Perspektive

Trotz wachsender faschistischer Bedrohung rufen Demokraten nach „Einheit“ und „Heilung“

Eine Woche vor der Amtseinführung des designierten US-Präsidenten Joe Biden am 20. Januar wächst die Gefahr erneuter faschistischer Gewalt. Der Öffentlichkeit werden vonseiten des Militärs, der Geheimdienste und der Republikanischen Partei wichtige Informationen über den Putschversuch vom 6. Januar vorenthalten.

Die Konflikte und Instabilität innerhalb des Staatsapparats werden immer schärfer. Am Dienstagnachmittag erklärte der amerikanische Generalstab in einem internen Rundschreiben an die Armee, dass das US-Militär die Wahl Bidens anerkenne. Diese bemerkenswerte Mitteilung ist in der amerikanischen Geschichte ohne Beispiel. Sie zeigt, dass die Militärführung unsicher ist, ob sie ihre eigenen Kräfte kontrollieren kann.

In dem Rundschreiben heißt es, dass Armeeangehörige „die Verfassung unterstützen und verteidigen müssen. Jede Handlung, die den verfassungsmäßigen Prozess stört, ist nicht nur gegen unsere Traditionen, Werte und unseren Eid, sondern auch gegen das Gesetz.“ Laut einer Militärumfrage im letzten Jahr sind ein Drittel der Armeeangehörigen persönlich Zeuge von faschistischen Aktivitäten innerhalb der Streitkräfte geworden.

Soldaten der Nationalgarde hinter einem Zaun vor dem Kapitol in Washington, 10. Januar 2021 (AP Photo/Alan Fram)

Der amerikanischen Zeitung Politico zufolge sprach der Kongressabgeordnete der Demokraten von Colorado, Jason Crow, am Wochenende mit dem US Army Secretary Ryan McCarthy über die Loyalität der 20.000 Soldaten der Nationalgarde, die bei der Amtseinführung Bidens in Washington stationiert werden. Crow erklärte, er wolle „sicherstellen, dass die eingesetzten Soldaten keine Sympathien zu inländischen Terroristen haben“. Da aber Pro-Trump-Demonstrationen in den Hauptstädten mehrerer Bundestaaten angekündigt sind, wird es wahrscheinlich unmöglich sein, alle eingesetzten Einheiten zu überprüfen.

Gleichzeitig nehmen die rechtsextremen Bedrohungen gegen gewählter Vertreter zu. Kongressangeordnete der Demokraten haben bekannt gemacht, dass sie am Montagabend von Geheimdienstmitarbeitern über einen rechten Komplott unterrichtet wurden. Rechtsextreme planten demnach den Einsatz massiver Gewalt, sollten Vizepräsident Mike Pence und das Kabinett, gestützt auf den 25. Zusatzartikel der US-Verfassung, eine Amtsenthebung Trumps einleiten. Sie drohten auch damit, die Amtseinführung Bidens am 20. Januar zu stören.

Der demokratische Kongressabgeordnete Conor Lamb sagte gegenüber CNN:

Sie sprachen von 4.000 bewaffneten „Patrioten“, die das Kapitol umzingeln und jeden Demokraten am Zutritt hindern wollen. Sie haben Verhaltensregeln veröffentlicht, die festlegen, wann man schießt und wann nicht. Also das ist eine organisierte Gruppe, die einen Plan hat.

Laut einem Bericht der Huffington Post erklärten Sicherheitsbeamte gegenüber den Teilnehmern eines Calls, es sei notwendig, dass „jedes Mitglied des Kongresses vor der Amtseinführung durch einen Metalldetektor geschleust wird“. Ein Kongressabgeordneter sagte der Huffington Post, das sei ein „Augenöffner“ gewesen. Die Sicherheitsbeamten würden offensichtlich davon ausgehen, dass „alle Mitglieder, die im Bündnis mit den Aufständischen waren, die gerne ihre Waffen tragen“, eine Bedrohung für das Leben von Biden, der designierten Vizepräsidentin Kamala Harris und der Demokraten im Kongress darstellen.

Trotz dieser Drohungen hielten das FBI und das Justizministerium am Dienstagnachmittag eine defensive Pressekonferenz ab, auf der heruntergespielt wurde, dass es vor dem 6. Januar Kenntnisse über die Putschvorbereitungen gab. Diese Annahmen beruhten angeblich auf einer verbreiteten „Fehleinschätzung“. Führende Beamte des FBI und des Justizministeriums zeigten den Journalisten die kalte Schulter und überließen die Pressekonferenz ihren Untergebenen. FBI-Direktor Christopher Wray ist seit dem Sturm auf das Capitol nicht in der Öffentlichkeit erschienen.

Die Washington Post hatam Dienstag enthüllt, dass das FBI schon weit im Voraus über die ungeheure Gefahr der faschistischen Putschpläne informiert war, aber sich weigerte, einzuschreiten. Der Artikel erschien unter dem Titel „FBI-Bericht warnte vor ‚Krieg‘ am Kapitol, entgegen der Behauptungen, es habe keine Hinweise auf drohende Gewalt gegeben“. Die Post bezieht sich auf einen Bericht der FBI-Abteilung in Norfolk, Virginia, die vor „spezifischen Aufrufen zu Gewalt“ gewarnt hatte.

NBC News berichtete ebenfalls am Dienstag, dass sich 50 bewaffnete Mitarbeiter des Heimatschutzministeriums nur 13 Hausblöcke vom Kapitol entfernt aufhielten, aber nicht eingesetzt wurden, als der rechtsextreme Mob durch das Gebäude stürmte. Heimatschutzminister Chad Wolf trat am Montag ohne Vorwarnung zurück und überließ das Amt dem relativ unbekannten Pete Gaynor, bis dahin Leiter der US-Katastrophenschutzbehörde FEMA.

Am Dienstag äußerte sich Donald Trump in einer Weise, die nur als Gewaltandrohung gegen seine politischen Gegner verstanden werden kann. Er sprach gegenüber Journalisten im Weißen Haus, bevor er zu einer Kundgebung in Texas aufbrach. Trump verteidigte seine Rede vom 6. Januar, als er zum Putsch anstachelte, als „absolut angemessen“ und warnte, dass die Abstimmung über eine Amtsenthebung „eine enorme Gefahr für unser Land und enorme Wut verursacht“. Ganz in der Manier, wie ein Gangsterboss mit seinem Opfer redet, fügte er hinzu: „Ich will keine Gewalt.“

In Texas hielt Trump seine Rede in der Nähe der militarisierten Grenzmauer zu Mexiko. Von einem Podium, das mit einem Kampftarnnetz drapiert war, erklärte er: „Der 25. Zusatzartikel ist kein Risiko für mich, sondern wird auf Joe Biden und die Biden-Regierung zurückfallen. Man sollte sich gut überlegen, was man sich wünscht.“

Gleichzeitig griff Trump mit Blick auf das mögliche Ende seiner Amtszeit nach dem 20. Januar die Appelle anderer Republikaner zu „Heilung“ auf. Er prangerte die Kongressbemühungen um ein Amtsenthebungsverfahren an und forderte: „Jetzt ist es Zeit, unsere Nation zu heilen.“

Der Ruf nach „Heilung“, „Frieden“ und „Ruhe“ kommt genauso von Führern der Demokratischen Partei – an der Spitze Biden selbst. Er hatte sogar den Kongress gebeten, alle Anhörungen für ein Amtsenthebungsverfahren – und damit auch alle Ermittlungen zu den Ereignissen des 6. Januar – zurückzustellen, damit seine Regierung die Kabinettsposten für nationale Sicherheit besetzen und die imperialistische Außenpolitik auf Kurs bringen kann.

Laut der New York Times hoffe das „Übergangsteam darauf, die Republikaner im Senat zu überzeugen, dass sie ihm zu helfen, seine Top-Kandidaten für die nationale Sicherheit schnell zu bestätigen, damit sie am Tag der Amtseinführung, am nächsten Mittwoch, schon bestätigt sind“.

Gestützt auf ein Interview mit dem neuen Biden-Pressesprecher Jan Psaki, das am Dienstag stattfand, berichtete die Washington Post, dass „Biden und seine Berater fest daran glauben, dass sich die parteipolitischen Nerven schließlich beruhigen werden. Sein Umfeld sagt, dass er nicht darüber besorgt ist, dass eine Mehrheit der Republikaner im Repräsentantenhaus versucht hatte, letzte Woche sogar nach dem Angriff auf das Kapitol die Wahlergebnisse zu kippen.“

Die Post zitiert Hilary Rosen, Leiterin einer Beratungsfirma mit engen Verbindungen zu Biden. Sie betonte, dass Biden die Posten seiner Regierung mit Personen besetzt, die „Bidens Versprechen der Heilung viel ernster nehmen“.

Biden hat immer wieder verhindert, dass die Rolle der treibenden Kräfte hinter dem Putsch vom 6. Januar genauer untersucht wird. Nicht einmal gegen die führenden Republikaner, die Trumps Lüge der gestohlenen Wahl politisch abgedeckt und legitimiert hatten, wird ermittelt. Letzte Woche betonte Biden die Notwendigkeit einer „starken“ Republikanischen Partei und wies Rücktrittsforderungen gegen prominente Trump-Unterstützer wie die Senatoren Ted Cruz und Josh Hawley zurück.

Diese Aussagen sind eine Warnung, dass die Fraktionen der herrschenden Klasse, die sich jetzt noch bekriegen, einen Kompromiss vorbereiten, der die extreme Rechte noch stärker im amerikanischen politischen Establishment integriert.

Die rechten Kräfte, die im Oktober die Entführung und Ermordung der Gouverneurin von Michigan, Gretchen Whitmer, geplant hatten, wurden von einflussreichen Teilen der herrschenden Klasse unterstützt, die jede coronabedingte Einschränkung der Produktion und Unternehmensprofite ablehnten. Die „Back-to-Work“-Kampagne wurde von beiden Parteien getragen.

Sollte es zu einer Einigung kommen, würden die offizielle Politik und die Unternehmensmedien mit Jubel reagieren. Ihr Ziel ist es, die Rekordgewinne der Konzerne zu sichern und die Arbeiter inmitten der Pandemie zurück in die Betriebe zu zwingen. Da zeigt sich, dass die Arbeiterklasse die eigentliche Zielscheibe ihrer Politik ist.

Wenn die Arbeiterklasse nicht unabhängig auf der Grundlage eines sozialistischen Programms eingreift, wird eine solche Einigung nur die Vorstufe für noch größere Verbrechen sein. In ihrer Erklärung vom 12. Januar, „Mobilisiert die Arbeiterklasse gegen Trump! Bereitet einen politischen Generalstreik vor!“, schrieb die Socialist Equality Party:

Die Arbeiterklasse muss mit einem Generalstreik auf die Versuche des ultrarechten Mobs reagieren, der von dem politischen Verbrecher Donald Trump und seinen Komplizen von der Republikanischen Partei im Senat und im Kongress aufgehetzt wurde, um das Leben der gewählten Abgeordneten zu bedrohen und Regierungsgebäude sowie andere strategische Orte zu besetzen, sei es in Washington D.C. oder in den Hauptstädten der Bundesstaaten im ganzen Land.

Die Ereignisse haben die Dringlichkeit dieses Aufrufs bestätigt. Das unabhängige Eingreifen der Arbeiter in die politische Entwicklung muss mit der Forderung nach einer vollständigen und öffentlichen Untersuchung verbunden werden, die alle Umstände des Putschs vom 6. Januar 2021 und die anhaltende Aufstachelung zu faschistischer Gewalt aufdeckt.

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