51 Tote bei Grubenunglück in Sibirien

Der Gouverneur von Kemerowo, Sergei Ziwiljow (Mitte), spricht im Gebäude des Bergwerks Listwjaschnaja bei Belowo in der südwestsibirischen Oblast Kemerowo mit Reportern, Freitag, 26. November 2021 (AP Photo/Sergei Gawrilenko)

Am Donnerstag starben bei einer Explosion im Bergwerksort Belowo in der sibirischen Oblast Kemerowo (auch bekannt als Kusbass) mehr als 50 Menschen. Die meisten davon waren zwischen 20 und 30 Jahren alt, der jüngste erst 23. Als wahrscheinliche Ursache gilt eine Methangasexplosion.

Weitere 50 Bergarbeiter werden noch im Krankenhaus behandelt. Mehrere von ihnen befinden sich in einem kritischen Zustand. Es handelt sich um die schlimmste Bergwerkskatastrophe seit der Explosion des Bergwerks Raspadskaja (Link zur engl. WSWS) im Jahr 2010, bei dem 91 Menschen starben, und eines der schwersten Grubenunglücke seit der Auflösung der Sowjetunion durch die stalinistische Bürokratie im Jahr 1991.

Um etwa 8:20 Uhr morgens Ortszeit befanden sich 283 Bergarbeiter in der Grube Listwjaschnaja, als es zu der Methangasexplosion kam. Die Todesopfer sind vermutlich erstickt. Aufgrund der hohen Konzentration des tödlichen Gases in dem Bergwerk war der Rettungseinsatz sehr schwierig und dauerte mehr als einen Tag. Fünf Rettungskräfte sind bei dem Einsatz an Gasvergiftungen gestorben. Am Freitag wurde ein Mitglied der Rettungskräfte lebend gefunden, von dessen Tod man bereits ausgegangen war. Viele Leichen sind noch nicht geborgen.

Ein Bergarbeiter, der die Katastrophe in dem Gebäude überlebt hat, in dem sich das Förderband befand, berichtete einem lokalen Radiosender mit erschütternden Worten: „Ich bin nur ganz knapp dem Tod entkommen, es war nur eine Frage von Minuten. Ich habe gerade auf Tik-Tok geschaut, da explodierte das Methan. Die ganze Förderstrecke stand still, ich konnte es hören. Es war das Förderband für die Kohle.“

Er beschrieb, wie seine Kollegen das Geräusch der Explosion hörten und sich sofort Atemgeräte griffen und in die Grube liefen, um ihre Kollegen zu retten. „Die waren wirklich sehr mutig. Es kommen einem die Tränen. Diese Leute verdienen einen Orden. Meine Brüder, meine Kameraden, sie rannten einfach los.“ Die Bergleute konnten zehn Kollegen lebend retten; zwei konnten von ihnen nur noch tot geborgen werden.

„Sie können sich nicht vorstellen, was hier los war. ... Sie waren alle geschockt, es ging ihnen sehr schlecht. Sie waren schwarz und keuchten, sie konnten kaum atmen, aber sie atmeten.“ Er fügte hinzu, seine Kollegen hätten nicht weiter nach unten gekonnt, um noch mehr Kollegen zu retten, weil die Atemschutzgeräte nicht richtig funktionierten.

Der Bergarbeiter betonte, die Katastrophe sei sowohl vorhersehbar als auch vermeidbar gewesen.

Das Management des Bergwerks habe „nichts getan, um die Arbeitsschutzregeln umzusetzen. Wir müssen öffentlich machen, was hier in der Grube vor sich geht.“

„Ich habe gelesen, dass im Bergwerk [wegen Verstößen gegen Sicherheitsvorkehrungen] ein Notzustand herrschen würde“, erklärte er weiter, „aber das ist lächerlich. Dieser Zustand herrscht seit mehr als einem Monat und noch länger. Wissen Sie, das alles ist passiert, weil es in der Grube keine Entlüftung gibt. Sie müssen sich vorstellen, dass sie jedes Mal, wenn Sie in die Grube einfahren, daran denken müssen, was passiert, wenn Ihnen der Sauerstoff ausgeht.“ Er fügte hinzu, er habe sein ganzes Leben als Bergmann gearbeitet, aber nie unter so schrecklichen Bedingungen. Er habe seine Stelle nur deshalb noch nicht aufgegeben, weil er 50.000 Rubel (rund 585 Euro) im Monat erhält, was zwei- oder dreimal mehr ist als für andere Jobs im Ort.

Am Donnerstag wurden der Leiter des Bergwerks, sein erster Stellvertreter und der Leiter der Sektion der Grube Listwjaschnaja verhaftet.

Was am Donnerstag passiert ist, war ein Akt sozialen Mords. Die Verantwortung liegt nicht nur beim Management des Bergwerks, sondern auch bei der Regierung und der ganzen herrschenden Klasse Russlands.

Es steht außer Frage, dass das Bergwerk schon längst hätte stillgelegt werden müssen.

Laut russischen Medienberichten wurden alleine dieses Jahr bei 127 Sicherheitstests 914 Verstöße gegen Vorschriften festgestellt. Neunmal musste der Betrieb deshalb eingestellt werden. Die Grube hatte weder ausreichende Belüftung nach einen funktionierenden Feueralarm. Zudem war bekannt, dass die Methan- und Luftkontrollsysteme defekt waren.

Dennoch kam das Management des Bergwerks mit einer lächerlich niedrigen Geldstrafe von 2,8 Millionen Rubel (etwa 37.000 Dollar) davon, die kaum mehr als ein kleiner Denkzettel sind. Das Bergwerk beschäftigt fast 1.700 Arbeiter, hat im Jahr 2020 4,7 Millionen Tonnen Kohle gefördert und damit einen Nettoprofit von 836,7 Millionen Rubel (etwa 9,8 Millionen Euro) und Einnahmen von mehr als 9,4 Milliarden Rubel (rund 110 Millionen Euro) erwirtschaftet.

Die Grube Listwjaschnaja gehört dem Bergbauunternehmen SDS-Ugol. Dessen Besitzer, Wladimir Gridin und Michail Fedjajew, gehören laut Forbes zu den 200 reichsten Personen Russlands. Sie gehören zu einem Teil der Oligarchie, der sein Vermögen mit der extremen Ausbeutung der Arbeiterklasse in der russischen Kohleindustrie gemacht hat, die zu den größten der Welt gehört.

Die gleiche Dynamik, welche die Katastrophe im Bergwerk Listwjaschnaja ausgelöst hat – die bewusste Verletzung selbst einfachster Sicherheitsstandards im Interesse des Profits und die faktische Kooperation zwischen Staat und Oligarchie –, hat seit der Wiedereinführung des Kapitalismus zu unzähligen ähnlichen Katastrophen in der russischen Montanindustrie geführt. Viele davon ereigneten sich in der Region Kusbass, dem Zentrum der russischen Kohleförderung.

Alleine zwischen 2003 und 2010 starben bei den fünf größten Grubenunglücken im Kusbass mehr als 270 Arbeiter. In der Grube Listwjaschnaja gab es in den letzten zwei Jahrzehnten mehrere tödliche Unfälle, der letzte im Jahr 2017. Im März 2018 wurden in Kemerowo, der Hauptstadt der gleichnamigen Oblast, bei einem schweren Brand im Einkaufszentrum „Winterkirsche“ 64 Menschen, darunter 41 Kinder, getötet, die in dem Gebäude eingeschlossen waren. Auch dieser Brand konnte ausbrechen, weil das Management Sicherheitsstandards missachtete. Die Behörden wussten davon, unternahmen jedoch nichts.

Diese Bedingungen sind in der größtenteils von Arbeitern geprägten Oblast Kemerowo zwar besonders stark ausgeprägt, aber nicht auf das Kusbass beschränkt. Es vergeht kaum eine Woche, in der die russische Presse nicht über Brände oder Explosionen in Fabriken berichtet.

Diese Bedingungen sind ein direktes Ergebnis der Wiedereinführung des Kapitalismus durch die stalinistische Bürokratie vor drei Jahrzehnten. Die stalinistischen Bürokraten, die zu Oligarchen wurden, haben die soziale und industrielle Infrastruktur, die nach der Oktoberrevolution 1917 aufgebaut wurde, systematisch zerstört. Die Sicherheitsstandards befinden sich heute auf einem Niveau, das nicht über das im England Mitte des 19. Jahrhunderts hinausgeht. Alle Errungenschaften der Arbeiterbewegung in dieser Hinsicht wurden zurückgenommen.

Die gleiche kriminelle Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben der Arbeiter und die Unterordnung aller Aspekte des gesellschaftlichen Lebens unter die privaten Profitinteressen der Oligarchie bestimmt die Reaktion der herrschenden Klasse Russlands auf die Corona-Pandemie. Sie unterscheidet sich dabei nicht von den herrschenden Klassen in Europa und den USA. In Europa ist die Pandemie völlig außer Kontrolle, und in Russland sterben täglich mehr als 1.200 Menschen und damit mehr als in allen früheren Wellen. Der Kreml lehnt unterdessen alle Gesundheitsmaßnahmen ab, die die Ausbreitung des Virus einschränken oder gar aufhalten könnten.

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