Corona-Pandemie verschärft soziale Ungleichheit

Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) erklärte am 14. Dezember in einem Interview mit dem Deutschlandfunk: „Ich habe noch nie ein Konjunkturprogramm erlebt, dass so passgenau gewirkt hat wie jetzt in diesem Jahr.“

Vom Standpunkt der Konzerne und Banken, denen die Regierung Hunderte Milliarden Euro in den Rachen warf, sowie den Reichen und Superreichen, die ihren Reichtum auch in der Corona-Pandemie weiter mehren konnten, hatte Altmaier zweifellos recht. Der Dax näherte sich am 16. Dezember, als die Zahl der Covid-19-Toten mit fast 1000 einen neuen Höchststand erreichte, mit 13.565 Punkte seinem historischen Rekord.

Ganz anders sieht die Situation für große Teile der Arbeiterklasse aus, insbesondere wenn sie im Niedriglohnbereich arbeiten. Sie erhalten keine Unterstützung durch die Regierung und müssen hohe Einkommensverluste sowie oft den Verlust ihres Arbeitsplatzes hinnehmen.

Ein Bericht des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftseigenen Hans-Böckler-Stiftung wirft ein Licht auf die Einkommensverluste, die diese Menschen in den letzten Monaten erlitten haben.

Der Bericht trägt den Titel „Einkommensungleichheit wird durch Corona-Krise noch weiter verschärft“. Er stützt sich auf die Aussagen von mehr als 6100 Arbeitenden und Arbeitssuchenden, die jeweils im April, im Juni und im November online um Auskunft zu ihrer Situation befragt wurden. In der Pressemitteilung vom 14. Dezember heißt es dazu: „Die Panel-Befragung bildet die Erwerbspersonen in Deutschland im Hinblick auf die Merkmale Geschlecht, Alter, Bildung und Bundesland repräsentativ ab.“

70 Prozent der Befragten machten sich im November Sorgen um ihre Gesundheit (58 Prozent im Juni) und 90 Prozent um das Auseinanderdriften der Gesellschaft (84 Prozent im Juni). Die Zahl der Arbeitenden, die durch die Pandemie Einkommensverluste erlitten haben, ist weiter gestiegen. Besonders häufig betroffen sind Arbeiter, die bereits zuvor mit niedrigen Einkommen auskommen mussten.

Bei der Novemberumfrage berichteten 40 Prozent der Befragten, dass sie aktuell oder zu einem früheren Zeitpunkt Einkommensverluste hinnehmen mussten (32 Prozent im Juni). 53 Prozent der befragten Arbeiter mit einem Nettoeinkommen unter 1500 Euro monatlich haben Einkommenseinbußen erlitten (43 Prozent im Juni). Differenziert man hier noch einmal, erlitten 41 Prozent der Befragten mit einem Einkommen von 900 Euro bis 1500 Euro Verluste und 49 Prozent mit einem Einkommen unter 900 Euro. Von den Befragten mit einem Nettoeinkommen bis 2000 Euro erlitt jeder Dritte Einkommenseinbußen (im Juni 26 Prozent).

Der WSI-Bericht arbeitet heraus, dass vor allem Menschen, die bereits vorher sehr wenig verdienten, durch die Corona-Pandemie besonders stark betroffen sind. Insbesondere jüngere Befragte, Selbständige und Freiberufler erlitten hohe Einbußen. Besonders häufig und stark traf es Beschäftigte des Gastgewerbes. Dasselbe gilt für Arbeiter aus dem Niedriglohnbereich, Leiharbeiter sowie Arbeiter in Werksverträgen und zeitlich befristeten Jobs. Sie verloren oftmals ihren Job oder sanken unter das Existenzminimum.

Ein wichtiger Grund für die starken Einkommensverluste ist die massive Kurzarbeit. Im April lag der Anteil der Arbeiter, die sich in Kurzarbeit befanden, bei ca. 18 Prozent. Das entspricht 6 Millionen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten. Auch hier waren Befragte mit Nettoeinkommen von 900 bis 1500 Euro mit 22,8 Prozent besonders häufig betroffen, gefolgt von den Befragten mit einem Nettoeinkommen von 1500 bis 2000 Euro mit 22,1 Prozent.

Der WSI-Bericht weist darauf hin, dass die Einkommen des untersten Dezils (Zehntels) bereits vor dem Ausbruch der Corona-Krise gesunken sind. Sie waren 2017 (dem letzten Jahr, zu dem Zahlen vorliegen) niedriger als 2010. Nicht viel besser sieht es beim zweituntersten Einkommensdezil aus. Und diese sind jetzt am stärksten von Einkommensverlusten betroffen.

Auch die mittleren Einkommen, die in den vergangenen Jahren Einkommenszuwächse erzielt haben, büßen diese jetzt wieder ein. Die WSI-Studie legt nahe, dass die soziale Ungleichheit in Deutschland in diesem Jahr weiter zunehmen wird.

Im Abschnitt „Diskussion und Fazit“ heißt es: „Diese Entwicklung der Einkommen wird sich wohl auch in der Verteilung der Vermögen widerspiegeln. Bereits heute sind Vermögen wesentlich ungleicher verteilt als Einkommen, da das reichste Prozent der Bevölkerung 35 Prozent des Gesamtvermögens besitzt. Dieses Vermögen stammt größtenteils (40 %) aus Betriebsvermögen und aus nicht selbst genutzten Immobilien (25 %) und wird somit in ertragssteigernde Anlagen wie in Vermietung und Unternehmen investiert.“

Zum Schluss stellen die Verfasser der Studie eine ganze Reihe von Forderungen auf, wie die Erhöhung des Kurzarbeitergelds und die Erhöhung des Mindestlohns auf mindestens 12 Euro. Aktuell liegt er bei 9,35 Euro brutto pro Stunde und soll erst im Juli 2022 auf 10,45 Euro steigen. Der Niedriglohnsektor soll eingeschränkt, die Kinderbetreuung gestärkt werden, und vieles mehr.

Aber diese Forderungen an die Regierung zu stellen, führt völlig in die Irre. Seit Jahrzehnten führt jede Bundesregierung, unabhängig von ihrer politischen Zusammensetzung, eine Offensive gegen die Arbeiterklasse. Die SPD-Grünen-Regierung, die von 1998 bis 2005 amtierte, sorgte mit ihrer Agenda-Politik und Hartz-IV für die Entstehung eines riesigen Niedriglohnsektors. Sie wurde dabei von den Gewerkschaften unterstützt, denen die Hans-Böckler-Stiftung gehört. Alle seitherigen Regierungen haben die Angriffe auf die Arbeiterklasse verschärft und einen großen Teil der früher erkämpften sozialen Errungenschaften zerstört.

Die derzeitige Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD verfolgt in der Corona-Krise eine rücksichtslose und kriminelle Politik. Während sich täglich Zehntausende infizieren und Hunderte sterben, weigert sie sich, einen wirklichen Lockdown zu organisieren, die für die Versorgung der Bevölkerung nicht relevanten Betriebe zu schließen und den betroffenen Arbeitern und kleinen Betrieben volle Lohnfortzahlung und Entschädigung zu garantieren.

Schulen und Kitas werden trotz des angeblich „harten Lockdowns“ zum großen Teil weiter offengehalten, damit die Eltern arbeiten gehen und für die Wirtschaft Profite erwirtschaften können. Von den besonders betroffenen Arbeitern im Niedriglohnbereich – Logistik, öffentlicher Nahverkehr, Dienstleistungsbereich im weitesten Sinne, aber auch Pflege, Erziehung und Lebensmittelversorgung – haben die meisten keine Wahl. Sie können nicht im Homeoffice arbeiten und stehen meist vor der Alternative, arbeiten zu gehen und ihre Gesundheit und ihr Leben zu gefährden, oder vor dem finanziellen Ruin zu stehen. Sie sind damit auch stärker gefährdet, an Covid-19 zu erkranken oder zu sterben.

Die Prioritäten der Regierung und der herrschenden Elite wurden auch in dem jüngst verabschiedeten Haushalt sichtbar. Der Verteidigungsetat wird im nächsten Jahr um weitere 1,3 Milliarden Euro auf 46,93 Milliarden erhöht. Der Etat für Bildung und Forschung wird um 70 Millionen Euro auf 20.24 Milliarden gekürzt. Der Etat für Arbeit und Soziales soll um 5,7 Milliarden und der Etat für Gesundheit um 5,95 Milliarden sinken. Dies bedeutet, dass die Angriffe auf die Arbeiterklasse enorm verschärft werden.

In den Betrieben arbeiten Gewerkschaften und Konzernvorstände enorme Angriffe auf Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen aus, vorneweg in der Auto- und Zulieferindustrie, bei der Lufthansa und in vielen anderen Bereichen. Hier wird oftmals die Corona-Pandemie als Vorwand benutzt, um lang vorbereitete Angriffe gegen die Arbeiterklasse durchzusetzen.

Um diese Angriffe zurückzuschlagen und Armut wirksam zu bekämpfen, ist ein gemeinsamer internationaler Kampf der Arbeiter mit einer sozialistischen Perspektive gegen das verfaulte kapitalistische System erforderlich. Das erfordert einen bewussten politischen Bruch mit den sozialdemokratischen und pseudolinken Parteien und den Gewerkschaften, die Bildung unabhängiger Aktionskomitees und den Aufbau der Sozialistischen Gleichheitspartei als neuer revolutionärer Führung.

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