Am 10. Dezember wird der Literaturnobelpreis 2019 an den österreichischen Schriftsteller Peter Handke verliehen. Seit bekannt ist, dass der berühmte Literat mit dem Preis geehrt wird, bricht die Hetze gegen ihn nicht mehr ab.
Die gehässigen Angriffe richten sich nicht gegen das vielfach ausgezeichnete künstlerische Werk von Handke, der seit fünf Jahrzehnten zu den führenden deutschsprachigen Autoren und Übersetzern gehört. Sie zielen auf seine politische Haltung. Ein erheblicher Teil der Kultur- und Literaturszene verzeiht ihm nicht, dass er sich in den 1990er Jahren vehement gegen die Zerschlagung Jugoslawiens und den Krieg der Nato gestellt hat.
Weil Handke den Mut hatte, die Westmächte im Jugoslawienkrieg als Brandstifter zu brandmarken und die völkerrechtswidrige Nato-Bombardierung Serbiens zu verurteilen, wird er als Genozid-Leugner, Verteidiger von Kriegsverbrechen und Antisemit beschimpft. Diese Vorwürfe finden sich alle in einem Beitrag, den die Literaturwissenschaftlerin Alida Bremer am 25. Oktober im Kulturmagazin Perlentaucher veröffentlicht hat. Die Trägerin des Staatsordens der Republik Kroatien ist allerdings alles andere als eine unbefangene Zeugin.
Bremers Hetzartikel ist nur einer von vielen. Selbst der bosnisch-deutsche Schriftsteller Sascha Stanisic ließ sich für die Kampagne gegen Handke einspannen. Während der Dankrede für den Deutschen Buchpreis 2019 erklärte er medienwirksam, Handke habe den Preis nicht verdient, weil er mit Hilfe der Literatur Lügen verbreite.
Die Tiraden von Handkes aggressivsten Gegnern gleichen dem Gezeter von Verbrechern, die versuchen, ihre eigenen Spuren zu verwischen.
Der Nato-Krieg gegen Jugoslawien vor zwanzig Jahren kennzeichnete den Übergang eines ganzen Milieus deutscher Intellektueller und wohlhabender Kleinbürger, das sich früher pazifistisch gegeben hatte, ins Lager des deutschen Militarismus. Seine Verkörperung fand dieses Milieu im ehemaligen Straßenkämpfer Joschka Fischer.
Als grüner deutscher Außenminister bemühte Fischer zynisch den Satz „Nie wieder Auschwitz“, um die Bombardierung Belgrads zu rechtfertigen, das bereits Hitlers Wehrmacht in Schutt und Asche gelegt hatte. Die Grünen ebneten damals den Weg für den ersten internationalen Kriegseinsatz der Bundeswehr. Inzwischen sind solche Einsätze Alltag – von Afghanistan bis Mali.
Handke trat dieser Entwicklung wütend und trotzig entgegen. In seinen Reiseberichten „Gerechtigkeit für Serbien“ und „Nachtrag“ nahm er kein Blatt vor den Mund. Er bezeichnete die Nato treffend als Verbrecherorganisation, geißelte die Heuchelei der rot-grünen Bundesregierung und gab unmissverständlich zu verstehen, dass er das Gros der Presse-Journalisten als von den Großmächten gekaufte Schmierfinken zutiefst verachtete.
Handkes Schriften zu Jugoslawien sind eindeutig Schriften gegen den widersinnigen Krieg. Es geht ihm nie um die Rechtfertigung des serbischen Nationalismus und seiner Verbrechen, sondern um die verzweifelte Verteidigung dessen, was einmal der Vielvölkerstaat Jugoslawien gewesen war. Selbst seine Landschaftsbeschreibungen sind davon poetisch durchdrungen: Landschaften, Gebirge, die keine ethnisch-nationalen Grenzen kennen. Die Natur selbst spricht für Jugoslawien und die Menschen, die hier friedlich miteinander leben.
„Schon früh in seinem Schaffen sprach Handke sich unmissverständlich für Frieden und nicht für Krieg aus, und er vertritt einen grundlegend antinationalistischen Standpunkt“, schreibt das Mitglied des Nobelpreiskomitees Henrik Petersen auf Spiegel Onlinezur Verteidigung der Preisverleihung an Handke.
Handke selbst empörte sich vor zwei Wochen in der Zeit: „Wie konnte Deutschland Kroatien, Slowenien und Bosnien-Herzegowina anerkennen, wenn auf dem Gebiet mehr als ein Drittel orthodoxe und muslimische Serben lebten? So entstand ein Bruderkrieg.“
Die deutsche Regierung hatte 1991 Slowenien und Kroatien sofort als unabhängige Staaten anerkannt und so die blutigen Konflikte in Gang gesetzt, die über 100.000 Todesopfer fordern und Jugoslawien in sieben verfeindete Kleinstaaten aufspalten sollten, die ökonomisch nicht lebensfähig und durch Armut, ethnische Spannungen und kriminelle Eliten geprägt sind. Sie sind Spielzeuge in den Händen der Großmächte.
„Die alten Feindschaften, die im Ersten und dann im Zweiten Weltkrieg von den ausländischen Mächten benutzt wurden, sind durch die Anerkennung wieder aufgebrochen,“ ergänzte Handke und fragte: „Hat man vergessen, dass dieser Staat gegen das Hitlerreich gegründet worden ist?“
Auch Handkes Beziehung zum serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic, der 2006 im Gefängnis des Haager Kriegsverbrechertribunals starb, steht in diesem Zusammenhang. Handke sprach an Milosevics Grab einige Worte, die ihm seither als Unterstützung von Kriegsverbrechen und Massakern ausgelegt werden. Tatsächlich hatte Handke lediglich seine Trauer und Ratlosigkeit angesichts der jugoslawischen Katastrophe zum Ausdruck gebracht.
Milosevic war – wie der Kroate Franjo Tudman und der Slowene Milan Kucan – ein langjähriger Funktionär des Tito-Regimes, der angesichts der wachsenden Opposition der Arbeiterklasse auf Nationalismus und kapitalistische Restauration setzte, um Macht und Privilegien zu erhalten.
Die WSWS schrieb nach seinem Tod über ihn: „Ohne Zweifel trug Milosevic eine gerütteltes Maß an Verantwortung für die politischen Entwicklungen, die zur Zerstörung Jugoslawiens geführt haben. Wenn die westlichen Medien ihn aber als allmächtigen Finsterling präsentieren, … dann ist das genau so falsch, wie es eine Schutzbehauptung ist. Diese zusammengeschusterte jüngste Geschichte Jugoslawiens, die alle Ereignisse auf den ‚Bösewicht Milosevic‘ zurückführt, lässt die entscheidende Rolle der imperialistischen Mächte völlig weg. Die USA und besonders Deutschland arbeiteten bewusst auf das Auseinanderbrechen des Landes hin und scherten sich dabei nicht im Geringsten um die unvermeidlich tragischen Folgen ihres Eingreifens.“
Handke war nicht bereit, die Verwandlung Milosevics aus einem Verbündeten des Westens, der wegen seiner marktwirtschaftlichen Reformen gelobt wurde, in einen Bösewicht und „neuen Hitler“ unkritisch hinzunehmen. Er verstand, dass die Dämonisierung von Milosevic zutiefst reaktionären Zielen diente. Ähnlich sollte es später dem irakischen Präsidenten Saddam Hussein und dem libyschen Führer Muammar al-Gaddafi ergehen, die aus Partnern des Westens über Nacht in Reinkarnationen von Hitler verwandelt wurden, um Kriege zu rechtfertigen, die mit der völligen Unterwerfung und Zerstörung ihrer Länder endeten.
Handke geht als Literat, nicht als Politiker oder Historiker an diese Fragen heran. Er weiß keine Lösung. „Handkes Werk prägt eine ideologiekritische, ethisch fragende Haltung, ein politisches Programm wird dabei nicht propagiert“, schreibt Petersen. Der Vorwurf, er habe Massaker gerechtfertigt, ist eine infame Lüge. Vom Massaker in Srebrenica, dessen Verharmlosung ihm zur Last gelegt wird, hat er sich vor Jahren ausdrücklich distanziert.
Die politische Kampagne gegen Peter Handke findet vor dem Hintergrund einer massiven militärischen Aufrüstung und der ideologischen und praktischen Vorbereitung Deutschlands auf neue Kriege statt. Wer sich diesen Vorbereitungen in den Weg stellt, muss mit einer hemmungslosen Kampagne der Medien rechnen, ganz gleich was seine Verdienste sind.
Dieselbe Erfahrung machte vor sieben Jahren Günter Grass, der ebenfalls den Literaturnobelpreis erhalten hat. Als er in einem Gedicht vor den israelischen Kriegsvorbereitungen gegen den Iran und der damit verbundenen Gefahr eines nuklearen Weltkriegs warnte, wurde er als Antisemit und heimlicher Nazi denunziert.
„Wer gegen die wachsende Gefahr eines Krieges im Nahen Osten und damit gegen die Gefahr eines neuen Weltkrieges kämpfen will, muss Günter Grass verteidigen und gegen die Kriegstreiber in Berlin, Washington und Tel-Aviv und ihre Lakaien in den Medien kämpfen“, schrieb damals die WSWS. Dasselbe gilt für Peter Handke.
Siehe auch:
„Der Schriftsteller Peter Handke, die öffentliche Meinung und der Krieg in Jugoslawien“, 22. Juli 1999
„Unter Tränen fragend. Das neue Buch von Peter Handke“, 12. Juli 2000