„Wir sind die Sozialistische Gleichheitspartei, Vierte Internationale, und wir treten an, um der weit verbreiteten Opposition gegen die rechte Politik sämtlicher Bundestagsparteien eine Stimme und eine sozialistische Perspektive zu geben.“ – Mit diesem Satz eröffnete Christoph Vandreier, der stellvertretende SGP-Vorsitzende, am 13. September die Vorstellung seiner Partei in der Wahlsendung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens.
Die Sendung zu den 33 Parteien, die noch nicht im Bundestag vertreten sind, wurde von den öffentlich-rechtlichen Sendern gegenüber den letzten Wahlen noch einmal deutlich zusammengestaucht und auf Sendetermine mitten in der Nacht geschoben. Jede Partei wird nur zwei bis drei Minuten lang vorgestellt.
Obwohl die private Produktionsfirma fast zwei Stunden Filmmaterial auf zwei Minuten heruntergekürzte, hebt sich der Beitrag der SGP (ab Minute 33) von all den rechten, verwirrten oder monothematischen Parteien der Sendung ab. „Wir versuchen nicht, Symptome eines kranken Systems zu lindern, sondern treten für den Sturz des Kapitalismus und für den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft ein“, erklärt Vandreier gleich zu Beginn.
Der Spitzenkandidat macht deutlich, dass die trotzkistische Bewegung auf eine lange Geschichte zurückblickt: „Unsere Weltpartei wurde 1938 als Vierte Internationale gegründet, weil sie die sozialistischen Prinzipien gegen den Stalinismus und gegen die Sozialdemokratie verteidigt hat.“
Im Gespräch mit einem zufälligen Passanten weist er darauf hin, dass die Gewerkschaften lange aufgehört haben, im Interesse der arbeitenden Bevölkerung zu sprechen. „Die SGP unterstützt jeden Arbeitskampf“, erklärt er dort, „und jede Initiative von Arbeitern, die sich gegen Lohnkürzung und miserable Bedingungen wehren.“ Auf den Einwand seines Gegenübers: „Dafür könnte ich auch zu Verdi gehen“, macht Vandreier klar: „Aber das ist genau das Problem. Verdi vertritt nicht die Interessen der Arbeiter.“
Anschließend spricht Vandreier mit einer Frau, die sich als „selbständige Kulturschaffende“ vorstellt. Auf ihre Nachfrage zum Charakter der Arbeiterklasse erklärt er, dass die übergroße Mehrheit der Bevölkerung aus Arbeitern bestehe, die „ihre Arbeitskraft verkaufen müssen, um davon leben zu können“.
Die SGP kämpfe für ein bedingungsloses Grundeinkommen, führt Vandreier aus. Auf den Einwand seiner Gesprächspartnerin, sie finde das zwar gut, aber das könne nicht finanziert werden, antwortete Vandreier: „Um jede dieser Forderungen durchzusetzen, muss der Kapitalismus gestürzt werden.“ Die SGP kämpfe für eine sozialistische Gesellschaft, „in der die Bedürfnisse der Menschen im Zentrum stehen und nicht die Profitinteressen“.
Doch das Sendeformat bot nicht die Möglichkeit, die Fragen eingehender zu behandeln. Vandreiers detailliere Ausführungen zur Corona-Pandemie und zur „Profite vor Leben“-Politik wurden auf den Satz reduziert: „Wir haben in den letzten anderthalb Jahren erlebt, wie eine Politik im Interesse der Reichen durchgesetzt wurde.“
Klarer kommen die Positionen der SGP in einem weiteren Interview zum Ausdruck, das Vandreier im August dem privaten Online-Magazin MG.tv (massengeschmack.tv) gegeben hat. Der Journalist Holger Kreymeier führt dort mit ihm ein Gespräch, das fast anderthalb Stunden dauert, und betitelt es mit dem Satz: „Wir brauchen eine Revolution.“ In diesem Interview der Reihe „Veto“, das nur in einer Vorschau frei zugänglich ist, werden die Positionen detailliert ausgeführt, die der öffentlich-rechtliche Rundfunk derart beschnitten hat.
Es ist ein starkes Plädoyer für den Sozialismus, und Vandreier redet Klartext über die zentralen Fragen der Wahl. Insbesondere begründet er den Kampf der SGP gegen Krieg und Faschismus und für soziale Gleichheit. Er erläutert auch ihre internationale Strategie zur Beendigung der Pandemie.
Dazu erklärt er die Ausrottungsstrategie der SGP: „Man hätte durch ein globales, beherztes Eingreifen die Pandemie sehr früh unter Kontrolle bringen und das Virus auslöschen können (…) In den allermeisten Ländern wurde den Profiten Vorrang vor dem Leben der Bevölkerung eingeräumt.“ Das Ergebnis sei die katastrophale vierte Welle der Delta-Variante. Notwendig sei nun ein globaler harter Lockdown, und gleichzeitig müssten diejenigen, die unter Lohnverlust leiden, vollständig entschädigt werden.
Auf die Frage, wie das denn angesichts des „großen wirtschaftlichen Pandemie-Schadens“ zu finanzieren sei, entgegnet Vandreier: „Von welchem wirtschaftlichen Schaden sprechen wir denn? Während die Mehrheit der Bevölkerung heute wirklich leidet, hat die Profite-vor-Leben-Politik der EZB und der Bundesregierung dazu geführt, dass sich Banken und Konzerne mit Hunderten Milliarden Euro bereichern konnten.“ Und weiter: „Kein Arbeiter darf wegen der Pandemie entlassen werden. Stattdessen müssen die Reichen zur Kasse gebeten werden.“
Gleich zu Anfang stellt Kreymeier die Frage, ob der stellvertretende Vorsitzende der Sozialistischen Gleichheitspartei nicht des Öfteren mit der Aussage konfrontiert werde: „Sozialismus – das hatten wir ja schon, das hat nicht funktioniert.“ Vandreier kontert: „Zunächst sind das sehr wenige Leute, die das sagen.“ Die Umfragen zeigten: „Der Sozialismus ist heute so populär wie nie. Eine wachsende Mehrheit besonders der Jungen zieht ihn dem Kapitalismus vor, denn sie sehen, was dieser ihnen zu bieten hat: Tod durch die Pandemie, eine Profite-vor-Leben-Politik, Arbeitslosigkeit und immer niedrigere Löhne.“
Diesen unbeirrbaren Ton hält Vandreier in allen Fragen aufrecht. Der Stalinismus in der DDR und der Sowjetunion, erklärt er, „hatte mit Sozialismus nicht das Geringste zu tun“. Sozialismus sei „immer internationalistisch“, und: „Sozialismus basiert auf der Arbeiterdemokratie und der unabhängigen Mobilisierung der Arbeiterklasse.“ Im Übrigen sei Sozialismus „ein Prozess, in dem sich die Arbeiter selbst ermächtigen“, und deshalb sei die konkrete historische Entwicklung der Zukunft nicht im Voraus feststellbar. Wichtig sei jedoch: „Wir lehnen das ganze Profitsystem ab, in dem der gesamte Reichtum sich an der Spitze konzentriert, weil die Produktionsmittel sich in privatem Besitz befinden.“
Der Moderator insistiert dann besonders auf dem Thema der Bundeswehreinsätze: „Die SGP fordert die sofortige Beendigung aller Kriegs- und Auslandseinsätze – aber wir sehen doch an Afghanistan, zu was das führt.“ Darauf Vandreier: „Das ganze Leid in Afghanistan ist das Produkt einer 20-jährigen Intervention. Am Kollaps der afghanischen Armee zeigt sich doch gerade, dass diese 20 Jahre dem Land nur Leid, Unterdrückung und Kolonialisierung gebracht haben.“ Vor aller Augen habe sich der Bankrott des brutalen Eroberungskriegs erwiesen. Und er weist besonders auf das Massaker von Kundus hin, für das speziell die Bundeswehr verantwortlich ist.
„Kein Problem im Irak, in Afghanistan, in Mali oder in irgendeinem Land der Welt wird durch imperialistische Truppen gelöst; kein Problem; in keiner Weise!“ Vandreier erklärt mit Karl Liebknecht: „Der Hauptfeind steht im eignen Land“ und bekräftigt: „In dieser Tradition stehen wir. Wir sind für die Auflösung der Bundeswehr.“
Im Rahmen dieses Artikels ist es unmöglich, auf alle Themen des Interviews einzugehen. Vandreier macht darin sehr deutlich, dass alle etablierten Parteien, egal wer die Wahl gewinnt, die Profite-vor-Leben-Politik nach dem 26. September fortsetzen werden. Dabei kann im nationalen Rahmen kein einziges Problem mehr gelöst werden. Er fasst als Quintessenz zusammen: „Wir bauen eine Partei der Arbeiter auf, das ist das Grundprinzip der Vierten Internationale.“
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Die Sendung „Die Story im Ersten: Der Traum von den fünf Prozent. Unterwegs zu den kleinen Parteien“ läuft noch am Freitag, 17.09.21 um 23:30 Uhr auf tagesschau24 und in der ARD-Mediathek.
Das Interview „Alternative zum Kapitalismus? Sozialismus. Wir brauchen eine Revolution“ mit Christoph Vandreier in der Reihe „Veto“ von Holger Kreymeiers Privatsender MG.tv ist in der Vorschau, bzw. Kurzversion hier zu finden. Für die vollständige Fassung muss der Kanal abonniert werden.