Coronavirus-Infektionen: USA überholen Italien und China

Die USA entwickeln sich in rasanter Geschwindigkeit zum neuen Epizentrum der globalen Coronavirus-Pandemie. Die Zahl der offiziell bestätigten Fälle liegt mit nahezu 100.000 mittlerweile höher als in Italien und China.

Die Zahl der Coronavirus-Infektionen in den Vereinigten Staaten hat sich innerhalb von nur einer Woche mehr als verzehnfacht. Auch weltweit steigt die Zahl der Fälle exponentiell an und liegt mittlerweile bei über einer halben Million.

New York City wiederum ist mit mehr als 500 Toten zum Epizentrum der Pandemie in den USA geworden. Die Zahlen für die Stadt verdoppeln sich derzeit alle drei Tage. Bürgermeister Bill de Blasio hat bereits Pläne bekanntgegeben, Notunterkünfte mit mehr als 1.000 Betten in jedem der fünf Stadtteile zu bauen. Diese würden schon jetzt nicht für die Neuerkrankungen in nur einer Woche ausreichen. Wenn nächste Woche das Lazarettschiff USS Comfort der US-Navy eintrifft, wird es nicht einmal die Krankenhauseinweisungen eines einzigen Tages aufnehmen können.

In anderen Bundesstaaten sind ähnliche Maßnahmen geplant. In Louisiana wird beispielsweise beabsichtigt, 1.100 Betten in einem Kongresszentrum einzurichten. Allerdings werden auch diese vermutlich schnell überlastet sein. Zumal die Maßnahmen an die grauenhaften Erfahrungen während des Hurrikans Katrina erinnern.

Notfallsanitäter in Kirkland (Washington) nahe Seattle beim Einladen eines Patienten in einen Krankenwagen im Life Care Center, 10. März 2020 (AP Photo/Ted S. Warren)

Alle Teile der Arbeiterklasse sind von der Pandemie betroffen. Bevon Boise, Pflegerin am Mount Sinai Hospital, schrieb auf Facebook: „Wir haben nicht genug Schutzausrüstung, wir haben die falsche Schutzausrüstung, und wir haben nicht das richtige Personal, um auf diese Pandemie zu reagieren.“

Das erste Todesopfer bei den New Yorker Verkehrsbetrieben (MTA) war der 49-jährige Fahrer Peter Petrassi. Die MTA stellt ihren Beschäftigten immer noch nicht die nötige Schutzausrüstung zur Verfügung. Auch in anderen städtischen Verkehrsbetrieben fordern die Beschäftigten Masken und Schutzausrüstung.

Die Rekordzahl von Anträgen auf Arbeitslosenunterstützung ist ein weiteres Anzeichen für die wirtschaftliche Last, die der Arbeiterklasse aufgebürdet wird. Alleine in New Jersey wurden 155.000 Neuanträge gestellt – 16-mal so viel wie in der Vorwoche. Im ganzen Land erreichte die Anzahl der Anträge mit 3,3 Millionen in einer Woche den höchsten Stand in der Geschichte.

Den Investoren an der Wall Street und den Großbanken wurden hingegen Billionen Dollar versprochen oder bereits ausgehändigt. Der Kongress debattiert momentan über weitere Konjunkturmaßnahmen zur Stärkung der Großkonzerne.

Mittlerweile gibt es in 15 Bundesstaaten mehr als 1.000 nachgewiesene Infektionen; in Kalifornien ist die Zahl um mehr als 30 Prozent auf 4202 angestiegen, in Washington um 24 Prozent auf 3.207 Fälle, in Michigan um 25 Prozent auf 2.856 Fälle, in Illinois um 36 Prozent auf 2.538. Neue Hotspots sind u.a. Großstädte wie Chicago und Detroit, die eine ähnliche Entwicklung wie der Raum New York aufweisen.

Die Trump-Regierung deutete an, das Virus sei auf die am stärksten betroffenen Metropolregionen wie New York, San Francisco, Los Angeles und Seattle beschränkt, während große Teile des Landes relativ unbehelligt blieben. Die Koordinatorin der Corona-Taskforce des Weißen Hauses, Deborah Birx, erklärte am Donnerstag bei einer Pressekonferenz stolz, es gäbe in 19 der 50 Bundesstaaten immer noch weniger als 200 Fälle. Sie behauptete, dieser Wert repräsentiere „40 Prozent des Landes“, in dem die Infektionsraten „außergewöhnlich niedrig“ seien.

Die 19 Bundesstaaten, in denen die Anzahl der Coronavirus-Infektionen bisher am niedrigsten ist, sind Alaska, Delaware, Hawaii, Idaho, Iowa, Kansas, Kentucky, Maine, Montana, Nebraska, New Hampshire, New Mexico, North Dakota, Oklahoma, Rhode Island, South Dakota, Vermont, West Virginia und Wyoming. Die meisten dieser Staaten haben nur eine sehr kleine Bevölkerungszahl (darunter befinden sich auch die 16 kleinsten Bundesstaaten) und sind relativ weit vom Welthandel entfernt. Sie umfassen zwar 40 Prozent der Bundesstaaten, aber nur 13 Prozent der Bevölkerung. Solche Statistiken als Fortschritt oder gar als Erfolg anzuführen, kommt einer bewussten Entwaffnung der amerikanischen Öffentlichkeit angesichts einer rapide wachsenden Bedrohung gleich.

In einer weiteren Verdrehung der Tatsachen behauptete Birx: „Bisher hat kein Land eine Infektionsrate von mehr als einem von 1.000.“ Sie vergaß die entscheidenden Worte noch nicht. Sie versuchte offensichtlich anzudeuten, dass sich nicht mehr als einer von tausend Amerikanern mit COVID-19 anstecken wird, was etwa 330.000 Infizierte bedeuten würde. In Wirklichkeit könnte diese Zahl schon nächste Woche überschritten werden.

Dr. Birx bezeichnete die Diskussionen in Krankenhäusern über die Frage, wie man angesichts einer drohenden Überfüllung die überlebenswichtigen Beatmungsgeräte verteilen und zuteilen kann, als unbegründet. Es sei nicht angemessen, „anzudeuten, dass es keine Betten in den Krankenhäusern gibt, wenn sie gebraucht werden“. Tatsächlich erreichen einige Krankenhäuser bereits jetzt die Grenzen ihrer Kapazität, darunter zwei große Hospitäler im Raum Detroit. Die Krankenhäuser in New York City sind längst völlig überlastet.

Was Trump und seine kriecherischen Berater hier als Erfolg darstellen, ist in Wirklichkeit kriminelle Fahrlässigkeit. Wären gleich zu Beginn der Krise ausreichend Tests, Kontaktverfolgungen und Isolationsmaßnahmen durchgeführt worden, hätten die Infektionen von Anfang eingedämmt werden können. Stattdessen hat die US-Regierung die Warnungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Januar ignoriert und zugelassen, dass sich das Virus mehrere Wochen lang ungehindert ausbreiten konnte.

Selbst jetzt sind Coronavirus-Tests auf Personen mit bereits vorhandenen Symptomen beschränkt, obwohl Patienten schon andere Menschen anstecken können, wenn sie selbst noch keine Symptome zeigen – einer von vielen Gründen, warum das Coronavirus so gefährlich ist.

Trump hingegen erklärte weiterhin, die Arbeiter in den USA wollten „nicht herumsitzen“. Er ignorierte überwältigende Beweise aus der Bevölkerung für die dramatische Lage und ignorierte ihre Forderungen nach der Schließung der Betriebe, um die Seuche einzudämmen. „Wir müssen an die Arbeit zurückkehren“, so der Präsident. Dass es dazu wohl nach dem Osterwochenende kommen wird, offenbarte die Ankündigung der Autobauer Ford und Honda, sie würden ihre Werke in Nordamerika am 6. und 7. April wiedereröffnen. Toyota will es ihnen ab dem 20. April gleichtun. Maßnahmen zum Schutz der Arbeiter wurden zwar in Aussicht gestellt, doch Details sollen erst später bekanntgegeben werden.

Laut einem internen Schreiben des Heimatschutzministeriums plant die Trump-Regierung außerdem, erstmals in der modernen Geschichte 1.000 US-Soldaten an der 8.000 Kilometer breiten Grenze zu Kanada zu stationieren. Sie wird außerdem ferngesteuerte Sensoren installieren lassen, um illegale Migranten aufzuhalten, die „die Infektionskrankheit potenziell verbreiten könnten“. Auf einer Pressekonferenz am Nachmittag rechtfertigte Trump dieses Vorhaben mit der Behauptung, es gäbe „illegalen Handel, den wir nicht wollen“. Damit meinte er die angebliche Einfuhr von chinesischem Stahl über die kanadische Grenze.

Die Militarisierung der amerikanisch-kanadischen Grenze sowie die zunehmende Militarisierung der amerikanisch-mexikanischen Grenze verdeutlichen die irrationale und reaktionäre Antwort der Trump-Regierung auf die Corona-Pandemie. Der Generaldirektor der WHO, Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus, erklärte am Donnerstag vor den G20-Staaten: „Diese Krise ist eine globale und erfordert eine globale Reaktion. (…)

Kein Land kann diese Krise alleine lösen. Wir sitzen alle im selben Boot und können das nur zusammen durchstehen. Das bedeutet einen Paradigmenwechsel in der globalen Solidarität – indem wir Erfahrungen, Expertisen und Mittel teilen und zusammenarbeiten, um Lieferketten zu erhalten und Nationen zu unterstützen, die unsere Unterstützung brauchen.“

Die Worte von Dr. Tedros sind aufrichtig, treffen aber auf taube Ohren. Die Krise verlangt den Abriss aller Mauern zwischen den Nationen. Doch Trump und die anderen Regierungschefs errichten noch höhere Barrieren gegen internationale Zusammenarbeit. Sie interessiert vor allem, dass der Aktienmarkt zu Beginn der Woche drei Tage lang um 20 Prozent gestiegen ist. Dass Millionen Menschenleben in Gefahr sind, wenn die Arbeiter wieder in die Betriebe zurückkehren, wird als Teil des Geschäfts angesehen.

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