Perspektive

„Profite vor Leben“-Politik fordert 80.000 Corona-Tote in Deutschland

Die offizielle Zahl der Corona-Toten in Deutschland hat gestern die dramatische Zahl von 80.000 erreicht. Am Morgen meldete das Robert-Koch-Institut in seiner täglichen Gesamtübersicht 80.006 Tote.

Es ist bereits jetzt klar, dass in den kommenden Tagen und Wochen viele weitere folgen werden. Trotz der Warnungen von Wissenschaftlern und Virologen weigern sich die Regierungen in Bund und Ländern, einen harten Lockdown zu verhängen und Schulen und Fabriken als Haupttreiber der Pandemie zu schließen. Als Folge infizieren sich täglich zwischen 20.000 und 30.000 Menschen mit dem Virus. Die Kliniken stehen vor dem Kollaps.

Eine derartige Situation kennt man sonst nur aus Kriegszeiten. Weltweit sind mittlerweile über drei Millionen Menschen an Covid-19 gestorben – davon allein mehr als eine Million in Europa und fast 600.000 in den USA. Täglich fallen etwa 10.000 weitere Menschen dem Virus zum Opfer. Zum Vergleich: Im Ersten Weltkrieg – dem bis dahin größten Massenschlachten der Menschheitsgeschichte – fielen durchschnittlich etwa 6000 Soldaten am Tag.

Nach einem Jahr der Pandemie kann die offizielle Propaganda nicht länger darüber hinwegtäuschen, dass die Regierungen für das Massensterben die volle Verantwortung tragen. Das zeigte sich deutlich an den Reaktionen auf den offiziellen „Gedenkakt für die Verstorbenen in der Pandemie“ am Sonntag in Berlin. Die scheinheiligen Reden und Krokodilstränen von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD), Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (ebenfalls CDU) riefen vor allem Wut und Verachtung hervor.

Auf den Vorschlag der führenden Vertreter des Staats, in Fenstern Kerzen für die Opfer der Pandemie aufzustellen, reagierten die sozialen Medien mit einem Sturm der Empörung. Unter dem Motto „#Einkerzen statt #Lichtfenster“ forderten viele die Regierungsvertreter auf, die Kerzen selbst anzuzünden, da sie die Toten auf dem Gewissen hätten. „Zündet euch eure Lichter selber an, es sind eure Toten, jedenfalls die meisten davon. Vielleicht geht euch dann ein Licht auf,“ schrieb ein User auf Twitter.

Der Protest blieb nicht auf die sozialen Medien beschränkt. Im ganzen Land stellten Menschen Kerzen vor Staatskanzleien und Regierungsgebäuden auf, um die Verantwortlichen Regierungen in Bund und Ländern für ihre „Profite vor Leben“-Politik anzuklagen. „Wir werden uns nicht an die vielen Toten gewöhnen. Jede Kerze steht für Menschen, die wegen eures Zögerns und eurer Politik nicht mehr am Leben sind,“ hieß es auf einem Plakat. Und auf einem anderen: „Ihr tut alles, um Profite, Dividenden und Gewinne zu schützen. Schämt euch!“

Das Massensterben auf der einen Seite und die Profitmacherei auf der anderen sind das direkte Ergebnis einer bewussten Politik im Interesse der Banken und Konzerne, die die gesamte herrschende Klasse seit Ausbruch der Pandemie verfolgt.

Als sich die Regierungen in der ersten Welle der Pandemie unter dem Druck der Bevölkerung und spontaner Streiks in Ländern wie Italien, Spanien und den USA gezwungen sahen, Lockdowns zu verhängen und Schulen und Betriebe zeitweise zu schließen, brachen die Börsen weltweit ein. Die Reaktion der herrschenden Klasse war mörderisch und brutal. Sie schützte nicht Leben, sondern Profite und organisierte die größte Umverteilung von unten nach oben in der Geschichte.

Als die Bundesregierung mit Unterstützung aller Oppositionsparteien – von der rechtsextremen AfD bis zur Linkspartei – und der Gewerkschaften im vergangenen Frühjahr das hunderte Milliarden schwere Corona-Notpaket im Bundestag verabschiedete, schrieb die World Socialist Web Site: „Der Klassencharakter der beschlossenen Maßnahmen ist offensichtlich. Ihr Hauptzweck besteht darin, den Reichtum und die Profite der Großkonzerne und Finanzoligarchen abzusichern und zu mehren.“

Kaum waren die Summen auf die Konten der Großkonzerne und Superreichen transferiert, schnellten die Börsenkurse wieder nach oben. Begleitet wurde die Bereicherungsorgie von einer Kampagne, die Schulen und Betriebe trotz der grassierenden Pandemie möglichst schnell aufzureißen, um die Gelder wieder aus den Arbeitern herauszupressen.

An ihrer Spitze stand der gleiche Schäuble, der am Sonntag in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche seine Betroffenheit heuchelte. In einem Interview mit dem Tagesspiegel erklärte er im April 2020, es sei „nicht richtig“, dass „alles andere vor dem Schutz von Leben zurückzutreten“ müsse. Das Recht auf Leben sei auch nicht „absolut“ vom Grundgesetz geschützt.

Ein Jahr später sind mehr als 80.000 Menschen tot und die Profite einer kleinen Schicht an der Spitze der Gesellschaft steigen ins Unermessliche. Mit zwischenzeitlich über 15.500 Punkten erreichte der deutsche Aktienindex DAX gestern ein neues Rekordhoch. Der Finanzoligarchie geht es so gut wie nie. Laut der jüngsten Milliardärsliste des US-Wirtschaftsmagazins Forbes stieg die Zahl der deutschen Milliardäre im Pandemiejahr um 29 auf 136.

Während Millionen Arbeiter heftige Lohneinbußen hinnehmen mussten und ihre Jobs verloren, konnten allein die deutschen Superreichen in den letzten zwölf Monaten ihr Vermögen um 178 Milliarden auf nunmehr 625 Milliarden US Dollar erhöhen. Die Summe entspricht weit mehr als dem gesamten Bundeshaushalt 2021 (498 Milliarden Euro).

Die WSWS hat die Pandemie von Anfang an als Trigger Event bezeichnet, als „auslösendes Ereignis“, das die wirtschaftliche, soziale und politische Krise des kapitalistischen Systems offenlegt und enorm beschleunigt. In den vergangenen zwölf Monaten hat die herrschende Klasse weltweit ihre sozialen Angriffe verschärft und die Situation genutzt, um sich auf Kosten der Arbeiter die Taschen zu füllen und seit langem geplante Umstrukturierungen durchzuführen.

Auch die Kriegspolitik und die Polizeistaatsaufrüstung im Inneren werden massiv vorangetrieben. Die US-Regierung – erst unter Donald Trump und nun unter Joe Biden – bezichtigt China, für die Pandemie verantwortlich zu sein, und bereitet sich immer direkter auf eine kriegerische Auseinandersetzung mit der Atommacht vor. Die europäischen Mächte – allen voran Deutschland – nutzen die Krise ebenfalls, um massiv aufzurüsten und die eigenen imperialistischen Interessen gegen Russland und China und in zunehmendem Maße auch gegen die USA durchzusetzen.

In seiner Eröffnungsrede des digitalen F.A.Z.-Kongresses am 12. März erklärte Steinmeier, die Pandemie sei ein „geopolitischer Moment – ein Moment, den andere Mächte kühl kalkulierend für sich nutzen. Uns sollte klar sein: Unser Handeln gegenüber unseren Nachbarn heute wird die Welt mitprägen, die eine neue Bundesregierung im Herbst vorfinden wird. Als Macht in der Mitte Europas sollten wir nicht verlernen, auch mit den Augen unserer Nachbarn auf uns selbst zu schauen.“

Hinter Steinmeiers zur Schau getragenen Selbstlosigkeit verbirgt sich in Wirklichkeit die alte Großmannssucht der deutschen Eliten, die sich nach zwei verlorenen Weltkriegen erneut anschicken, Europa und die Welt zu dominieren. „Deutschlands Bestimmung: Europa führen, um die Welt zu führen“, lautete bereits 2014 der Titel eines Essays auf der offiziellen „Review 2014“-Website des Auswärtigen Amts. Nun sollen diese Pläne verstärkt in die Tat umgesetzt werden.

Die Bundesregierung erhöhte erst vor wenigen Wochen den Militärhaushalt um weitere fünf Prozent auf offiziell fast 50 Milliarden Euro. Gleichzeitig vergeht kaum ein Tag, an dem Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) nicht in einem Interview oder in einer Rede gegen Russland hetzt.

Dieser Kurs wird auch von den nominell linken Bundestagsparteien unterstützt. In ihrem Programm für die Bundestagswahlen im September fordern die Grünen die Aufrüstung der Bundeswehr und der Nato und drohen Russland und China. Die gestern offiziell gekürte Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, steht dabei wie kaum eine zweite für den aggressiven grünen Militarismus. „Wir müssen uns da ehrlich machen. Ja, in manchen Bereichen muss man mehr investieren, damit Gewehre schießen“, forderte sie gegenüber der Süddeutschen Zeitung.

Und auch die neue Führung der Linkspartei hat in den vergangenen Wochen klargestellt, dass sie als Teil einer möglichen rot-rot-grünen Regierungskoalition auf Bundesebene den militaristischen Kurs voll unterstützen würde. Auf Landesebene setzt sie zusammen mit SPD und Grünen bereits jetzt die „Profite vor Leben“-Politik in die Tat um. Am vehementesten in Thüringen, wo sie mit Bodo Ramelow den Ministerpräsidenten stellt.

Gegen die reaktionäre Politik der gesamten herrschenden Klasse wächst der Widerstand. Weltweit radikalisieren sich Arbeiter und Jugendliche und organisieren Streiks und Proteste gegen die Ausbreitung der Pandemie, Polizeigewalt und die Angriffe auf Arbeitsplätze und Löhne.

Entscheidend ist die Frage der politischen Perspektive. Um Leben zu retten und einen Rückfall in Krieg und Barbarei zu verhindern, muss die Arbeiterklasse unabhängig ins politische Geschehen eingreifen und das System abschaffen, das für die Katastrophe verantwortlich ist und keine rationale und wissenschaftliche Lösung zulässt. Genauso wie der Kampf gegen soziale Ungleichheit, Krieg und Diktatur erfordert auch der Kampf gegen die Pandemie ein sozialistisches Programm.

Im Wahlaufruf der Sozialistischen Gleichheitspartei mit dem Titel „Leben statt Profite! Sozialismus statt kapitalistische Barbarei!“ heißt es:

„Der Kampf um die Eindämmung der Pandemie entwickelt sich zu einem Klassenkampf, der immer deutlicher zeigt, dass die großen Klassen der Gesellschaft – die Kapitalistenklasse und die Arbeiterklasse – unversöhnlich entgegengesetzte Interessen haben. Die offizielle Pandemiepolitik stellt Profit vor Leben. Wir fordern:

Sofortiger Lockdown aller nicht lebensnotwendigen Betriebe bis die Pandemie unter Kontrolle ist! Voller Lohnersatz für alle betroffenen Arbeiter sowie echte Hilfen für Selbstständige und umfassende Unterstützung für arme Haushalte! Ein global koordiniertes Impfprogramm statt Impfstoff-Nationalismus und -Geschäftemacherei!“

Nach 80.000 Toten in Deutschland und drei Millionen weltweit ist dieses Programm dringender denn je. Werde noch heute Mitglied und unterstütze den Wahlkampf der SGP.

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