Perspektive

Aus dem Weißen Haus dringt der Gestank der Eugenik

Rochelle Walensky, die Direktorin der US-Gesundheitsschutzbehörde CDC, bezeichnete den Umstand, dass Covid-19 vor allem Menschen tötet, die „von vornherein nicht gesund waren“, als „ermutigende Nachricht“ und legte damit eine Gesinnung an den Tag, die an die schlimmsten Traditionen der Eugenik erinnert.

Vor dem Hintergrund eines Rekordhochs von Krankenhauseinweisungen wurde die CDC-Direktorin in einem Interview der ABC-Sendung „Good Morning America“ nach ihrer Meinung zu den „ermutigenden Schlagzeilen von heute Morgen“ gefragt.

Walensky antwortete:

Die überwiegende Zahl der Todesfälle, über 75 Prozent, betraf Menschen mit mindestens vier Begleiterkrankungen. Es handelte sich also um Menschen, die von vornherein nicht gesund waren, und ja, das ist wirklich eine ermutigende Nachricht im Zusammenhang mit Omikron.

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Die Behauptung, dass Covid-19 im Allgemeinen und die Omikron-Variante im Besonderen nur ältere und kranke Menschen befällt, ist faktisch unhaltbar. Die Ausbreitung der neuen Variante hat zu einem Rekordanstieg der Krankenhauseinweisungen bei jungen Menschen, insbesondere bei Kindern und Säuglingen, geführt. Die langfristigen Folgen für diejenigen, die überleben und unter „Long Covid“ leiden, sind noch wenig erforscht.

Die Behauptung, es sei eine „ermutigende Nachricht“, dass die „überwiegende Zahl der Todesfälle“ ältere Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen betreffe, ist in ihrer Tragweite schockierend.

Walenskys Bemerkungen wurden von Ärzten, Wissenschaftlern und Behindertenvertretern einhellig als eugenische Äußerungen der Regierung Biden verurteilt.

„Das ist Eugenik“, schrieb der Anwalt und Behindertenaktivist Matthew Cortland, selbst chronisch krank, auf Twitter. „Das Problem ist, dass die Leute, die @CDCgov leiten, einschließlich der @CDCDirektorin, **grundsätzlich glauben**, dass es ‚ermutigend‘ ist, wenn behinderte und chronisch kranke Menschen sterben. Und alle ihre Entscheidungen beruhen auf dieser Überzeugung und dienen ihrer Umsetzung.“

Keine Silbe davon ist übertrieben. Walenskys Äußerungen zeigen, dass sich das Weiße Haus und maßgebliche Teile des politischen Establishments in den USA die Auffassung zu eigen machen, dass das Leben chronisch kranker, behinderter und älterer Menschen nichts wert ist.

Der führende Befürworter dieser Politik ist Ezekiel Emanuel, ehemaliger Beamter der Obama-Regierung und derzeitiger Berater der Covid-Taskforce von Biden. Seine Ansichten werden zurzeit über alle Print- und Rundfunkmedien in die Welt posaunt.

Am Mittwoch veröffentlichte das Journal of the American Medical Association eine Reihe von Artikeln von Emanuel und anderen ehemaligen Gesundheitsberatern Bidens, in denen dafür plädiert wird, Covid-19 zur „neuen Normalität“ zu machen und die Meldung von Todesfällen durch die Bundesstaaten einzustellen. Diese Artikel wurden in den US-Medien wie das Evangelium behandelt und auf den Titelseiten der New York Times und der Washington Post mit Lobeshymnen bedacht.

Am Sonntag nahm diese Kampagne dann richtig Fahrt auf. Emanuel trat in der NBC-Sendung „Meet the Press“ als inoffizieller Abgesandter des Weißen Hauses auf. Seine Forderung nach einer „neuen Normalität“ wurde auch von der Washington Post als „vernünftige Strategie für das Leben mit Covid“ im Sinne von „Experten“ dargestellt.

In Wirklichkeit wiederholen Emanuel und seine Mitautoren in ihrem Aufruf nur die pseudowissenschaftliche Great Barrington Declaration abzüglich des Mythos, dass die „Herdenimmunität“ zum Ende der Pandemie führen würde. Ihr Plan besteht darin, Covid-19 zu verewigen – mit einer Welle nach der anderen, einer Variante nach der anderen, die jedes Jahr unzählige Menschenleben fordert.

Weder bei „Meet the Press“ noch im Leitartikel der Washington Post wurde erwähnt, dass Emanuel sich an anderer Stelle dafür ausgesprochen hat, die Lebenserwartung zu verringern und die medizinische Versorgung für ältere und chronisch kranke Menschen zu kürzen.

In den Worten von Jennifer A. Frey, Philosophieprofessorin an der University of South Carolina, hält Emanuel „behinderte und ältere Menschen für nutzlos und ineffektiv; eine Kosten-Nutzen-Analyse ergibt, dass sie sie mehr kosten, als sie wert sind“. Emanuel sei der Meinung, dass „das Leben im Alter von über 75 nicht mehr lebenswert ist und dass alte Menschen unsere Ressourcen vergeuden“, so Frey.

Emanuel „hat seine eugenischen Ideen immer wieder vorgebracht“, bemerkte die Journalistin und Forscherin über Behinderungen Laura Dorwart.

Emanuels Grundgedanke ist, dass nicht das Recht des Einzelnen auf Anstand und Würde ausschlaggebend für die medizinische Versorgung sein sollte, sondern eine „Kosten-Nutzen-Analyse“, die sich an den Kosten orientiert, die der „Gesellschaft“ durch die Verlängerung des Lebens kranker und älterer Menschen entstehen.

Emanuel stellt fest, dass die Ärzteschaft eine solche Kosten-Nutzen-Analyse ablehnt. Das stimmt, und es liegt daran, dass seine Auffassung von Medizin und öffentlicher Gesundheit auf die Eugenik und die Ermordung Zehntausender chronisch Kranker durch die deutsche Nazipartei zurückgeht, die bekanntlich „unwertes Leben“ vernichten wollte.

Nazi-Propaganda gegen behinderte Menschen [Photo: US Holocaust Memorial Museum, courtesy of Roland Klemig/WSWS]

Im Bioethik-Lehrbuch From Chance to Choice: Genetics and Justice verweisen die Professoren Allen Buchman, Dan Brock, Norman Daniels und Daniel Wikler auf das Erbe der „Kosten-Nutzen-Analyse“ in der amerikanischen Eugenik-Bewegung.

Das Lehrbuch zitiert den „Eugenik-Katechismus der Amerikanischen Eugenik-Gesellschaft“ von 1926, in dem es heißt: „Schätzungen zufolge hat der Staat New York bis 1916 über 2.000.000 Dollar für die Nachkommen“ einer Familie – der Jukes – ausgegeben, die angeblich genetisch minderwertig war. „Wie viel hätte es gekostet, das ursprüngliche Jukes-Paar zu sterilisieren?“, fragte die Gesellschaft: „Weniger als 150 Dollar.“

Weiter wird in dem Lehrbuch erklärt: „Ähnliche Beispiele gab es in den 1930er Jahren in den Rechenbüchern deutscher Schulkinder. Dort wurde vorgerechnet, wie viel es kostet, Bewohner von Behindertenheimen am Leben zu erhalten. Kurz darauf verloren Zehntausenden von ihnen ihr Leben.“

„Im Herbst 1939 genehmigte Adolf Hitler im Geheimen ein Programm des medizinischen ‚Gnadentods‘ mit dem Codenamen ‚Aktion T4‘, schreibt das US-Holocaust-Museum. „Die Tötungen wurden bis zum Ende des Krieges heimlich fortgesetzt. Dies führte zur Ermordung von schätzungsweise 275.000 Menschen mit Behinderungen.“

Heute sterben Hunderttausende von älteren und chronisch kranken Menschen nicht in Gaskammern, sondern ringen in Krankenhäusern nach Luft. 75 Prozent der an Covid-19 Verstorbenen waren älter als 65 Jahre, und 93 Prozent waren älter als 50 Jahre. Im Jahr 2020, in dem 373.000 Amerikaner an Covid-19 starben, sank die Lebenserwartung eines Neugeborenen in den USA um 1,8 Jahre, von 78,8 auf 77,0 Jahre. Dies geht aus den im letzten Monat veröffentlichten Sterblichkeitsdaten hervor.

Diese Realität ist nicht, wie Walensky sagt, „ermutigend“, sondern Anlass für furchtbare Schuld und Scham. Sie ist ein vernichtendes Urteil über eine völlig unmenschliche Gesellschaft, die von der Bereicherung der Wenigen auf Kosten der Vielen angetrieben wird.

Wissenschaftler und Ärzte haben auf Walenskys Äußerungen mit der Forderung nach ihrem Rücktritt reagiert. Ihr Zorn ist berechtigt. Tatsache ist allerdings, dass Walensky nicht nur für sich selbst und auch nicht nur für die Regierung Biden, sondern für die gesamte Kapitalistenklasse spricht.

Seit Jahren plädieren amerikanische Denkfabriken und Militärstrategen dafür, die Lebenserwartung der Arbeiter zu senken. Die Pandemie hat die Möglichkeit geschaffen, diese Politik durch scheinbare Untätigkeit und Inkompetenz stillschweigend umzusetzen.

In Wirklichkeit handelt es sich um ein bewusstes Vorgehen, hinter dem die Abhängigkeit aller Aspekte des amerikanischen Kapitalismus vom ständigen Anstieg der Aktienkurse steht. Die Kehrseite ist die immer größere Verarmung und Verelendung der Arbeiterklasse. Nachdem die kapitalistische Oligarchie einen Großteil der Arbeiterklasse ausgeblutet hat, sieht sie in den älteren und behinderten Menschen eine weitere Quelle ungenutzter „Wertschöpfung“.

Wenn es nach ihnen geht, sollen die Ausgaben für Sozialleistungen und Krankenversicherung nicht durch direkte Haushaltskürzungen gesenkt werden, sondern dadurch, dass die Pandemie verewigt wird.

Diese schmutzige Politik wird von einer ebenso schmutzigen Lüge begleitet: dass Covid-19 nicht aufgehalten werden könne. China hat erfolgreich eine Null-Covid-Politik betrieben, mit der die Zahl der Todesfälle bei 1,4 Milliarden Einwohnern auf 5.000 begrenzt werden konnte. Hätte man in den Vereinigten Staaten zu Beginn der Pandemie einen ähnlichen Kurs eingeschlagen, wären über 850.000 Menschen noch am Leben.

Die mörderische „neue Normalität“, wie sie die kapitalistische Oligarchie fordert, wird von einer wachsenden Bewegung der Arbeiterklasse in Frage gestellt, die sich gegen Masseninfektionen und Massentod zur Wehr setzt. In Chicago haben die Lehrer letzte Woche gegen die Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts gestimmt, und auch in New York und San Francisco haben sie die Arbeit niedergelegt. In dieser Woche wird es zu einer Welle von Schülerstreiks kommen, die sich gegen die Bestrebungen der Regierung Biden wenden, die Schulen auf Kosten von Menschenleben offen zu halten.

Die Hinwendung der herrschenden Klasse zur Eugenik ist Ausdruck einer grundlegenden Realität, die Millionen von Menschen klar zu werden beginnt: Der Kapitalismus ist unvereinbar mit den sozialen Rechten der großen Masse der Menschheit. Um diese Rechte zu verteidigen, muss das kapitalistische Gesellschaftssystem abgeschafft und durch den Sozialismus ersetzt werden.

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