Corona-Hilfe für Studierende – ein kalkulierter Betrug

Das von der Bundesregierung am 7. Mai beschlossenen Gesetz zur Unterstützung der Wissenschaften und von Studierenden hat sich als „kalkulierter Betrug“ erwiesen, wie die WSWS dies am 13. Juni korrekt eingeschätzt hatte. Es ist ein „unverhohlener Versuch, Studierende die Krise ausbaden zu lassen“.

In sozialen Medien häufen sich seit Juni verständnislose und entrüstete Stellungnahmen von Studierenden, die der Regierung Ignoranz und Tatenlosigkeit gegenüber den Bedürfnissen von etwa einer Millionen in Not geratenen Studierenden vorwerfen.

Die Hauptkritik fällt auf die gesetzlich beschlossene „Soforthilfe“, die aus einem „Notfonds“ von 100 Millionen Euro bezahlt wird. Studierende, die durch die Corona-Pandemie in den Monaten März, April und Mai ihren Nebenjob verloren haben und dadurch in existenzielle Not geraten sind, können einen Zuschuss von 100 bis maximal 500 Euro für die Monate Juni, Juli und August beantragen, der nicht zurückgezahlt werden muss. Den Antrag müssen sie bei den jeweils zuständigen Studierendenwerken einreichen.

Studierende, die ihren Nebenjob vor dem März verloren hatten und in Folge des Lockdowns keine Neuanstellung finden konnten, sind automatisch von der Förderung ausgeschlossen, ganz gleich ob sie existenziell bedroht sind oder nicht. Ebenfalls von der Förderung ausgeschlossen sind Studierende, deren Kontostand Anfang Juni mehr als 500 Euro aufwies.

Auf Twitter bemerkte am 16. Juli eine Studentin dazu: „In Deutschland gilt man mit einem Nettoeinkommen von 781 Euro als arm. Außer du studierst, dann sagt [Bildungsministerin] Anja Karliczek nämlich, dass du mit 500 Euro auf dem Konto so reich bist, dass du keine staatliche Unterstützung bekommst.“

Es ist völlig klar, dass eine Aufstockung des Kontostandes auf maximal 599 Euro nichts an der existenzbedrohenden Lage vieler Studierenden ändert.

„Damit kann in kaum einer Hochschulstadt der Lebensunterhalt bestritten werden. Hinzu kommen die aufgelaufenen Kosten der Vormonate. Und die Hilfe läuft ja auch nur im Juni, Juli und August. Das Ende der Corona-Krise ist hingegen nicht abzusehen,“ kommentiert Amanda Steinmaus, Vorstandsmitglied des fzs (freier zusammenschluss von student*innenschaften) auf dessen Internetseite am 2. Juli.

Das allein wäre schon ausreichend, um die Wut und das Entsetzen vieler Studierenden zu erklären. Zum einen sind die von der Bundesregierung veranschlagten 100 Millionen Euro für die „Überbrückungshilfe“ ein lächerlicher Betrag, durch den maximal 66.666 Studierenden für drei Monate mit 500 Euro unterstützt werden könnten. Allein im Juni wurde die Nothilfe laut Ministerium mehr als 82.000 Mal beantragt. Der Bedarf liegt aber, wie Amanda Steinmaus angibt, deutlich darüber. „Laut einer Umfrage befinden sich in der Corona-Krise eine Million Studierende in ernster finanzieller Not.“

Das Antragsverfahren wird durch die zuständigen Studentenwerke abgewickelt und ist ein gewaltiger Verwaltungsakt. Allein für die extra entwickelte Software, mit der Studierende die „Überbrückungshilfe“ beantragen können, hat das Bildungsministerium 325.027 Euro gezahlt.

Auch für die Bearbeitung eines jeden Antrags werden zusätzlich 25 Euro veranschlagt. Da für jeden der drei Fördermonate ein gesonderter Antrag gestellt werden muss, verdreifachen sich diese Verwaltungskosten. Es entstehen zudem lange Wartezeiten, bis das Geld die Studierenden tatsächlich erreicht. Die ersten Anträge wurden am 29. Juni bearbeitet.

Doch schon kurz nach Start des Antragsverfahrens im Juni wurde deutlich, dass es der Bundesregierung bei der „Überbrückungshilfe“ nicht darum geht, den Studierenden aus der finanziellen Notlage zu helfen. Von den rund 82.000 eingegangenen Anträgen wurde rund die Hälfte abgelehnt. Zum einen mit der Begründung, dass die Notsituation des Antragstellers nicht durch die Corona-Pandemie verschuldet worden sei, da der Nebenjobverlust bereits vor dem Monat März erfolgt sei, und zum anderen mit der automatisierten Begründung, der Antrag sei nicht lesbar oder enthalte unvollständige Dokumente.

In den sozialen Medien häufen sich Berichte von Studierenden, deren Antrag abgelehnt wurde, obwohl ihr Kontostand im Minus oder unter 10 Euro lag, und die keine genauere Angaben bekamen, welche Unterlagen nicht lesbar oder fehlerhaft seien.

„Ich selbst habe akribisch und vollständig alle Dokumente stundenlang eingescannt. Warum ich abgelehnt wurde, wollte mir das Studentenwerk und auch die Hotline des BMBF nicht mitteilen...“, schreibt Marco am 5. Juli in einer Kommentarspalte.

Mittlerweile ist bekannt geworden, dass die Software, die das Antragsverfahren abwickelt, einige Probleme beim Hochladen oder Öffnen der geforderten Unterlagen aufweist. Etwa die Hälfte der Ablehnungsbescheide sind von diesem Problem betroffen. Trotz der fehlerhaften Software können Studierende, die einen Ablehnungsbescheid erhalten haben, keine Dokumente nachreichen und verlieren somit ihren Anspruch auf die „Unterstützung“.

Hinzu kommt, dass das Antragssystem keine Änderungen der Angaben des Vormonats zulässt, so dass eine Ablehnung im Juni fast automatisch eine Ablehnung für den Juli nach sich zieht.

Von Seiten der Bundesregierung ist dies eine bewusst unterlassene Hilfeleistung. Sie presst auf diese Weise weiteres Geld aus der Arbeiterklasse, um die Bankenrettung, die künstliche Erhöhung der Börsenkurse und die massive Aufrüstung zu finanzieren.

Vor diesem Hintergrund grenzt es an Dreistigkeit, wie Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) die hohe Ablehnungsquote erklärt. Es hätten möglicherweise viele Studierende den Antrag auf Überbrückungshilfe zurückgezogen, da sie das Geld nicht mehr bräuchten.

Genau das Gegenteil ist der Fall. Ende Juli meldete die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), seit Mai seien mehr als 22.000 neugestellte Anträge auf Studienkredite in Höhe von insgesamt 641,6 Millionen Euro eingegangen.

Für viele Studierende wird das verheerende Folgen haben, da es sich bei den „zinslosen“ Darlehen für Studierende, die neben den 100 Millionen „Soforthilfe“ das Herzstück der „Nothilfe“ für Studierende darstellen, im Wesentlichen um ganz normale KfW-Kredite handelt, die in dieser Form bereits seit 2006 existieren und mit hohen Zinsen zurückgezahlt werden müssen.

Auch hier zeigt sich, dass es Karliczek nicht um Hilfe für Studierende geht, sondern vielmehr darum, Studierendenkredite langfristig als Alternative zum BAföG aufzubauen. Ähnlich wie in den USA, werden Studierende dann den Weg ins Berufsleben mit einem riesigen Schuldenberg antreten.

Bereits in den letzten acht Jahren ist die Anzahl der Studierenden, die durch Bafög gefördert werden, um 26 Prozent zurückgegangen. 2019 bezogen rund 489.300 Studierende Bafög, das sind 17 Prozent aller Studierenden. 2012 waren es noch rund 671.000 oder 26 Prozent gewesen.

Diese systematischen Einsparungen der vergangenen Jahre in der Bildungspolitik werden im Zuge der Corona-Krise für Millionen Menschen sichtbar und für die direkt Betroffenen spürbar. Es ist fatal zu glauben, Appelle an die Bundesregierung würden deren rücksichtslose Politik verändern. Denn wie sich in der aktuellen Situation zeigt, weigert sich die Bundesregierung, das Bafög schnell und unbürokratisch für bedürftige Studierende zu öffnen, und dies obwohl der Haushaltstopf für das Bafög in diesem Jahr noch nicht ausgeschöpft worden ist. Aktuell enthalte er noch rund 900 Millionen Euro, die den Studierenden vorenthalten würden, bemerkt das fzs.

Viele in Not geratene Studierende werden im kommenden Semester gezwungen sein, ihr Studium abzubrechen, um Grundsicherung beantragen zu können. Denn Studierende haben keinen Anspruch auf ALGII. Für Berlin gibt es dazu bereits erste Zahlen. Laut Angaben der Senatskanzlei gab es 2019 rund 4600 Studienabbrüche. 2020 waren es bisher schon 5500, etwa 20 Prozent mehr als im Vorjahr.

Wie in allen gesellschaftlichen Bereichen bringt die Corona-Krise auch an den Unis die soziale Ungleichheit besonders krass zum Vorschein. Sie ist das Ergebnis derselben Politik, die das Leben von Millionen Menschen aufs Spiel setzt, um die Profite der Wirtschaft wieder sprudeln zu lassen und die Umverteilung des Reichtums von unten nach oben zu beschleunigen.

Studierende müssen die krassen Angriffe auf Bildungs- und Chancengleichheit im Zusammenhang mit der kriminellen Wiederöffnung von Schulen, dem massiven Stellenabbau in der Auto-, Luftfahrt- und anderen Industrien sowie der überstürzten und verantwortungslosen Wiederaufnahme der Produktion sehen, die das Leben von Millionen von Menschen in Gefahr bringen. Sie müssen ihren Protest mit dem Kampf für eine internationale sozialistische Perspektive verbinden.

Loading