihre Verbündeten unternehmen erneut einen großangelegten Versuch, den Stellvertreterkrieg der Nato gegen Russland zu eskalieren. Die Biden-Regierung nutzt die Behauptungen der Ukraine über ein Massaker russischer Streitkräfte im Kiewer Vorort Butscha, um eine neue Runde von Sanktionen zu verhängen und die Friedensverhandlungen untergraben.
„Ich wurde kritisiert, weil ich Putin einen Kriegsverbrecher genannt habe“, sagte US-Präsident Joe Biden am Montag. „Nun, die Wahrheit ist, dass Sie gesehen haben, was in Butscha passiert ist. Er ist ein Kriegsverbrecher.“ Biden fügte hinzu: „Wir müssen die Ukraine weiterhin mit den Waffen versorgen, die sie braucht, um zu kämpfen.“
Die amerikanische Regierung und die Medien gehen nach dem Prinzip vor: erst das Ergebnis, dann die Untersuchung. Biden, der sich mehr als ein Jahr nach dem Putschversuch vom 6. Januar nicht entscheiden kann, ob Trump sich eines Verbrechens schuldig gemacht hat, meint schon jetzt zu wissen, dass der russische Präsident Wladimir Putin „Kriegsverbrechen“ in Butscha begangen hat.
Die Tatsachen belegen diese Schlussfolgerung aber nicht. Der Abzug russischer Truppen aus Butscha folgte unmittelbar nachdem der Kreml bei den Friedensverhandlungen am vergangenen Dienstag versprochen hatte, seine Streitkräfte in der Region Kiew drastisch zu reduzieren. Tagelang wurden keine hohen Opferzahlen unter der Zivilbevölkerung gemeldet. Am Samstag kamen die ukrainischen Truppen – darunter auch Mitglieder des rechtsextremen Asow-Bataillons – in die Stadt, woraufhin in der westlichen Presse eine Flut von Berichten über angebliche Gräueltaten erschien.
Die überall präsentierten Bilder zeigen nur, dass Leichen gefunden wurden, aber nicht, wer wen wann und unter welchen Umständen getötet hat. Während Videobeweise für die Hinrichtung und Folter unbewaffneter Menschen durch ukrainische Soldaten aufgetaucht sind, gibt es keine vergleichbaren Beweise für die russische Armee.
Angesichts der systematischen Propagierung von Falschmeldungen über Gräueltaten durch die USA, um Kriege auf der ganzen Welt zu rechtfertigen, und in Ermangelung eindeutiger und überzeugender Beweise gibt es keinen Grund, die Behauptungen über ein Massaker in Butscha als etwas anderes als Kriegspropaganda zu betrachten, die darauf abzielt, die Bevölkerung aufzuhetzen, um eine militärische Eskalation zu rechtfertigen.
Selbst wenn feststünde, dass russische Truppen auf Zivilisten geschossen haben – und das ist nicht erwiesen – würde das nicht bedeuten, dass sie auf Anweisung der russischen Regierung gehandelt haben.
In den vergangenen 30 Jahren endloser Kriege – und man kann natürlich noch weiter zurückgehen – hat das amerikanische Militär unzählige Gräueltaten begangen: Erschießungen von Zivilisten, Drohnenangriffe auf Hochzeitsgesellschaften, Luftangriffe auf Krankenhäuser, Massaker ganzer Städte. Muss man angesichts der allgemeinen Amnesie noch einmal daran erinnern, dass die Vereinigten Staaten Gefangene in Abu Ghraib auf barbarische Weise gefoltert haben und anschließend versuchten, die Beweise zu vernichten? Oder dass sie aus diesem und vielen anderen Gründen nicht einmal den Internationalen Strafgerichtshof anerkennen, obwohl sie fordern, dass ihre Gegner dort vor Gericht gestellt werden?
Wenn die amerikanischen Medien ab und an die US-Verbrechen einräumen, dann immer mit dem Zusatz, es handele sich um Fehler oder Einzelfälle. Kein führender Vertreter wurde jemals strafrechtlich verfolgt. Doch jetzt wird aufgrund einiger weniger Fotos bereits der Schluss gezogen, dass Putin sich Kriegsverbrechen, ja sogar „Völkermord“ schuldig gemacht hat. Warum sitzen gemäß dieser Logik nicht alle amerikanischen Präsidenten, einschließlich Biden, hinter Gittern?
Neben dieser offensichtlichen Heuchelei gibt es noch eine rechtliche Frage, die bei der Bewertung der widersprüchlichen Anschuldigungen der Vereinigten Staaten und Russland herangezogen werden muss: „Cui bono?“
Wer profitiert von der Verschärfung des Kriegs? Hier lautet die Antwort eindeutig: die amerikanische Regierung. Bidens fast beiläufig geäußerte Schlussfolgerung, dass es sich um Kriegsverbrechen handelt, soll Friedensverhandlungen ausschließen. Die USA wollen nicht, dass der Krieg beendet wird. Bidens Erklärung in Warschau letzten Monat, dass Putin „nicht an der Macht bleiben kann“, war kein Fauxpas, wie von den US-Medien dargestellt, sondern Ausdruck der tatsächlichen US-Politik gegenüber Russland, die auf einen Regimewechsel abzielt.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
All dies geschieht inmitten einer Medienkampagne, die fordert, dass der Krieg „gewonnen“ werden muss. In einem am Dienstag veröffentlichten Artikel erklärte der Kolumnist der Financial Times, Janan Ganesh: „Amerika wird der ultimative ‚Gewinner‘ der Ukraine-Krise sein.“ Der Economist hat seinerseits zu einem „entscheidenden Sieg“ gegen Russland in der Ukraine aufgerufen.
Die Behauptung von Gräueltaten ist ein wesentliches Element der amerikanischen Kriegspropaganda. Alle brutalen Kriege, die die USA angezettelt haben, wurden mit angeblichen Gräueltaten durch die Zielländer ihrer Militärintervention begründet. Ob im ersten Golfkrieg, in Afghanistan, Syrien oder Libyen, immer ist das Drehbuch dasselbe: Die Regierung des Landes, das von Washington ins Visier genommen wird, hat Zivilisten ermordet und droht, noch mehr Menschen zu töten, wenn die USA nicht eingreifen.
Wenn dann die US-Intervention zu einem Massenmord an der Zivilbevölkerung in noch größerem Ausmaß in dem „geretteten“ Land führt, geht die Presse einfach dazu über, atemlos über die „Gräueltaten“ der nächsten Zielobjekte des US-Imperialismus zu berichten.
Neben der Eskalation des Konflikts gegen Russland nutzt die US-Regierung die antirussische Kriegshysterie in den oberen Mittelschichten auch, um eine massive militärische Aufrüstung voranzutreiben, deren ultimatives Ziel nicht nur Russland, sondern auch China ist. Am Dienstag kündigte das Weiße Haus eine Vereinbarung des AUKUS-Bündnisses (Australien, Großbritannien und USA) über die Herstellung einer neuen Generation von Atomwaffen an, die gegen China gerichtet sind.
Unter diesen Bedingungen ist es notwendig, sich nicht von der Flut der Kriegspropaganda in den Medien mitreißen zu lassen. Die Vereinigten Staaten haben diesen Krieg angezettelt und die russische Regierung zu einem reaktionären und verzweifelten Einmarsch in die Ukraine provoziert. Die amerikanische herrschende Klasse, getrieben von geopolitischen Interessen und einer sich verschärfenden wirtschaftlichen, sozialen und politischen Krise, hat den Konflikt begonnen und ist entschlossen, ihn bis zum Ende zu führen, ungeachtet der katastrophalen Folgen.
Ein zentrales Ziel der US-Kriegsanstrengungen ist die Arbeiterklasse im eigenen Land, von der abverlangt wird, ihre sozialen Interessen im Namen der Kriegsanstrengungen zu opfern. Die Arbeiter müssen sich sowohl gegen die katastrophale Invasion Russlands als auch gegen die Kriegstreiberei der USA und der Nato wenden und eine Antikriegsbewegung über nationale Grenzen hinweg aufbauen, die sich gegen das kapitalistische System, die Wurzel für Krieg und Ungleichheit, richtet.
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