Am Donnerstag kamen Vertreter der Asten zahlreicher Universitäten und fast hundert Studierende an der Humboldt-Universität zusammen, um gegen rechte und militaristische Lehre zu protestieren und kritische Studierende gegen rechte Angriffe zu verteidigen. Die International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) hatten die Veranstaltung initiiert und zusammen mit den Asten durchgeführt.
Die Studierendenvertreter machten eine Bestandsaufnahme der Angriffe auf die Rechte und die Meinungsfreiheit linker Studierender und diskutierten Perspektiven im Kampf gegen die rechte Gefahr. Zum Abschluss brachten die Vertreter der IYSSE, der Asten aus Hamburg, Bremen und Berlin sowie des Refrats der Humboldt-Universität eine gemeinsame Resolution ein, die von der Versammlung einstimmig angenommen wurde.
Die enorme Resonanz, auf die die Veranstaltung stieß, wurde gleich zu Beginn deutlich, als etliche Solidaritätsadressen von weiteren Asten und auch von Vollversammlungen der Humboldt- und der Freien Universität in Berlin verlesen wurden, die jeweils mit großer Mehrheit verabschiedet worden waren.
Als erster Studierendenvertreter schilderte Leo Schneider, Sozialreferent des Hamburger AStAs, die Situation an seiner Hochschule. Ein Vorfall vor drei Wochen sei symbolisch für die angespannte Situation, erklärte er. „Vor drei Wochen kamen sechs Polizist*innen in Demonstrationsmontur in ein Universitätsgebäude, sind die Flure entlang gegangen, haben einen Seminarraum betreten und dort einen Studenten rausgepickt. Alle anwesenden Studierenden waren schockiert.“
Der Student habe zuvor einen Platzverweis für das Gebäude erhalten, nur weil er Polizisten, die sich vor der Vorlesung von AfD-Gründer Bernd Lucke aufgestellt hatten, gesagt habe: „Wir stürmen den Saal schon nicht.“ Das habe für eine derart martialische Aktion ausgereicht. Der Student habe daraufhin sein Seminar nicht besuchen können und laufe Gefahr, es nicht anrechnen zu können. „An der Uni Hamburg ist das allgemeine Echo: Lucke muss lehren können um jeden Preis. Das sehen wir dann, wenn Studierende von der Polizei aus den Seminaren gezogen werden.“
Bernd Lucke, der Gründer der rechtsradikalen AfD, lehrt seit diesem Semester wieder an der Universität Hamburg, was auf massiven Protest der Studierenden stieß. „Luckes Aussagen sind rassistisch, und er hetzt immer wieder gegen Minderheiten jeglicher Couleur, deshalb bezeichnen wir ihn auch als den Rechten, der keine Berührungsängste mit Rechtsradikalen hat“, erklärte Schneider. „Das ist der Grund, weshalb wir ihm an der Uni Hamburg zumindest keinen Schutzraum bieten wollen und weshalb wir eine Demonstration organisiert haben.“
„Was uns überrascht hat, war die Welle des Hasses, die über uns gekommen ist, die teilweise durch einzelne mediale Berichterstattung getrieben wurde“, fügte Schneider hinzu. „So wurden Mitglieder des AStA persönlich angefeindet.“ Als Beispiel nannte er die Neue Zürcher Zeitung. In der Folge habe der AStA „massive Morddrohungen“ erhalten, unter anderem eine Bombendrohung durch den NSU 2.0. „Die Polizei zieht Studierende aus dem Hörsaal, aber uns wurde keinerlei Schutz angeboten, sondern es wird sogar gegen Mitglieder des AStA ermittelt.“
Feline Schleenvoigt vom Refrat der Humboldt-Universität berichtete, wie der rechtsradikale Professor Jörg Baberowski die Studierendenvertretung dafür verantwortlich gemacht hat, dass sein Antrag für ein Diktaturforschungszentrum im Akademischen Senat (AS) nicht durchgekommen ist. In einer Medienkampagne sei die Ablehnung dieses rechten Thinktanks als „Angriff auf die Meinungsfreiheit“ und als „Gesinnnungsprüfung“ bezeichnet worden. Nachdem zwei studentische Vertreterinnen im AS ihre Kritik am Zentrum in einem Radiobeitrag begründet hatten, beschimpfte Baberowski die Studentinnen als „unfassbar dumm“ und „linksextreme Fanatiker“.
„Wir waren alle über den Shitstorm erschrocken, der in den sozialen Medien über uns hereinbrach“, sagte Schleenvoigt. „Er richtete sich gegen den Refrat im Allgmeinen, aber auch sehr persönlich gegen die beiden Referentinnen. Dabei wurden Informationen, auch über die Familien der beiden, Fotos und Informationen auf rechten Blogs gesammelt. Es war tatsächlich ziemlich gruselig zu sehen, was da alles so passiert bei einem Professor, der von der Unileitung nach wie vor gedeckt wird und von dem die Unileitung nach wie vor sagt, er sei nicht rechtsradikal.“
Einer der studentischen Vertreter im AS habe dazu treffend bemerkt: „Auch wenn die Uni weiter leugnet, dass Baberowski ein Rechtsradikaler ist, wissen die Rechtsradikalen selber sehr genau, dass er einer von ihnen ist. Das sieht man unter jedem Post.“
Die Rolle der Unileitung habe sich schon vor über einem Jahr gezeigt, als sie den RefRat auf Geheiß der AfD auf Herausgabe der Namen sämtlicher im RefRat aktiven Studierenden der letzten zehn Jahre verklagte. „Wenn man jetzt sieht, wie Rechte Namen sammeln und wie sogar Informationen über unsere Familien gesammelt werden, ist das ganz schön beängstigend. Die Uni zeigt sich da als Steigbügelhalter für Rechte.“
Es gehe dabei nicht einfach um Baberowski, sondern darum, wie rechte Standpunkte wieder salonfähig gemacht werden, betonte die HU-Studentin „Wir haben eine neoliberale, autoritäre Strategie der Unileitung, die versucht, jegliche Debatte zu unterdrücken.“ Das habe auch der Polizeieinsatz gegen die Besetzung eines Hörsaals am Institut für Sozialwissenschaften gezeigt. Während die Unileitung Polizei gegen kritische Studierende einsetze, werde über Flyer von rechtsterroristischen Organisationen auf dem Campus kein Wort verloren.
Thomas Scripps von den IYSSE in Großbritannien sprach über ähnliche Entwicklungen an britischen Universitäten. Ende 2018 habe Noah Carl eine angesehene Anstellung an der Cambridge Universität erhalten. Dagegen hätten 1500 Studenten und Akademiker in einem offenen Brief protestiert, weil Carl offen eugenische und rassistische Standpunkte vertrete. So erkläre er Terrorismus und Armut aus den genetischen Unterschieden von Ethnien.
Carl sei Teil eines rechtsextremen akademischen Netzwerks, das von der herrschenden Klasse gefördert werde. Er habe auf der ganzen Welt Unterstützer und Gleichgesinnte, etwa Professor Heiner Rindermann von der TU Chemnitz, der behaupte, dass die globale Ungleichheit auf genetische Unterschiede zurückgehe.
„Im Kampf gegen diese rechtsextreme Kampagne können Appelle an die wissenschaftliche Vernunft nur dann eine dauerhafte Wirkung haben, wenn sie mit einem fortschrittlichen, sozialistischen Programm einhergehen“, erklärte Scripps am Ende seines Beitrags. „Fälschungen und Pseudowissenschaften erhalten, auch wenn sie unwahr sind, wachsenden Einfluss, weil sie von reaktionären Kräften ermuntert und unterstützt werden, die unter den Bedingungen der globalen Krise des Kapitalismus täglich stärker werden.“
Faschistische Bewegungen, in denen solche Ideen zuhause sind, würden gefördert, um soziale Ungleichheit und imperialistische Gewalt durchzusetzen. „Um sie zu bekämpfen, müssen wir die historische und wissenschaftliche Wahrheit verteidigen, gestützt auf eine sehr viel stärkere soziale Kraft, die entgegengesetzte soziale Interessen vertritt: die internationale Arbeiterklasse, die jetzt in Massenkämpfe gegen soziale Ungleichheit, Imperialismus und Krieg eintritt.“
Irina Kyburz vom AStA der Universität Bremen erklärte, dass der Aufstieg rechtsextremer Kräfte, wie sie auf dem Podium diskutiert worden seien, nur im Zusammenhang mit einem umfassenderen rechten Klima verstanden werden könnten.
„Den Nationalismus haben sich nicht erst Baberowski oder Nazis ausgedacht. Die Teilung in Deutsche und Nicht-Deutsche und Menschen mit mehr oder weniger Rechten, mehr bei Deutschen und in Abstufungen bei Nicht-Deutschen, das macht der bürgerliche Staat jeden Tag: Dauerndes Bleiberecht mit Arbeitsgenehmigung, ohne Arbeitsgenehmigung, Duldung etc. bis hin zu Abschiebungen in Kriegsgebiete.“
Dario von der Beuth Hochschule für Technik erklärte zunächst, warum er eigentlich nur die Kurzform des Namens seiner Hochschule verwendet. Denn der Namensgeber Peter Beuth sei ein glühender Antisemit gewesen. „Auch nachdem wir das nachgewiesen haben, gibt es bei der Hochschule immer noch keine wirkliche Sensibilität dafür.“ Außerdem tauchten Flugblätter der rechtsradikalen Identitären Bewegung auf dem Campus auf und seien Professoren der Hochschule Mitglieder der AfD.
Ferner entwickle die Hochschule zusammen mit der Bundeswehr und der Polizei Infraschall- und Drohnensysteme. Und die Kooperation gehe noch weiter: Bundeswehrsoldaten würden an der Hochschule ausgebildet, erklärte Dario, weil Teile der Bundeswehruniversitäten geschlossen hätten. Finanziert werde das aber nicht über den Verteidigungshaushalt, wie es eigentlich üblich sei, sondern über den Bildungshaushalt. „Wir versuchen die Zivilklausel an unserer Uni durchzusetzen“, schloss Dario.
Der Sprecher der IYSSE an der Humboldt-Universität, Sven Wurm, fasste noch einmal einige Fragen zusammen und erklärte die Perspektive der trotzkistischen Jugendorganisation: „Wir kämpfen hier an der Humboldt-Universität seit sechs Jahren gegen rechtsradikale Lehre und die Relativierung der Nazi-Verbrechen.“ Schon zu Beginn hätten die IYSSE feststellen können, dass es nicht um einen einzelnen Professor, sondern um den Rechtsruck des ganzen politischen Establishments gehe. Während der rechtsradikale Professor von Politik und Medien verteidigt worden sei, seien die kritischen Studierenden attackiert worden.
„Heute sehen wir das im ganzen Land. Jeder, der gegen den Aufstieg der extremen Rechten auftritt, soll mundtot gemacht werden“, erklärte Wurm. Als Beispiel nannte er, dass niemand die Hamburger Studierenden gegen die Morddrohungen verteidigt habe, aber sämtliche Parteien Stellung für Lucke bezogen hätten, weil dieser mit Papierschnitzelchen beworfen worden sei.
Das sei Ausdruck einer grundlegenden Entwicklung, betonte der IYSSE-Sprecher. „Um ihre Politik von Krieg und sozialer Ungleichheit durchzusetzen, kehren die Herrschenden überall auf der Welt zu autoritären und letztlich faschistischen Methoden zurück.“
Wurm ging ausführlich auf die rechte Politik der Bundesregierung, die aggressive Kriegspolitik und die innere Aufrüstung ein. „Diese Politik stand noch vor fünf Jahren ausschließlich im Programm der AfD. Heute ist das Regierungspolitik, die in den Bundesländern auch von Grünen und Linkspartei unterstützt wird.“
Anders als in den 30er Jahren hätten die Herrschenden für diese Politik aber keine Massenbasis. „Die große Mehrheit ist gegen Krieg und Ungleichheit und wird eine Rückkehr des Faschismus nicht zulassen. Das zeigt sich heute hier auf der Versammlung, das zeigt sich aber auch überall auf der Welt. Massenproteste gegen soziale Ungleichheit sind überall auf der Welt an der Tagesordnung“, sagte Wurm und ging auf die Massenproteste in Chile, Kolumbien, Bolivien, dem Libanon, dem Irak und dem Iran ein, die sich gegen soziale Ungleichheit und Imperialismus richteten.
„Es ist diese massive soziale Kraft, die Kraft der Arbeiterklasse, die einzig in der Lage ist, dem Rechtsruck entgegenzutreten“, schloss Wurm. „Aber dazu benötigt sie eine sozialistische Perspektive. Dafür kämpfen wir als IYSSE.“
Auf die Beiträge folgte eine lebhafte Diskussion, die auch in den Fluren und am Infotisch noch lange fortgesetzt wurde. Am Ende der Versammlung verabschiedeten alle Teilnehmer einstimmig die folgende Resolution, die von allen Podiumsmitgliedern gemeinsam eingebracht worden war:
Wir wenden uns gegen jede Form rechtsradikaler Lehre an den Universitäten, insbesondere die Relativierung der Nazi-Verbrechen, rassistische Hetze gegen Geflüchtete und militaristische Forschung.
Es ist völlig inakzeptabel, dass rechte und rechtsradikale Professoren wie Jörg Baberowski und Bernd Lucke Unterstützung von Medien, Politik und Universitätsleitungen erhalten, während Studierende, die gegen rechte Lehre protestieren, attackiert und eingeschüchtert werden.
Die große Mehrheit der Studierenden lehnt diese Entwicklung ab. Wir werden nicht zulassen, dass die Universitäten wieder zu Zentren rechter und militaristischer Ideologie werden und solidarisieren uns deshalb bedingungslos mit den angegriffenen Studierenden in Hamburg, Berlin und an anderen Universitäten.
Wir halten folgende Prinzipien für selbstverständlich:
1. Das Recht von Studierenden, gegen rechte Lehre zu protestieren. Kein Zurück zur autoritären Ordinarienuniversität!
2. Das Recht linker und fortschrittlicher Gruppen, auf dem Campus zu arbeiten und Veranstaltungen abzuhalten.
3. Nie wieder Kriegsforschung und rechte Hetze an den Universitäten!