Ein Julian-Assange-Wandbild für Berlin

In Berlin-Kreuzberg hat ein Künstlerduo in der Karwoche ein Wandbild oder Mural für Julian Assange enthüllt. Das 20 Meter hohe Gemälde ziert das Gebäude genau gegenüber dem Willy-Brandt-Haus, dem Sitz der SPD.

Wikileaks hat das Wandgemälde mit dem Hashtag #freeassangeyesterday lobend erwähnt, weil es deutlich auf die anhaltende Inhaftierung des Journalisten hinweist. Es bezieht sich auf das Wikileaks-Video „Collateral Murder“, wie auch auf den Jahrestag der Inhaftierung von Assange durch die britische Polizei im April vor zwei Jahren, als Ecuador sein Asyl abrupt beendete und ihn aus ihrer Londoner Botschaft warf.

Das Mural „Collateral Crucifixion“ ist ein Plädoyer für Pressefreiheit. Darauf ist Assange zu sehen, der ans Kreuz geschlagen ist. Er trägt eine schusssichere Presse-Weste und Kamera, ist also klar als Journalist erkennbar. Das Kreuz ist eigentlich ein Wachtturm, den eine Kombination aus amerikanischer und britischer Flagge ziert. Zu seinen Füßen sieht man Reihen trommelnder Soldaten, und den Himmel durchqueren Militärflugzeuge und Hubschrauber. Den Hintergrund bilden Ölförderpumpen und die Silhouette der britischen Regierungsgebäude.

Das Wandgemälde stammt von Captain Borderline, dem 1999 gegründeten Streetart-Trio der Künstler Shanti, Signl und Dabtar. Das Mural für Assange ist das Werk von Shanti und Signl. Ihrer Website zufolge liegt ihre „Haupttätigkeit (…) auf der Malerei von sozialkritischen und politischen Murals (Wandgemälde) weltweit“. Zu ihren künstlerischen Werkzeugen gehörten „auch Streetart Kampagnen, Siebdrucke, Animationen, Filme und Installationen“.

Das Mural wurde kurz vor dem 11. Jahrestag der Veröffentlichung des Collateral Murder-Videos am 5. April 2010 enthüllt. Das Filmmaterial, das vom US-Militär am 7. Juli 2007 aufgenommen wurde, zeigt die tödlichen Kriegsverbrechen bei der neokolonialen amerikanischen Invasion und Besetzung des Irak.

Es zeigt, wie amerikanische Soldaten in einem Apache-Kampfhubschrauber in der irakischen Hauptstadt Bagdad unbewaffnete Zivilisten erschossen. Die Mannschaft fragte wiederholt, ob sie die Erlaubnis habe, das Feuer auf eine Gruppe unbewaffneter Zivilisten zu eröffnen, die ihren Tagesgeschäften nachgingen und keine wahrnehmbare Bedrohung darstellten. Als die Erlaubnis gegeben wurde, begannen die Soldaten mit einem Massaker, bei dem 18 Menschen, einschließlich zweier Reuters-Journalisten, getötet wurden. Der Horror resultiert aus dem offensichtlichen Blutrausch und Genuss am Geschehen.

Captain Borderline hat auch eine 34-Sekunden-Animation des Wandgemäldes erstellt. Darauf ist Trommeln zu hören, dazu der Sound der Szene aus dem Collateral Murder-Video. Die Ölpumpen arbeiten und die Militärflugzeuge überqueren die Szene, während die Soldaten Tod und Verderben über die Zivilisten bringen.

Das Filmmaterial übte damals eine unauslöschliche Wirkung auf Millionen Menschen weltweit aus. Elf Jahre später ist noch kein Verantwortlicher für das Massaker von 2007 vor Gericht gestellt worden, geschweige denn für die gesamte illegale Invasion, die über einer Million Menschen den Tod brachte.

Ein Nachspiel hatte die Veröffentlichung des Filmmaterials vom kollateralen Mord einzig und allein für diejenigen, die die Welt darauf aufmerksam machten: Chelsea Manning, die Gefreite in der US-Armee, die das geheime Video der Weltöffentlichkeit zugänglich machte, und Assange, der es veröffentlichte.

Manning war sieben Jahre inhaftiert, davon ein Jahr in Einzelhaft, weil sie Geheimdokumente veröffentlicht hatte, die amerikanische Kriegsverbrechen zeigen. Ihre Strafe wurde zum Ende der Präsidentschaft Obamas 2017 ausgesetzt, jedoch ohne offizielle präsidiale Begnadigung. Anschließend wurde Manning erneut inhaftiert und gequält. Aber der Versuch, sie unter Druck zu setzen, damit sie gegen Assange verwendbares Material liefern sollte, scheiterte. Sie wurde wiederholt psychologisch traumatisiert, am Zugang zu angemessener medizinischer Versorgung gehindert und finanziell ruiniert.

Der Angriff auf Assange war jedoch noch schlimmer und rachsüchtiger. Schwedische Behörden konstruierten eine Untersuchung wegen sexueller Belästigung, kurz nachdem das Video veröffentlicht worden war. Die Absicht war, Assange anzuschwärzen und mit internationaler Hilfe von liberalen und pseudolinken Elementen zu denunzieren, um seine Auslieferung an die USA zu erleichtern.

2010 bezeichnete der damalige Vizepräsident der amerikanischen Demokraten, Joe Biden, Assange als „Hightech-Terroristen“. Wiederholt kam die Forderung auf, ihn zu ermorden. Dies entspricht der außergesetzlichen Politik, die die herrschende Klasse der USA zunehmend praktiziert.

Als die verlogene Kampagne gegen Assange an Schwung verlor, schrieb der Untersuchungsausschuss der britischen Krone – damals unter dem Vorsitz von Labour-Führer Sir Keir Starmer – an die schwedischen Ermittler: „Wagt es ja nicht, kalte Füße zu bekommen!!!“

Angesichts dieser Verfolgung sah sich Assange gezwungen, in der ecuadorianischen Botschaft Asyl zu erbitten. Darauf verbrachte er sieben lange Jahre eingesperrt in der Botschaft von Ecuador in London. In den USA forderten beide Parteien seine Inhaftierung, und zehn Senatoren der Demokratischen Partei schrieben 2018 an Vizepräsident Mike Pence und forderten die Regierung Trump auf, Druck auf Ecuador auszuüben, damit Assange ausgeliefert würde.

Die ganzen Jahre über wurde Assange in der Botschaft von amerikanischen Geheimdiensten ausspioniert. Seine gesetzlich geschützte Kommunikation mit seinen Anwälten und Ärzten wurde aufgezeichnet, und seine persönlichen Dokumente wurden gestohlen. Bei der CIA dachte man über Pläne für seine Entführung oder Ermordung nach.

2019 – in dem Jahr, in dem die vermeintliche schwedische Untersuchung endgültig in sich zusammenbrach – war der ecuadorianische Präsident Lenin Moreno bereit, Assange an die britische Polizei auszuliefern. Einseitig und illegal wurde sein politisches Asyl beendet, und am 11. April 2019 schleppten britische Polizisten und Sicherheitsoffiziere einen offensichtlich angeschlagenen Assange aus der Botschaft.

Seitdem ist Assange einer kafkaesken pseudo-juristischen Verfolgung ausgesetzt, die in einem Schauprozess gipfelte. Verurteilt zu einer fast maximalen Strafe wegen Verstoßes gegen Kautionsauflagen wurde er in das Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh gebracht, wo er auch nach Verbüßung der Strafe weiter festgehalten wird. Er bleibt in Untersuchungshaft eingesperrt, ohne dass er wegen eines Verbrechens verurteilt worden wäre.

Gleichzeitig ist seine Gesundheit durch das Coronavirus im Gefängnis bedroht. Auch wurde ihm immer wieder der Zugang zu seinem Rechtsbeistand und zu den für seine Verteidigung notwendigen Materialien verweigert. Bei seiner Anhörung musste er in einem Glaskasten für gefährliche Schwerverbrecher sitzen, was die Kommunikation mit seinen Anwälten weiter erschwerte.

Diese andauernden üblen Schikanen dienten dazu, der US-Regierung Zeit zu verschaffen, ihre Kampagne auszuweiten und die Anklagen zu ergänzen. Die erste Anklageschrift bei seiner Verhaftung beschuldigte ihn nur der Verschwörung zum Hacken eines Computers, was eine Höchststrafe von fünf Jahren zur Folge gehabt hätte. Sechs Wochen später wurden 17 weitere Anklagepunkte hinzugefügt, wodurch ihm unter dem Espionage Act von 1918 ein mögliches Strafmaß von insgesamt 170 Jahren droht. Eine weitere Zusatzanklage, die eingereicht wurde, nachdem die erste Phase der Anhörung bereits abgeschlossen war, erweiterte den Rahmen der Anklagen noch weiter und zeigte, dass die Anklage sich in Wirklichkeit gegen jede journalistische Tätigkeit, die den Imperialismus entlarven könnte, richtet.

Captain Borderline haben Recht, dass sich der Angriff auf Assange gegen jegliche Pressefreiheit richtet. Er kriminalisiert grundlegende journalistische Praktiken und setzt sie mit Verrat oder Spionage gleich.

Es war daher überraschend, dass die Bezirksrichterin Vanessa Baraitser am 4. Januar dieses Jahres gegen eine Auslieferung entschied. Ihr politisch kalkuliertes Urteil blockierte die Auslieferung jedoch allein mit der Begründung, dass Assanges Inhaftierung in den USA seine psychische Gesundheit gefährden würde. Sie akzeptierte jedes andere Element der Anklage der Staatsanwaltschaft, einschließlich der Verweigerung der freien Meinungsäußerung und der Pressefreiheit und ihrer Rechtfertigung des Missbrauchs demokratischer Rechte.

Dies sollte eine Berufung in den USA erleichtern, und das US-Justizministerium hat dies dankend angenommen. In der Zwischenzeit verweigert Baraitser Assange die Kaution und lässt ihn nun in einem Hochsicherheitsgefängnis sitzen, ohne dass gegen ihn auch nur eine Anklage vorliegen würde. Er bleibt dort, während die neue Biden-Administration die Kampagne gegen ihn verschärft.

Das prominente Wandbild ist ein zeitgemäßer und willkommener Protest. Hoffnungen, dass die SPD eingreift, sind allerdings fehl am Platz. Der damalige SPD- Parteivorsitzende Sigmar Gabriel gehörte im vergangenen Jahr zu den ehemaligen Bundesministern, die einen Appell für Assanges Freilassung unterzeichneten. Als Gabriel noch Bundesaußenminister (Januar 2017–März 2018) und Vizekanzler (Dezember 2013–März 2018) war, hätte er reichlich Gelegenheit gehabt, Assange zu helfen und Asyl anzubieten. Er tat es nicht und sagte auf einer Pressekonferenz, dass er auch im Nachhinein nicht anders gehandelt hätte.

Er sagte: „Ich verstehe jedes Mitglied der Bundesregierung, das mit Fällen wie diesem nicht öffentlich umgeht. Das ist der Unterschied zwischen meiner jetzigen Situation und meiner früheren.“ Mit anderen Worten: Er ist nur so lange für Assange, wie dies keine praktischen Konsequenzen hat.

Gabriel sprach weiter vom „Umgang mit Menschen, mit denen wir nicht einverstanden sind, die uns fremd sind und uns manchmal seltsam vorkommen, oder die schwere Verbrechen begangen haben“. Welche Verbrechen Assange begangen haben soll, führte er nicht aus.

Das Captain Borderline-Mural ist eine starke Erinnerung an die wirklichen Probleme, die mit der Verfolgung von Assange einhergehen, und an die wirklichen Kräfte, die gegen ihn eingesetzt werden. Assange ist inhaftiert, weil er die Verbrechen des Imperialismus aufgedeckt hat. Der Angriff auf seine demokratischen Rechte ist ein politischer Angriff. Sein Schicksal und seine Freiheit sind untrennbar mit dem Kampf der internationalen Arbeiterklasse verbunden, um die wahren Verbrecher auf die Anklagebank zu bringen.

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