Akademischer Boykott Russlands: Wissenschaft im Dienst deutscher Kriegspolitik

Nach dem reaktionären Einmarsch des russischen Militärs in die Ukraine haben höchste Ebenen der deutschen Wissenschaft Maßnahmen gegen Russland ergriffen, die in der Nachkriegsgeschichte ohne Beispiel sind. In Übereinstimmung mit der Bundesregierung haben führende Forschungseinrichtungen und Universitäten sämtliche Beziehungen zu russischen Partnerorganisationen abgebrochen und angekündigt, alle laufenden Forschungsprojekte zur Disposition zu stellen.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gab nur Stunden nach Beginn der Intervention bekannt, dass „alle laufenden und geplanten“ Kooperationen, der „wissenschaftliche Austausch“ und die gesamte „bisherige, langjährige Zusammenarbeit in Wissenschaft und Forschung sowie in der Berufsbildung“ unverzüglich eingefroren werde und man sich „fortlaufend mit dem Auswärtigen Amt und dem Bundeskanzleramt“ abstimmen werde.

Ministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) rechtfertigte den Schritt damit, dass sich das Land „selbst aus der internationalen Gemeinschaft verabschiedet“ habe und „ernsthafte Konsequenzen“ tragen müsse. Die russische Intervention sei „ein eklatanter Bruch des Völkerrechts und durch nichts zu rechtfertigen“. Gegenüber dem Bayrischen Rundfunk stellte sie jedoch klar, dass das Vorgehen ihres Ministeriums Teil einer „Systemauseinandersetzung“ sei, die es erfordere, die „Bundeswehr zu stärken“ und künftig „geopolitisch anders zu denken“.

Nahezu zeitgleich mit der Ministerin veröffentlichte die „Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen“ ein Statement, das „nachdrücklich“ das „konsequente Vorgehen der Bundesregierung“ gegen die russische Regierung „unterstützt“. Die Allianz umfasst die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die Alexander von Humboldt-Stiftung, den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD), die Fraunhofer- und die Max-Planck-Gesellschaft (MPG), die Helmholtz- und die Leibniz-Gemeinschaft, die Hochschulrektorenkonferenz, die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina und den regierungsnahen Wissenschaftsrat.

Die gemeinsame Stellungnahme hält alle Mitgliedsinstitutionen dazu an, „dass wissenschaftliche Kooperationen mit staatlichen Institutionen und Wirtschaftsunternehmen in Russland mit sofortiger Wirkung bis auf weiteres eingefroren werden, dass deutsche Forschungsgelder Russland nicht mehr zu Gute kommen und dass keine gemeinsamen wissenschaftlichen und forschungspolitischen Veranstaltungen stattfinden“.

Neue Kooperationsprojekte, so die Stellungnahme, sollen „aktuell nicht initiiert werden“. Über „weitere Schritte“ werde man sich „in enger Abstimmung mit der Bundesregierung und anderen politischen Entscheidungsträgern“ beraten. Die Maßnahmen kommen einem Abbruch aller offiziellen akademischen Beziehungen zu Russland gleich.

In den Tagen seit Veröffentlichung der Erklärung haben sich die Wissenschaftsorganisationen gegenseitig mit antirussischen Boykottmaßnahmen überboten, die sich – trotz gegenteiliger Beteuerungen – längst nicht mehr nur gegen das Regime von Wladimir Putin richten. Der wissenschaftliche und kulturelle Schaden, den diese Schritte anrichten, ist unermesslich und zutiefst reaktionär.

So bestätigte die DFG am Mittwoch, mit „sofortiger Wirkung alle von ihr geförderten Forschungsprojekte“ zwischen deutschen und russischen Wissenschaftlern auszusetzen, keinerlei deutsch-russische Kooperations- und Fortsetzungsanträge anzunehmen und eingereichte Anträge nicht zu begutachten. In bestehenden Kooperationsprojekten sollen zudem unverzüglich „keine Daten, Proben und Geräte sowie anderes wissenschaftliches Material ausgetauscht“ und „keine gemeinsamen Veranstaltungen durchgeführt“ werden.

Das Präsidium der Max-Planck-Gesellschaft – das in den vergangenen dreißig Jahren kein Wort der Kritik an westlich geführten Kriegen geäußert hat – reagierte mit einem einseitigen Appell an Russland, die Feindseligkeiten in der Ukraine sofort einzustellen. MPG-Präsident Martin Stratmann nannte den russischen Präsidenten Wladimir Putin einen „Diktator“, der „den Völkern Europas unverhohlen mit einem Nuklearschlag droht“ und kündigte an, keine Mitarbeiter zu tolerieren, die öffentlich den russischen Präsidenten unterstützen.

Der DAAD entschied noch am selben Tag, „Bewerbungsmöglichkeiten für Russland-Stipendien“ zu stoppen und „Auswahlen für DAAD-Stipendien nach Russland“ abzusagen. Auch bereits ausgewählte deutsche Stipendiaten sollen für einen Aufenthalt in Russland derzeit keine finanzielle Unterstützung erhalten können. Die Rede ist von 750 Kooperationsprojekten und 100 DAAD-Geförderten in Russland.

Der Dienst – der dem Außenministerium nahesteht und von diesem finanziert wird – erwarte zudem von den deutschen Hochschulen, umgehend „alle DAAD-geförderten Projektaktivitäten mit Partnerinstitutionen in Russland und Belarus auszusetzen“. Der Hochschulaustausch zwischen Deutschland und den beiden Ländern droht damit nahezu vollständig zum Erliegen zu kommen.

Mehrere Landesrektorenkonferenzen sowie unzählige einzelne Universitäten und Hochschulen haben ihre wissenschaftlichen Beziehungen zu russischen Einrichtungen bereits überwiegend oder vollständig auf Eis gelegt. Eine Übersicht von Forschung & Lehre nennt unter anderem die drei Universitäten Berlins, die Friedrich-Schiller-Universität Jena, die Bauhaus-Universität in Weimar sowie die Hochschulen von Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg.

Die Universität Erfurt ging sogar so weit, russischen Studierenden der kommenden beiden Semester nahezulegen, nicht nach Deutschland zu kommen. Wie die Landesrektorenkonferenzen in öffentlichen Statements erklärten, seien die Maßnahmen jeweils „in Absprache mit dem Wissenschaftsministerium“ getroffen worden.

Der umfassende Boykott der russischen Wissenschaft durch das akademische Establishment Deutschlands ist europaweit einzigartig und von kaum absehbarer Tragweite. Wie die Zeit berichtet, bedroht das deutsche Vorgehen Projekte wie den drei Milliarden Euro teuren Bau des Teilchenbeschleunigers FAIR (Facility for Antiproton and Ion Research in Europe), die Polar- und Klimaforschung, den internationalen Kernfusionsreaktor ITER – und sogar das Genfer Kernforschungszentrum CERN, an dem derzeit knapp 900 Forscher aus Russland arbeiten.

Besonders aggressiv trat Helmut Dosch, Leiter des Deutschen Elektronen-Synchrotrons (DESY) in Hamburg auf. Gegenüber der Zeit verglich er den russischen Einmarsch mit dem „11. September“ und erklärte: „Wenn die freie Welt von einem neoimperialistischen Kleptokraten angegriffen wird, schlagen wir mit voller Härte zurück.“

Um einen Technologietransfer nach Russland „um jeden Preis zu verhindern“, habe er bereits alle Gemeinschaftsprojekte gestoppt, eingereichte Aufsätze bei Fachzeitschriften wie Nature und Science zurückziehen lassen und veranlasst, dass russische Gastwissenschaftler der Einrichtung Deutschland bis Ende vergangener Woche verlassen.

Russische Wissenschaftler und Studierende für eine Regierungspolitik zu bestrafen, die von einem Großteil von ihnen abgelehnt wird, hat keinerlei fortschrittlichen Inhalt. Es handelt sich im Gegenteil um einen aggressiven Akt, der mit einer wütenden antirussischen Kampagne in Kultur und öffentlichem Leben einhergeht und dazu dient, alles Russische zu verteufeln und die Wissenschaft in den Dienst der Außen- und Kriegspolitik zu stellen.

So betonte DAAD-Präsident Joybrato Mukherjee gegenüber Journalisten, dass das Vorgehen seines Dienstes Bestandteil einer „Gesamtstrategie der Bundesregierung und der Europäischen Union zur Isolierung Russlands“ sei. Angesichts einer „gewaltigen außen-, verteidigungs- und sicherheitspolitischen Herausforderung“, wie es sie „seit dem Zweiten Weltkrieg in Europa nicht mehr gegeben“ habe, seien „Investitionen in unsere Verteidigungsbereitschaft und Investitionen in die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik keine Gegensätze“.

Mit Blick auf ein Eckpunktepapier des DAAD vom Oktober vergangenen Jahres, das die Entwicklung einer Strategie zur „Steuerung von unvermeidlichen Flüchtlingsbewegungen“ in „fragilen Kontexten“ angemahnt hatte, forderte Mukherjee am Dienstag wörtlich ein „gigantisch großes Unterstützungsprogramm“ des Bundes. Es solle in Russland „die regierungskritischen Kräfte stärken“, ukrainische Wissenschaftler nach Deutschland holen und „Leadership-Programme für zukünftige Führungskräfte“ einrichten, die „nach einer späteren Stabilisierung der Lage Führungsaufgaben in der Ukraine übernehmen werden“.

Dass sich die Spitzen des deutschen wissenschaftlichen Establishments derart bereitwillig der deutschen Kriegspolitik gegen Russland anschließen, weckt Erinnerungen an die dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte und bestätigt zugleich den Kampf der International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) gegen die Umwandlung der Universitäten in Kaderschmieden des deutschen Militarismus.

Insbesondere die DFG unterstützte bereits in der Weimarer Republik die anti-slawische Propaganda, auf die sich der Vernichtungskrieg der Nazis stützte. Nachdem die Nazis 1933 an die Macht gebracht wurden, begrüßten maßgebliche DFG-Wissenschaftler das NS-Regime und schlossen sich seinen Zielen aus freien Stücken an. Die mit Milliardenbeträgen von der DFG geförderte „Volksforschung“ und Erforschung der „Rassenhygiene“ gipfelte in der Ausarbeitung des „Generalplans Ost“, der die Vernichtung der slawischen Bevölkerung in Osteuropa vorsah und im Vernichtungskrieg der Nazis in die Tat umgesetzt wurde.

Die Professorenschaft der Weimarer Republik schwenkte nach Hitlers Machtübernahme in dessen Fahrwasser ein, übte sich in Selbstgleichschaltung, vertrieb jüdische Wissenschaftler aus ihren Reihen und beteiligte sich mit Begeisterung an der Mobilmachung gegen die Sowjetunion. Auch heute sind es Professoren wie Herfried Münkler und Jörg Baberowski, die die historischen Verbrechen des deutschen Imperialismus beschönigen, um einem dritten deutschen Griff nach der Weltmacht das Wort zu reden.

In ihrer Datenbank führt die DFG nicht weniger als neun Förderprojekte zugunsten Baberowskis auf – eines Professors, der den Vernichtungskrieg der Nazis als Ergebnis der Kriegsführung der Roten Armee darstellt. Was Münkler betrifft, so forderte er zuletzt gegenüber der Zeitung Welt europäische Atomsprengköpfe für „eine neue Ordnung der Großmachtrivalität“.

Wir rufen Arbeiter, Jugendliche und Wissenschaftler auf, gegen die verhängten Maßnahmen zu protestieren und mit den IYSSE und der SGP Kontakt aufzunehmen, um der Unterordnung der Wissenschaft unter die deutsche Kriegspolitik entgegenzutreten und einen dritten Weltkrieg zu verhindern.

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