US-Präsident Joe Biden hat in einem längeren Telefonat mit seinem chinesischen Amtskollegen Xi Jinping versucht, diesen unter Druck zu setzen, damit sich China im anhaltenden Krieg in der Ukraine von Russland distanziert. Während Biden mit Strafmaßnahmen drohte, falls Peking Moskau in irgendeiner Form unterstützt, machte Xi deutlich, dass sich China nicht einschüchtern lassen wird.
Das Telefonat von Freitag zwischen den Staatschefs der beiden größten Volkswirtschaften der Welt dauerte fast zwei Stunden und fand vor dem Hintergrund des eskalierenden Konflikts in der Ukraine statt. Die USA und ihre Nato-Verbündeten schüren den Konflikt, haben verheerende Wirtschaftssanktionen gegen Russland verhängt und das ukrainische Militär mit Waffen in Milliardenhöhe versorgt.
In der nichtssagenden Sprache der Zusammenfassung des Telefonats durch das Weiße Haus hieß es, Biden habe „die Auswirkungen und Konsequenzen geschildert, falls China Russland materielle Unterstützung zukommen lässt“. Doch die Drohungen konnten den chinesischen Präsidenten weder zu Zugeständnissen noch zu einer Zustimmung bewegen, abgesehen davon, dass man „offene Kommunikationskanäle“ beibehalten und „den Wettbewerb zwischen unseren beiden Ländern“ regeln wolle.
Obwohl ein hoher Vertreter der Biden-Regierung das Gespräch als „direkt und offen“ bezeichnete, ging es hinter den Kulissen zweifellos deutlich hitziger zu. Xi ist sich bewusst, dass die Biden-Regierung, die die Krise in der Ukraine skrupellos inszeniert hat, obwohl sie zu einem direkten Krieg zwischen der Nato und Russland führen könnte, auch China im Visier hat. Das Land wird von den USA als größte Bedrohung für ihre globale Hegemonie angesehen.
Am Vorabend von Bidens Telefonat hatte US-Außenminister Antony Blinken den Medien erklärt, der Präsident werde „deutlich machen, dass China für jede Unterstützung der russischen Aggression zur Verantwortung gezogen werden wird. Wir werden nicht zögern, sie dafür zahlen zu lassen.“ Blinken fügte hinzu, China habe durch seine engen Beziehungen zu Russland „eine besondere Verantwortung“, den russischen Präsidenten Wladimir Putin dazu zu bringen, den Krieg zu beenden, „aber scheinbar bewegt sich China in die entgegengesetzte Richtung“.
Die Vizeaußenministerin, Wendy Sherman, erhöhte den Druck mit einer ähnlichen Warnung. Xi müsse Putin sagen, dass „er diesen bewusst begonnenen Krieg“ in der Ukraine beenden müsse. Gegenüber CNN erklärte sie: „China muss auf der richtigen Seite der Geschichte stehen. Es muss dafür sorgen, dass es die Sanktionen, die Russland auferlegt wurden, nicht finanziell oder auf andere Weise ausgleicht.“
Die Pressesprecherin des Weißen Hauses Jen Psaki drückte die Unzufriedenheit Washingtons über das Telefonat aus und bekräftigte die Drohungen gegen China. Sie erklärte, die USA verfügten über „ein breites Instrumentarium“ für den Fall, dass Peking Moskau unterstütze, darunter auch Sanktionen. Sie erklärte, Biden werde über eine gemeinsame Reaktion des Westens diskutieren, wenn er nächste Woche zum Treffen mit den Staatschefs der Nato, der Europäischen Union und der G7-Staaten nach Europa reist.
All diese Kommentare und Drohungen triefen nur so vor Heuchelei und Zynismus. Nachdem sie die rechte ukrainische Regierung und die mit ihr verbündeten faschistischen Milizen seit dem Putsch gegen den gewählten Präsidenten im Jahr 2014 mit Waffen versorgt und Russland in die Enge getrieben haben, liefern die USA und die Nato dem ukrainischen Militär jetzt in riesigem Umfang hochmoderne Waffen. Andererseits wird China – ohne den kleinsten Beweis – vorgeworfen, in Betracht zu ziehen, Russland Militärhilfe zu leisten.
Es war von Anfang an das Ziel der Biden-Regierung, Russland zu isolieren und in einen Krieg gegen die Ukraine zu verwickeln. Dabei war ihr das Leid der ukrainischen Bevölkerung ebenso gleichgültig wie die Gefahr, dass der Krieg zu einem noch größeren Konflikt zwischen Atommächten eskalieren könnte. Auslöser für Russlands verzweifelten und skrupellosen Überfall auf die Ukraine war die Weigerung zu garantieren, dass die Nato nicht noch näher an die russische Grenze heranrückt, indem sie die Ukraine als Mitglied aufnimmt.
China hat Russland nicht für seinen Überfall kritisiert, sondern das Vorgehen der USA und der Nato für den Konflikt verantwortlich gemacht. Gleichzeitig hat Peking weder die Annektierung der Krim noch Putins Unabhängigkeitserklärung der zwei Gebiete der Ostukraine unter der Kontrolle von prorussischen Separatisten anerkannt. Peking hat wiederholt zu Friedensverhandlungen aufgerufen und sich als Vermittler angeboten, sofern die legitimen Sicherheitsinteressen Russlands und der Ukraine anerkannt werden.
Laut Darstellung der chinesischen Medien über das Telefonat hat Xi Biden zu einer „kühlen und rationalen“ Herangehensweise an den Konflikt aufgefordert und betont: „Die Ukraine-Krise ist nichts, was wir wollen.“ China und Russland wurden durch Washingtons aggressiven Kurs gegen beide Länder zu engen Beziehungen getrieben, allerdings hat China ausgeprägte Beziehungen zur Ukraine. Der Krieg ist eine direkte Gefahr für Pekings Initiative „Neue Seidenstraße“, die eine massive Infrastruktur-Investition umfasst mit dem Ziel, China und Europa miteinander zu verbinden.
Xi lehnte die einseitigen Wirtschaftssanktionen der USA und ihrer Verbündeten gegen Russland ab und warnte vor den potenziell katastrophalen Folgen für die Weltwirtschaft: „Unter umfassenden und wahllosen Sanktionen leidet nur die Bevölkerung... Wenn sie weiter verschärft werden, könnten sie zu ernsthaften Krisen in der Weltwirtschaft, dem Welthandel, dem Finanzsystem, den Energie-, Lebensmittel- und Industrie-Lieferketten führen, die ohnehin schon angeschlagene Weltwirtschaft zerstören und unumkehrbare Verluste zur Folge haben.“
Während die Berichterstattung über Xis Äußerungen relativ verhalten bleibt, haben andere chinesische Regierungsvertreter vor und nach dem Telefonat mit Biden die USA scharf kritisiert.
Laut der staatlichen Global Times warnte ein anonymer Regierungsvertreter: „China wird niemals die Drohungen und Nötigungsversuche der USA hinnehmen. Wenn die USA Maßnahmen ergreifen, die die legitimen Interessen Chinas, seiner Unternehmen und Staatsbürger gefährden, wird China nicht untätig bleiben, sondern mit Nachdruck reagieren.“ Der Regierungsvertreter betonte, die USA sollten sich keinen Illusionen oder Fehleinschätzungen hingeben.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Die Global Times erklärte, diese „starken Signale wurden ausgesandt, während die Biden-Regierung ihre Desinformationskampagne über eine ,militärische Unterstützung‘ Russlands durch China verschärft und versucht hat, China mit ,schwerwiegenden Folgen‘ zu drohen“.
Die Sprecherin des chinesischen Außenministeriums Hua Chunying twitterte als Reaktion auf die Äußerungen der Vizeaußenministerin Sherman: „Die USA sind diejenigen, die auf der falschen Seite der Geschichte stehen.“ Hätten die USA davon abgesehen, „die Nato immer wieder auszuweiten, und hätte die Nato versprochen, die Ukraine nicht aufzunehmen, und hätten die USA nicht mit ihren Waffenlieferungen an die Ukraine Öl ins Feuer gegossen, dann wäre die Lage jetzt ganz anders“.
Peking ist besonders besorgt über die Parallelen zwischen Washingtons provokantem Vorgehen in der Ukraine und der Verschärfung der Spannungen um den gefährlichen Krisenherd Taiwan. Die Biden-Regierung hat China vorgeworfen, es plane einen Einmarsch auf der Insel, und gleichzeitig die Ein-China-Politik untergraben, die die Grundlage der amerikanisch-chinesischen Beziehungen bildet.
Gemäß der Ein-China-Politik hatten die USA Peking faktisch als legitime Regierung von ganz China einschließlich Taiwans anerkannt und gleichzeitig jede gewaltsame Wiedervereinigung der Insel mit China abgelehnt. Peking hat wiederholt gewarnt, es werde auf jede formelle Unabhängigkeitserklärung Taipehs mit Gewalt reagieren.
Laut den chinesischen Medien hat Xi Biden erklärt, die Beziehung zwischen den USA und China habe sich nicht von den Problemen erholt, die die Trump-Regierung geschaffen hatte. Laut Xi hätten einige Kräfte in den USA der taiwanesischen Unabhängigkeitsbewegung „ein falsches Signal“ gesandt, was „sehr gefährlich“ sei.
Biden hat zwar wiederholt erklärt, die US-Politik gegenüber Taiwan habe sich nicht geändert, und betont, Washington lehne alle einseitigen Änderungen des Status quo ab. Seine Regierung hat sich jedoch über die seit langem etablierten diplomatischen Protokolle hinweggesetzt, die die Grundlage der Ein-China-Politik bildeten und Kontakte zwischen amerikanischen und taiwanesischen Regierungsvertretern begrenzten.
Dass Xi und Biden in ihrem Telefonat zu keiner Einigung kommen konnten, verdeutlicht die Skrupellosigkeit des Vorgehens der USA in der Ukraine und die Gefahr, dass der Krieg schnell zu einem breiteren Konflikt eskalieren könnte, in den auch andere Mächte wie China hineingezogen würden. Genau wie das Vorgehen, mit dem die Biden-Regierung Russland in die Enge getrieben hat, werden ihre eskalierende Kritik und ihre Drohungen gegen China die bereits scharfen Spannungen im Indopazifik nur weiter erhöhen.