Am Dienstagabend zeigte die Gruppe „Don't Extradite Assange“ in einer Online-Premiere den Kurzfilm „Not in our name“, der die medizinischen Auswirkungen von Julian Assanges jahrzehntelanger Verfolgung dokumentiert, und diskutierte darüber, was es für die demokratischen Rechte bedeutet.
Die Veranstaltung war Teil der Kampagne für Assanges Befreiung, denn der WikiLeaks-Gründer ist nach wie vor im britischen Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh inhaftiert und stark von der Coronavirus-Pandemie bedroht. Im September soll die Anhörung über seine Auslieferung an die USA stattfinden, wo ihm lebenslange Haft droht, weil er amerikanische Kriegsverbrechen aufgedeckt hat.
Der Dokumentarfilm unter der Regie von John Furse nutzt Archivmaterial und Originalinterviews, um eine knappe und unwiderlegbare Zusammenfassung der Misshandlungen aufzuzeigen, die Assange von mehreren Regierungen erlitten hat. Außerdem werden die grundlegenden Probleme aufgezeigt, um die es geht, einschließlich der Frage der Pressefreiheit und des Kampfs gegen imperialistischen Krieg.
Anders als viele bürgerliche Medien, die den Fall Assange komplett verfälschen, stellt „Not in our name“ den Zusammenhang her zwischen der aktuellen Notlage des WikiLeaks-Gründers und seiner Publikationen, wegen derer Assange in den USA angeklagt wird.
Das Video beginnt mit einem kurzen Rückblick auf die Veröffentlichungen von WikiLeaks aus dem Jahr 2010, in denen Massentötungen von Zivilisten im Irak und in Afghanistan und andere Verletzungen des Völkerrechts aufgedeckt wurden.
Filmmaterial aus dieser Zeit zeigt die hysterische Reaktion des US-Militärgeheimdienstes und des politischen Establishments.
Beispielsweise erklärte Kenneth Weinstein, Präsident des Hudson-Instituts, einer neokonservativen Denkfabrik, es sei „sehr wichtig, dass unsere Regierung … kein Verständnis zeigt für sogenannte Whistleblowing-Aktivitäten von Verrätern“.
Bei einem Medienauftritt 2010 enthüllte Assange, dass die US-Regierung von ihm gefordert habe, dass WikiLeaks das Material, das „aus unseren Pentagon-Archiven stammt“, vernichten müsse und aufhören solle, „sich mit Informanten aus dem US-Militär einzulassen“; andernfalls werde man ihn dazu zwingen.
E-Mails zwischen führenden Mitarbeitern des US-Informationsdiensts Stratfor und einer Sicherheitsfirma mit Verbindungen zur CIA ließen einen Plan erkennen, dass man Assange „von Land zu Land schieben“ wollte, um ihn „für die nächsten 25 Jahre mit verschiedenen Anklagepunkten zu konfrontieren“. Am Ende wollte man ihn zusammen mit Terroristen in einem amerikanischen Supermax-Gefängnis einsperren.
Sehr schnell geriet Assange in die Fänge des britischen Rechtssystems. Es ging um gefälschte schwedische Anschuldigungen wegen sexuellen Fehlverhaltens, was dazu dienen sollte, ihn in die USA zu schicken. Dies zwang den WikiLeaks-Gründer, 2012 politisches Asyl in der ecuadorianischen Botschaft in London zu beantragen.
Der Hauptteil des Dokumentarfilms ist eine Ausarbeitung der Erkenntnisse des UN-Sonderberichterstatters Nils Melzer, dass Assange infolge seiner langwierigen Verfolgung medizinisch nachweisbare Symptome psychologischer Folter aufweist. Diese Einschätzung basiert auf einer Konsultation, die Melzer und zwei medizinische Experten im Mai 2019 mit Assange im Belmarsh-Gefängnis durchgeführt haben, sowie auf einer umfassenden Studie des UN-Beauftragten über die rechtlichen Missbräuche, die dem WikiLeaks-Gründer zugefügt wurden.
Der Film umreißt mehrere Merkmale der UN-Definition von psychologischer Folter, wie sie in Assanges Behandlung zum Ausdruck kamen:
* Ständige Angst und Besorgnis: Assange ist seit zehn Jahren mit der Gefahr konfrontiert, in die USA überstellt zu werden, wo ihm möglicherweise die Todesstrafe droht. Während dieser Zeit wurde er willkürlich festgenommen, brutal verhaftet und in ein Hochsicherheitsgefängnis gesperrt. Hochrangige Persönlichkeiten der US-Regierung forderten derweil seine Ermordung.
Die australische Psychologin Dr. Lissa Johnson erklärte: „Oft wird die Erwartung der Gefahr, vor der man sich fürchtet, als traumatischer und quälender empfunden als die tatsächliche Verwirklichung dieser Bedrohung.“
* Öffentliche Verunglimpfung: In seinen ersten Ergebnissen stellte Melzer fest, dass Assange Opfer einer beispiellosen „öffentlichen Mobbings-Kampagne“ gewesen sei, die unzählige Verleumdungen von Regierungen und wirtschaftsnahen Medien beinhaltete.
Dr. Derek Summerfield, ein führender Psychologe im Ruhestand, erklärte, dass diese Art Folter dazu diene, „einer Person das Gefühl dafür zu nehmen, wer sie ist und worum es ihr geht, und ihren Namen so zu beschmutzen, dass es leichter wird, mit dieser Person das zu tun, was der Staat mit ihr tun möchte“.
Lissa Longstaff (von der Organisation „Woman Against Rape“) skizzierte die Art und Weise, in der die schwedischen Vorwürfe Gegenstand „staatlicher Manipulation“ waren. Sie hätten nicht nur als Vorwand gedient, um Assange seiner Rechte zu berauben, sondern auch als Grundlage für eine systematische Hetzkampagne.
* Verlust der Selbstbestimmung: Dies wurde besonders deutlich, als die neue ecuadorianische Regierung sich gegen Assange wandte, weil sie 2017 engere Beziehungen zu den USA aufnahm. Obwohl Assange ein politischer Flüchtling war, wurde er ständig von einer privaten Sicherheitsfirma auf Anweisung der CIA ausspioniert. Er sah sich der Gefahr ausgesetzt, jederzeit aus der Botschaft vertrieben zu werden. Seine Kommunikation wurde abgeschnitten, was ihn noch stärker isolierte.
* Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit: Frau Johnson bemerkte, dass die zahlreichen Justizmissbräuche, die Assange erfuhr, einschließlich der illegalen Entziehung seines politischen Asyls und seines Bewusstseins darüber, dass er in Großbritannien einer voreingenommenen Regierung und Justiz gegenüberstand, dass dies alles eine Situation geschaffen hatte, „in der alles passieren kann. Das ist zutiefst destabilisierend. Man weiß nicht, wie man sich verteidigen soll. Man weiß nicht, was als Nächstes zu erwarten ist.“
Dies hat sich seit der Verhaftung Assanges im April 2019 noch verstärkt. Im Belmarsh-Gefängnis wird ihm eine angemessene medizinische Versorgung verweigert, er kann nicht an seiner eigenen Verteidigung mitarbeiten, und er muss sich immer neuen britischen Anhörungen stellen, die den Charakter von Schauprozessen tragen.
* Isolation und Entzug von Sinneseindrücken: Den größten Teil seiner Inhaftierung durch Großbritannien musste Assange bisher in Einzelhaft verbringen. Dies, obwohl er ausdrücklich nur in Untersuchungshaft sitzt. Es ist klar, dass damit nur seine Auslieferung in die USA erleichtert werden soll.
Johnson fasste die Konsequenzen zusammen: „Der Mensch kann kurze Stressausbrüche gut verarbeiten, aber wenn der Stress konstant und unablässig andauert, verursacht er sehr ernste Immunitätsprobleme. Immunzellen können sich selbst zerstören. Der Körper hört auf, sie zu produzieren, die Kommunikation im Immunsystem bricht zusammen. Das kann Menschen für Krebs, für atypische Infektionen anfällig machen, und es macht sie sehr anfällig für Coronaviren.
Diese Techniken sind im Wesentlichen darauf ausgerichtet, jemanden derart zu zerstören, dass er nicht mehr leben will, dass er nicht mehr funktionieren kann.“
Assanges Freund Vaughan Smith erinnerte daran, dass der WikiLeaks-Gründer ihn am vergangenen Heiligabend angerufen und gewarnt hatte, er werde im Belmarsh-Gefängnis „langsam sterben“.
Nach der Filmvorführung führte Rebecca Vincent, Londoner Direktorin von Reporter ohne Grenzen, ein Gespräch mit Melzer und dem Filmemacher John Furse.
Melzer wies erneut jede Andeutung zurück, dass psychologische Folter eine Art „Folter-lite“ sei. Er wies darauf hin, dass bei körperlicher Folter die Anwendung von Gewalt ein Mittel und kein Selbstzweck sei. Wie die psychologische Folter, habe sie den Zweck, „den Verstand einer Person zu beeinträchtigen und zu brechen. Man zerbricht ihren Körper, um an ihren Geist heranzukommen.“
Er fuhr fort: „Das eigentliche Zielobjekt jeder Folterhandlung ist der Verstand. Es geht immer um Psychologie … Man kann das durch physische oder nicht-physische Schmerzen und Leiden erreichen. Isolation, kombiniert mit Demütigung, kombiniert mit Einschüchterung, kombiniert mit einer tiefgreifenden Willkür, zielt also sehr spezifisch auf die angeborenen Bedürfnisse nach Stabilität, Sicherheit, Orientierung und Identität ab … Dies sind bekannte psychologische Bedürfnisse, die unsere Identität viel stärker prägen als unser Körper.“
Melzer erklärte, dass die Verleumdung von Assange darauf abziele, die Aufmerksamkeit von den durch WikiLeaks aufgedeckten Staatsverbrechen abzulenken. Bezüglich des gegen Assange gerichteten Rufmords sagte Melzer: „Dabei wird über Katzen und Skateboards diskutiert, aber nicht über die Dinge, die als Kriegsverbrechen dokumentiert worden sind.“
Auf die Frage, welche Reaktionen seine Feststellungen hervorgerufen hätten, sagte Melzer, die Regierungen hätten ihn vorerst zwar „widerwillig toleriert“, wobei sie seine Einschätzung unbekümmert von sich gewiesen hätten. Aber man habe ihm zu verstehen gegeben, dass für seine Enthüllungen „ein politischer Preis“ zu zahlen sei.
Der UN-Sonderermittler wies darauf hin, wie sehr die internationalen Rechtsnormen in den vergangenen Jahren ausgehöhlt worden seien, und sagte: „40 Jahre lang haben wir den öffentlichen Dienst privatisiert, jetzt werden schon fast die Regierungen privatisiert. Wir haben Gefängnisse, Armeen und die Polizei privatisiert, also ist es kein Wunder, dass die Regierungen denken, auch sie seien privat.“
Auch John Furse sagte, dass der Fall Assange die Macht der großen Finanzinteressen offenbart habe, und dass dies alle demokratischen Rechte untergrabe.
Melzer erklärte die tiefere Bedeutung der Verfolgung von Assange: „Der wahre Zweck der Folter ist meistens Einschüchterung. Und es ist nicht unbedingt die Einschüchterung des Opfers. Es ist die Einschüchterung aller anderen. Deshalb werden Menschen auf öffentlichen Plätzen gefoltert, in bewaffneten Konflikten werden Frauen auf dem Dorfplatz vergewaltigt, und Menschen werden öffentlich hingerichtet.
Das ist es, was mit Julian Assange geschieht. Es geht nicht darum, ihn zu bestrafen, ihn zu verhören und die Wahrheit herauszufinden. Es geht darum, alle anderen Journalisten und Verleger einzuschüchtern und dafür zu sorgen, dass niemand dasselbe tut, was er getan hat, denn davor haben die Staaten Angst.“
Melzer warnte: „Dieses Ziel ist bereits erreicht worden“, und das bedeute: „Dieser Kampf muss in Wirklichkeit darum gehen, die Pressefreiheit wiederherzustellen, anstatt sie nur zu schützen.“
Die Veranstaltung kann in voller Länge unter Consortium News hier gesehen werden.