Dieser Artikel wurde ursprünglich als Thread auf Twitter veröffentlicht.
Der Krieg hat verheerende Auswirkungen auf Historiker. Für die Ablehnung der russischen Invasion in der Ukraine gibt es durchaus Gründe, die auf prinzipiellen und linken Erwägungen basieren. Man muss sich nicht an die Vertuschung des Faschismus in der Vergangenheit und Gegenwart der Ukraine anpassen, die von den USA und der Nato betrieben wird.
Doch leider geben selbst Historiker, die bedeutende Werke über den Faschisten Stepan Bandera, die Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN-B) und die Ukrainische Aufständische Armee (UPA) verfasst haben, ihre eigene Wissenschaft auf, um den Bedürfnissen der Propagandakampagne von USA und Nato gerecht zu werden.
Die „Erklärung zur Ukraine von Wissenschaftlern, die zu Völkermord, Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg forschen“ („Statement on Ukraine by scholars of genocide, Nazism and WWII”) ist ein bedauerliches Beispiel für die intellektuelle und moralische Kapitulation bedeutender Teile der akademischen Community vor den Forderungen nach Geschichtsfälschung.
Die Erklärung beginnt mit einem Verweis auf den Zweiten Weltkrieg. Putin wird merkwürdigerweise vorgeworfen, er sei „von der Geschichte dieses Krieges besessen“ – als ob es ungewöhnlich wäre für einen russischen Präsidenten, von einer Katastrophe „besessen“ zu sein, die etwa 30 Millionen Sowjetbürger das Leben gekostet hat.
Man muss davon ausgehen, dass die Unterzeichner der Erklärung, die sich beruflich der Erforschung des Völkermords widmen, ebenfalls „von der Geschichte dieses Krieges besessen“ sind, dessen zentrales Ereignis der Holocaust war, bei dem Bandera und die OUN-B eine entscheidende Rolle spielten.
Die Unterzeichner erklären: „Wir idealisieren den ukrainischen Staat und die ukrainische Gesellschaft nicht. Wie in jedem anderen Land gibt es auch hier Rechtsextremisten und gewalttätige fremdenfeindliche Gruppen. Es würde der Ukraine auch gut anstehen, sich besser mit den dunkleren Kapiteln ihrer schmerzhaften und komplizierten Geschichte auseinanderzusetzen.“
Betrachtet man diese Aussage allerdings vor dem Hintergrund der Geschichte, so stellt sie in der Tat eine Idealisierung des ukrainischen Staats und der ukrainischen Gesellschaft dar. Die Ukraine ist nicht wie „jedes andere Land“, in dem es „Rechtsextremisten und gewalttätige fremdenfeindliche Gruppen“ gibt.
Diese Historiker wissen, dass das Erbe der faschistischen Nationalisten ungeachtet der furchtbaren völkermörderischen Verbrechen der OUN unter der Führung ihres „Providnyk“ (Führers) Stepan Bandera in der Ukraine weiterhin einen immensen politischen und kulturellen Einfluss ausübt.
Zu den Unterzeichnern der Erklärung gehört auch der Historiker Grzegorz Rossoliński-Liebe, der ein wichtiges wissenschaftliches Werk von 652 Seiten mit dem Titel Stepan Bandera – Leben und Nachleben eines ukrainischen Nationalisten – Faschismus, Völkermord und Kult verfasst hat.
In diesem Buch werden nicht nur die Verbrechen dokumentiert, die von Banderas Bewegung begangen wurden. Rossoliński-Liebe untersucht auch seinen kultähnlichen Status in weiten Teilen der zeitgenössischen ukrainischen Gesellschaft.
Über die Zeit nach der Auflösung der UdSSR schreibt er: „Viele Denkmäler, die den Opfern der ukrainischen Nationalisten oder den Helden der Sowjetunion gewidmet waren, wurden durch Denkmäler für Bandera und die ‚Helden‘ der OUN und UPA ersetzt.
Bandera und ukrainische revolutionäre Nationalisten wurden wieder zu wichtigen Elementen der westukrainischen Identität.
Nicht nur rechtsextreme Aktivisten, sondern auch der Mainstream der westukrainischen Gesellschaft, darunter Gymnasiallehrer und Universitätsprofessoren, betrachteten Bandera als Nationalhelden, dessen Andenken wegen seines Kampfs gegen die Sowjetunion geehrt werden sollte.“
Rossoliński-Liebe traf die folgende wichtige und beunruhigende Feststellung: „Die postsowjetische Erinnerungspolitik in der Ukraine hat demokratische Werte völlig ignoriert und keinerlei nicht-apologetischen Umgang mit der Geschichte entwickelt.“
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Wie lässt sich dieser vernichtende Kommentar zum postsowjetischen Geistesleben der Ukraine mit dem zynischen und historisch apologetischen Verweis auf die „unabhängige und demokratische Ukraine“ vereinbaren?
Rossoliński-Liebe wies auch auf die bedeutenden internationalen Verbindungen hin, die Banderas Anhänger während des Kalten Krieges mit den Vereinigten Staaten und anderen imperialistischen Mächten anknüpften.
Jaroslaw Stezko, der „Briefe an den Führer, den Duce, den Poglavnik [den obersten kroatischen Nazi] und den Caudillo [Franco] geschrieben hatte, in denen er sie aufforderte, den neu ausgerufenen ukrainischen Staat anzuerkennen, wurde 1966 zum Ehrenbürger der kanadischen Stadt Winnipeg ernannt.“
Der Historiker fährt fort: „1983 wurde er ins Kapitol und ins Weiße Haus eingeladen, wo George Bush und Ronald Reagan den ‚letzten Ministerpräsidenten eines freien ukrainischen Staates' empfingen‘“ – d. h. des Staates, der unter der Herrschaft des Dritten Reichs existiert hatte.
„Am 11. Juli 1982“, ruft Rossoliński-Liebe in Erinnerung, „wehte während der Captive Nations Week die rot-schwarze Flagge der OUN-B, die 1941 auf dem Zweiten Großen Kongress ukrainischer Nationalisten eingeführt wurde, über dem Kapitol der Vereinigten Staaten.
Sie symbolisierte Freiheit und Demokratie und nicht ethnische Reinheit und völkermordenden Faschismus. Niemand wusste, dass es dieselbe Flagge war, die auf dem Rathaus von Lwiw und anderen Gebäuden wehte, und unter der im Juli 1941 jüdische Zivilisten misshandelt und getötet wurden ...“
Angesichts der Geschichte des ukrainischen Faschismus und seiner wahrhaft üblen Bedeutung für die Gegenwart ist die Apologetik, die die Historiker betreiben, ebenso verachtenswert wie feige.
Die russische Regierung betreibt ihrerseits propagandistische Geschichtsfälschung, die entlarvt werden muss. Putin – ein erbitterter Gegner des Internationalismus der Oktoberrevolution – stellt dem ukrainischen Nationalismus den russischen Nationalismus entgegen.
Die konkurrierenden nationalistischen Narrative müssen entlarvt werden – im Interesse der Vereinigung der russischen und ukrainischen Arbeiter in einem gemeinsamen Kampf gegen die US-Nato-Imperialisten, ihre faschistischen Verbündeten in der Ukraine und das korrupte Regime der kapitalistischen Restauration in Russland.