Mit einem zweiminütigen Video informierte der Geschäftsführer der MV-Werften, Peter Fetten, die Belegschaften der drei Werften in Wismar, Warnemünde und Stralsund vor einer Woche darüber, dass mehr als ein Drittel der 3000 Arbeitsplätze einem „Sanierungsprogramm“ zum Opfer fallen sollen. Etwa 1200 Stellen sind in Gefahr – ein herber Schlag für die Belegschaften, denn die Werftindustrie ist eine der wichtigsten Arbeitgeber der Region.
Auch die Zukunft der restlichen Belegschaft steht auf dem Spiel, denn der Eigner der Werft ist in finanziellen Schwierigkeiten. Die drei MV-Werften gehören zur Investment-Holdinggesellschaft Genting Hongkong Ltd., die hauptsächlich in der Kreuzschifffahrt und außerdem in den Geschäftsbereichen Resort-Hotelanlagen, Spielcasinos, Reiseveranstaltungen, Luftfahrt- und Werftgeschäft aktiv ist. Hauptanteilseigner und Vorstandschef ist der Milliardär Lim Kok Thay, der auch große Palmölplantagen in Malaysia betreibt.
Zu DDR-Zeiten beschäftigten die Ostsee-Werften noch mehr als 50.000 Arbeiter, die Frachtschiffe für die See- und Flussschiffahrt herstellten. Nach der Wende brach dieses Geschäft zusammen und Zehntausende verloren ihren Arbeitsplatz. Die Eigentümer der Werften wechselten in den Folgejahren mehrfach, die Belegschaft schrumpfte auf weniger als 1500 Arbeiter.
Als die Kreuzfahrt im Jahrzehnt vor 2020 stark zunahm und sich die Passagierzahlen international auf 30 Millionen verdoppelten, waren alle Werften, die sich auf Kreuzfahrtschiffe spezialisiert hatten, mit Aufträgen voll ausgelastet. Das war das treibende Motiv für Genting Hongkong, im Jahr 2017 mit dem Kauf der MV-Werften selbst in das Schiffbau-Geschäft einzusteigen. Genting versprach Aufträge im Gesamtvolumen von 3,5 Mrd. Euro für mehrere Flusskreuzfahrtschiffe, eisbrechende Luxus-Schiffe für Kreuzfahrten ins Polarmeer und zwei Riesen-Kreuzfahrtschiffe.
In Folge der Corona-Pandemie kam die Kreuzfahrt praktisch zum Erliegen und damit die Geschäftsgrundlage für die Herstellung dieser Schiffe. In Wismar soll noch das Kreuzfahrtschiff „Global One“ fertiggestellt werden, in Stralsund die Luxus-Expeditionsjacht „Crystal Endeavor“, aber die Arbeiten an einem bereits begonnenen Schiff „Global II“ in Rostock-Warnemünde wurden beendet; ein Verschrottungsunternehmen wird schon gesucht.
Wie in den anderen Industriezweigen wird jede Beeinträchtigung des Gewinns – verstärkt durch die Corona-Pandemie – den Arbeitern aufgebürdet. Statt das Vermögen der Kapitaleigner anzugreifen, beantragte der Konzern bei der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern und der Bundesregierung Staatshilfe, um Kreditzahlungen und andere Verbindlichkeiten zu decken. Bereits im Oktober des vergangenen Jahres hat die Landesregierung einer vorzeitigen Teilauszahlung von 193 Millionen Euro aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds der Bundesregierung zugestimmt.
Die IG Metall betrachtete dies als ein „positives Signal“ und hofft auf weitere Gelder – beantragt wurde eine Gesamtkreditsumme von 570 Millionen Euro. Bisher ist nur die Beschäftigung bis Ende März 2021 gesichert und die weitere Perspektive ist völlig ungewiss, auch eine Insolvenz des Unternehmens droht.
Die Gewerkschaft führt seit der vergangenen Woche Gespräche über einen Sozialplan. Wie in anderen Industriezweigen bedeutet dies, dass die IG Metall den Abbau von 1200 Arbeitsplätzen bereits akzeptiert hat. Im Gespräch sind Gehaltsverzicht, Kurzarbeit und Arbeitszeitabsenkung.
Der Bezirksleiter der IG Metall Küste, Daniel Friedrich, forderte neue Projekte für Offshore-Windparks oder Marineaufträge. Stefan Schad, Geschäftsführer der IG Metall Rostock und Schwerin und Unternehmensbeauftragter für die MV Werften, erklärte in einer Pressemitteilung, dass die Gewerkschaft auf eine „gut ausgestattete Transfergesellschaft“ dränge. „So viele Beschäftigte wie möglich“ sollten erhalten bleiben.
Schon im November ließ die IG Metall Küste verlauten, die Gewerkschaft, der Arbeitgeberverband Nordmetall, die Geschäftsführung der MV-Werften sowie der Gesamtbetriebsrat und die Landesministerien für Finanzen und Wirtschaft hätten sich darauf verständigt, dass es bei der derzeitigen Auslastung zu „umfangreichen Personalanpassungen und Kosteneinsparungen kommen müsse“. Man habe „enge und konstruktive Zusammenarbeit“ vereinbart.
Wie die zahlreichen Transfergesellschaften, die die IG Metall in anderen Branchen schon eingerichtet hatte, wird auch diese die Arbeiter nach kurzer Mitgliedschaft nur in schlechter bezahlte Jobs, prekäre Arbeitsverhältnisse oder die Arbeitslosigkeit transferieren. Die Stralsunder Werft mit etwa 650 Mitarbeitern könnte sogar gänzlich geschlossen werden. Die dortigen Aufträge reichen nur für eine Beschäftigung bis zum Juni.
Der gesamte Schiffbau befindet sich in einer Krise. Nach einer Umfrage der Beratungsgesellschaft Pricewaterhouse Coopers erwarten 83 Prozent der befragten Unternehmen, dass es in diesem Jahr noch zahlreiche Insolvenzen in der Branche geben wird. Schon im vergangenen Jahr erhielt die Kieler Werft German Naval Yards Bundeszuschüsse. Auch Thyssen Krupp Marine Systems befindet sich in einer Krise. Schon im September 2020 hatte die Gewerkschaft angekündigt, dass mehr als ein Drittel der 18.000 Arbeitsplätze auf den deutschen Werften akut gefährdet sei.
Die Corona-Pandemie offenbart die Brutalität des Kapitalismus: Während die Luxuskreuzfahrtschiffe für die Reichen verschrottet werden, kentern Flüchtlinge aus Afrika mit ihren seeuntüchtigen Schlauchbooten im Mittelmeer und Flüchtlinge aus Syrien frieren in griechischen Massenlagern.
Statt prinzipiell jeden Arbeitsplatz zu verteidigen, entpuppen sich die Gewerkschaften als Handlanger der Kapitaleigner, die darum bemüht sind, die Vernichtung der Arbeitsplätze und der Lebensgrundlage der Arbeiter so zu gestalten, dass jede Rebellion unterbunden wird.
Es ist höchste Zeit, dass sich die Arbeiter unabhängig von diesen bürokratischen Apparaten selbst organisieren und sich in Aktionskomitees mit ihren Kolleginnen und Kollegen aus der gesamten Industrie und international zusammenschließen, um ihre Arbeitsplätze zu verteidigen. Die WSWS und die Sozialistische Gleichheitspartei werden sie dabei unterstützen.