Die gezielte Ermordung des iranischen Generals Qassim Soleimani durch die USA stößt in breiten Teilen der europäischen Bevölkerung auf Ablehnung und Entsetzen. Der kriminelle Akt des Staatsterrorismus droht den Mittleren Osten in ein weitere Blutbad und die Welt in ein nukleares Inferno zu stürzen. Täglich stößt US-Präsident Trump neue Drohungen aus, die – wie die angedrohte Vernichtung iranischer Kulturstätten – sowohl nach internationalem wie nach amerikanischem Recht Kriegsverbrechen sind.
Doch von den europäischen Regierungen ist keine Kritik am kriminellen Vorgehen des amerikanischen Bündnispartners zu vernehmen, das stark an das Verhalten Adolf Hitlers am Vorabend des Zweiten Weltkriegs erinnert. Sie rufen zwar zur Deeskalation auf, aber weigern sich, den gezielten Mord an einem ranghohen Vertreter eines souveränen Landes als Kriegsverbrechen zu verurteilen. Stattdessen richten sie ihr Feuer gegen den Iran. Obwohl sie Trumps Vorgehen für einen taktischen Fehler halten, bereiten sie sich darauf vor, die USA im Kriegsfall zu unterstützen.
Bereits die erste gemeinsame Erklärung, die Bundeskanzlerin Angela Merkel, der französische Präsident Emmanuel Macron und der britische Premier Boris Johnson zwei Tage nach dem Mord veröffentlichten, beginnt mit einem Angriff auf den Iran und das Mordopfer Soleimani.
„Wir haben die jüngsten Angriffe auf Koalitionstruppen in Irak verurteilt und sind tief besorgt über die negative Rolle, die Iran in der Region gespielt hat, insbesondere durch die iranischen Revolutionsgarden und die al-Quds-Einheit unter dem Kommando von General Soleimani“, lautet der erste Absatz.
Es folgt ein Aufruf zur Deeskalation: „Wir appellieren an alle beteiligten Akteure, äußerste Zurückhaltung und Verantwortungsbewusstsein an den Tag zu legen. Die aktuelle Spirale der Gewalt in Irak muss beendet werden.“
Doch die Ermordung Soleimanis, die de facto einer Kriegserklärung der USA an den Iran gleichkommt, ein Land mit der Einwohnerzahl Deutschlands, wird von den Regierungschefs weder erwähnt noch verurteilt. Stattessen rufen sie „insbesondere Iran auf, von weiteren gewalttätigen Aktionen oder deren Unterstützung abzusehen“, und fordern ihn auf, „sämtliche Maßnahmen zurückzunehmen, die nicht mit dem Nuklearabkommen (‚JCPoA‘) in Einklang stehen“ – ein Abkommen, das die USA einseitig gebrochen haben.
Boris Johnson beeilte sich hinterher, dem US-Präsidenten telefonisch zu versichern, dass Soleimani „eine Bedrohung der Interessen von uns allen“ war und „wir seinen Tod nicht bedauern“.
Auch Emmanuel Macron telefonierte noch am selben Tag mit Donald Trump und versprach ihm „seine volle Solidarität mit unseren Verbündeten angesichts der Angriffe, die in den vergangenen Monaten gegen den Einfluss der Koalition im Irak geführt wurden“, wie es in einer Verlautbarung des Élysées heißt.
Macron habe „seine Besorgnis über die destabilisierenden Aktivitäten der Kräfte von al-Quds unter der Autorität von General Qassim Soleimani zum Ausdruck gebracht und an die Notwendigkeit erinnert, dass der Iran sie jetzt beende und sich jeder militärischen Eskalation enthalte, die die Instabilität der Region verschärfen könnte“. Er habe „die Entschlossenheit Frankreichs betont, an der Seite seiner regionalen und internationalen Partner für eine Entspannung zu arbeiten“.
Ähnlich äußerte sich die deutsche Regierung. Außenminister Heiko Maas beschuldigte den ermordeten Soleimani in der Bild am Sonntag, er habe „eine Spur von Blut und Gewalt durch den Nahen und Mittleren Osten gezogen. Nicht umsonst hatte die EU ihn auf der Terrorliste.“ Die iranische Regierung reagierte, indem sie den deutschen Botschafter einbestellte und sich über „unwahre, unangemessene und destruktive Äußerungen“ sowie die Unterstützung für den „terroristischen Angriff“ der USA beschwerte.
Während Berlin, Paris und London den Staatsterrorismus der USA rechtfertigen, bemühen sie sich gleichzeitig intensiv, die Situation in ihrem Sinne zu beeinflussen. Macron telefonierte unter anderem mit dem irakischen Präsidenten, dem er seine Unterstützung für die „Sicherheit und Souveränität des Irak“ versicherte, den Herrschern verschiedener arabischer Staaten sowie dem russischen Präsidenten. Bundeskanzlerin Merkel fliegt am Samstag nach Moskau, um persönlich mit Wladimir Putin über die Lage im Nahen Osten zu sprechen.
Das ambivalente Verhalten der europäischen Regierung hat zwei Gründe.
Zum einen fürchten sie, dass die unkontrollierte Eskalation eines Kriegs zwischen den USA und dem Iran zu einem weiteren Desaster führt, das in Form von Terroranschlägen, wachsenden Flüchtlingsströmen, steigenden Ölpreisen und politischer Instabilität auf Europa zurückschlägt.
Am deutlichsten formulierte das der frühere Oberbefehlshaber der britischen Marine Lord West in einem Interview mit der Dail Mail. „Großbritannien und Amerika streben im Iran dasselbe Ziel an“, versicherte er dem Boulevardblatt. „Wir beide bemühen uns um die Beseitigung eines Hardliner-Regimes, das eine schwere Bedrohung der globalen Sicherheit darstellt, und um seine Ablösung durch eine gemäßigtere Regierung.“
Großbritannien versuche, “die Spannungen mit Iran abzubauen, … denn solange die iranische Bevölkerung sich unter ständiger Belagerung durch den Rest der Welt fühlt, besteht keine Aussicht, dass in Teheran eine vernünftigere und zivilisiertere Regierung an die Macht kommt.“ Trump verfolge dagegen die Strategie, „harsche Sanktionen und rücksichtslose militärische Gewalt einzusetzen“.
Es sei aber nicht möglich, den Iran mit klinischen Luftschlägen und Drohnenangriffen zu besiegen und einen umfassenden Regimewechsel zu erzwingen. Notwendig sei eine Invasion. “Diese würde den Einsatz von mindestens einer Million Soldaten im Land erfordern, was die Rückkehr zur Wehrpflicht – wie sie zuletzt im Vietnam-Krieg existierte – und den wahrscheinlichen Verlust von hunderttausenden amerikanischen Leben bedeutet.“
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Dazu sei Trump vor den Wahlen im November nicht bereit. „Stattdessen werden die Spannungen weiter zunehmen. Die Welt wird sich am Abgrund des Krieges bewegen, nicht tagelang, sondern monate- und sogar jahrelang.” Lord Wests Interview endet mit dem Aufruf, das britische Militär massiv aufzurüsten, damit das Land sein Gewicht im Nahen Osten besser zur Geltung bringen kann.
Der zweite Grund für das Verhalten der europäischen Regierungen sind die wachsenden Klassenspannungen in den eigenen Ländern. 2003 waren in Europa und auf der ganzen Welt Millionen gegen den Irakkrieg auf die Straße gegangen. Dass die französische und deutsche Regierung damals den Krieg abgelehnt und US-Präsident George W. Bush öffentlich kritisiert hatten, spielte dabei keine geringe Rolle.
Eine solche Mobilisierung wollen die europäischen Regierunen heute um jeden Preis vermeiden. Sie fürchten, dass die Opposition gegen Krieg mit den Massenkämpfen gegen die Rentenkürzungen in Frankreich und der unterschwelligen Opposition gegen Arbeitsplatzabbau und Armut in Großbritannien und Deutschland zusammenkommt.
Wie die US-Regierung reagieren sie auf die wachsenden sozialen Spannungen, ökonomischen Probleme und internationalen Konflikte, in dem sie nach innen und außen Aufrüsten und sich in militärische Abenteuer stürzen. Deshalb verteidigen sie Trumps Kriegsverbrechen und bereiten sich auf die Beteiligung an einem Krieg vor, von dem sie wissen, dass er in die Katastrophe führt.
Auch in den Medien spiegelt sich diese Entwicklung in atemberaubendem Tempo wieder. Symptomatisch dafür sind zwei Kommentare in der Süddeutschen Zeitung.
Am 4. Januar hatte Stefan Kornelius die Ermordung Soleimanis unter der Überschrift „Kriegserklärung“ zwar gerechtfertigt, aber gleichzeitig gewarnt, dass sich die Gründe, „die Trump zu seinem Tötungsbefehl getrieben haben könnten“, nicht mal in der Summe „zu einer plausiblen Strategie addieren“. Trump sei „nun Feldherr, aber ihm fehlt eine Strategie und ihm fehlt das Wissen“.
Zwei Tage später klang ein Kommentar von Tomas Avenarius in derselben Zeitung schon ganz anders. Unter der Überschrift „Die USA sollten sich als Ordnungsmacht zurückmelden“ schreibt er: „Kritik an der Rolle der USA im Nahen Osten ist oft genug berechtigt… Bei der Tötung General Soleimanis könnte die Sache anders liegen: Im Idealfall melden die USA sich zurück als Ordnungsmacht. Denn in Nahost herrscht blankes Chaos.“