Französische Regierungsvertreter warnen: AUKUS untergräbt amerikanisch-europäische Beziehungen

Nachdem Paris am Freitag den beispiellosen Schritt unternommen hatte, seine Botschafter aus den USA und Australien abzuziehen, verurteilte es am Wochenende auch das australisch-britisch-amerikanische Bündnis AUKUS, das US-Präsident Joe Biden am Mittwoch verkündet hatte. Dieses richtet sich zwar gegen China, wurde aber hinter dem Rücken der Europäischen Union ausgehandelt und hat dazu geführt, dass Australien einen Rüstungsauftrag für U-Boote aus französischer Produktion im Wert von 56 Milliarden Euro zurückgezogen hat. Jetzt explodieren die Spannungen zwischen Washington und den EU-Mächten.

Außenminister Jean-Yves Le Drian, der AUKUS am Donnerstag als „Dolchstoß“ verurteilt hatte, erklärte am Samstag zur Hauptsendezeit in einem Interview mit dem Fernsehsender France2, die Abberufung der Botschafter solle „unseren langjährigen Partnern zeigen, dass sehr große Wut herrscht und zwischen uns eine wirklich ernste Krise entstanden ist.

Es gab Lügen, Doppelzüngigkeit, einen schweren Vertrauensbruch, Verachtung. Deshalb sieht die Lage zwischen uns überhaupt nicht gut aus; kurz: es gibt eine Krise [...] Wir ziehen unsere Botschafter zurück, um zu versuchen, es zu verstehen [...] und es ist auch eine Art, unsere Position neu zu bewerten und unsere Interessen in Australien und den USA zu verteidigen.“

Er fügte hinzu, die französischen Behörden hätten noch „eine Stunde“ vor der formellen Ankündigung des AUKUS-Plans am Mittwoch nichts davon gewusst: „Das geplante Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und Australien wurde von einem sehr kleinen inneren Kreis ins Leben gerufen. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob alle Minister in Australien und den USA davon wussten.“

Le Drian machte deutlich, dass die Wut in Paris über das AUKUS-Bündnis auch in Zusammenhang mit breiteren internationalen militärischen Entwicklungen steht, darunter mit dem plötzlichen und demütigenden Zusammenbruch des Nato-Marionettenregimes in Afghanistan – eine Entscheidung, über die Washington nicht mit seinen EU-Verbündeten diskutiert hatte. Er erklärte: „Die Vereinigten Staaten verschieben ihre grundlegenden Interessen. Sie brechen einige Versprechen, die sie auf globaler Ebene gemacht haben, und es gibt einen tatsächlichen Zusammenhang zwischen Afghanistan und dem Abkommen mit Australien.“

Zuletzt stellte Le Drian ungewöhnlich offen die Überlebensfähigkeit von Frankreichs Bündnis mit den USA in Frage: „Das alles führt uns zu der Frage, wie stark das Bündnis mit den Vereinigten Staaten ist. [...] Echte Verbündete reden miteinander und respektieren einander. Das ist nicht passiert.“

Le Drian fügte hinzu, der amerikanisch-französische Konflikt um AUKUS werde sich auch auf den bevorstehenden Nato-Gipfel im nächsten Jahr auswirken: „Die Nato hat auf Wunsch des Präsidenten der Republik eine Diskussion über ihre Grundlagen begonnen. Der nächste Nato-Gipfel in Madrid wird zur Formulierung eines neuen strategischen Konzepts führen. Die Ereignisse werden eindeutig Auswirkungen auf diese neue Definition haben.“

Die erbitterten Konflikte zwischen den imperialistischen Nato-Mächten müssen von der Arbeiterklasse als Warnung verstanden werden. Die Auflösung der Sowjetunion durch das stalinistische Regime 1991 hat die historisch verwurzelten Widersprüche des Kapitalismus, die im 20. Jahrhundert zu zwei Weltkriegen führten, nicht gelöst. Während Washington unter dem Eindruck seiner Niederlage in Afghanistan den Kriegskurs gegen China verschärft, gerät es in Konflikt mit europäischen imperialistischen Mächten, die ihre konkurrierenden wirtschaftlichen und strategischen Interessen in der Indo-Pazifik-Region durchsetzen wollen.

Bezeichnenderweise veröffentlichte Biden die Ankündigung des AUKUS-Bündnisses bewusst einen Tag vor der lange erwarteten Veröffentlichung der Indo-Pazifik-Strategie der EU, die damit völlig an den Rand gedrängt wurde. Dennoch ist das Dokument bedeutsam, weil es die wirtschaftlichen Grundlagen der zunehmenden Konflikte zwischen Washington und den europäischen Mächten in Bezug auf den Einfluss in Asien zeigt.

In dem Dokument heißt es, die EU sei der „wichtigste Investor“ und ein „natürlicher Partner“ in der Indo-Pazifik-Region. „Zusammen entfallen auf den Indo-Pazifik und Europa mehr als 70 Prozent des globalen Handels mit Waren und Dienstleistungen und über 60 Prozent der ausländischen Direktinvestitionen.“ Es fordert die Zusammenarbeit mit „Partnern, die bereits im Indo-Pazifik aktiv sind“, wie Washington und London, allerdings wird die EU auch aufgefordert, ein „vielseitiges Engagement mit China fortzusetzen“ und seine „essenziellen Interessen“ dort zu schützen.

Das AUKUS-Bündnis soll signalisieren, dass Washington nach den Debakeln seiner Kriege im Nahen Osten und Zentralasien London und Canberra als zuverlässigere Partner gegen China sieht als die EU. Das Wall Street Journal lobte das AUKUS-Bündnis in einem Artikel, verurteilte Frankreichs Forderungen nach strategischer Autonomie von Washington und warnte die ganze EU: „Europa kann Chinas Spiel des Teile-und-Herrsche in wirtschaftlichen und strategischen Fragen nicht spielen, ohne mit Konsequenzen für seine Beziehung zu den USA zu rechnen.“

Auch das Magazin Atlantic veröffentlichte einen Artikel, in dem anonyme britische Regierungsvertreter erklärten, Washington müsse Großbritannien den Vorzug vor der EU geben, wenn es eine harte Haltung gegen China durchsetzen wolle.

Atlantic schrieb, nach Großbritanniens Austritt aus der EU und den Konflikten zwischen der EU und den USA während Trumps Präsidentschaft „herrscht in den USA, Großbritannien und Australien jetzt der politische Konsens, dass Chinas Einfluss eingedämmt werden muss. Zusammengenommen sind das Ende des Kriegs in Afghanistan, die Stoßrichtung gegen China und die Priorisierung des alten britisch-amerikanischen Bündnisses gegenüber der EU große strategische Schritte. Der britische Regierungsvertreter erklärte: ,Wenn man große strategische Schritte unternimmt, verärgert man Leute.‘“

Kurzfristig scheint Paris als Vergeltungsmaßnahme Beziehungen zu anderen asiatischen Mächten aufzubauen, die Washington als regionale Verbündete gegen China benutzen wollte.

Am Samstag schlug Le Drian seinem indischen Amtskollegen Subrahmanyam Jaishankar eine französisch-indische Konferenz bei der UN-Vollversammlung diese Woche vor. Laut einem Bericht des französischen Außenministeriums „tauschten sie sich über die Situation in Afghanistan aus, die schlechter wird, und stimmten zu, sich nächste Woche in New York am Rande der UN-Vollversammlung zu treffen und ein gemeinsames Programm für konkrete Maßnahmen zur Verteidigung einer wirklich multilateralen Weltordnung zu treffen.“

Hinter der Rhetorik der französischen Regierung über Multilateralismus und Souveränität verbirgt sich jedoch eine zunehmende Rivalität zwischen den imperialistischen Mächten um die Aufteilung der Profite, die in Asien erzielt werden, vor allem angesichts des zunehmenden Wettrüstens zwischen den globalen Großmächten. Die anderen EU-Mächte haben zwar bisher über den französischen U-Bootvertrag geschwiegen, aber zweifellos wird die gefährliche amerikanisch-französische Krise in allen europäischen Hauptstädten aufmerksam verfolgt.

Am Freitag stellten Reporter bei der Pressekonferenz des deutschen Außenministeriums zahlreiche Fragen nach dem AUKUS-Bündnis. Die Sprecherin des Auswärtigen Amts, Maria Adebahr, verweigerte mehrfach eine Antwort und erklärte nur, Berlin habe das neue Bündnis zur Kenntnis genommen.

Reporter wollten zwar wissen, ob die Stornierung des französisch-australischen Vertrags ein „Verstoß gegen die regelbasierte internationale Ordnung“ gewesen sei, und ob Berlin mit Paris über AUKUS diskutiert habe, doch Adebahr verweigerte auch hierzu eine Antwort. Allerdings stellte sie die Möglichkeit in Aussicht, dass Berlin nochmals überdenken könnte, ob der neue US-Deal über den Verkauf von Atom-U-Booten an Australien, der an die Stelle des Deals mit Frankreich getreten ist, gegen Australiens Verpflichtungen nach dem Atomwaffensperrvertrag verstoßen würde.

Über AUKUS erklärte Adebahr: „Wir haben eben keine Kenntnis über genaue Vereinbarungen, die dort geschlossen werden. Deswegen möchte ich an dieser Stelle auch keine genauere rechtliche oder sonstige Einordnung vornehmen. Klar ist für die Bundesregierung, dass wir den internationalen Regeln für den Umgang auch mit radioaktiven Stoffen große Bedeutung beimessen.“

Regierungssprecher Steffen Seibert, der ebenfalls an der Konferenz teilnahm, erklärte: „Ja, es stimmt, die Bundeskanzlerin hat gestern ein sehr ausführliches und intensives Arbeitsabendessen mit dem französischen Präsidenten gehabt. Das ist vertraulich. Deswegen berichte ich daraus auch nicht. Die französischen Freunde und Partner haben ja ihre Sicht der Dinge auf die Vergabeentscheidung, die dort bekannt geworden ist, gestern in der Öffentlichkeit deutlich gemacht.“

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