Mehr als zehn Tage sind seit Beginn des Kriegs zwischen Russland und der Ukraine vergangen und der Konflikt spitzt sich weiter zu. Während das russische Militär seinen Vormarsch auf die Hauptstadt Kiew fortsetzt, mehren sich in den USA die Forderungen nach einer direkten Militärintervention gegen die russischen Streitkräfte in der Ukraine.
Der einflussreiche republikanische Senator Lindsey Graham forderte am Donnerstag die Ermordung des russischen Präsidenten Wladimir Putin.
Graham fragte: „Gibt es in Russland einen Brutus?“; eine Anspielung auf die Ermordung des römischen Kaisers Julius Caesar durch Marcus Brutus. Damit befürwortet er einen Akt, der laut Völkerrecht ein Kriegsverbrechen darstellt: „Das kann nur aufhören, wenn in Russland jemand diesen Kerl ausschaltet. Es wäre ein großer Dienst für das Land und die gesamte Welt.“
Grahams Äußerungen sind nur das extremste Beispiel für die zunehmenden Forderungen aus dem amerikanischen politischen Establishment nach einer weiteren militärischen Eskalation. Viele Stimmen fordern die Zerstörung aller russischer Militärflugzeuge, die über Ukraine im Einsatz sind, was die Schaffung „Flugverbotszone“ bedeuten würde.
Die Zeitung The Hill schrieb dazu: „Debatte über Flugverbotszone über der Ukraine gewinnt an Fahrt.“
Der Abgeordnete Adam Kinziger (Republikaner, Illinois), ein ehemaliger Pilot der Nationalgarde, twitterte nur wenige Stunden nach Grahams Forderung: „Das ist ein guter Zeitpunkt, um meine Forderung nach einer Flugverbotszone zu erneuern, die auch von der ukrainischen Regierung erhoben wird. Sollte es so weitergehen, befürchte ich, dass wir in noch viel größerem Umfang eingreifen müssen.“
Senator Roger Wicker (Republikaner, Mississippi), der dem House Armed Services Committee angehört, erklärte gegenüber der Huffington Post, eine Flugverbotszone sollte „ernsthaft in Erwägung gezogen werden“.
In einer vorab aufgezeichneten Rede bezeichnete der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj die Nato als „schwach“, weil sie bislang keine Flugverbotszone eingerichtet hat. Weiter erklärte er: „Die Nato hat wissentlich die Entscheidung getroffen, den Himmel über der Ukraine nicht abzuriegeln. Wir glauben, dass sich die Nato-Staaten an ihrer Auffassung festhalten, laut der die Sperrung des Luftraums über der Ukraine eine direkte russische Aggression gegen die Nato auslösen wird.“
Anschließend sagte Selenskyj: „Alle Menschen, die ab heute sterben, werden auch wegen dem Verhalten der Nato sterben, wegen ihrer Schwäche, wegen ihrer fehlenden Einigkeit.“
Bislang erklärten das Weiße Haus und die Nato, sie wollten keine Flugverbotszone einrichten, da dieser Schritt zu einem direkten militärischen Konflikt mit der Atommacht Russland führen würde.
Die Pressesprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, erklärte am Montag gegenüber MSNBC: „Es [die Flugverbotszone] würde im Wesentlichen bedeuten, dass das US-Militär Flugzeuge – russische Flugzeuge – abschießen würde. Das wäre eine eindeutige Eskalation des Konflikts. Damit könnten wir potenziell in einen militärischen Konflikt mit Russland geraten. Das ist nicht, was der Präsident will... Es wird zu keinen Kampfhandlungen zwischen US-Truppen und Russland kommen.“
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg schloss sich diesen Aussagen an und erklärte: „Die Nato ist ein Verteidigungsbündnis... Die Nato will keinen Krieg mit Russland.“
Während die ersten Forderungen nach einem direkten Zusammenstoß noch von den Republikanern stammen, haben sich die Demokraten mittlerweile angeschlossen.
Lieutenant Colonel Alexander Vindman, Demokrat und Schlüsselfigur im ersten Amtsenthebungsverfahren gegen Donald Trump, unterstützte die Aussagen Kinzingers – obwohl CNN gleichzeitig eine Bildunterschrift einblendete, dass die Einrichtung einer Flugverbotszone zu einem „regelrechten Krieg“ führen würde.
Er erklärte: „An seinen [Kinzingers] Aussagen ist was dran. Es gibt momentan keine risikolose Option. Es gibt nur Optionen, die überlegt sind, und bei denen die Risiken abgewogen wurden.“
Der ehemalige Verteidigungsminister Leon Panetta, ebenfalls Demokrat, erklärte gegenüber The Hill: „Die Option einer Flugverbotszone sollte auf dem Tisch bleiben.“
Weiter sagte er: „Ich glaube, es ist wichtig, sich alle Optionen offenzuhalten. Und auch wenn sie sich offiziell dazu geäußert haben, glaube ich, dass es einige geben muss, die weiterhin über eine begrenztere Herangehensweise nachdenken, falls diese notwendig wird.“
Der ehemalige Brigadegeneral Kevin Ryan schlug gegenüber The Hill vor: „Die USA und die Nato könnten eine Flugverbotszone über dem westlichen Teil des Landes einrichten, wo bislang keine russischen Truppen vorgedrungen sind.“
Am vergangenen Wochenende forderte der Vier-Sterne-General Philip Breedlove, ein ehemaliger Oberbefehlshaber über die US-Truppen in Europa sowie zwischen 2013 und 2016 oberster Nato-Befehlshaber, die Einrichtung einer Flugverbotszone über der Ukraine durch die USA und die Nato. Gleichzeitig gab er zu, dass dies einer „Kriegshandlung“ gegen Russland gleichkäme.
Das Magazin Foreign Policy stellte folgende Frage an Breedlove: „Und Sie unterstützen, trotz allem, was Sie eben erklärt haben, die Idee einer Flugverbotszone?“
Darauf antwortete er: „Sollen wir dasitzen und zuschauen, wie eine Weltmacht ein souveränes Land überfällt, zerstört und unterwirft? Sollen wir einfach zuschauen?“
Breedlove erklärte anschließend, was das genau bedeuten würde:
„Wenn man beispielsweise eine Flugverbotszone im Ostteil der Ukraine einrichten und dort Flugzeuge der Koalition oder der Nato fliegen lassen würden, müssten wir alle Waffen ausschalten, die in unsere Flugverbotszone feuern und unsere Flugzeuge beschädigen können. Das bedeutet, feindliche Radar- und Raketensysteme auf der anderen Seite der Grenze zu bombardieren. Und Sie wissen, was das bedeutet, oder? Das kommt einem Krieg gleich. Wenn wir also eine Flugverbotszone einrichten, müssen wir die Fähigkeit des Gegners ausschalten, in unsere Flugverbotszone zu feuern und sie zu beeinträchtigen.“
Weitere Forderungen nach einer militärischen Eskalation folgten in einem Leitartikel der Washington Post: „Leider erzielen die Russen Geländegewinne im Süden des Landes entlang der Schwarzmeerküste und drohen, die ukrainischen Streitkräfte abzuschneiden. Das ist nur ein weiterer Grund für die USA und ihre europäischen Verbündeten, die Lieferung von Waffen an das ukrainische Militär zu beschleunigen, bevor Putin gewinnt.“
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Diese äußerst kriegerischen Äußerungen werden inmitten neuer Warnungen darüber laut, wie gefährlich die Lage tatsächlich ist. Die Financial Times erklärt in einer Kolumne: „Das Versetzen der russischen Atomstreitkräfte in Alarmbereitschaft bedeutet erhöhte Vorsicht für die Nato.“ Weiter heißt es, dass es „in dem derzeitigen Szenario wahrscheinlich die russische Führung sein wird, die taktische Nuklearwaffen einsetzt, um eine Nato-Intervention zu verhindern oder zu beenden“.
„Die russische Führung könnte beispielsweise die Entsendung von Freiwilligen aus Nato-Staaten in die Ukraine als getarnte Vorhut einer vollständigen Intervention ansehen. Sie könnten Waffenlieferungen aus Nato-Staaten in die Ukraine als funktional gleichbedeutend mit einer Intervention ansehen“, so die Financial Times.
Der Artikel kam zu dem Schluss: „Wenn eine Intervention wirklich nicht die Absicht der westlichen Führer ist, dann sollten sie ihre Streitkräfte anweisen so zu handeln, dass die russische Führung auch davon überzeugt ist. Das Schicksal der Welt könnte davon abhängen.“
Tatsächlich unternimmt Washington außergewöhnlich provokante Schritte. Statt den Konflikt durch Verhandlungen zu beenden, soll dieser verschärft und weiter angeheizt werden.
Am Freitag veröffentlichte der staatseigene US-Nachrichtensender Voice of America auf seiner Website einen Artikel mit dem Titel „Amerikanische Veteranen melden sich freiwillig zum Kampf in der Ukraine“.
Darin hieß es: „Wie ein Vertreter der ukrainischen Botschaft in Washington gegenüber VOA erklärte, sind 3.000 Freiwillige aus den USA dem Appell zur Gründung eines internationalen Bataillons für den Kampf gegen die russischen Invasionstruppen gefolgt.“
Später wurde der Artikel ohne Angabe von Gründen gelöscht.
Gleichzeitig überschwemmen die USA und die Nato die Ukraine weiterhin mit Waffen, während das russische Finanzsystem weitgehend von der Weltwirtschaft ausgeschlossen wurde und faktisch einer Wirtschaftsblockade unterliegt.
Laut den Vereinten Nationen sind durch die Kämpfe bislang (Stand Freitag) 331 ukrainische Zivilisten ums Leben gekommen, 1,2 Millionen Menschen sind geflohen.