Die streikenden Eisenbahnerinnen und Eisenbahner haben letzte Woche bewiesen, dass man dem Bahnmanagement und der hinter ihm stehenden Bundesregierung die Stirn bieten kann. Nachdem bei der Urabstimmung der Lokführergewerkschaft GdL 95 Prozent für Streik gestimmt hatten, standen am Donnerstag und Freitag in ganz Deutschland drei Viertel des Fernverkehrs, 60 Prozent des Nahverkehrs und 300 Güterzüge still.
Doch damit ist der Arbeitskampf nicht gewonnen. Das Bahnmanagement, unterstützt von einer weitgehend feindlichen Presse, weigert sich bisher stur, auch nur ein neues Angebot zu machen. Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) drängt auf die Einschaltung eines Schlichters, um den Streik abzuwürgen.
Um den Streik zu gewinnen, müssen sich die Bahnbeschäftigten über einige grundlegende Fragen im Klaren sein. Sie müssen verstehen, mit wem sie es in der Auseinandersetzung zu tun haben und worum es in dem Streik geht.
1. Ein Sieg erfordert die Mobilisierung der gesamten Arbeiterklasse
Der Angriff der Bahn – Senkung der Reallöhne, Kürzung der Betriebsrenten, wachsender Arbeitsstress – ist Teil eines Generalangriffs auf die gesamte Arbeiterklasse. An der Bahnbelegschaft soll deshalb ein Exempel statuiert werden. Deshalb verdient der Streik die Solidarität von allen Arbeitern.
Seit vielen Jahren bereichert sich eine kleine Minderheit auf Kosten der Mehrheit. Gefördert durch die Hartz-Gesetze und andere Maßnahmen der Regierung ist ein riesiger Niedriglohnsektor entstanden, der als Druckmittel gegen alle anderen Arbeiter eingesetzt wird. Die Löhne bleiben hinter der Inflation zurück, der Arbeitsdruck steigt. Bei der Bahn ruinieren unregelmäßige Schichtdienste die Gesundheit und verunmöglichen jedes normale Familienleben.
Mit der Corona-Pandemie wurden diese Angriffe weiter verschärft. Allein in Deutschland sind über 90.000 Menschen an der Pandemie gestorben, weil sich die Regierung weigert, einen umfassenden Lockdown zu verhängen. Damit die Profite weiter sprudeln, bleiben Schulen und Fabriken offen. Den Banken und Konzernen hat die Regierung gleichzeitig hunderte Milliarden Euro an Steuergeldern in den Rachen geworfen.
Als Folge klettern die Aktienkurse von Rekord zu Rekord. Am Freitag erreichte der Dax mit 16.000 Punkten einen neuen historischen Höchststand. Die Konzerne fahren gewaltige Profite ein. Volkswagen erzielte in der ersten Jahreshälfte einen Rekordgewinn von knapp 11,4 Milliarden Euro. Auch Daimler, Stellantis, Adidas, Deutsche Post, SAP und Siemens berichten über Milliardengewinne. Die Gewinnsumme aller Dax-Unternehmen erreichte im ersten Quartal 2021 den höchsten jemals erzielten Wert.
Den Preis dafür bezahlen die Arbeiter. Die Konzerne blasen zum Generalangriff. Ihre Gier ist unstillbar. Allein Daimler und Continental haben den Abbau von jeweils 30.000 Arbeitsplätzen angekündigt.
Dasselbe findet bei der Bahn satt. Während sich das Management Boni von 500 Millionen Euro genehmigt, bietet es den Beschäftigten in diesem Jahr eine Nullrunde und danach eine Tariferhöhung von 3,2 Prozent bei einer Laufzeit von 40 Monaten an. Bei der gegenwärtigen Inflationsrate von 4 bis 5 Prozent entspricht das einer Reallohnsenkung von rund 10 Prozent am Ende der Laufzeit! Hinzu kommen niedrigere Betriebsrenten und härtere Schichtpläne.
Das Bahnmanagement und die gesamte herrschende Klasse wissen, dass ein Sieg der Eisenbahner eine Kettenreaktion auslösen würde. Millionen Arbeiter verfolgen den Bahnstreik mit großer Sympathie und fiebern darauf, selbst den Kampf aufzunehmen.
Umgekehrt können die Eisenbahner den Streik nur gewinnen, wenn sie Unterstützung in der gesamten Arbeiterklasse mobilisieren. Notwendig ist ein umfassender, unbefristeter Streik, der einen politischen Kampf gegen die Regierung einleitet. Bleibt der Streik isoliert, wird die Regierung ihn erdrosseln.
Erstmals bringt das Management der Bahn, die sich zu 100 Prozent im Bundesbesitz befindet, das Tarifeinheitsgesetz zum Einsatz. Es wurde 2015 erlassen, um Streiks von kleineren Gewerkschaften – wie der GDL oder Ufo und Cockpit im Luftverkehr – zu unterbinden und den DGB-Gewerkschaften ein Monopol zu verschaffen. Diese sind keine Vertreter der Arbeiter mehr, sondern Instrumente der Unternehmen zur Unterdrückung der Arbeiter.
Bei der Bahn hat die DGB-Gewerkschaft EVG schon im Mai vergangenen Jahres mit Bundesregierung und Management ein „Bündnis für unsere Bahn“ geschlossen, das die Corona-Schäden auf die Beschäftigten abwälzt. Im Oktober unterzeichnete sie dann einen vorgezogenen Tarifvertrag mit einer Nullrunde im laufenden Jahr. Er dient nun als Blaupause für den Angriff auf die Lokführer.
2. Die Leitung des Streiks darf nicht in den Händen der GDL gelassen werden
Die GDL ist nicht bereit, den umfassenden Kampf zu führen, der für einen Erfolg des Streiks erforderlich ist. Trotz ihrer Differenzen mit der EVG ist auch sie der Sozialpartnerschaft und der Zusammenarbeit mit der Regierung verpflichtet. Ihr Vorsitzender Claus Weselsky ist sogar Mitglied der CDU.
Weselsky hat in der Vergangenheit immer wieder bewiesen, dass er zu jedem faulen Kompromiss bereit ist, sobald die GDL von der Bahn als Tarifpartner anerkannt wird. So unterzeichnete die GDL 2015, als sich ihr wegen ihrer Streikbereitschaft zahlreiche Arbeiter aus anderen Transportbereichen anschlossen, ein vierjähriges Stillhalteabkommen. Anfang 2019 vereinbarte sie dann einen Tarifabschluss, der kaum die Inflationsrate ausglich und sie bis Februar 2021 zum Streikverzicht verpflichtete. Auch jetzt ist ihre Forderung kaum höher als das Angebot der Bahn und liegt weit unter der Inflationsrate.
Vor allem ist die GDL nicht bereit, den Arbeitskampf auszuweiten und gegen die Regierung zu führen. In seinem jüngsten Podcast betonte Weselsky, dass die GDL keinen „politischen Streik“ führe. Sie akzeptiere das Tarifeinheitsgesetz (TEG) uneingeschränkt und beschränke sich darauf, in den verschiedenen Betrieben der Bahn für Mehrheiten zu werben.
Die GdL habe im Frühjahr entschieden, sagte er, „dass es für diese Organisation nur den einen Weg geben kann: Anerkenntnis des TEG als Faktum, das da ist, und Schaffung von Mehrheiten in allen Betrieben, die mit dem Eisenbahnsystem systemrelevant zusammenhängen. Das ist unsere Zielsetzung. Die kann uns niemand verbieten, die ist auch nicht politisch, die ist gewerkschaftlich.“
Die bornierte Haltung der GdL als Standesgewerkschaft steht einer breiteren Mobilisierung der Arbeiterklasse im Weg, ohne die kein Streik gewonnen werden kann. Weselsky lehnt es nicht nur ab, an Arbeiter in anderen Unternehmen und Ländern zu appellieren, er treibt sogar einen Keil zwischen die Beschäftigten der Bahn, indem er alle Angestellten der Verwaltung mit dem arroganten Management über einen Kamm schert. Dem Tagesspiegel sagte er im März, über die Hälfte von ihnen sei „verzichtbar“.
3. Baut unabhängige Aktionskomitees auf
Die SGP schlägt vor, unabhängige Aktionskomitees von Bahnarbeitern zu gründen, um den Kampf zum Erfolg zu führen und die erforderliche Unterstützung dafür zu mobilisieren.
Die Vierte Internationale, der die SGP als deutsche Sektion angehört, hat zum 1. Mai die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees ins Leben gerufen, um die Kämpfe in verschiedenen Fabriken, Branchen und Ländern zu koordinieren.
Im Gründungsaufruf heißt es, die Internationale Arbeiterallianz werde „sich dafür einsetzen, einen Rahmen für neue Formen unabhängiger und demokratischer Kampforganisationen von Arbeitern in Fabriken, Schulen und Betrieben auf internationaler Ebene zu schaffen. Die Arbeiterklasse ist bereit zu kämpfen. Aber sie wird von reaktionären bürokratischen Organisationen gefesselt, die jeden Ausdruck von Widerstand unterdrücken. Die Allianz wird ein Instrument sein, mit dem Arbeiter auf der ganzen Welt Informationen austauschen und einen vereinten Kampf organisieren können…“
Die Bedeutung dieser Initiative wurde bereits praktisch bestätigt. So haben die Arbeiter des Lastwagenbauers Volvo Trucks in Virginia (USA) ein Aktionskomitee gegründet und gegen den Welt-Konzern und die amerikanische Autoarbeiter-Gewerkschaft UAW gekämpft. Dreimal haben die 3000 Volvo-Arbeiter Verträge der UAW mit Volvo abgelehnt, die Lohnsenkungen und schlechtere Arbeitsbedingungen zum Inhalt hatten. Das Komitee hat auch Arbeiter in anderen Werken des Weltkonzerns inspiriert, sowohl in den USA wie in Belgien und Australien.
Auch die Arbeiter des Flughafendienstleisters WISAG haben sich unabhängig zur Wehr gesetzt, als der Konzern am Frankfurter Flughafen 230 langjährige Beschäftigte entließ und durch Billiglohnkräfte ersetzte. Die Gewerkschaft Verdi und ihr Betriebsrat hatten das alles abgesegnet. Die WISAG-Arbeiter haben daher ein unabhängiges Aktionskomitee gegründet, um ihren Kampf zu koordinieren und zu organisieren.
Unterstützt den Wahlkampf der SGP
Der Aufbau eines Netzwerks unabhängiger Aktionskomitees ist unerlässlich, um soziale Errungenschaften und Rechte zu verteidigen. Er ist jedoch kein Ersatz für den Aufbau einer Partei, die die Interessen der Arbeiter vertritt. Ernsthafte praktische Schritte setzen ein Programm und Prinzipien voraus. Dazu muss eine sozialistische Partei in der Arbeiterklasse aufgebaut werden.
Die kapitalistische Wirtschaftsordnung ist bankrott. Sie bringt nur noch Ungleichheit, Ausbeutung, Tod, Krieg und Diktatur hervor. Kein einziges gesellschaftliches Problem kann gelöst werden, ohne die riesigen Vermögen der Finanzelite zu enteignen und die Gesellschaft auf sozialistischer Grundlage zu reorganisieren.
Die SGP tritt zur Bundestagswahl an, um die Arbeiterklasse für ein sozialistisches Programm zu gewinnen und international zu vereinen. Unterstützt unseren Wahlkampf, lest die World Socialiste Web Site und werdet Mitglied in der SGP.