Zwischen April und Juni schrumpfte die Wirtschaftsleistung der Vereinigten Staaten mit einer Jahresrate von 32,9 Prozent – ein Rückgang, wie es ihn in der Geschichte des Landes so noch nie gegeben hat. Der tatsächliche Abwärtstrend von 9,5 Prozent über die vergangenen drei Monate stellt sämtliche statistische Werte in den Schatten, die innerhalb der letzten 70 Jahre erhoben wurden.
Es ist kaum möglich, das Ausmaß dieser wirtschaftlichen Katastrophe, die das Leben von zig Millionen Arbeitern und ihren Familien zerstören wird, zu übertreiben. Der Nachrichtensender CNBC bemerkte dazu: „Weder die Große Depression in den 1930er Jahren noch die globale Finanzkrise von 2008-2009 oder die mehr als drei Dutzend Wirtschaftseinbrüche in den letzten zwei Jahrhunderten haben jemals in so kurzer Zeit derartige Auswirkungen verursacht.“
In der neueren Geschichte können lediglich Parallelen mit den wirtschaftlichen Einbrüchen durch die beiden Weltkriege oder den Zusammenbruch von Staaten gezogen werden. Berechnet man den Gesamtrückgang des US-amerikanischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) für die ersten sechs Monate des Jahres 2020, ergibt sich ein Wert von 14,75 Prozent. Dieser entspricht in etwa dem Rückgang der russischen Wirtschaft im Jahr 1993, das als schlimmstes Wirtschaftsjahr nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gilt.
Die Behauptungen der Trump-Regierung, dass sich die Wirtschaft rasch wieder erholt, ist ähnlich grotesk wie das Geschwätz des Präsidenten, eine Behandlung mit Bleichmittel würde gegen das Coronavirus helfen. Es gibt deutliche Anzeichen, dass der leichte Aufwärtstrend im Juni – der auf die staatlich angeordnete Wiedereröffnung der Wirtschaft zurückzuführen ist – durch die erneut starke Ausbreitung des Virus einbrechen wird.
Am Donnerstag gab das amerikanische Arbeitsministerium bekannt, dass in der vergangenen Woche 1,43 Millionen Neuanträge auf Arbeitslosenunterstützung eingereicht wurden. Das ist die 19. Woche in Folge, in der die Zahl der neu eingereichten Anträge die Millionenmarke überschritten hat. Nachdem die Neuanträge monatelang rückläufig waren, sind sie in den letzten zwei Wochen erneut angestiegen.
Die Zahl der Arbeiter, die Anspruch auf eine langfristige Arbeitslosenunterstützung haben, stieg in der Woche bis zum 19. Juli von 16,1 Millionen auf 17 Millionen. Außerdem stellten 830.000 Selbstständige und geringfügig Beschäftigte einen Antrag auf andere finanzielle Unterstützung, da sie keinen Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung haben.
Vor diesem Hintergrund lief gestern für schätzungsweise 20 Millionen Arbeiter der Zuschuss des Bundes in Höhe von 600 Dollar pro Woche zusätzlich zum Arbeitslosengeld aus. Das Einkommen von Millionen Menschen wird ohne den Corona-Zuschuss über Nacht von durchschnittlich 921 Dollar wöchentlich im Mai auf etwa 321 Dollar pro Woche, also um zwei Drittel sinken. In einigen Bundesstaaten werden die Einschnitte noch drastischer ausfallen. In Oklahoma wird die Arbeitslosenunterstützung beispielsweise um 93 Prozent auf 44 Dollar pro Woche gekürzt.
Doch bereits vor der Pandemie befanden sich die amerikanischen Arbeiter in einer prekären Lage. Der wöchentliche Corona-Zuschuss und die Auszahlung eines einmaligen Schecks in Höhe von 1.200 Dollar als „Kaufanreiz“, erhöhte das Einkommen vieler Amerikaner im zweiten Quartal um 45 Prozent. Viele Arbeitnehmer erlitten im Juni, als sie an die Arbeitsplätze zurückkehrten, einen Einkommensverlust von 70 Prozent.
In den vergangenen Wochen lief das staatliche Moratorium für Zwangsräumungen von Mietern aus, die in Wohnobjekten leben, deren Hypothek von der Regierung gesichert wird. Davon betroffen sind 18 Millionen Menschen bzw. mehr als ein Drittel der insgesamt 44 Millionen Mietverhältnisse in den USA. Die in den letzten vier Monaten angehäuften Mietzahlungen werden nun fällig, und Anwälte für Wohnrecht gehen davon aus, dass es zu einer Welle von Zwangsräumungen kommen wird. Allein in Los Angeles sind eine halbe Millionen Haushalte bedroht.
In den USA leiden rund eine Millionen Menschen an Hunger. Laut einer Umfrage des Amts für Volkzählung stieg die Ernährungsunsicherheit in der vergangenen Woche auf den höchsten Stand seit Mai. Fast 30 Millionen Amerikaner gaben an, innerhalb der sieben Tage bis zum 21. Juli nicht genug zu essen gehabt zu haben.
Der vom Kongress einvernehmlich verabschiedete und von Präsident Trump unterzeichnete CARES Act umfasst Rettungspakte für die Wall Street in Billionenhöhe. Den Millionen Arbeitern hingegen wird nun das Nötigste verweigert. Sowohl die Republikaner als auch die Demokraten nutzen Armut, Obdachlosigkeit und Hunger bewusst als Mittel, um widerspenstige Arbeiter wieder in die Fabriken und Büros zu drängen. Nur so können die Unternehmensgewinne wieder fließen.
Die Wirtschaft in den USA kollabiert und Dutzende Millionen sind mit Hunger, Obdachlosigkeit und Elend konfrontiert – der Finanzelite hingegen geht es gut wie nie zuvor. Der Dow Jones stieg aufgrund einer massiven Geldspritze der Federal Reserve seit seinem Tiefpunkt Ende März um 42 Prozent an, der Nasdaq um 54 Prozent. Die Wall Street ignorierte die Nachricht, dass die US-Wirtschaft im zweiten Quartal um 1,8 Billionen Dollar geschrumpft ist, weitgehend, wobei der Dow leicht rückläufig war, während der Nasdaq gestiegen ist.
Die amerikanische herrschende Klasse bereichert sich währenddessen weiterhin schamlos. Dass die Zahl der Todesopfer in den USA die Marke von 155.000 überstiegen hat und die Pandemie in Florida, Texas, Kalifornien und anderen Bundesstaaten außer Kontrolle geraten ist, lässt sie kalt. Bereits von 2010 bis 2020 stiegen die Vermögen der US-Milliardäre um 80,6 Prozent an. Doch allein seit Beginn der Pandemie konnten sie einen Vermögenszuwachs um 20 Prozent bzw. mindestens 565 Milliarden Dollar verzeichnen.
Jeff Bezos, Chef von Amazon und reichster Mann der Welt, konnte seit Beginn des Jahres dabei zusehen, wie sein Nettovermögen um 74 Milliarden Dollar auf geschätzte 189,3 Milliarden Dollar kletterte. In der vergangenen Woche wuchs sein Privatvermögen an einem einzigen Tag um 13 Milliarden Dollar, nachdem eine positive Prognose der Wall Street seine 57 Millionen Amazon-Aktien auf einen Preis von 3.232,49 Dollar pro Aktie ansteigen ließ. Bezos könnte, sollte sein Vermögen in derselben Geschwindigkeit anwachsen, der erste Billionär der Welt werden. Er hat einen höheren Marktwert als Giganten wie Exxon Mobil, Nike und McDonald's.
Am Donnerstag hat sich das Nettovermögen von Elon Musk seit Beginn der Pandemie verdreifacht. Es hat die Marke von 74 Milliarden Dollar überschritten und ihn zum fünftreichsten Menschen der Welt gemacht. Grund ist der Wertzuwachs der Tesla-Aktie, die am Donnertag zum Börsenschluss für 1.487,49 Dollar pro Stück gehandelt wurden. Am 21. Juli sicherte sich Musk den Anspruch auf eine Tranche von Aktienoptionen in Höhe von rekordverdächtigen 2,1 Milliarden Dollar. Es war seit Mai bereits sein zweiter solcher Volltreffer, da der Wert der Tesla-Aktie allein in diesem Jahr um 275 Prozent gestiegen ist. (Musks Anspruch auf Aktienoptionen richtet sich nach der Kursentwicklung.)
Sowohl Bezos als auch Musk stehen an vorderster Front, wenn es darum geht, Arbeiter ohne Schutzmaßnahmen zurück in die Lager und Fabriken zu schicken. Ansteigende Neuinfektionen oder Todesfälle durch das Coronavirus interessieren sie nicht. Die brutale Logik dahinter: Die Arbeiterklasse muss die notwendigen Gewinne heranschaffen, um für den massiven Anstieg der Staats- und Unternehmensverschuldung zu bezahlen, mit dem die Aktienmarktblase und ihre persönlichen Auszahlungen angeheizt wurden.
Die Milliardäre haben sich auf ihren Privatinseln, ihren Jachten und in ihren Luxusvillen verschanzt. Währenddessen stirbt in den USA jede Minute ein Mensch an Covid-19, und die große Mehrheit der Bevölkerung sieht sich mit einer nie dagewesenen Notlage konfrontiert. Am Samstag vergangener Woche feierten die Superreichen in den Hamptons – nur 160 km von New York City entfernt, wo fast 23.000 Menschen der tödlichen Krankheit zum Opfer gefallen sind. Die Partybesucher gaben zwischen 2.500 Dollar und 25.000 Dollar pro Person für ein Konzert mit David Solomon, dem Geschäftsführer von Goldman Sachs aus. CNN berichtete, dass Solomon „nicht nur eine der größten und mächtigsten Investmentbanken der Welt [leitet], sondern auch als DJ arbeitet. Unter dem Namen D-sol steht er in New York und Miami an den Plattentellern“.
Die Pandemie hat eine soziale Katastrophe hervorgerufen, die das Versagen des Kapitalismus als Gesellschaftsordnung verdeutlicht. Es ist kein Versagen der Medizin! Covid-19 gilt in der Wissenschaft keineswegs als eine Herausforderung, der man völlig unvorbereitet begegnen musste. Im Gegenteil: Seit Jahrzehnten warnen Mediziner vor einer Pandemie in einer solchen Größenordnung und haben bereits Gegenmaßnahmen erforscht. Sehr wohl stellt der Ausbruch der Pandemie allerdings eine Herausforderung für das Profitsystem dar, das keine humane und rationale Herangehensweise vorzuweisen hat. Der Kapitalismus hat die Arbeiterklasse und die gesamte Menschheit in die Katastrophe geführt.
Die inkompetente, fahrlässige und kriminelle Reaktion der herrschenden Klasse auf die Pandemie hat die erste Hälfte des Jahres 2020 geprägt. Die zweite Hälfte wird von der Gegenreaktion der US-amerikanischen und internationalen Arbeiterklasse geprägt sein. Millionen Arbeiter, darunter auch Lehrer, die sich gegen die rücksichtslose Wiedereröffnung der Schulen wehren, werden Teil des politischen Kampfs gegen die Trump-Regierung und die Demokraten. Sie müssen sich darüber bewusst sein, dass der Schutz von Menschenleben und eine gesicherte Existenzgrundlage einen revolutionären Kampf erfordert. Die Superreichen müssen enteignet, die Arbeitermacht errichtet und die sozialistische Reorganisation des Wirtschaftslebens vorgenommen werden. Dabei müssen die Bedürfnisse der großen Mehrheit der Menschheit im Vordergrund stehen, nicht die der wenigen Superreichen.