Der Arbeitsplatzabbau in der Auto- und Zulieferindustrie entwickelt sich immer schneller. Dabei werden die Belegschaften – mit Hilfe der IG Metall – gezielt gespalten.
Während die großen Autohersteller teilweise hohe Gewinne schreiben und die Arbeitsplätze in Absprache mit den Betriebsräten über Fluktuation, Vorruhestandsregelungen, Abfindungen, Transfergesellschaften und die Freisetzung von Leiharbeitern abbauen, geraten die Zulieferer unter wachsenden finanziellen Druck.
Und hier sind es insbesondere die Kleineren mit 50 bis 200 Millionen Euro Jahresumsatz, die „reihenweise umkippen“, wie das Handelsblatt Rolf Hünermann zitiert, der als Partner einer Frankfurter Anwaltskanzlei zahlreiche finanziell in Not geratene mittelständische Betriebe vertritt. Es braut sich ein Sturm aus Massenentlassungen, Werksschließungen und Insolvenzen zusammen.
Bereits in den vergangenen Monaten hat es in der Branche zahlreiche Insolvenzen gegeben:
- A-Kaiser GmbH in Passau, Spezialteile aus Aluminium und Magnesium, ca. 430 Beschäftigte.
- Bolta Werke im Nürnberger Land, Zierleisten und Typenschilder, ca. 1000 Beschäftigte.
- drei Gesellschaften der Boryszew Automotive Plastics Group in Salzgitter und Langenhagen, ca. 300 Beschäftigte.
- Heinze Gruppe in Herford, Innenausstattung, ca. 730 Beschäftigte.
- Henniges Automotive in Rehburg-Loccum, Niedersachsen, Dichtungssysteme für Türen, Fenster, Kofferräume, Heckklappen, Schiebedächer und Motorhauben, weltweit 8700 Beschäftigte, Insolvenz der deutschen Werke und Entwicklungsbüros.
- PWK Automotive in Krefeld, Sicherheitsteile für Fahrwerke, Bremsen, Stoßdämpfer, ca. 500 Beschäftigte.
- Räuchle GmbH in Dietenheim, Baden-Württemberg, Dreh- und Kaltfließpressteile, ca. 320 Beschäftigte.
Diese unvollständige Liste wird von Woche zu Woche länger. Teilweise handelt es sich dabei um Insolvenzen in Eigenregie. Dabei senken Insolvenzverwalter, Geschäftsleitung und Gewerkschaften die Kosten, um die Produktion dann bei reduziertem Personal und Löhnen profitabel weiter zu führen.
Anwalt Hünermann registrierte gegenüber dem Handelsblatt „eine Spaltung des Marktes“. Auf der einen Seite stehen die großen Autohersteller, die trotz stagnierender oder schrumpfender Verkaufszahlen auskömmliche Gewinne erwirtschaften. So liegen die operativen Umsatzrenditen von BMW (12,3 Prozent), Daimler (11,6 Prozent) und Volkswagen (7,5 Prozent) nach neun Geschäftsmonaten auf Rekordniveau.
Ein Grund dafür ist nicht zuletzt die staatliche Unterstützung bei gleichzeitigem Arbeitsplatzabbau. Weitere Gründe sind laut Handelsblatt Preiserhöhungen, bzw. das Streichen von Rabatten für die Fahrzeuge sowie der Einsatz aller verfügbaren Mikrochips bei der Fertigung besonders lukrativer Premium-Modelle. Der akute Mangel an Mikrochips zwingt derzeit Autohersteller weltweit zu Produktionseinschränkungen.
Auf der anderen Seite stehen die Zulieferer. Nicht alle sind in der Lage, die Umstellung vom Verbrennermotor zur Elektro-Mobilität mit einer entsprechenden Anpassung der Produktion auszugleichen. Wegen des Chipmangels haben Zulieferer laut IG Metall schon jetzt Umsatzausfälle von 30 Prozent oder mehr, dazu kommen noch explodierende Preise für Industriemetalle wie Kupfer, Zink oder Aluminium hinzu.
Um die wachsende Unruhe in den Belegschaften aufzufangen, sah sich die IG Metall gezwungen, mehrere Protestaktionen zu organisieren.
Vor vier Wochen protestierten Beschäftigte der Klimasparte des Autozulieferers Mahle gegen den drohenden Abbau von Arbeitsplätzen und Werksschließungen. Gut 1200 Beschäftigte versammelten sich vor der Stuttgarter Konzernzentrale. Betriebsrat und Geschäftsleitung der Mahle-Klimasparte verhandeln seit längerem über einen so genannten „Pilot-Zukunfts-Vertrag“.
Im Gesamtkonzern gilt seit 2020 ein von der IG Metall abgesegnetes „Transformationsprogramm“, das Arbeitsplatzabbau und Werkschließungen beinhaltet. So soll das Gaildorfer Werk mit rund 300 Beschäftigten bis Ende 2023 schließen. Bereits Ende vergangenen Jahres hatte Mahle sein Filterwerk in Öhringen mit 170 Beschäftigten stillgelegt.
In München ruft die IG Metall für den 19. November zum „Großen Bosch-Solidaritätstag“ auf. Neben den Produktionsstätten in Arnstadt und Bühl ist das Werk München mit 265 Beschäftigten bedroht. Die Produktion soll nach Nürnberg, Tschechien und Brasilien verlagert werden.
Die Gewerkschaft hat wie immer ein „Alternativkonzept“ ausgearbeitet und vorgelegt, mit dem bei den Münchener Arbeitern dieselben Einsparungen erzielt werden wie mit den Niedriglöhnen in Tschechien und Brasilien.
Während die großen Zulieferkonzerne wie Conti, Hella, ZF, Bosch und Mahle den Arbeitsplatzabbau in Zusammenarbeit mit der IG Metall vollziehen, stehen kleinere Unternehmen vor dem vollständigen Aus. Das liegt laut Anwalt Hünermann vor allem am „vertraglichen Ungleichgewicht“ zwischen den großen Herstellern und den kleineren Zulieferbetrieben.
Damit meint er, dass erstere den letzteren brutal die Preise und Bedingungen diktieren. Zulieferer müssten ständig Material und Personal vorhalten, um Lieferausfällen und daraus entstehenden Schadensersatzansprüchen vorzubeugen. Umgekehrt sei „die Bindungswirkung der Autobauer, bestimmte Mengen von ihren Lieferanten abzunehmen, nur schwach ausgestaltet“.
Auf diese Weise laden Hersteller wie Porsche, Audi, BMW, Mercedes und Volkswagen die Folgen der Absatzschwankungen auf die Zulieferer ab und eilen von Quartalsgewinn zu Quartalsgewinn. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Arbeiter dort unbeschadet bleiben. Im Gegenteil. Die Gewinne der Aktionäre nähren sich zu einem Großteil aus den Verlusten der Beschäftigten.
Bei allen Herstellern gibt es anhaltende Kurzarbeit und damit hohe Lohneinbußen. Bei Opel in Eisenach dauert die Kurzarbeit bis Jahresende, und auch bei Ford in Köln und Saarlouis, bei Mercedes in Rastatt, bei BMW in Leipzig und bei VW in Wolfsburg gibt es immer wieder Kurzarbeit.
Auch der Arbeitsplatzabbau geht unvermindert weiter. Der zum Stellantis-Konzern gehörende Hersteller Opel will den Abbau in seinem Rüsselsheimer Stammwerk beschleunigen und bietet zusätzlich zu den schon mit der IG Metall ausgehandelten Abfindungen „Speed-Prämien“ von mindestens 20.000 Euro (brutto) an. Opel will noch in diesem Jahr 2100 Arbeitsplätzte abbauen, dazu müssen noch mehrere Hundert Arbeiter zum „freiwilligen“ Weggang gedrängt werden.
Im Mercedes-Werk Rastatt verlieren fast 210 Leiharbeiter ihren Arbeitsplatz. Wie immer hat dies die IG Metall nach dem altbekannten Muster durchgesetzt: Der Konzern schickte 607 Leiharbeiter nach Hause, die Gewerkschaft protestierte, um anschließend als Erfolg darstellen zu können, dass 398 von ihnen in feste, unbefristete Verträge übernommen werden sollen.
Die leer ausgehenden 210 Leiharbeiter sind laut IGM angeblich erst seit kurzem im Werk und „überwiegend zur Abdeckung der Urlaubszeit im Sommer eingestellt“ worden. Sie werden mit dem Versprechen abgespeist, dass sie „priorisiert wieder eingestellt werden, sobald die Produktion wieder anzieht“, schreibt die Gewerkschaft.
Doch einige von ihnen sind schon seit zwei und mehr Jahren bei Mercedes. Möglich macht das eine Vereinbarung der Mercedes-Betriebsräte, nach der die gesetzliche Höchstüberlassungsdauer für Leihbeschäftigte von 18 Monaten auf bis zu 48 Monate verlängert wird. Dafür sollen sie nach Ablauf dieser Frist sicher übernommen werden und dann auch mehr Geld erhalten.
Die Badischen Neuesten Nachrichten berichteten über den Arbeiter Frank M., der seit 2019 im Werk Rastatt arbeitet. Er hoffte, wie viele andere seiner Kollegen, im Jahr 2023 nach 48 Monaten übernommen zu werden. Nun sitzt er zuhause und weiß nicht weiter. Er und seine Kollegen müssen finanziell umplanen, nachdem sie nun doch nicht von Mercedes übernommen werden.
„Viele haben ihre Finanz- und Familienplanung darauf ausgerichtet“, berichtet Frank M.. Manche könnten bald ihre Raten nicht mehr bedienen. Angesichts der gestiegenen Gewinne des Konzerns (von 3,1 Milliarden auf 3,6 Milliarden Euro allein im dritten Quartal) schüttelt er den Kopf: „Es hätte Daimler nicht weh getan, uns auch einzustellen.“ Solche persönlichen Schicksale stehen hinter den Gewinnen, die an der Börse von den Aktionären gefeiert werden.
Laut dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) verschlechtert sich die Gesamtlage der Autoindustrie weiter. In einer aktuellen Konjunkturumfrage des DIHK schätzen die Unternehmen im Kraftfahrzeugbau ihre Lage im Vergleich zum Frühsommer erheblich schlechter ein. 26 Prozent der Unternehmen bewerten ihre Lage als schlecht. Als Grund führten sie vor allem steigende Rohstoff- und Energiepreise an.
Laut DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben steht „der Kraftfahrzeugbau mit seinen vielen Dienstleistern und Zuliefererbetrieben für über eine Million Beschäftigte sowie mehr als fünf Prozent unserer gesamten Wirtschaftsleistung – und damit für Wohlstand und Arbeitsplätze in Deutschland“.
Die Verteidigung dieser Arbeitsplätze ist eine Klassenfrage. Die Beschäftigten aller Auto- und Zulieferkonzerne müssen sich bundesweit und international zusammenschließen und jeden Arbeitsplatz verteidigen. Das erfordert einen Bruch mit der IG Metall und ihrer Politik der „Sozialpartnerschaft“, den Aufbau unabhängiger Aktionskomitees und ein sozialistisches Programm, das die Bedürfnisse der Arbeiter und der Gesellschaft über die Profitinteressen der Konzerne stellt.
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