Türkei unterstützt aserbaidschanische Offensive in Armenien: Russland und Iran warnen vor Eskalation

Neun Tage nach dem Ausbruch der Kämpfe zwischen Armenien und Aserbaidschan um Bergkarabach begannen aserbaidschanische Streitkräfte eine groß angelegte Offensive im Süden der umstrittenen Region.

Die Sprecherin des armenischen Verteidigungsministeriums Schuschan Stepanjan zitierte aus Berichten aus der Republik Arzach, ein von Armenien kontrolliertes Gebiet in Karabach: „Laut den Streitkräften der Republik Arzach haben die aserbaidschanischen Streitkräfte diesen Nachmittag einen Großangriff in südlicher Richtung entlang der Kontaktlinie zwischen Arzach und Aserbaidschan mit Reservekräften und großen Mengen Kriegsgerät, darunter Panzer und Artillerie, begonnen. Der Feind ignoriert außerdem die Sicherheit des Territoriums der Islamischen Republik Iran...“ Aserbaidschanische und armenische Streitkräfte haben mehrfach iranisches Staatsgebiet beschossen.

Das armenische Außenministerium wies außerdem darauf hin, dass der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu kurz vor Beginn der Offensive die aserbaidschanische Hauptstadt Baku besuchte. Während dieses Besuchs hatte er den türkischstämmigen Aserbaidschanern Unterstützung im Kampf gegen Armenien zugesichert.

In Baku hatte Çavuşoğlu die Forderungen Frankreichs, Russlands, des Iran und anderer Mächte nach einer Waffenruhe zurückgewiesen und von Armenien die Übergabe von Karabach an Aserbaidschan gefordert: „Lassen Sie uns eine Waffenruhe vereinbaren, in Ordnung, aber was wird danach passieren? Werden Sie Armenien befehlen können, sich sofort aus aserbaidschanischem Staatsgebiet zurückzuziehen? Oder sind Sie in der Lage, eine Lösung für seinen Rückzug zu entwerfen? Nein. Wir haben die Bestrebungen zu einer friedlichen Lösung unterstützt, aber Armenien genießt seit 30 Jahren die Früchte der Besatzung.“

Der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew traf sich mit Çavuşoğlu, um ihm für die Unterstützung der Türkei zu danken, und erklärte: „Diese Unterstützung inspiriert uns, gibt uns zusätzliche Stärke und spielt gleichzeitig eine wichtige Rolle darin, die Stabilität und den Wohlstand der Region zu erhalten.“

In den europäischen Medien wurde auch mehrfach darüber berichtet, dass die Türkei Milizen syrischer Islamisten und Söldner von Sicherheitsfirmen zur Unterstützung der aserbaidschanischen Truppen gegen Armenien schickt. Die türkische Regierung hat diese Berichte nicht dementiert. Auf dieser Grundlage kündigte der armenische Ministerpräsident Nikol Paschinjan am Mittwoch an, er werde den Kampf im Rahmen des „Kriegs gegen den Terror“ fortsetzen.

Die jüngsten Kämpfe stellen eine Fortsetzung des Konflikts zwischen den beiden ehemaligen Sowjetrepubliken von 1988-1994 dar, die im Vorfeld der stalinistischen Auflösung der Sowjetunion und der Wiedereinführung des Kapitalismus 1991 begannen, mehr als 20.000 Todesopfer forderten und mehr als eine Million Menschen vertrieben haben. Nach dem Krieg besetzten armenische Streitkräfte die Enklave Bergkarabach. Seither kam es immer wieder zu Kämpfen zwischen den beiden Ländern um die umstrittene Region. Diesmal ist das aserbaidschanische Militär Berichten zufolge u. a. mit türkischen, israelischen oder auch Nato-Drohnen ausgestattet.

Während die Offensive andauert, verschärfen beide Seiten den Beschuss der Zivilbevölkerung mit Artillerie und Raketen. Artak Beglarjan, ein Vertreter der Regierung von Arzach, erklärte gegenüber AFP: „Laut vorläufigen Schätzungen wurden etwa 50 Prozent der Bevölkerung von Karabach und 90 Prozent der dort lebenden Frauen und Kinder – etwa 70.000 bis 75.000 – vertrieben.“ Es wird zunehmend befürchtet, dass flüchtende Zivilisten die Ausbreitung der Corona-Pandemie in der Region verstärken werden.

Stepanakert, die Hauptstadt von Bergkarabach, ist größtenteils verlassen und wird ständig beschossen. Auf Twitter erschienen Videos von Sicherheitskameras, auf denen Sprengkörper von Streubomben zu sehen sind, die über die leeren Straßen verteilt herumliegen und in regelmäßigen Abständen Straßenpflaster und Vegetation in die Luft sprengen. Die Streubomben hat Aserbaidschan Berichten zufolge von Israel erhalten.

Die Lehrerin Gayane Sarkissian erklärte gegenüber AFP, sie habe am Dienstag beschlossen, die Stadt gemeinsam mit ihrem Kind und ihrer 64-jährigen Mutter zu verlassen: „Am Morgen ging zweimal der Fliegeralarm los, in den Vororten gab es um 9 Uhr morgens zwei Explosionen – ich weiß nicht, was das war. Wir haben Schutz gesucht und beschlossen, die Stadt zu verlassen.“ Ihre Flucht verlief über die Straße von Karabach nach Armenien, die regelmäßig beschossen wird.

Amnesty International wies auf unbestätigte Berichte hin, laut denen armenische Streitkräfte Smertsch-Raketen vom Kaliber 300mm mit Streumunition auf Gandscha, die zweitgrößte Stadt Aserbaidschans, abgefeuert haben. Da Aserbaidschan die Reporter internationaler Medien davon abhält, von dort zu berichten, konnte dies nicht bestätigt werden. Allerdings sind Berichte aufgetaucht, laut denen auf den Straßen von Gandscha nicht explodierte Raketen und Überreste von Artilleriegeschossen liegen und Häuser durch Artilleriefeuer zerstört wurden.

Zabil Mamedow, ein Bauer aus dem aserbaidschanischen Dorf Alesekerli, erklärte gegenüber der russischsprachigen Nachrichtenseite Caucasusian Knot: „Es gibt immer mehr Kämpfe und man weiß nie, wann es wieder losgeht. In den ersten Tagen haben wir Frauen, Kinder und Alte zu Freunden und Verwandten geschickt. Jetzt besteht die Dorfbevölkerung nur noch aus jungen Männern und Männern mittleren Alters.“

Beide Seiten erklären, sie hätten mehr als 2.000 Menschen getötet. Die neuerliche Eskalation der Kämpfe veranlasste den iranischen Präsidenten Hassan Ruhani und den russischen Präsidenten Wladimir Putin, ihre Besorgnis zu äußern. Ruhani erklärte: „Wir müssen aufpassen, dass der Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan nicht zu einem regionalen Krieg wird. Frieden ist die Grundlage unserer Arbeit, und wir hoffen darauf, dass wir die Stabilität der Region auf friedlichem Weg wiederherstellen können. ... Der Friede in der Region ist sehr wichtig. Auch die territoriale Integrität unserer Nachbarstaaten ist für uns von großer Bedeutung.“

Sowohl der Iran als auch Russland haben Truppen in den Krieg in Syrien geschickt, um die von der CIA unterstützten islamistischen Milizen zu bekämpfen. Ruhani erklärte, es bereite ihm Sorge, dass diese Milizen direkt an der Grenze zum Iran und Russland auftauchen. Er werde nicht zulassen, dass Terroristen „unter verschiedenen Vorwänden“ dort auftauchen.

Putin äußerte sich am Mittwoch erstmals öffentlich zu dem Krieg: „Das ist eine Tragödie und wir machen uns große Sorgen, weil die Menschen in Aserbaidschan, Armenien und Bergkarabach keine Fremden für uns sind.“ In Russland leben zwei Millionen Armenier und zwei Millionen Aserbaidschaner. Putin forderte „so schnell wie möglich“ einen Waffenstillstand, erklärte jedoch auch, bis dahin sei es „offensichtlich noch ein langer Weg“. Er unterhalte „regen Arbeitskontakt“ mit dem armenischen Ministerpräsidenten.

Putin deutete an, dass Russland derzeit keine Intervention in den Konflikt plane, obwohl es eine Militärbasis nahe der armenischen Stadt Gjumri unterhält. Er erklärte, die russischen Sicherheitsgarantien für Armenien im Rahmen der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) würden sich nicht auf Karabach erstrecken, dessen armenische Regierung international nicht anerkannt wird.

Putin sagte weiter: „Zu unserem großen Bedauern finden weiterhin Kampfhandlungen statt. Sie spielen sich nicht auf armenischem Staatsgebiet ab. Was Russlands Erfüllung seiner vertraglichen Verpflichtungen im Rahmen dieses Abkommens betrifft, so haben wir unsere Verpflichtungen immer eingehalten und werden es auch zukünftig tun.“

Dies verdeutlicht die akute Gefahr eines Kriegs zwischen Großmächten in Folge der US-Kriege im Nahen Osten und Zentralasien der letzten 30 Jahre und der katastrophalen Folgen der Wiedereinführung des Kapitalismus in der ehemaligen Sowjetunion. Die scharfen nationalen Spannungen, die im Zuge der Auflösung der UdSSR entstanden sind, haben blutige Kriege ausgelöst und liefern in endlosem Ausmaß Nährboden für imperialistische Intrigen. Falls aserbaidschanische Truppen in Armenien einfallen oder von Bergkarabach aus nach Armenien eindringen, wären die Voraussetzungen für einen direkten Zusammenstoß zwischen Russland und dem Nato-Mitglied Türkei gegeben.

Es besteht zudem die Möglichkeit, dass dieser Krieg zu einem von der CIA unterstützten Aufstand von Turk-Minderheiten in Russland und dem Iran führen könnte. In Teheran und Moskau ist dies offensichtlich eine Sorge.

Nick Paton Walsh, der Moskau-Korrespondent des Guardian, erklärte in einer Analyse für CNN, die Türkei „hat Putin in die wohl komplizierteste Lage seit Jahren gebracht“ und höhnte über das „ohrenbetäubende Schweigen Moskaus“ über den armenisch-aserbaidschanischen Konflikt. Damit sprach er für die Teile der Medien und des politischen Establishments der Nato-Mächte, die darauf hoffen, dass der Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan Russlands Fähigkeit beeinträchtigen wird, sich der Außenpolitik der USA entgegenzustellen.

Paton Walsh wies auf die russische Intervention gegen die Nato-Kriege und Putsche in Libyen, Syrien und der Ukraine hin und fügte hinzu, der Kreml habe „in letzter Zeit sehr oft interveniert. Moskau hat momentan Stellvertreterkräfte in der Ukraine, Syrien und Libyen (laut Vertretern der US-Regierung). Es musste den belarussischen Diktator Alexander Lukaschenko zudem mit Notunterstützung versorgen, über deren Ausmaß und Beschaffenheit nicht öffentlich berichtet wurde. Das sind vier separate Krisen, die sich sehr lebhaft entwickeln. Verfügt der Kreml über die Mittel, um noch eine fünfte zu verkraften?“

Der armenisch-aserbaidschanische Zusammenstoß ist ein weiterer Krisenherd, der einen Krieg zwischen atomar bewaffneten Großmächten auslösen könnte. Diese Gefahr kann nur durch den Kampf zur Vereinigung der internationalen Arbeiterklasse in einer sozialistischen Bewegung gegen Krieg abgewendet werden.

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