Die World Socialist Web Site sprach letzte Woche mit dem ehemaligen Autovision-Beschäftigten Andreas. Der 33-Jährige hatte bis zum Ende des letzten Jahres im VW-Werk in Braunschweig gearbeitet. Er war einer der weit über 1100 Beschäftigten der VW-Leiharbeitstochter, deren Verträge nicht verlängert wurden.
Der junge Arbeiter hatte nach seiner Ausbildung zum Modellbautechniker bereits verschiedene Leiharbeitsjobs und Praktika absolviert, bevor er sich entschloss, sich zum Elektroniker in der Automatisierungstechnik weiterzubilden.
In diesem Beruf heuerte er bei VW an und war dann mehrere Jahre für den Konzern in aller Welt unterwegs. „Ich habe in China und in Spanien Fabriken und Werke mit aufgebaut. Meine Aufgabe war es, Maschinen zu programmieren.“ Das sei zwar interessant gewesen, aber auch schwer, so weit weg von zuhause. „Ich wollte dann wieder zuhause arbeiten“, berichtet er, „also habe ich in Leiharbeit hier in Braunschweig bei einem kleinen mittelständischen Betrieb begonnen. Da war ich aber zufrieden, die haben sich um mich gekümmert.“
Ende 2020 hatte er dann die Möglichkeit, zur VW-Leiharbeitstochter Autovision zu wechseln. „Da gab es besseres Geld, rund 1000 Euro netto mehr“, erklärt er. „Da ging gerade die Produktion der Batteriegehäuse im Braunschweig los. Vom Geld konnte man gut leben.“ Zwei Jahre zuvor hatte das Werk Braunschweig den Zuschlag erhalten, Entwicklung und Fertigung von Batteriesystemen für den Modularen E-Antriebs-Baukasten (MEB) von VW weiter auszubauen.
Anfang 2021 sei eine zusätzliche Schicht aufgebaut worden. „Am Anfang war es viel Arbeit, da mussten wir Gas geben, aber das wurde im Laufe des Jahres immer weniger.“ Die Schwierigkeiten bei den Halbleiter-Lieferungen sorgten für Produktionseinschränkungen. „Seit März kam es dann vermehrt zu Kurzarbeit. Zum Schluss waren so wenig Teile da, dass die Montage keine Teile verbauen konnte.“
„Da hat sich abgezeichnet, dass die Arbeit weniger wurde. Unter uns hatten wir gehofft, dass die Stammbeschäftigten in Kurzarbeit geschickt werden. Der Staat bezahlt die Lohnkosten und wir Leiharbeiter profitieren. Ich habe gedacht, wenn ich reinhaue, wenn ich mich anstrenge, kann ich mich beweisen.“
Er hoffte darauf, auch im Jahr 2022 weiter für Autovision und irgendwann dann, spätestens nach dem dritten Jahr, fest beim VW-Mutterkonzern eingestellt zu werden. Im letzten Sommer hatten er und seine Kollegen noch gehofft. „Unsere Verträge liefen eigentlich im Frühsommer 2021 aus. Wir hatten dann eine Verlängerung bekommen bis zum Ende des Jahres. Aber es war dann natürlich schnell klar, dass man während der Kurzarbeit nicht produzieren durfte, nur Pflege und Wartung war möglich.“
Andreas berichtet, dass er im September 2021 nur drei Tage gearbeitet, aber trotzdem volle Bezüge bekommen hatte. Das war drei Monate vor Auslaufen der Verträge. „Im September mussten wir uns dann arbeitslos für Januar melden, das ist ja mittlerweile Routine.“ Dennoch, so berichten andere Arbeiter, hätten einige das versäumt, weil sie davon ausgegangen waren, auch in 2022 für VW arbeiten zu können. Diesen ehemaligen Beschäftigten drohen nun deshalb Kürzungen des Arbeitslosengeldes.
Noch im Dezember war die Hoffnung auf Weiterbeschäftigung wieder ein wenig gewachsen. „Es gab Betriebsrats-Wahlen in Braunschweig, weil ein zusätzlicher Platz im Betriebsrat geschaffen wurde, extra für die Zeitarbeiter“, erklärt Andreas. „Ein IG-Metall-Mitglied hat uns dann Lösungen versprochen, er sagte: ‚Wir parken euch irgendwie und überstehen die schwere Zeit.‘ Der ist dann natürlich gewählt worden. Aber als es dann brenzlig wurde, war er in den letzten Wochen des Dezembers im Urlaub in der Karibik.“ Einen Ansprechpartner hatten die Autovision-Beschäftigten so nicht.
„Auf einer Versammlung von Vertretern der Autovision und von VW gemeinsam mit dem Betriebsrat haben wir nichts außer guten Wünschen und vagen Versprechungen gehört. Als ein Kollege nachfragte, warum selbst die Kollegen gehen müssen, die so spezialisierte Aufgaben machten, wie die Nachschweißarbeiten der Aluminium-Gehäuse, hatte der Abteilungsleiter der Halle von VW gesagt: ‚Wir haben uns schon ganz genau angesehen, wen wir behalten.‘ Da wussten die meisten, dass es nicht weitergeht.“
Nun hat er wie fast alle anderen Ex-Kollegen falsche Abrechnungen erhalten. „Die ziehen uns die RA-Tage ab“, erklärt er. Diese Tage sind Schichten, die flexibel über das ganze Jahr verteilt abgeleistet werden müssen, weil die wöchentliche Arbeitszeit im rollierenden Schichtsystem nicht an die tariflich vereinbarte heranreicht. Die RA-Tage sind demnach Schichten, um auf die volle Stundenzahl zu kommen.
Andreas meint dazu: „Grundsätzlich müssen wir diese Tage bezahlt bekommen, wenn wir nicht verantwortlich sind, dass wir die vereinbarten Stunden nicht leisten können. Das war ja so bei Corona. Wir haben das ganze Jahr die Kurzarbeitstage, auch die darin verplanten RA-Tage bezahlt bekommen.“
Doch im Dezember dann die große Überraschung: „Bei der finalen Abrechnung ziehen sie uns die Minusstunden durch die aufgrund von Corona-Schutzmaßnahmen nicht geleisteten RA-Tage ab. Und ich bin aufgrund von Weiterbildung, die ich fünf Tage die Woche gemacht hatte, mit 55 Stunden minus beim Arbeitszeitkonto und fehlenden 40 Stundenlöhnen im Dezember noch glimpflich davongekommen.“ Der Verlust ist nicht gering. „Ich habe ‚nur‘ 1220 Euro brutto weniger. Mir fehlen ungefähr 500 Euro Stundenlohn. Aber ich habe Kollegen, die haben berichtet, weniger als 1000 Euro netto im Dezember bekommen zu haben.“
Ein weiteres Problem kommt dadurch auf sie zu. „Aufgrund dieser Abrechnung berechnet sich ja auch mein ALG I. Dort werden die Bruttolöhne der letzten 12 Monate genommen. Das heißt, das zieht hier das ALG I runter.“
Andreas hat „vom Arbeitsamt erst einmal eine Weiterbildung aufgedrückt bekommen, bisschen Programmierung, bisschen Robotertechnik“. Das sei zwar nicht, was er benötige, aber die Fortbildung dauert ein halbes Jahr und verlängert so meinen Anspruch auf ALG I um weitere drei Monate. Ich will auf keinen Fall in ALG II [Hartz IV] fallen.“
Andreas hat durch seine langjährigen Erfahrungen eine begründete Haltung zur Leiharbeit: „Die ganze Zeit wird dir die Karotte vor die Nase gehangen. ‚Wenn du dich anstrengst, wenn du jetzt nicht krank wirst, jetzt keinen Urlaub nimmst, dann wirst du vielleicht übernommen.‘ Das haben die mit uns bis Mitte Dezember gespielt. Dann waren wir raus.“
Diese Möglichkeit der Unternehmen, sachgrundlose Befristungen zu vereinbaren. sei „das Gift, weshalb es nie eine richtige Bezahlung, immer Niedriglöhner gibt“, sagt der nun arbeitslose Elektroniker. „Das sorgt dafür, dass die Wirtschaft immer neue billige Arbeitskräfte bekommt; ständig verlängerte Verträge und nach zwei Jahren ist dann Schluss. Dann kommen die nächsten.“
Besonders schlimm sei es für Familien. „Ich kenne die Leiharbeit, ich weiß worauf ich mich einlasse. Aber da sind dann Familienväter, die für ihre Kinder sorgen müssen. Und die strengen sich an, und dann kriegen sie zum Schluss die Nase gezeigt. Lange Zeit wurden viele ja auch übernommen. Aber jetzt eben nicht.“
Dabei halte er das Gerede von Transformation für Augenwischerei. VW sei bisher „aus jeder Krise besser rausgegangen, als sie reingegangen sind“. Er sagt: „Ja, man muss seine Kosten decken, man muss auch betriebswirtschaftlich handeln. Aber muss es immer auf Kosten der Beschäftigten sein? Dieses ‚Teile und Herrsche‘ müsste überwunden werden. Ich habe Whatsapp-Kontakte auf der ganzen Welt, die kann ich sofort erreichen. Aber hier werden wir in einem Werk gegeneinandergestellt.“