Das Parlament und die Hauptstadt Kanadas werden seit zwölf Tagen von Rechtsextremen und Faschisten belagert, von denen viele mit tödlichen Waffen ausgerüstet sind. Sie schwören, das Stadtzentrum von Ottawa besetzt zu halten, bis alle öffentlichen Schutzmaßnahmen gegen die Ausbreitung von Covid-19 abgeschafft sind.
Die große Mehrheit der Kanadier – einschließlich der Trucker, die zu fast 90 Prozent vollständig geimpft sind – blickt mit Abscheu auf den rechtsextremen „Freedom Convoy“.
Dennoch stellt er eine ernste und unmittelbare Bedrohung für die demokratischen und sozialen Rechte der Arbeiter in Kanada und der ganzen Welt dar.
Hierfür gibt es im Wesentlichen zwei Gründe. Erstens wurde der Konvoi von einflussreichen Teilen der kapitalistischen Elite ins Leben gerufen und dient ihnen als außerparlamentarisches Instrument. An ihrer Spitze steht die parlamentarische Oppositionspartei der Konservativen und ein Großteil der Leitmedien. Ihr Ziel ist ein weiterer politischer Rechtsruck. Es geht zunächst um die Abschaffung aller Schutzmaßnahmen gegen das Coronavirus. Außerdem soll die Minderheitsregierung der Liberalen unter Justin Trudeau durch ein Regime abgelöst werden, das die Interessen des kanadischen Imperialismus noch aggressiver verfolgt, und zwar sowohl im Klassenkampf im eigenen Land als auch weltweit.
Unterstützt wird diese antidemokratische und arbeiterfeindliche Verschwörung von Donald Trump, weiteren Anführern seines gescheiterten Staatsstreichs vom 6. Januar 2021 und dem faschistischen Gesindel, das bei der Erstürmung des US-Kapitols als Stoßtrupp diente, um das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen 2020 zu kippen. Diese Kräfte gewähren dem Konvoi erhebliche politische, finanzielle und logistische Unterstützung.
Mit anderen Worten, es handelt sich um eine grenzüberschreitende rechtsextreme Verschwörung. Im April 2020 rief Trump seine Anhänger auf, Michigan und andere Bundesstaaten zu „befreien“. Auf von Faschisten angeführten Kundgebungen forderte er das Ende aller Corona-Beschränkungen. Gleichzeitig wurden der Einzelhandel und die Schulen verfrüht wieder geöffnet. In Michigan mündeten diese Kundgebungen in einen fertig ausgearbeiteten Plan, die Regierung des Bundesstaats zu stürzen und Gouverneurin Gretchen Whitmer zu entführen. Dieselben Kräfte stellten das Personal für den Aufstand vom 6. Januar 2021.
Bei der aktuellen Verschwörung in Kanada wird versucht, die Wut und Frustration auszunutzen, die durch die ruinöse Reaktion der Trudeau-Regierung auf die Pandemie erzeugt wurde. Im Interesse der kanadischen Wirtschaft hat Trudeau eine wissenschaftlich fundierte Zero-Covid-Politik abgelehnt und die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie immer weiter zurückgefahren. Das Ergebnis waren fünf Wellen von Masseninfektionen und Tod.
Es gibt einen zweiten, noch bedeutsameren Grund dafür, dass der von den Herrschenden angestiftete und von der extremen Rechten angeführte Konvoi eine reale und akute Gefahr darstellt. Er besteht darin, dass die Arbeiterklasse von den Gewerkschaften und der sozialdemokratischen New Democratic Party (NDP) politisch mundtot gemacht und demobilisiert wird.
Bereits jetzt wurde die kanadische Politik in Kanada mithilfe des Konvois deutlich nach rechts verschoben. Die lautstärksten Konvoi-Befürworter unter den reaktionären Premiers der kanadischen Provinzen, Scott Moe aus Saskatchewan und Jason Kenney aus Alberta, haben zugesagt, alle verbliebenen Gesundheitsschutzmaßnahmen unverzüglich aufzuheben, obwohl die Omikron-Welle die Zahl der Todesfälle so hoch getrieben hat wie in den bislang schlimmsten Tagen der Pandemie.
Am Freitag erklärte die von Trudeau eingesetzte oberste Gesundheitsbeauftragte Kanadas, Theresa Tam, dass die Kanadier lernen müssten, „mit dem Virus zu leben“. In einer Erklärung, die Musik in den Ohren der rechtsextremen Konvoi-Führer war, gab Tam bekannt, dass die gesamte Gesundheitspolitik in den kommenden Wochen „auf den Prüfstand“ kommen müsse, da „dieses Virus nicht verschwinden wird“.
Am vergangenen Mittwoch haben die Konservativen Erin O'Toole als Parteivorsitzenden abgesetzt, weil er die Besetzung von Ottawa nicht uneingeschränkt unterstützte. Seine vorläufige Nachfolgerin, Candice Bergen, hat die rechtsextremen Besetzer öffentlich als „patriotische, friedliebende Kanadier“ bezeichnet und Premierminister Trudeau aufgefordert, ihnen den Ölzweig zu reichen. In privaten E-Mails an führende Parteimitglieder, die der Globe and Mail zugespielt wurden, argumentierte sie, dass die Konservativen die fortgesetzte Besetzung Ottawas unterstützen sollten, um sie zu „Trudeaus Problem“ zu machen
Trump und andere Anführer des Aufstands vom 6. Januar haben nicht nur die Besetzung Ottawas begrüßt. Sie konzentrieren ihre Anstrengungen weiter darauf, ihre Anhänger für einen neuerlichen gewaltsamen Angriff auf die demokratische verfassungsmäßige Ordnung zu mobilisieren. In einer provokativen Erklärung erklärte Trump am Freitag: „Der Freedom Convoy ist ein friedlicher Protest gegen die harte Politik des linksradikalen Irren Justin Trudeau, der Kanada mit wahnwitzigen Covid-Auflagen zerstört hat“.
Ähnlich äußerten sich der texanische Senator und Trump-Anhänger Ted Cruz, der rechtsextreme Gouverneur von Florida, Ron DeSantis, und die Kongressabgeordnete Marjorie Taylor Greene, bekennendes Mitglied der faschistischen QAnon-Gruppe.
Die Polizei in Ottawa hat bestätigt, dass die Besetzer zum Großteil Amerikaner sind und die finanziellen Mittel, die den Konvoi unterstützen, zumeist aus den USA stammen. Bei den rechtsextremen Aktivisten, die das kanadische Parlament belagern, handelt es sich um Veteranen des Sturms auf das Kapitol am 6. Januar oder Angehörige des engmaschigen Netzwerks faschistischer Gruppen wie der „Proud Boys“, die diesen Sturm mitorganisiert haben.
Aus Sicht von Trump und seinen Mitverschwörern ist die Besetzung Ottawas eine Fortsetzung ihres Putschplans vom 6. Januar. Seit Trump die Amerikaner dazu aufgerufen hat, sich den Konvoi zum Vorbild zu nehmen, organisieren laut Politico rechtsextreme Gruppen in den gesamten USA „Freedom Convoys“, um die Hauptstädte der Bundesstaaten von Alabama bis Wyoming zu besetzen, und planen, sich in der ersten Märzhälfte in Washington D.C. zu sammeln.
Dass Trump, Cruz und ihre rechtsextremen Verbündeten sich so offen und öffentlich organisieren können, liegt vor allem an der kriminellen Rolle von Biden und den Demokraten. In dem gesamten Jahr, das seit dem gescheiterten Putsch vom 6. Januar 2021 vergangen ist, haben die Demokraten die Rolle der Republikanischen Partei bei der Unterstützung des Putsches systematisch vertuscht. Sie haben sich geweigert, gegen Trump oder einen seiner führenden Mitverschwörer juristisch vorzugehen.
Die Besetzung Ottawas durch den Freedom Convoy markiert einen Wendepunkt im Niedergang der kanadischen Demokratie. Sie ist Teil der Hinwendung zu diktatorischen Herrschaftsformen, die von den herrschenden Eliten auf der ganzen Welt vollzogen wird.
In den zwei Jahren der Pandemie haben die Regierungen der imperialistischen Mächte Nordamerikas und Europas auf allen Ebenen den Profiten Vorrang vor Menschenleben eingeräumt. Das Ergebnis waren Millionen Tote. Während die Milliardäre und das oberste 1 Prozent sich an staatlichen Rettungsaktionen und dem endlosen Geldstrom in die Finanzmärkte bereicherten, wurden die Arbeiter bestenfalls notdürftig mit Pandemie-Hilfen versorgt. Inmitten dieser furchtbaren gesundheitlichen und sozialen Krise versuchen der US-amerikanische und der kanadische Imperialismus nun gemeinsam mit ihren europäischen Verbündeten, einen Krieg mit der Atommacht Russland anzuzetteln. Gleichzeitig verschärfen sie die Spannungen mit China.
Da sie in der Bevölkerung keinerlei Unterstützung für ihr kriminelles Programm der Masseninfektion und des Todes, des Militarismus und der sozialen Ungleichheit finden, mobilisieren die kapitalistischen Eliten die extreme Rechte, um die Arbeiterklasse einzuschüchtern. In den Faschisten mit ihrem giftigen Nationalismus, ihrem bösartigen Anti-Egalitarismus und ihrer Brutalität erkennen sie in konzentrierter Form ihre eigene Profitgier und ihre Gleichgültigkeit gegenüber menschlichem Leben.
In allen großen kapitalistischen Ländern, von den USA im April 2020 über Deutschland und Frankreich bis hin zu Kanada, hat die herrschende Klasse rechtsextreme und faschistische Kräfte eingesetzt, um die Abschaffung aller Maßnahmen gegen Covid-19 im Gesundheitswesen anzuführen und durchzusetzen.
Diese Förderung rechtsextremer Kräfte beruht vor allem auf der Befürchtung, dass die Arbeiterklasse, radikalisiert durch die Pandemie und jahrzehntelange Angriffe auf ihren Lebensstandard, weltweit in Massenstreiks eintritt.
Die große Gefahr besteht darin, dass diese wachsende Rebellion der Arbeiterklasse sich politisch noch nicht artikuliert hat und noch nicht zu einer Massenbewegung geworden ist, die für den Sozialismus eintritt und sich gegen das gesamte politische Establishment richtet, einschließlich seiner falschen „linken“ Parteien und der korporatistischen Gewerkschaften.
Solange die Arbeiterklasse nicht politisch aktiv wird, kann die derzeitige Konfrontation nur zu einem weiteren Rechtsruck führen, der ihre demokratischen und sozialen Grundrechte bedroht.
Wenn Trudeau eine „politische Lösung“ mit dem rechtsextremen Mob erreicht, wird dies die Faschisten und ihre reaktionären Unterstützer in den herrschenden Kreisen nur ermutigen. Sollte die Regierung Trudeau das Militär einschalten, um die Besetzung aufzulösen, werden die Streitkräfte eine noch nie dagewesene Rolle im politischen Leben Kanadas spielen. Denn der Fortbestand der Regierung wird davon abhängen, ob sie die obersten Militärs und den nationalen Sicherheitsapparat besänftigen kann. Und ein gewaltsamer Zusammenstoß zwischen Demonstranten und der Polizei würde von den Konservativen und den Leitmedien ausgenutzt werden, um ihre Angriffe auf Trudeau zu verstärken und eine rechtsextreme konservative Regierung nach dem Vorbild von Boris Johnson an die Macht zu bringen.
Der Kampf für die politische Unabhängigkeit der Arbeiterklasse nimmt eine ungeheure Dringlichkeit an. Die Speerspitze dieses Kampfs muss darin bestehen, die Rolle der Gewerkschaften und der NDP zu entlarven. Sie haben während der gesamten Pandemie die Strategie der Trudeau-Regierung nach dem Motto „Profite vor Leben“ unterstützt.
Die Gewerkschaften und die NDP haben gezielt vertuscht, wie die Konservativen und andere wichtige Teile der herrschenden Elite daran mitgewirkt haben, den Konvoi anzustacheln und ihn zu einer rechtsextremen außerparlamentarischen Kraft zu machen. Sie prangern die Besetzer zwar als „Rassisten“ an, erwähnen aber niemals, dass der Konvoi darauf abzielt, alle Corona-Schutzmaßnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit abzuschaffen. Dieses Versäumnis überrascht nicht, denn die Gewerkschaften und die NDP haben während der gesamten Pandemie gemeinsam mit Trudeau daran gearbeitet, die Arbeiter zurück in die Betriebe und die Kinder in die Schulen zu jagen.
Die Gewerkschaften in Ottawa und Toronto haben in den letzten Tagen Gegenproteste gegen den Konvoi, die von einfachen Arbeitern geplant wurden, sabotiert und unterbunden. In einer Erklärung des kanadischen Gewerkschaftsverbands hieß es, man solle „die gewählten Abgeordneten an ihre Arbeit gehen lassen“. Mit anderen Worten: Sie wollen, dass die Allianz aus Liberalen und NDP weiter daran arbeitet, die gesamte Bevölkerung mit Covid-19 zu infizieren, die Pandemie-Unterstützung für Arbeiter zu kürzen und einen Krieg mit Russland vorzubereiten.
Das Verhalten der Gewerkschaften und der NDP zeigt, dass sie eine von den Arbeitern geführte Massenbewegung von unten gegen Krieg, Sparmaßnahmen und die drohende Diktatur weitaus mehr fürchten als politische Gewalt von Seiten der faschistischen extremen Rechten.
Der Würgegriff, in dem die Gewerkschaften und die NDP die Arbeiterklasse halten, muss durch den Aufbau eines Netzes von Aktionskomitees in jedem Betrieb gebrochen werden. Diese Komitees müssen das vom Freedom Convoy angeführte Programm der Masseninfektion und des Todes zurückweisen, den Kampf für eine Strategie der globalen Covid-19-Eliminierung aufnehmen und einen politischen Kampf führen, um die Kontrolle der Finanzoligarchie und ihrer politischen Diener über alle Aspekte des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens zu brechen.
Dieser Kampf erfordert in erster Linie den Aufbau einer sozialistischen Führung in der Arbeiterklasse. Nur eine revolutionäre Partei, die von den historischen Lehren des jahrzehntelangen unnachgiebigen Kampfes der trotzkistischen Bewegung gegen Stalinismus und kapitalistische Barbarei durchdrungen ist, kann diese Führung bereitstellen. Alle Menschen in Kanada, die bereit sind, die Bedrohung durch die extreme Rechte und die rücksichtslose Klassenkriegsagenda der herrschenden Elite zu bekämpfen, rufen wir dringend dazu auf, der Socialist Equality Party als kanadischer Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale beizutreten und sie aufzubauen.