In diesem Monat wurde Covid-19 nach offiziellen Zahlen zum tödlichsten Ausbruch einer Infektionskrankheit in der amerikanischen Geschichte. Die Coronavirus-Pandemie stellt jetzt die Spanische Grippe von 1918 in den Schatten, an der innerhalb von zwei Jahren 675.000 Amerikaner starben.
Die Zahl der täglichen Todesopfer in den USA ist in jüngster Zeit rasant angestiegen. Am Mittwoch starben 2.228 Amerikaner an Covid-19, am Dienstag 2.152. Nach den Angaben von worldometers.info dürfte die Zahl der Opfer bei Erscheinen dieses Artikels die Marke von 700.000 überschritten haben.
Die offizielle Zahl der Todesopfer ist in den USA höher als in jedem anderen Land. Auf die Vereinigten Staaten entfallen nur 4,2 Prozent der Weltbevölkerung, aber nach offiziellen Angaben 14 Prozent der fast 4,7 Millionen Todesfälle weltweit.
Die Dunkelziffer ist weitaus höher. Laut einer Studie vom Januar dieses Jahres werden etwa 35 Prozent der COVID-19-Todesfälle nicht erfasst. Die tatsächliche Zahl der Todesopfer in den USA dürfte daher bei über einer Million liegen. Diese Zahl entspricht auch einer aktuellen Studie des Institute for Health Metrics and Evaluation (IHME).
Mehr als 9,1 Millionen Lebensjahre sind in den Vereinigten Staaten durch Covid-19 verloren gegangen, so das Ergebnis einer Studie, die diese Woche in der Zeitschrift Annals of Internal Medicine erschien. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass Covid-19 nicht nur eine Pandemie für alte und gefährdete Menschen war, sondern auch für jüngere und gesündere Gruppen“, so die Autoren der Studie.
Die katastrophalen Auswirkungen der Spanischen Grippe waren ebenso wie die Coronavirus-Pandemie das Ergebnis einer bewussten Entscheidung der herrschenden Klasse, den Schutz des menschlichen Lebens dem Profit unterzuordnen.
Die Spanische Grippe hatte ihren Ursprung im Bundesstaat Kansas, verbreitete sich rund um den Globus und infizierte ein Drittel der Weltbevölkerung. Insbesondere erreichte sie die Schützengräben des Ersten Weltkriegs, in denen es um Hygiene und medizinische Versorgung bekanntlich schlecht bestellt war.
Schon am Namen „Spanische Grippe“ zeigen sich die Versuche des politischen Establishments in den USA, die Existenz der Krankheit zu verschleiern. Während des Kriegs verbot die Zensur eine seriöse und ehrliche Berichterstattung. Der irreführende Name der Pandemie ging darauf zurück, dass die spanische Presse darüber berichtete.
US-Präsident Woodrow Wilson, der den tödlichen Charakter dieser Grippe durchaus kannte, hat sich nie öffentlich dazu geäußert. Der Historiker John M. Barry, Autor des Buches The Great Influenza, stellte fest: „Bei der Bewältigung der Pandemie auf Bundesebene gab es keinerlei Führung oder Anleitung durch das Weiße Haus. Wilson wollte, dass nichts von den Kriegsanstrengungen ablenkte. Alles Negative galt als schädlich für Moral und Kriegsführung.“
Die Pandemie von 1918 war eng damit verbunden, dass Heerscharen von Soldaten über die Weltmeere hinweg in einem imperialistischen Raubkrieg zusammentrafen. Die Verluste durch Kugeln, Granaten und Landminen waren katastrophal, aber noch mehr Opfer forderte das Influenzavirus.
Mehr als 100 Jahre nach der Spanischen Grippe verfügt die Menschheit über weitaus bessere Möglichkeiten, das Coronavirus aufzuhalten und auszurotten. In nur 10 Monaten wurden hochwirksame Impfstoffe gegen Covid-19 entwickelt. Die Kommunikations- und Informationstechnologie macht es möglich, die Aufenthaltsorte und Kontakte von Infizierten präzise zu erfassen. Patienten könnten ohne Weiteres mit wirksamen und sicheren Therapeutika behandelt werden.
Doch die gesellschaftlichen Verhältnisse im Kapitalismus verhindern den rationalen Einsatz der Mittel zur Rettung von Menschenleben und zur Beendigung der Pandemie. Trotz der massiven Zunahme der Todesfälle durch Covid-19 drängt die herrschende Klasse in den USA mit aller Kraft auf die Wiedereröffnung von Schulen und Betrieben. Experten warnen deshalb vor einem massiven Wiederaufflammen der Krankheit.
Anstatt die Instrumente zur Ausrottung der Pandemie einzusetzen, hat der Kapitalismus das Massensterben „normalisiert“.
Wie die World Socialist Web Site im Dezember 2020 schrieb:
Die Normalisierung des Todes ergibt sich aus der Entscheidung, basierend auf Klasseninteressen, die „Gesundheit der Wirtschaft“ und „menschliches Leben“ als vergleichbare Phänomene zu behandeln, wobei Ersteres Vorrang vor Letzterem hat. Sobald man diesen Vergleich und die Priorisierung als legitim akzeptiert – so wie es das politische Establishment, die Oligarchen und die Medien tun –, wird der Tod als unvermeidlich angesehen.
Die Tatsache, dass jeden Tag Tausende Menschen sterben, wird in den Abendnachrichten und den Mainstream-Medien kaum erwähnt. Diese Todesfälle werden nicht als unnötige Vergeudung von Menschenleben angesehen, sondern als selbstverständlich hingenommen.
Der Grund ist, dass das gesamte politische Establishment die gesellschaftlich notwendige und wissenschaftlich fundierte Antwort auf Covid-19 ablehnt: die vollständige Ausrottung des Virus. Die herrschende Klasse in den USA verlangt von der Bevölkerung, mit der Pandemie zu „leben“.
Die Arbeiterklasse muss diese Politik des Massensterbens zurückweisen und bekämpfen! Sie muss für eine Strategie der Ausrottung des Virus eintreten und dabei auf die von führenden Epidemiologen, Virologen und anderen Wissenschaftlern entwickelten Strategien setzen. Die Pandemie kann gestoppt werden. Dazu müssen allerdings alle Waffen aus dem Arsenal der Bekämpfungsmaßnahmen eingesetzt werden: Schließung von Schulen und nicht lebensnotwendigen Betrieben, Massentests und Kontaktverfolgung sowie weltweit koordinierte Impfungen.
Wie zur Zeit des Ersten Weltkriegs, der den Hintergrund für die Spanische Grippe bildete, erfordert die Beendigung der Covid-19-Pandemie ein Eingreifen der Arbeiterklasse, der einzigen gesellschaftlichen Kraft, die in der Lage ist, einen Kampf zur Ausrottung der tödlichen Krankheit zu führen.