Perspektive

Impeachment-Video gegen Trump zeigt Ausmaß des Sturms aufs Kapitol

Am Dienstag begann im US-Senat das Amtsenthebungsverfahren gegen Donald Trump, das von den Demokraten geleitet wird. Die Ankläger zeigten eingangs ein dreizehnminütiges Video, das in bislang ungekannter Schärfe das Ausmaß des Sturms auf das US-Kapitol am 6. Januar offenbart. Es zeigt, wie der rechtsextreme Mob ins Parlamentsgebäude eindrang, während die Abgeordneten dort versammelt waren.

Das Video ist für Millionen Zuschauer vermutlich ein Schock. Bis jetzt wurden Filmaufnahmen der Ereignisse nur bruchstückhaft ausgestrahlt, wobei die brutalsten Szenen oft ausgelassen wurden. Die Anzahl der beteiligten Angreifer, die extreme Gewalt, mit der der Mob das Kapitol stürmte, und die Entschlossenheit, mit der er auf Kongressabgeordnete, Senatoren und sogar den Vizepräsidenten Jagd machte – all das wurde der Öffentlichkeit noch nie in so klarer und konzentrierter Form präsentiert.

Darüber hinaus belegt das Video den direkten Zusammenhang zwischen Trumps Aufwiegelung des faschistischen Mobs und dem darauffolgenden gewalttätigen Angriff.

Amtsenthebungsverfahren im Senat: Videozusammenschnitt vom 6. Januar 2021

Weit über 5.000 Menschen rotteten sich in Washington zusammen, darunter zahlreiche Militärs, Polizisten und Mitglieder rechtsextremer Milizen. Die Aufständischen wollten Blut sehen und waren bereit, jene zu ermorden, die sie für Feinde Trumps hielten.

Das Video schildert klar und eindeutig, was passiert ist. Es beginnt mit Trumps Rede im Vorfeld der Kapitol-Erstürmung. „Wir werden den Diebstahl stoppen!“, ruft Trump und wiederholt seine Lüge, dass er in einem „Erdrutschsieg“ gewonnen habe und die Wahl 2020 manipuliert worden sei. „Man kann nicht bei Betrug wählen“, sagt er. „Und wenn man jemanden bei einem Betrug erwischt, dann ist es erlaubt, nach ganz anderen Regeln zu handeln.“

„Wir kämpfen, und wir kämpfen wie der Teufel (like hell)“, drohte Trump. „Und wenn ihr nicht wie der Teufel kämpft, dann werdet ihr kein Land mehr haben.“ Er erklärt weiter, dass der Plan ist, zum Parlamentsgebäude zu marschieren. „Wir werden versuchen, unseren Republikanern – den schwachen, denn die starken brauchen unsere Hilfe nicht –, die Art von Stolz und Kühnheit zu geben, die sie brauchen, um unser Land zurückzuholen.“

Trumps Rede wird mit Videosequenzen verbunden, in denen Tausende Trump-Anhänger und Mitglieder rechtsextremer Bürgerwehren gewaltsam ins Kapitol stürmen und die dürftigen Sicherheitsvorkehrungen und wenigen Security-Beamten rund um das Gebäude überrennen. Man hört Stimmen aus der Menge schreien: „Nehmt das Gebäude ein!“, „Stoppt den Diebstahl!“, „Verräter!“, „Kämpft für Trump!“ und „USA! USA!“. Eine Person baut einen Galgen auf.

Nachdem der Mob die Absperrungen durchbrochen hat, dringt er ins Gebäude ein, darunter viele Angreifer in militärischer Kleidung. Sie brechen durch die Fenster und strömen durch die Gänge zu den getrennten Kammern des Repräsentantenhauses und Senats.

Einige leiten den Einsatz und führen die Menge in und durch das Gebäude. Einer erklärt einem Kapitol-Polizisten: „Ihr seid in der Minderheit. Wir sind eine verdammte Million da draußen, und wir hören auf Trump, euren Chef.“ Während sie mit Wucht eine Barriere umstoßen und dabei einen Polizisten gewaltsam gegen eine Tür drücken, schreit einer der Angreifer: „Wir brauchen frische Patrioten an der Front!“

Man sieht, wie die Putschisten sich der Senatskammer nähern, wo noch Senatoren sitzen. Es wird gezeigt, dass Trump gleichzeitig in einem Tweet den damaligen Vizepräsidenten Mike Pence kritisiert, der den Vorsitz über die Bestätigung der Wahlleute durch den Kongress hatte. Während der bewaffneten Auseinandersetzungen mit den Randalierern werden die Abgeordneten Hals über Kopf evakuiert. Außerhalb des Kapitols hört man einen Demonstranten sagen, dass sie „30.000 Gewehre“ brauchen, ein anderer antwortet: „Nächster Trip.“

Zwei Stunden nach dem Einbruch in das Kapitol, als bereits klar war, dass der Mob es nicht geschafft hatte, Geiseln zu nehmen und die Kontrolle über den Kongress zu erlangen, veröffentlichte Trump ein Video, in dem er die „gefälschte Wahl“ anprangerte, die Aufständischen als „ganz besondere“ Menschen bezeichnete und sie aufforderte, „nach Hause zu gehen“.

Aus dem dokumentarischen Videomaterial über die Ereignisse vom 6. Januar ergeben sich mehrere Punkte.

Erstens ist das Video eine vernichtende Anklage gegen alle Versuche, die Bedeutung des Sturms aufs Kapitol herunterzuspielen. Auch wenn es sich auf eine visuelle Darstellung des Angriffs beschränkt, sieht man dort eindeutig einen organisierten Putschversuch. Es besteht kein Zweifel, dass der Staatstreich vom Präsidenten selbst gesteuert wurde. Er gab dem rechten Mob in seiner Rede höchstpersönlich das Signal zum Angriff.

Aufgrund der begrenzten Absichten der Demokraten wird in der Dokumentation zwar vermieden, größere politische Schlussfolgerungen zu ziehen. Doch es ist sichtbar, dass der Angriff darauf abzielte, das Kapitol einzunehmen, die Bestätigung von Bidens Stimmenmehrheit im Wahlmännerkollegium zu verhindern, die Ergebnisse der Wahlen effektiv zu annullieren und so Bedingungen zu schaffen, um Trump als präsidialen Diktator an der Macht zu halten.

Das Datum des 6. Januar – als der Kongress zusammentrat, um das Wahlergebnis zu bestätigen – wurde von Trump und seinen Mitverschwörern als idealer Zeitpunkt gewählt, um loszuschlagen. Sie haben den Angriff über mehrere Monate hinweg sorgfältig vorbereitet und die Lüge von einer „manipulierten Wahl“ verbreitet, die auch von vielen der Senatoren unterstützt wurde, die derzeit das Amtsenthebungsverfahren anhören.

Das Video zeigt ein erschreckendes Gesamtbild über die Stunden vor und während des Sturms. Aber in der Präsentation der Demokraten wird mit keiner Silbe untersucht, was die politische Strategie ist, die dem Angriff zugrunde lag.

Die im Video dokumentierten Ereignisse werfen folgende Frage auf: Was wäre passiert, wenn es den Aufständischen gelungen wäre, die Kontrolle über den Kongress zu erlangen, Abgeordnete zu töten und/oder als Geiseln zu nehmen und die Legislative der Regierung lahmzulegen?

Ohne eine gründliche Untersuchung der Verschwörung kann diese Frage nicht endgültig beantwortet werden. Aber es ist mehr als wahrscheinlich, dass Trump sich auf dieses Ergebnis vorbereitet – und darauf gesetzt hat. Wäre das Ziel erreicht worden, hätte Trump sicherlich die politische Krise ausgenutzt, die durch seinen eigenen Angriff auf die Legislative entstanden war.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass Trump, der sich nach der Anstachelung des Mobs vom Weißen Haus zurückgezogen hatte, den Notstand ausgerufen und sich auf die außerordentlichen Befugnisse des „Oberbefehlshabers“ berufen hätte. Top-Berater wie Michael Flynn hatten Trump zuvor gedrängt, das Kriegsrecht auszurufen, um die Machtübergabe zu verhindern. Das hätte unter Bedingungen eines entstandenen Vakuums durch den lahmgelegten Kongress de facto zu einer Präsidialdiktatur geführt.

Die Republikanische Partei hätte sich hinter Trump vereint, wie sie es jetzt auch tut, indem sie sogar die Verfassungsmäßigkeit des Amtsenthebungsverfahrens ablehnt. Ermutigt durch den Erfolg in Washington hätten rechtsextreme Milizen ähnliche Operationen in Bundesstaaten wie Michigan, Virginia und Pennsylvania organisiert. Die Demokraten – in Angst, dass sie breiten Widerstand von unten hervorrufen könnten – hätten versucht, im Namen der „Einheit“ und der „Überparteilichkeit“ eine Einigung zu erzielen.

Am Dienstag unterstützte fast die gesamte Republikanische Partei (44 von 50 Senatoren) die offenkundig absurde und haltlose Argumentation von Trumps Anwälten, das Amtsenthebungsverfahren sei verfassungswidrig, weil Trump nicht mehr im Amt ist.

Die Ereignisse des 6. Januar müssen als eindringliche Warnung verstanden werden. Die Vorstellung „It can’t happen here“, die davon ausgeht, dass die USA angeblich immun gegen Faschismus und Diktatur sind, hat sich als falsch erwiesen. Ein faschistischer Aufstand ist nicht nur möglich, sondern er hat stattgefunden und kam seinem Ziel sehr nahe. Und es wird nicht der letzte Versuch bleiben.

Je mehr sich die Demokraten darauf konzentrieren, ihre faschistischen „Kollegen“ in der Republikanischen Partei von einer parteiübergreifenden Abstimmung für ein Amtsenthebungsverfahren zu überzeugen, unterlaufen sie den Hauptzweck, den das Verfahren eigentlich haben sollte: die umfassende Aufdeckung aller kritischen Elemente der Verschwörung, vor allem, wer die Organisatoren waren, wer auf der einen oder anderen Ebene an der Planung beteiligt war und was die Ziele waren. Unabhängig vom Ausgang der Senatsabstimmung sollte das Verfahren darauf abzielen, die Fakten aufzudecken und so den Weg freizumachen, um Trump und alle seine Mitverschwörer zu verhaften und strafrechtlich zu verfolgen.

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