In den Vereinigten Staaten haben die Gouverneure von 25 Bundesstaaten die pandemiebedingten zusätzlichen Hilfen für Arbeitslose gestrichen oder werden sie in Kürze streichen. Hierdurch wird nach Angaben der Century Foundation etwa vier Millionen Arbeitslosen in den USA eine zusätzliche Unterstützung genommen, die in der Summe 22 Milliarden Dollar ausmacht.
Die Streichung der 300 Dollar pro Woche an staatlicher Arbeitslosenunterstützung begann am vergangenen Samstag in Mississippi, Missouri, Iowa und Alaska. Weitere 21 Bundesstaaten folgen jetzt und streichen die Unterstützung bis zum 10. Juli. Einundzwanzig der 25 US-Bundesstaaten, darunter Maryland, Texas und Tennessee, werden alle mit der Pandemie zusammenhängenden Hilfsprogramme beenden, darunter auch die Pandemie-Arbeitslosenhilfe, die vor allem den „Gigworkern“ zugute kommt.
Die US-Bundesstaaten, die diese drastischen Maßnahmen ergreifen, werden von republikanischen Gouverneuren geführt. Die Politik wird jedoch parteiübergreifend getragen. Letzten Monat signalisierte US-Präsident Joe Biden (Demokratische Partei) seine Unterstützung für die Beendigung der Leistungen, als er die aktive Arbeitssuche wieder zur Pflicht für Arbeitslose erklärte. Er sprach sich auch dafür aus, im ganzen Land das Arbeitslosengeld am 6. September, also in weniger als drei Monaten, auslaufen zu lassen.
Am 4. Juni gab die Pressesprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, eine Erklärung ab, in der sie sagte, dass republikanische Gouverneure „jedes Recht haben“, die Bundesleistung „nicht zu akzeptieren“. „Das ist okay“, sagte sie.
In den Leitmedien wurde der Schritt, die Arbeitslosenunterstützung für Millionen Arbeiter und ihre Familien zu streichen, als „Experiment“ bezeichnet. Bei NBC News hieß es am 11. Juni: „Es ist der Beginn eines kühnen sozialen und wirtschaftlichen Massenexperiments, um zu sehen, ob das vorzeitige Abstellen der Bundesarbeitslosenunterstützung für die Hälfte des Landes die Menschen in diesen Staaten zurück zur Arbeit treibt.“
Dieses „kühne Experiment“ bedeutet in der Praxis, Millionen von Menschen in Armut und Elend zu stürzen und gleichzeitig die weitere Ausbreitung der Coronavirus-Pandemie zu riskieren.
Zum Beispiel in Mississippi, wo weniger als 29 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft sind und etwa 70.000 Arbeitslosen am Samstag die Unterstützungsleistung gestrichen wurde. Fast 15 Prozent der Erwachsenen in Mississippi, die im letzten Monat vom US Census Bureau befragt wurden, gaben an, in den letzten sieben Tagen „manchmal oder oft“ nicht genug zu essen gehabt zu haben. Darüber hinaus gaben fast 37 Prozent der Erwachsenen an, dass es in der letzten Woche „etwas oder sehr schwierig“ gewesen sei, die üblichen Haushaltsausgaben zu bezahlen.
Die Bedingungen in Mississippi stehen exemplarisch für die Verhältnisse im Land. Die Kürzung der staatlichen Leistungen wird katastrophale Folgen für die Arbeitslosen und ihre Familien haben. Viele von ihnen können aus gesundheitlichen Gründen oder wegen fehlender Kinderbetreuung keine Arbeit annehmen, oder sie finden keine Jobs, deren Löhne existenzsichernd sind.
Aus zwei miteinander verbundenen Gründen wird die Kürzung des Arbeitslosengeldes vorangetrieben.
Zum einen fordert die herrschende Klasse ultimativ, die Arbeiter wieder an die Arbeitsplätze zu bringen, auch wenn die Pandemie weiterhin jeden Tag Hunderte Menschenleben fordert, und sich gefährliche neue Stämme, wie die Delta-Variante, schnell ausbreiten. Die herrschende Klasse hat unter der Biden-Regierung die Pandemie für „beendet“ erklärt.
Nach dem CARES-Act, der Ende März 2020 verabschiedet wurde, war ein zusätzliches Arbeitslosengeld des Bundes von 600 Dollar pro Woche vorgesehen. Die vorübergehende Hilfe für die von den wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie Betroffenen war als Überbrückungsmaßnahme gedacht und diente gleichsam als Deckmantel für den Hauptzweck des Gesetzes: die milliardenschwere Rettung der Wall Street.
Sobald dieses massive Handout für die Reichen Gesetzeskraft besaß, setzten die Forderungen nach einer Rückkehr an die Arbeit ein. Politiker beider großer Parteien erblickten in der 600-Dollar-pro-Woche-Unterstützung ein Hindernis und einen „Fehlanreiz“ für die Wiederaufnahme der Arbeit. Das Programm lief im Juli 2020 aus und wurde später unter Trump durch ein zeitlich begrenztes Programm ersetzt, das nur halb so hohe Hilfszahlungen vorsah, nämlich 300 Dollar pro Woche. Diese 300-Dollar-pro-Woche-Unterstützung wurde im März dieses Jahres unter Biden erneut verlängert und läuft nun bis September.
Die Übereinstimmung innerhalb der herrschenden Klasse, dass alle Hilfsprogramme nun ein Ende haben müssten, fällt mit der Forderung der Biden-Regierung zusammen, alle verbleibenden Maßnahmen gegen die Verbreitung des Virus einzustellen.
Nach der Entscheidung der Centers for Disease Control and Prevention im letzten Monat, die Maskenpflicht zu streichen und die Abstandsgebote zu reduzieren, hat das Arbeitsministerium nun Richtlinien zur Sicherheit am Arbeitsplatz veröffentlicht, die nur für Einrichtungen des Gesundheitswesens gelten. Der Rest der Arbeiterklasse bleibt schutzlos an den Arbeitsplätzen. Es gibt keine gesetzliche Verpflichtung, grundlegende Sicherheitsmaßnahmen zu treffen, wie z. B. das obligatorische Tragen von Masken, Abstandsgebote oder die Nachverfolgung von Kontakten zur Unterbrechung von Infektionsketten.
Die herrschende Klasse ist zudem besorgt, dass der relative Arbeitskräftemangel in einigen Branchen zu steigenden Löhnen führt. „Die Fed könnte in ihrem Kampf gegen die Inflation mit einem Jobproblem konfrontiert werden“, hieß es bei CNBC letzte Woche. „Je länger es dauert, die Menschen wieder in Arbeit zu bringen“, so der Sender weiter, „desto mehr müssen die Arbeitgeber zahlen“.
CNBC zitiert Ian Shepherdson, Chefvolkswirt von Pantheon Macroeconomics: „Leider sehen wir gute Gründe dafür, dass die Erwerbsbeteiligung nicht so schnell auf das Niveau vor Covid zurückkehren wird. Was auch immer hier passiert, die Fed braucht eine große Anzahl dieser Menschen, um im Herbst die Arbeitswelt wieder ans Laufen zu bringen.“
Hinter der verschlüsselten Sprache steckt eine rücksichtslose Klassenlogik. Die herrschende Klasse will Druck auf die Löhne erzeugen, indem sie Millionen von Arbeitern zwingt, Jobs auf Armutsniveau unter unsicheren Bedingungen anzunehmen. Ihr Hebel ist das Streichen des Arbeitslosengeldes.
Was die Inflation anbelangt, so geht es der herrschenden Klasse nicht um „Inflation“ im Allgemeinen, sondern um die Forderungen der Arbeiter nach Lohnerhöhungen im Einklang mit den steigenden Kosten für Konsumgüter. Dies würde die Unternehmensgewinne schmälern.
Im vergangenen Jahr kam es zu einer massiven Inflation der Preise fast aller Finanzanlagen, angetrieben durch die grenzenlose Bereitstellung von Geld durch die US-Notenbank Federal Reserve für die Aktienmärkte. Dies hat zu einem entsprechenden Wachstum des Reichtums der Oligarchie geführt, wobei das Vermögen der Milliardäre weltweit von 8 Billionen Dollar auf 13,1 Billionen Dollar in die Höhe geschossen ist. Allein der Vermögenszuwachs für die Oligarchie in diesem Zeitraum ist 227-mal höher als die Kosten für das nun eingestellte staatliche Arbeitslosengeld.
Während die Medien voll sind von Klagen darüber, dass ein paar Arbeitslose von den mageren Leistungen leben könnten, schlägt niemand vor, der Wall Street den Hahn abzudrehen. Dies wäre tatsächlich ein „Experiment“, aber daran sind sie nicht interessiert.
Das „Experiment“ der herrschenden Klasse bezüglich ihrer mörderischen Herdenimmunitätspolitik hat in den USA zum Tod von mehr als 600.000 Menschen geführt. Nun wird die Streichung der Arbeitslosenhilfe für Millionen Menschen soziale Verelendung bedeuten. In beiden Fällen zeigen sich die Realität des Kapitalismus: Dies ist, was passiert, wenn die Interessen der Gesellschaft den Interessen der Finanzoligarchie untergeordnet werden.
Die Kürzung des Arbeitslosengeldes wird den wachsenden Widerstand in der Arbeiterklasse anheizen. Die anhaltenden Streiks der Arbeiter bei Volvo in Virginia, ATI-Stahlarbeitern in Pennsylvania und von Pflegepersonal in Massachusetts sind erster Ausdruck dafür, dass sich unter der Oberfläche eine Explosion vorbereitet. Diese Kämpfe müssen ausgeweitet und unabhängig von den staatstragenden Gewerkschaften geführt werden, die jahrzehntelang systematisch daran gearbeitet haben, den Widerstand der Arbeiterklasse gegen die Politik der herrschenden Elite zu unterdrücken.
Der Kampf gegen die Kürzung der Arbeitslosenunterstützung, gegen die Herdenimmunität und gegen die Ausbeutung muss mit einer revolutionären Bewegung der Arbeiterklasse verbunden werden, in den USA und international. Das Ziel muss darin bestehen, die Oligarchen zu enteignen, die riesigen Banken und Konzerne in öffentliches Eigentum zu überführen und das kapitalistische System abzuschaffen.